Die Wokeness-Illusion

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Wokeness-Illusion' von Alexander Marguier
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Inhaltsangabe zu "Die Wokeness-Illusion"

Wokeness ist ein Kampfbegriff geworden. Das gilt sowohl für die Befürworter wie die Gegner einer Einstellung, die sich selbst als »wach« oder »aufmerksam« bezeichnet. Es gibt wenig sachlich begründete Auseinandersetzungen, dafür umso mehr Empörung. In diesem Buch werden zentrale Elemente von Wokeness kritisch geprüft: der Vorwurf der kulturellen Aneignung, die Forderung nach geschlechtergerechter Sprache, die Rede von strukturellem Rassismus, das Instrument der Cancel Culture und die Einführung einer geschlechtlichen Diversität. Die Autoren dieses Buches sind sich einig, dass die so kritisierte Wokeness nicht zur Abschaffung oder Einebnung von Unterschieden beiträgt, sondern im Gegenteil diese untermauert.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:128
Verlag: Verlag Herder
EAN:9783451395567

Rezensionen zu "Die Wokeness-Illusion"

  1. Sachlich, informativ, lesenswert

    „Bedrückend an diesem Kampf der Identitäten – seien sie ethnischer, geschlechtlicher, religiöser, milieubezogener oder jedweder anderen Art – ist nicht nur die (Selbst-) Viktimisierung ganzer Bevölkerungsschichten, sondern die Unversöhnlichkeit, in der er gerade geführt wird.“ (Zitat Seite 11, Alexander Margulier)

    Thema und Inhalt
    „Wenn Political Correctness die Freiheit gefährdet“, so lautet der Untertitel dieser Sammlung von neun Essays von neun Autoren, die sich mit den wichtigsten Elementen von Wokeness kritisch auseinandersetzen. Die Themen der einzelnen Beiträge reichen von den Anfängen der Identitätspolitik über woke Wirtschaft, politisch korrekten Konsum, Sprache, bis zur Debatte um die kulturelle Aneignung. Am Ende des Buches werden kurz die einzelnen Autoren vorgestellt.

    Umsetzung
    Die Beiträge sind in einzelne Kapitel gegliedert, umfassen jeweils etwa zwölf Seiten und ein Quellenverzeichnis. Interessant sind die unterschiedlichen Blickwinkel, mit denen die einzelnen Autoren das jeweils gewählte Thema betrachten, einige gehen weit in die Geschichte zurück und legen so die Wurzeln der Entstehung wichtiger Elemente frei, die von der Wokeness Bewegung unbewusst oder auch bewusst falsch interpretiert und ausgelegt werden. Auch wer zum Beispiel die sprachlichen Diskussionen, die Diskussionen um kulturelle Aneignung und Diversität aktiv mitverfolgt, findet hier bisher noch nicht bekannte Ansätze und neues Wissen. Interessant, weil in den Medien wenig präsent, die Beiträge zur woken Wirtschaft und dem neuen ethischen Konsum, das Phänomen Woke Washing als Entwicklung des seit Jahren bekannten Greenwashing. Besonders eindrücklich bringt folgende Aussage von Ralf Hanselle das Dilemma der neuen Identitätspolitik in seinem Essay zu diesem Thema auf den Punkt: „Und vielleicht gäbe es hinter der eigenen Wunde der Identität etwas Größeres zu entdecken – eine Realität, die ganz unabhängig ist von Identitäten, und einen Universalismus, der weit mehr ist als die Summe einzelner Partikularinteressen. Das Ende unserer Identitätsfixierung könnte auch der Neubeginn der Gesellschaft sein.“ (Zitat Seite 24, Ralf Hanselle)

    Fazit
    Dieses Buch der Cicero-Redaktion ist ein lesenswerte Sammlung von interessanten, sachlichen Beiträgen von Publizisten und freien Journalisten zu den wichtigsten Elementen der Wokeness, eine Bewegung, die dabei ist, die Gesellschaft zu spalten. „Der woke Blick findet überall neue Symbole, an denen sich allgemeine Empörung entzünden kann. Damit hält er die Protestenergie wach und demonstriert die eigene Macht.“ (Zitat Seite 65, Bernd Stegemann). Ein Buch zum Mitdenken, zum Nachdenken und vielleicht auch zum Überdenken eigener Ansichten.

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  1. Ein Augenöffner. Muss man lesen!

    Kurzmeinung: Einige sehr kluge Beiträge zur Debatte um Wokeness

    Ja, was soll ich sagen? Dieses Buch hat mir klargemacht, dass es sich bei der Wokeness-Bewegung um eine waschechte Ideologie handelt, deren Vorzüge und Nachteile dringend breitbandig diskutiert werden müssten. Aber dies ist nicht der Fall und von den Vertretern der Wokness her nicht einmal gewünscht. Die neue Ideologie, die mit der Identitätsphilosophie eng verflochten ist, wünscht keine Auseinandersetzung, sondern sucht Anhänger. Zitat aus dem Vorwort: „Wenn jemandem etwa das Recht abgesprochen werden soll, überhaupt seine Meinung zu artikulieren, nur weil er nicht einer bestimmten Minderheit angehört, ist eine Diskussion nicht mehr möglich“.

    Der Herausgeber stellt acht kurze Essays vor, die sich mit dem Phänomen der Wokeness-Ideologie und deren Auswirkungen auf die Gesellschaften, mit besonderem Blick auf Deutschland, beschäftigen. Der Usprung dieser Ideologie liegt schon in den 1970igern Jahren begründet als der französische Autor Michel Foucault das Buch „Surveiller et Punir“ (Überwachen und Bestrafen) auf den Markt warf.

