Die Stille des Meeres

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Stille des Meeres' von Donal Ryan
4.15
4.2 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Stille des Meeres"

Farouks Leben ist am Ende, weil er verloren hat, was ihm am meisten bedeutete. Lampys Leben sollte gerade so richtig anfangen, doch dann ließ ihn seine große Liebe Chloé einfach stehen. John hat sein Leben lang andere betrogen und hofft nun verzweifelt auf Gottes Vergebung. In einer kleinen Stadt in Irland werden diese drei Männer sich auf unwahrscheinliche Weise begegnen. Mit fatalen Folgen.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
EAN:9783257071160

Rezensionen zu "Die Stille des Meeres"

  1. Ein Episodenroman

    Im ersten Abschnitt geht es um den syrischen Arzt Farouk, der sich mit Frau und Tochter auf eine verzweifelte Flucht begibt und das Schicksal seiner kleinen Familie in die Hände eines Schleusers legt. Ach, wie schnell man als Leser:in schon ahnt, dass das kein gutes Ende nehmen wird … Wir haben den Luxus, nur allzu klar zu sehen, wie skrupellos der Schleuser ist, wie leer seine Versprechen, wie zum Scheitern verurteilt das schäbige kleine Boot – Menschenleben sind hier nicht mal ein Teil der Kosten-Nutzen-Rechnung. Es ist Luxus, weil wir diesen Schmerz nicht selber erleben müssen, während Farouk sich später verzweifelt an seine Amnesie klammern wird.

    Wie oft hörst du solche Geschichten in den Nachrichten und in Dokumentarfilmen, und dennoch kannst du dir nicht wirklich vorstellen, wie sich die Überlebenden fühlen. Dem Roman gelingt eine wirkungsvolle Balance: wir sind nah genug dran, um mitfühlen zu können, aber es überschreitet nicht die Grenze zum Betroffenheitskitsch. An die Nieren geht es jedoch allemal.

    Im zweiten Abschnitt des Buches geht es um den 23-jährigen Lampy, der es den Leser:innen nicht leicht macht. Er ist antriebslos und emotional unreif, hat ein unbestreitbares Aggressionspotential und ein vorsintflutliches Frauenbild. Gerade hat ihn seine große Liebe verlassen und er schwankt zwischen Resignation und Todessehnsucht.

    Ich halte ihn für einen jungen Mann, dem ein positives männliches Vorbild fehlt; seinen Vater kennt er nicht. Mutter und Großvater sind beide auf ihre Art unzuverlässige Bezugspersonen, die selber nicht das notwendige Wissen oder die emotionale Reife haben, um Lampy zu fördern. Gleichzeitig ketten sie ihn mehr oder weniger bewusst an sich und damit an ein Milieu, in dem er sich nicht weiterentwickeln kann.

    Für mich ist das Interessanteste diese Leerstelle: wer ist sein Vater? Warum will die Mutter nicht raus mit der Sprache? Donal Ryan gelingt das Kunststück, dass ich als Leserin trotz Lampys unerfreulicher Eigenschaften dennoch wissen wollte, wie es mit ihm weitergeht. Ich fieberte durchaus mit ihm mit und wünschte mir, er könnte sich noch lösen aus diesem Umfeld. Mögen konnte ich ihn nur bedingt und nur mit bewusster Anstrengung – aber sie sind da, die verkümmerten positiven Eigenschaften, der Hauch Hoffnung auf ein sinnvolles Leben.

    Ist Farouk im Grunde ein sympathischer, tragischer Held und Lampy ein frustrierter Außenseiter mit Aggressionsproblemen, geht es im dritten Abschnitt um John, der in vielem ein schrecklicher, unmoralischer, gewissenloser Mensch ist. Da schreckst du beim Lesen geradezu zurück, willst gar nicht riskieren, vielleicht doch mit so jemandem mitzufühlen.

    Ja, John hat durchaus auch Schlimmes erlebt, vor allem den Tod seines Bruders, der immer der Lieblingssohn der Eltern war – was sie John auch spüren ließen –, aber das entschuldigt sein Verhalten bei Weitem nicht. Jetzt legt er Beichte ab und ich frage mich: Glaubst du denn wirklich, dass es damit getan ist?

