Die Tankstelle am Ende des Dorfs

Rezensionen zu "Die Tankstelle am Ende des Dorfs"

  1. 3
    01. Jan 2020 

    Der Duft des Motoröls...

    In Erik Fyksens Tankstelle gibt es kein Bistro und auch keine gigantische Waschanlage wie bei der Konkurrenz und das Sechziger-Jahre-Design, in dem Eriks Freundin die Tankstelle stilecht renoviert hat, bevor sie ihn verließ, ist auch nicht jedermanns Sache. Dafür weiß Erik alles über Autos, die er mit Hingabe repariert, und kann noch für das ungewöhnlichste Modell Ersatzteile besorgen, und sei es beim örtlichen Schrottplatzbesitzer. Für Tüftler und Bastler ist der Ort zur »Tankstelle des Glücks« geworden, in dem nicht nur der fahrbare Untersatz auf Touren gebracht wird, sondern gleich das ganze Leben verhandelt wird. Nur schade, dass die Landstraße begradigt werden soll und dann nicht mehr an der Tankstelle vorbeiführen wird. Erik muss eine Entscheidung treffen.

    "Ein Männerverstehbuch, das in Norwegen zum Kultroman wurde", verrät der Klappentext außerdem - oder wie der Piper Verlag seinerzeit schrieb, als er den Roman 2008 unter dem Titel "Fyskens Tankstelle" herausbrachte: "Ein witziges Männerverstehbuch, das erklärt, warum manche Männer mehr Lebenszeit unter ihrem Auto verbringen als mit ihrer Freundin". Hm.

    In diesem Roman dreht sich alles ganz eindeutig um Autos. Um alte Autos, genauer gesagt, die noch mit Tüftelei, Bastelei und Behelferei zu reparieren waren. Erik Fysken, gerade einmal 34 Jahre alt, hat in dieser Tankstelle, in der es nicht nur Benzin zu kaufen gibt, sondern auch alles an Ersatzteilen, die die Dorfbevölkerung für ihre Autos brauchen könnten, offenbar seine Lebenserfüllung gefunden.

    Bei Autos fühlt er sich sicher, da sitzt jeder Handgriff, zu jedem Problem hat Erik gleich eine Idee, wie es gelöst werden könnte. Im Umgang mit seinen Mitmenschen sieht das ein wenig anders aus. Er ist ein Eigenbrötler, dieser Erik, haust in seiner kleinen Wohnung über der Tankstelle und hört in seiner sparsamen Freizeit Neil Young und andere Oldies. Überhaupt lebt er recht rückwärtsgewandt, denn er will kein einziges Detail verändern - nicht in seinem Leben, nicht in der Tankstelle, die er mit seiner ehemaligen Freundin im Stile der Sechziger-Jahre renoviert hat. Dieser Freundin trauert er bis heute nach, und ein klein wenig Hoffnung hegt Erik, dass die Landstraße ihm eines Tages diese Freundin wiederbringen könnte.

    Nur geht das Leben weiter, und manche Ereignisse in dem kleinen Dorf in Norwegen werfen ihre Schatten auch auf Erik und seine Tankstelle. Ereignisse, die auch der stoische Erik schlussendlich nicht ignorieren kann. Er muss den Veränderungen, die da auf ihn zurollen, letztlich ins Auge sehen - und für sich und sein Leben eine Entscheidung treffen. Aber wird es die richtige sein?

    Lars Mytting besitzt privat drei englische Autos, und ich vermute mal, dass er die Liebe zu Autos in seinem Debütroman verarbeitet hat. Aus den Zeilen blitzt ein ungeheures Wissen über alte Automarken, und der Leser wird den gesamten Roman über damit bombardiert, ebenso mit Details, die unter der Motorhaube zu finden sind sowie mit alten Musiktiteln. Dumm nur, wer wie ich kein Faible für Automarken hat und dem selbst die Musiktitel größtenteils nichts sagen. Dementsprechend entzog sich mir die Faszination des Hauptcharakters für seine Leidenschaften.

    Dementsprechend zäh und langatmig gestalteten sich für mich weite Strecken des Romans, zumal das Leben im abseits gelegenen Dorf in Norwegen auch nicht vor Höhepunkten strotzt, sondern ähnlich wie die Erzählung selbst meist vor sich hinplätschert. Die Art der Darstellung gibt dem Leser eine klare Vorstellung davon, wie es sein muss, in diesem Dorf zu leben, und womit sich die Menschen ihre Zeit vertreiben. Dies muss nicht gefallen, wirkte auf mich oftmals sogar beklemmend, wenn auch unbedingt authentisch.