    Die Wokenessbewegung ist eng verwoben mit der Identitätsbewegung bzw. dem Identitätsbegriff, der - in Kürze und im Kern - fragt, was macht einen Menschen aus? Wird er bestimmt durch äußere Merkmale oder kann ein Mensch sich durch mentale Tätigkeit vollkommen selbst setzen, das heißt, „frei“ bestimmen, wer und was er sei. Michel Foucault selbst wechselte seine Identitätszuschreibungen ständig – in der letzten Ausprägung seiner Thesen gelangt man zum Genderfluidum, jeder kann sein, was er will und führt unter anderem zum für 2023 geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampelregierung, das besagt, dass durch einen einfachen Sprechakt auf dem Amt jeder sein Geschlecht selbst festlegen könne. Was im ersten Moment liberal-progressiv klingt, unterhöhlt letztlich den Freiraum, den sich Frauen in einem jahrhundertelangen Kampf erworben haben und worum sie immer noch ringen, und das deshalb, weil sich ihnen nun eine Gruppe biologischer Männer anschließen könnte, die sich als Frauen „fühlen“ und dementsprechend Schutzräume für Frauen mitbesetzen wollen/können. Alice Schwarzer wirft Queer- und Transaktivisten vor, Frauen unsichtbar machen zu wollen, indem sie diese neuerdings unter FLINTA subsumieren, was für „Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre, Trans- ud Agenderpersonen“ stehen soll. "Eine vergleichbare Schublade gibt es für Männer übrigens nicht", sagt Ben Krische.

    Wie dem auch sei, die woke Brille teilt die Welt in gut und böse ein, wobei die Woken definieren, wer gut ist.

    Beängstigend ist die These von Alice Hasters, dass nur „die Weißen Rassisten sein können, weil sie allein von ihrer eigenen Vorherrschaft profitieren“ und dass Rassismus nicht mehr an eine reale Tat durch eine Person gebunden und gesehen wird, sondern als Kollektivschuld. Letztlich hieße das, jeder Weiße ist ein Rassist. Der Gedanke der Sippenhaft und der Kollektivschuld aber trägt selbst einen faschistischen Kern in sich.
    Die Theorie des strukturellen Rassismus: „ist jedoch nicht in erster Linie eine Theorie mit Wahrheitsanspruch, sondern war und ist ein Kampfinstrument gegen die ungerechtfertigte Benachteiligung Nicht-Weißer“, ein Hilfsmittel, das im politischen, berechtigten Kampf für die Rechte Schwarzer in den USA entstanden ist. Aber in Deutschland/Europa haben wir andere Verhältnisse, sagt Matthias Brodkorb und weiter: „Es handelt sich um einen Rückfall hinter die Errungenschaften der Aufklärung, um einen Absturz in die Ideologie des Rassismus“. Und woher kennen wir eine Rassenideologie? Vom Nationalsozialismus: ganz gefährlicher Boden also.

    Was mich persönlich verstört, ist die Faktengleichgültigkeit der Bewegung: Es kommt nicht mehr darauf an, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Gut, bis zu einem gewissen Grad ist das immer schon so gewesen; aber die Wokisten treiben es zum Exzess!

    Behandelt wird natürlich auch die Sprachverschlimmbesserung durch die Genderbewegung, die von einem Erziehungsgedanken (wir müssen das Volk umerziehen, woher kennen wir das bloß) getragen ist sowie andere, ökonomische Gesichtspunkte wie das Wokewashing. Bedeutet: du bist gut, wenn du dieses woke Produkt kaufst, das keinen rassistischen Namen trägt, aber seine Mitarbeiter ausbeutet. Es ist eben leichter und eine intellektuelle Spielerei, in die Sprache einzugreifen (oder es zu wollen) als real existente wirtschaftliche Bedingungen zu verändern und etwa die Paygap zwischen den Geschlechtern zu schließen, denn bei ersterem kann man in seinem Elfenbeinturm sitzen bleiben, bei letzterem muss man heruntersteigen und sich in die Niederungen der Realpolitik begeben, mit seinen spezifischen Erfolgen und eben solchen Niederlagen!

    Einen Blick auf die gängige Praxis der Cancel Culture wird ebenso geworfen wie die Opfermentalität unsere Tage angesprochen wird. Empörungskultur, wohin man schaut. Wer fühlt, hat recht. Fakten spielen kaum noch eine Rolle. Ich kann nicht umhin in der ganzen Bewegung einen Rachegedanken zu entdecken, vor allem, da schon häufig, im nachhinein als ungerechtfertige Behauptungen entlarvt, diese Cancel Culture Jobs und Ansehen anderer Menschen zerstörte.

    Fazit: Man darf indes diesen kritischen Beitrag zur Wokeness-Ideologie nicht missverstehen. Die Autoren sind nicht der Meinung, dass Rassimus gut sei und auch keineswegs dagegen, im Alltag Sensibilität zu entwickeln, was wohl notwendig gewesen ist, jedoch beschäftigen sie sich mit den Auswüchsen eines Anliegens, das, ursprünglich legitim, zu einer die Gesellschaft spaltenden Ideologie mit eigenen rassistischen Zügen geworden ist. Muss man lesen!

    Kategorie: Sachbuch. Politik und Gesellschaft
    Verlag: Cicero, 2023

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