    Ich rätselte beim Lesen: Wo ist das Bindeglied zwischen diesen Männern, was haben Farouk, Lampy und John gemeinsam? Geht es um Tod, Liebe, männliches Selbstverständnis? Im allerletzten Abschnitt des Buches bringt der Autor die Geschichten seiner grundverschiedenen Protagonisten zusammen und liefert damit ein Ende, dem das Kunststück gelingt, zwar überraschend und sogar eher unwahrscheinlich zu sein, aber dennoch überzeugend und glaubhaft. Chapeau!

    Fazit

    Ein Episodenroman: Drei Männer treffen im kleinen irischen Ort Ardnamoher aufeinander. Farouk ist aus Syrien geflohen und völlig traumatisiert; Lampy wurde von seiner großen Liebe verlassen und ist zornig, traurig und frustriert; John war sein ganzes Leben lang ein schrecklicher Mensch und sucht jetzt auf den letzten Drücker die Vergebung. Sie kennen sich nicht, sie haben scheinbar nichts miteinander zu tun, ihre Leben verliefen in völlig anderen Bahnen. Und doch hat ihr Weg sie hierhin geführt, und Donal Ryan gewährt den Leser:innen vielschichtige Einblicke in die Lebenswirklichkeit seiner Protagonisten.

    Der Schreibstil ist mal fast schon poetisch, dann wieder abgehackt und atemlos, ab und an geradezu roh… Der Autor bedient die ganze Klaviatur und erzielt damit eine sehr eindringliche Wirkung; seine Worte spiegeln die Persönlichkeiten seiner Protagonisten in jedem Abschnitt stimmig wider. Die sind meines Erachtens alle sehr komplex und überzeugend gezeichnet, in ihren positiven, aber gerade auch in ihren zwiespältigen oder sogar negativ besetzten Eigenschaften.

    Das erzeugt echten Tiefgang, und auch echte Spannung ohne Effekthascherei – für mich ist “Die Stille des Meeres” dementsprechend auch eine echte Leseempfehlung.

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  1. 4
    17. Aug 2021 

    Verblüffende Auflösung

    Der irische Autor Donal Ryan erzählt in seinem Roman "Die Stille des Meeres" die Geschichten von drei Menschen, die auf den ersten, zweiten und auch dritten Blick keinerlei Verbindung zueinander haben.

    Das Buch besteht aus 4 Abschnitten, wovon jeder die Geschichte eines dieser Protagonisten behandelt. Diese Abschnitte können losgelöst voneinander gelesen werden, was dieses Buch scheinbar zu einem Episodenroman macht.
    Zunächst erzählt Donal Ryan die Geschichte eines syrischen Arztes und dessen Familie sowie des Dramas, das diesen Menschen während der Flucht aus ihrer Heimat nach Europa widerfährt.

    Im nächsten Abschnitt geht es um einen jungen Iren, Anfang 20, der noch nicht viel in seinem Leben erreicht hat. Er jobbt in einem Pflegeheim für Senioren, lebt noch zuhause, zusammen mit seiner Mutter und dem Großvater. Er träumt von einer besseren Zukunft. Doch leider fehlt ihm der Antrieb, seinem bisherigen Leben eine Wendung zu geben.

    Im dritten Abschnitt beichtet ein irischer Krimineller seine Lebensgeschichte.

    Jede dieser Geschichten ist für sich genommen einzigartig und lässt keine Verbindung zwischen den einzelnen Charakteren erahnen. Doch mit dem 4. und letzten Abschnitt dieses Romans sorgt Donal Ryan für Auflösung und demonstriert dabei seine schriftstellerische Kunstfertigkeit.

    Die Verbindungen zwischen den einzelnen Figuren wirken sehr konstruiert. Doch gerade das hat mir gefallen. Denn der Autor hat Zusammenhänge hergestellt, auf die ich niemals gekommen wäre, weil mir einfach die Fantasie fehlt, die Donal Ryan mit seiner konstruierten, aber bemerkenswerten Auflösung beweist. Jeder der Figuren in diesem Roman - sowohl Protagonisten als auch Nebendarsteller - bekommen in diesem Roman ihren Platz zugewiesen und machen ihn somit zu einem großen Ganzen.
    Diese Kunstfertigkeit des irischen Autors hat mich beeindruckt.