    Die letzten 100 Seiten etwa reißen den Leser dann aus der Lethargie, in die er bis dahin gefallen sein mag - hier überschlagen sich die Ereignisse plötzlich, gewinnen an Dramatik und Dynamik und treiben die Entwicklung voran. Während ich davor eher gleichgültig und teilweise gar genervt auf die Erzählung reagierte, fühlte ich mich plötzlich emotional angesprochen.

    Nach einigen überraschenden Wendungen und zerschlagenen Hoffnungen präsentiert Lars Mytting schließlich - ein offenes Ende. In diesem Fall für mich unbedingt passend, denn Erik wird in eine unbestimmte Zukunft entlassen, ausreichend hoffnungsvoll, während der Roman für mich ansonsten meist eine eher düstere Atmosphäre heraufbeschwor.

    Damit noch einmal zum Klappentext: für mich ist dieser Roman weder ein Männerverstehbuch - vielleicht mag das allenfalls auf solche Männer zutreffen, die in einem derart ablegenen Dorf inmitten tiefster Natur leben - noch ist es ein witziges Buch: Humor taucht hier höchstens wohldosiert und punktuell auf. Ich verstehe wieder einmal nicht, in welcher Absicht Titel und Klappentext konzipiert wurden, sei es nun beim Insel Verlag oder seinerzeit beim Piper Verlag. Sein Glück findet an der Tankstelle nach meinem Empfinden jedenfalls auch niemand.

    Abgesehen von den genannten Kritikpunkten möchte ich jedoch hervorheben, dass mich der Schreibstil von Lars Mytting fasziniert hat. Bildhaft, einfühlsam, stellenweise poetisch schildert er nicht nur die Menschen in dem kleinen Dorf, sondern schafft gekonnt die jeweils gewünschte Atmosphäre und lässt die Landschaft um das Dorf herum lebendig vor den Augen des Lesers erscheinen.

    Für mich Grund genug, auch nach den bereits hochgelobten Romanen Myttings Ausschau zu halten, die nach diesem Debüt herausgekommen sind: "Die Birken wissen's noch" und "Die Glocke im See".

    Alles in allem war dieser Roman für mich kein Highlight, lässt aber schon das Können des Autors erahnen.

    © Parden

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  1. Eine elegante Mischung aus Humor und Melancholie

    „Fyksens Tankstelle“ war 2006 Lars Myttings Debüt und ließ damals schon erahnen, dass es sich lohnt, den Mann im Auge zu behalten. Mit diesem Buch bringt der Suhrkamp Verlag Myttings Debüt neu heraus, um uns die Wartezeit bis zur Fortsetzung von „Die Glocke im See“ zu verkürzen. Schön!

    Erik Fyksen lebt für Autos. In seiner Dorftankstelle schraubt und bastelt er den ganzen Tag. Man verlässt sich auf ihn. Erik hält auch noch die ältesten Autos am Leben.

    Die Tankstelle hat damals Elise liebevoll im 60er Jahre Stil gestylt. Alles erinnert ihn an sie.

    Mit dem Bau der neuen Straße würde Eriks Tankstelle ins Abseits gestellt werden. Was soll er tun?

    Mit sehr feinem Humor erzählt Lars Mytting von Eriks Dilemma, der, genau wie seine Tankstelle, in der Vergangenheit verhaftet ist, seiner Verflossenen nachtrauert und sich in Arbeit vergräbt. Und er erzählt auch vom Dorfleben, wo sich alles eingespielt hat, eine Hand die andere wäscht und man durchaus für eine Autoreparatur eine Zahnbehandlung bekommt. Wo aber auch Missverständnisse Familienfehden auslösen können und aus Streit ein Krieg werden kann.

    Dieses Buch ist witzig aber auch anrührend, eine elegante Mischung aus Humor und Melancholie, erzählt in einer wunderbaren Sprache.

    Viele Formulierungen sind einfach genial. „Doch während die Erinnerungen an den Wundrändern eintrockneten…“ Das ist knapp, originell und wirklich treffend.

    Grundsätzlich ist hier vieles zwiespältig und zum Scheitern verurteilt. Es ist z.B. klar, dass eine Tante-Emma-Tankstelle nicht mit großen Konzernen konkurrieren kann. So häufen sich zum Ende hin auch die Tragödien. Ein Wandel wird angedeutet oder auch nicht, da bleibt alles etwas schwammig. Bei den vielen hier angelegten Problemen scheute sich der Autor wohl letztendlich, Farbe zu bekennen, um kitschfrei aus der Sache herauszukommen. Das fand ich ein klein wenig schade, ist das Buch doch sonst wirklich gelungen.

    Ein feines Buch, klug und anrührend, witzig und mitreißend, das fast nach Maschinenöl riecht und macht, dass wir diesen Duft mögen.

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