Die Stunde zwischen Frau und Gitarre

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Stunde zwischen Frau und Gitarre' von Clemens J. Setz
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre"

Format:Taschenbuch
Seiten:1021
EAN:9783518467534

Rezensionen zu "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre"

  1. Der Wahnsinn in Romanform

    „Ist dies auch Wahnsinn, so ist doch Methode drin.“ (William Shakespeare)

    Mehr brauche ich eigentlich über „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von Clemens J. Setz nicht sagen ha ha ha.

    Okay, ich versuch´s trotzdem, diesem 1000-seitigen Klopper eine Rezension zu „verpassen“, auch wenn ich ziemlich sprachlos bin, was mich die letzten Wochen begleitet hat und ich mir sicher bin, diesem Machwerk in keiner Weise irgendwie gerecht werden zu können.

    Dazu ist der Roman zu komplex, zu irre, zu… – ihr seht, mir fallen kaum adäquate Adjektive ein *g*.

    Natalie fängt als Betreuerin in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen an und wird dort „Bezugi“ für mehrere Klienten, darunter ein begnadeter Maler sowie ein im Rollstuhl sitzender junger Mann namens Alexander Dorm. Dieser bekommt regelmäßig Besuch von Christopher Hollberg – ausgerechnet dem Mann, dessen Frau sich vor ein paar Jahren das Leben genommen hat, da sie zuvor von Alexander Dorm gestalkt wurde. Schon bald wird Natalie ob des „Arrangements“ skeptisch und fängt an, Nachforschungen anzustellen…

    Das ist nur eine der vielen Ebenen dieses Meisterwerks des Irrsinns. Selten sind mir so viele Charaktere begegnet (inklusive Erzähler *g*), die viel reden, aber immer (oder meistens) am Thema vorbei erzählen. Das ist auf der einen Seite anstrengend zu lesen, aber auf der anderen Seite irre komisch und hat mich nicht nur einmal zum Lachen gebracht. Dann gab es Passagen, in denen die Fragezeichen in meinen Augen gar nicht groß genug sein konnten und dann wiederum welche, in denen die Leser:innen Natalie so dermaßen nah kommen, dass es schon fast (körperlich) weh tut.

    Überhaupt, Natalie: sie ist eine grandios gezeichnete Hauptfigur, die man abwechselnd schütteln oder knuddeln möchte – je nachdem, in welcher Situation sie sich gerade befindet. An einer Stelle sagt sie über sich: „Oh Gott, ich bin total peinlich. Ich kann nicht mal normale, gerade Gedanken denken." (S. 217/218) Ja, Natalie – das bist du. Und trotzdem…

    Ich komme auch jetzt noch nicht von dem Roman los; meine Gedanken kehren immer zurück zu Natalie, Alexander, Mike und all den anderen Figuren, die mich über sechs Wochen täglich begleitet haben. Eigentlich sollte man diesen Roman mindestens einmal im Jahr lesen – er regt einen auf, treibt einen in den Wahnsinn und lässt einen trotzdem den realen Irrsinn für ein paar Tage vergessen und entsprechend erden.

    So, und nun – Ende. Glocken- und Glasklare Leseempfehlung und damit verdiente 5*.

    ©kingofmusic

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  1. 3
    16. Jul 2016 

    Zwischenhoch

    Die junge Natalie Reinegger bekommt gleich nach ihrer Ausbildung eine Stelle als Bezugsbetreuerin in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Ihre sogenannten Bezugis sind recht unterschiedlich. Einigen soll soweit geholfen werden, dass sie das Heim verlassen können, andere haben diese Aussicht nicht, weil ihre Einschränkungen zu schwerwiegend sind. Ein besonderer Fall ist Herr Dorm, der obwohl auf den Rollstuhl angewiesen, eine Frau so lange belästigt haben soll, bis sie sich umgebracht hat. Nur ging es ihm nicht um die Frau, sondern um deren Mann. Und dieser Dr. Hollberg besucht Dorm nun regelmäßig. In diese Welt wächst Natalie langsam hinein.

    Mit über tausend Seiten etwas ausufernd schildert der Autor Natalies Leben und Erleben mit ihrer neuen Arbeitsstelle. Im Privaten eher haltlos driftet Natalie durch Tag oder Nacht, ihr mobiles Telefon immer bei der Hand, um Geräusche oder Gespräche aufzuzeichnen. Ein gewisser Drogencocktail muss ihr ebenso durch Tag oder Nacht helfen. Von ihrem Freund hat sie sich getrennt, kann ihn aber nicht richtig loslassen. Und so bleiben neue Begegnungen flatterhaft und ungewiss. Vielleicht stürzt sich sie umso mehr in die Arbeit, um Halt zu finden. Doch ganz leicht machen es ihr die Bezugis nicht. Zu groß sind manchmal die Seltsamkeiten, mit denen die Behinderungen einhergehen oder sich ausdrücken.

    Anrührend und abstoßend zugleich wirkt diese Geschichte. Epische Ergüsse wechseln sich mit Passagen ab, die fast wie eine Kriminalgeschichte wirken. Surreal wirken die Wanderungen Natalies durch die nächtliche Stadt, ihre drogenverzerrte Sicht mal kreischende Bilder, die verstören können. Und dann wieder ihre großenteils sanfte Umgangsweise mit einigen ihrer Bezugis. Ihre Schwierigkeiten, sich abzugrenzen, gut nachvollziehbar. Die Schicksale der Heimbewohner und ihre Versuche, mit den Einschränkungen zu leben, lassen den Leser nicht kalt. Menschlich, dass nicht jeder sympathisch wirken kann. Und so inhaliert man Teile dieses umfangreichen Werkes, fühlt in Teilen mit, empfindet jedoch auch des Öfteren Unverständnis und bleibt schließlich mitunter verwirrt in dem Gedanken, dass man das Ganze nicht durchdrungen hat. Es wird am Leser liegen und nicht am Autor.

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