    Womit er mich allerdings abgehängt hat, ist das Verständnis für Motiv und Botschaft dieses Romans. Ich kann nur rätseln, was der Autor dem Leser mit auf den Weg geben möchte, sehe schlimmstenfalls Ansätze, die diesen Roman in die Richtung derjenigen Bücher rücken, die den Leser mit Coelho-tisch sinnhaften Lebensweisheiten versorgen.

    Doch weg mit diesen abschätzigen Gedanken, denn in diesem Fall kümmert mich die Botschaft des Buches nicht die Bohne! Ich muss lügen, wenn ich behaupte, dass ich diesen Roman nicht genossen habe. Tatsächlich haben mich die fantasievolle und unvorhersehbare Konstruktion dieses Buches dermaßen verblüfft, dass für mich Botschaft und Motivation des Autors am Ende völlig nebensächlich sind.

    Schreiben kann er, der Mr. Ryan! Bisher konnte er mich immer wieder mit seinen Büchern überraschen und begeistern - allen voran "Die Lieben der Melody Shee". Sein aktueller Roman "Die Stille des Meeres" ist für mich eine weitere Überraschung.

    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. Das Schicksal fügt es zusammen

    Das Schicksal fügt es zusammen

    Die Stille des Meeres
    Donal Ryan fügt in diesem Roman das Schicksal seiner drei Protagonisten zu einem fulminanten Ende zusammen.

    Die Handlung beginnt mit der Geschichte von Farouk. Farouk ist Christ und Arzt in Syrien und lebt dort mit Frau und Tochter. Durch die sich zuspitzende Lage wagen er und seine Frau einen Schritt, der ihm zum Verhängnis wird.
    Farouk ist ein Protagonist bei dem der Leser mitleidet, von der ersten bis zur letzten Seite gefangen von den Geschehnissen.

    Die zweite Geschichte lässt uns am Leben von Lampy teilhaben, der das Ende seiner Beziehung zu Chloe beklagt. Außerdem leidet er unter der Tatsache, dass er seinen leiblichen Vater nicht einmal namentlich kennt. Das Leben mit der Mutter und seinem kauzigen Großvater ist nicht die Erfüllung für ihn, man könnte sagen, er muss sich und seinen Weg erst noch finden.
    Lampy und seine Probleme wirkten auf mich banaler im Vergleich zur Vorgeschichte. Dennoch handelt sie von einem Menschen, der innerlich leidet, und das ist augenscheinlich die einzige Verbindung zur ersten Geschichte.

    John bildet den letzten Part. Er war mir am unsympathischsten, da er skrupellos andere Menschen ausbeutet, ohne Rücksicht auf deren Gefühle. In jungen Jahren erlitt er zwar selbst einen derben Schicksalsschlag, doch entschuldbar war sein weiteres handeln deshalb für mich keineswegs.
    Johns Erlebnisse haben mich eher brüskiert als betrübt, doch auch hier sehen wir wieder jemanden der mit seinem Leben auf seine Weise überfordert ist.

    Die Zusammenführung dieser drei Schicksale, die auf ihre Art alle einen Grund haben mit dem Leben zu hadern, war das Herzstück dieses Buches. Das Ende verwebt , verbindet diese drei Leben auf interessante Weise und überraschte mich durch und durch.
    Die Erlebnisse der Charaktere konnten mich nicht alle gleichermaßen überzeugen. Die erste war für mich definitiv die emotionalste. Doch auch die anderen beiden sind gut, und sie sind ja auch nötig um diesen Roman zu dem zu machen, was er ist.
    Dieser Roman von Donal Ryan hat mir sehr gut gefallen, er ist sprachlich viel gewaltiger als der andere mir bekannte Roman von ihm.
    Die Ungeduld, die ich beim lesen hatte, ich wollte endlich verstehen warum der Autor uns die drei Personen vorgestellt hat, wurde belohnt. Ohne das gekonnte Ende würde ich das gelesene eher als Durchschnitt bezeichnen. Doch der Roman ist eher das Gegenteil, er kommt auf leisen Sohlen daher um am Ende zu glänzen.
    Absolute Leseempfehlung!

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  1. Menschliche Schicksale lose verknüpft

    Wer einen Roman im Sinne einer fortlaufenden, ununterbrochenen Handlung sucht, könnte hier enttäuscht werden. „Die Stille des Meeres“ besteht nämlich aus drei ähnlich langen Abschnitten, die jeweils mit dem Namen eines Protagonisten überschrieben sind. Erst im vierten Teil ergeben sich die Zusammenhänge. Das sollte den Leser grundsätzlich nicht abstoßen.

    Farouk ist Christ und Arzt in Syrien. Er und seine Familie leben relativ aufgeklärt und modern. Doch der brutale Krieg rückt näher und die Taliban scheinen die Oberhand zu gewinnen. Ein Schleuser spricht Farouk an und macht ihm klar, wie dramatisch sich die Zukunft insbesondere für seine Frau und Tochter demnächst verändern kann. Das Ehepaar macht sich die Entscheidung nicht leicht, sie hoffen, bangen und wägen ab, es ist schließlich nicht leicht, die Heimat zu verlassen. Als schließlich ein Junge auf dem Marktplatz gekreuzigt wird, gibt das den Ausschlag für die Flucht nach Europa. Es ist sehr bewegend, dem schweren Entscheidungsprozess der Familie beizuwohnen. Leider verläuft die Reise ganz anders als geplant…

    Lampy ist ein Außenseiter Anfang 20. Er lebt in einer irischen Kleinstadt mit seiner etwas verträumten Mutter und dem schrulligen Großvater zusammen. Lampy hat sein Studium abgebrochen und arbeitet zurzeit als Aushilfe in einem Seniorenheim. Es belastet ihn, nicht zu wissen, wer sein Vater ist, denn darüber schweigt sich die Mutter aus. Ebenso ist Lampys Verhältnis zu Frauen gestört. All das macht ihn unzufrieden, so dass er oft über sein Leben nachdenkt und Möglichkeiten eruiert, um es zu verändern oder seinen Platz in der Welt zu finden…

    John ist ein Stinkstiefel, der aus einem zunächst nicht näher bezeichneten Grund seine Lebensbeichte ablegt, indem er die Liste seiner Sünden der Reihe nach aufzählt. Auf tragische Weise hat er sehr früh seinen Bruder Edward, der der Liebling der Eltern war, verloren. Das allein kann man aber nicht als Rechtfertigung für seine Taten gelten lassen. John drangsaliert bereits als Kind die Schwachen, er lügt und betrügt, ohne die daraus resultierenden Nachteile für die Betroffenen zu berücksichtigen. Er geht sprichwörtlich über Leichen. Erst in seiner Lebensmitte lernt er die Liebe kennen, etwas, das ihn zeitweise zu einem besseren Menschen macht…

    Der letzte Abschnitt ist mit „Seeinseln“ überschrieben. Auf diesen letzten 45 Seiten wird ein Zusammenhang zu den vorhergehenden Abschnitten hergestellt. Donal Ryan behält auch hier seinen Stil bei. Es gibt keine scheppernde Auflösung, keinen gordischen Knoten, der entwirrt wird. Ryan stellt die Verbindungen her, ohne große, unwahrscheinliche Volten zu drehen. Die Welt ist letztlich klein, es könnte sich tatsächlich alles so wie beschrieben zugetragen haben. „Die Stille des Meeres“ ist ein ruhiges, kraftvolles Buch, das nachdenklich macht und nachhallt. Eines, das völlig unterschiedliche Charaktere offenlegt und dem es gelingt, gerade durch das Unspektakuläre zu fesseln.

    Ryan gibt uns einen intensiven Einblick in das Innenleben seiner Figuren, er verknüpft deren Gegenwart mit der Vergangenheit, so dass man Verständnis für die Handlungsweisen aufbringen kann, ohne sie zwangsläufig gutheißen zu müssen. Es geht um Familien, Wurzeln und Herkunft, um Verluste, Schmerz und wie man damit umgeht.

    Dieses ist mein erster Roman von Donal Ryan. Mich beeindrucken sein Schreibstil sowie seine vielschichtige Auseinandersetzung mit den Protagonisten Farouk, Lampy und John. Keiner von ihnen ist perfekt, ihre Schwächen werden offenkundig. Was hat sie zu dem gemacht, was sie sind, lautet eine der zentralen Fragen.

    Aus meiner Sicht ist „Die Stille des Meeres“ ein sehr gelungenes Buch. Jede Episode für sich hat Tiefe, ist spannend zu lesen. Ryan vermag es, seinen Stil an die Perspektiven der Protagonisten anzupassen. Er streut, wo es passt, schöne Textstellen und Metaphern ein, was mir insbesondere im ersten Abschnitt sehr positiv aufgefallen ist. Nach Beendigung des Buches muss man das Ende erst einmal auf sich wirken lassen. Es macht gute Literatur aus, dass das Ende nicht voraussehbar ist.

    Insofern wünsche ich diesem intensiven Episodenroman aus Irland möglichst viele Leser und empfehle ihn gerne weiter.

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  1. Von Bäumen, Inseln und menschlichen Schicksalen

    "Ich erzähle dir etwas über Bäume. […] Sie sprechen über unterirdische Gänge miteinander, die Pilze von ihren Wurzeln aus gebahnt haben, sie senden Zelle für Zelle ihre Nachrichten, und das mit einer Geduld, die wohl nur ein Lebewesen aufbringt, das sich nicht vom Fleck rührt." (S. 9)

    Die ersten Sätze des Romans "Die Stille des Meeres" bereiten die zentrale Aussage des irischen Autors Donal Ryan vor: Das Ganze besteht aus vermeintlich Unverbundenem, einzelne Bäume ebenso wie einzelne menschliche Schicksale, so weit sie auch auseinanderliegen mögen. Dabei ist die Verbindung oft für das Auge unsichtbar. Im letzten der vier Teile des Buchs mit dem Titel Seeinseln wird der Gedanke noch einmal aufgegriffen und das unterirdische Geflecht für uns ans Tageslicht geholt.

    Teil eins bis drei: Drei Leben
    Doch bevor die Verbindungen der drei Protagonisten sichtbar werden, ist jedem von ihnen ein eigener Teil des Romans gewidmet, jeweils mit einer eigenen Erzählstimme. Farouk, der syrische Arzt, vertraut im ersten Teil nach dem Eindringen des IS in seine Heimatstadt sein Leben, das seiner christlichen Frau und seiner vergötterten Tochter gewissenlosen Schleusern an. Farouks Geschichte ist mit Abstand am besten gelungen, atemlos, sparsam und poetisch erzählt, tief erschütternd und zu Herzen gehend traurig.

    Lampy, ein 23-jähriger Ire, uneheliches Kind eines ihm unbekannten Vaters und dafür gehänselt, lebt bei seiner Mutter und seinem Großvater. Er ist nie richtig erwachsen geworden, lässt sich orientierungslos treiben und jobbt nach einem missglückten Studienversuch als ungelernte Hilfskraft im Altenheim. Liebeskummer, unkontrolliertes Aggressionspotential und tiefe Traurigkeit zerreißen ihn. Er sehnt sich nach einem Neuanfang, wo ihn niemand kennt, und ist doch zu schwach dafür. Der zweite Teil über Lampy ist direkter, in Umgangssprache und teils mit Humor erzählt.

    Gänzlich unsympathisch, trotz bemitleidenswerter Kindheit, ist als dritte Hauptfigur der erfolgreiche Chef einer irischen Beraterfirma und durchtriebene Lobbyist John. Er manipuliert und vernichtet Menschen gnadenlos. Obwohl nicht religiös, erfahren wir seinen ungeschönten Lebensbericht in Form einer Beichte aus der Ich-Perspektive. Trotz seines kometenhaften beruflichen Aufstiegs war das private Glück nur einmal kurz zum Greifen nah.

    Teil vier: Unterirdische Gänge
    Am Ende des dritten Teils war ich ratlos bezüglich des verbindenden Elements zwischen den Protagonisten. War es, dass sie einmal in ihrem Leben den Tod vor Augen hatten? Dass sie alle eine große Liebe verloren, eine unbestimmte Sehnsucht sie antrieb? Dabei hätte ich mich nur an die Bäume vom Beginn erinnern müssen: Auch zwischen Farouk, Lampy und John bestehen unsichtbare Verbindungen, überaus kunstvoll konstruiert, unwahrscheinlich zwar, aber für mich nicht zu unglaubwürdig, wenn man sich die Geschichte rückwärts erzählt vorstellt. Mit dem vierten Teil bekamen nun plötzlich auch vermeintlich unbedeutende, unverständlich ausführlich erzählte Episoden aus den vorhergehenden Abschnitten einen Sinn.

    Ein komplexes Buch
    Eine lohnende Lektüre also, auch wenn der erste und letzte Teil für mich wesentlich stärker waren als die beiden in der Mitte. Vielleicht lese ich die komplexe Sammlung dieser einzelnen, miteinander verbundenen Geschichten, mit der Donal Ryan 2018 auf der Longlist des Man Booker Prize stand, sogar irgendwann noch einmal, denn so manches habe ich beim ersten Lesen garantiert übersehen.

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  1. 5
    14. Jul 2021 

    „ Tu Gutes“

    Der irische Schriftsteller Donal Ryan hat es mit dem Roman „ Die Stille des Meeres“ auf die Longlist für dem Man Booker Prize geschafft. Er erzählt darin die Geschichte dreier Männer.
    Im ersten Kapitel geht es um eine syrische Familie. Farouk ist Arzt, seine Frau Wissenschaftlerin. Beide haben eine kleine Tochter, Amira. Als der Krieg immer näher rückt ( „ Der Krieg war allmählich gekommen, war um sie herum gewachsen und nicht plötzlich vor ihrer Tür ausgebrochen.“), entscheidet sich Farouk für die Flucht nach Europa. Doch das führerlose Boot kentert und Frau und Tochter verschlingt das Meer.
    In der zweiten Geschichte geht es um den 23jährigen Lampy. Er lebt mit seiner Mutter und seinem Großvater in einer kleinen Stadt in Irland; seinen Vater kennt er nicht. Lampy ist voller Selbstzweifel, antriebslos und leicht aufbrausend. ( „ Er kriegte sein Temperament einfach nicht unter Kontrolle. Ob sein Vater wohl genauso schlimm gewesen war?“) Seine verschlossene Mutter und sein Zoten reißender Großvater lieben ihn zwar, doch als nachstrebenswertes Vorbild eignen sich beide nicht. Lampy hat keinen Beruf erlernt, sondern arbeitet als Mädchen für alles in einem Altersheim. Seit ihn seine Freundin verlassen hat, ist er völlig durcheinander.
    Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht John, ein unsympathischer Zeitgenosse. Als skrupelloser Lobbyist hat er es zu einem Vermögen gebracht. Nur einmal traf ihn die Liebe, doch das Glück war nicht von Dauer.
    Was sich bisher wie ein gut gemachter Erzählband liest, wird im letzten Kapitel zu einem Roman. Denn hier führt der Autor die Lebenswege der drei ungleichen Männer auf überraschende Weise zusammen.
    Jede der Geschichten hat ihren eigenen Ton.
    Sehr berührend und in einem gehetzt wirkenden Erzählstil wird das dramatische Schicksal von Farouk und seiner Familie geschildert. Hier bekommen die sattsam bekannten Nachrichtenbilder von Ertrinkenden im Mittelmeer ein individuelles Gesicht. Eindrücklich erzählt Donal Ryan von den Bedrohungen in Syrien, von rücksichtslosen Schleppern, die mit der Angst von Menschen ihr Geld verdienen, vom Drama auf dem Meer und von dem Trauma der Überlebenden.
    Mit Lampy bekommen wir einen ganz anderen Typ Mann präsentiert, einer, der seinen Weg noch nicht gefunden hat und sein mangelndes Selbstwertgefühl hinter chauvinistischen Sprüchen und Gewaltausbrüchen versteckt. Aber auch ihn beschreibt der Autor äußerst glaubhaft. Der Leser kann für ihn nicht viel Sympathie entwickeln, im günstigsten Fall hat man Mitleid.
    John dagegen ist eine abstoßende Figur. Entscheidend und prägend für sein weiteres Leben war wohl der frühe Tod des älteren Bruders, der zugleich der Liebling der Familie war. Ungeliebt und unbeachtet wächst er mit seinen Geschwistern auf. Doch musste er deshalb so böse werden? Beeinflussen und manipulieren und so das Leben anderer zerstören, damit verdiente er sein Geld. Und die einzige Episode , als ihm jemand anderer wichtiger war als er selbst, endet dramatisch. Mit Geld und Macht lässt sich doch nicht alles auf der Welt kaufen.
    Als große Lebensbeichte ist dieses Kapitel angelegt. „ Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt.“ so legt John Rechenschaft ab über sein Leben. Einzig dieses Kapitel wird aus der Ich- Perspektive erzählt, von einer Figur, die am wenigsten zur Identifikation einlädt.
    Wie Donal Ryan im letzten Abschnitt „ Seeinseln“ diese drei unterschiedlichen Männer zusammenführt, ist große Kunst. Obwohl konstruiert, wirkt es auf mich absolut glaubhaft.
    Das Buch beginnt mit einer Geschichte, die Farouk seiner Tochter vor dem Einschlafen erzählt: von der Kommunikation der Bäume. Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, „ sprechen“ Bäume über unterirdische Gänge miteinander. Dieses unsichtbare Netzwerk sorgt dafür, dass sich Bäume umeinander kümmern, schwächere mit Nährstoffen versorgen. „ Sie kennen das Gebot, das einzige, was wahr und einzuhalten ist. Welches? …Tu Gutes“.
    Dieser Satz „Tu Gutes“ taucht mehrmals im Buch auf. Vielleicht ist das die Botschaft des Romans? Wir sind alle füreinander verantwortlich, egal, woher wir kommen, wo wir leben, wer wir sind. Wir Menschen, obwohl wir wie Seeinseln im großen Meer des Lebens treiben, sind alle miteinander verbunden.
    Auch wenn jede der Geschichten für sich alleine stehen kann ( wobei die von Farouk mich am stärksten berührt hat ), so macht erst das Finale aus „ Die Stille des Meeres“ ein wirklich großartiges Buch. Dazu trägt v.a. auch die wunderbare Sprache des Autors bei.

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  1. Drei Männerschicksale

    In Syrien war Farouk Alahad ein anerkannter Arzt. Doch der herannahende Krieg hat den 44-Jährigen aus der Heimat vertrieben. Auf der Flucht verliert er alles, auch seine Familie. Nun ist er in Irland gestrandet. Auch der 23-jährige Lawrence Shanley, genannt Lampy, hat Kummer: Seine Freundin hat ihn plötzlich verlassen und ist zum Studieren nach Dublin gezogen. Nach einem Leben voller Sünden ist auch John verzweifelt und hofft auf die Gnade Gottes. Etwas verbindet die drei Männer...

    „Die Stille des Meeres“ ist ein Roman von Donal Ryan.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus vier Teilen. Die ersten drei Teile widmen sich jeweils einem anderen Protagonisten und sind nach diesen benannt, der vierte („Seeinseln“) führt diese Charaktere schließlich zusammen. Die Perspektive wechselt entsprechend. Dieser Aufbau erzeugt bis zum finalen Abschnitt den Eindruck, man lese einen Erzählband und keinen Roman, was mir leider nicht so gut gefallen hat.

    Der Schreibstil ist anschaulich, aber wenig variantenreich im Ausdruck und von mit „und“ verbundenen Schachtelsätzen geprägt. Die verschiedenen Teile sind sprachlich auf die jeweiligen Protagonisten abgestimmt.

    Drei männliche Protagonisten stehen im Vordergrund. Während Farouk schnell mein Mitgefühl hatte und seine Tragödie auf mein Interesse gestoßen ist, waren mir Lampy und John durchweg unsympathisch. Allerdings werden alle Hauptcharaktere mit psychologischer Tiefe und durchweg realitätsnah dargestellt. Frauen spielen leider nur Nebenrollen.

    Aus inhaltlicher Sicht ist die Geschichte erstaunlich tiefgründig und facettenreich. Es gibt ein Potpourri an interessanten Themen wie Flucht, Betrug, Verlust, Trauer, Orientierungslosigkeit und einige mehr, die ich nicht vorwegnehmen möchte. Der Roman zeigt eine Bandbreite menschlicher Schicksale und ihre Verstrickungen auf. Er stellt dar, wie das Leben des einen mit dem vieler anderer zusammenhängt und wie sich eigene Entscheidungen auf andere auswirken können, die man selbst mitunter gar nicht kennt.

    Der Roman beginnt sehr stark mit Farouks Geschichte, die mich gleichermaßen fesseln als auch emotional bewegen kann. Dann fällt der Roman in meinen Augen qualitativ ab. Der gesamte Mittelteil hat mich stellenweise gelangweilt, stellenweise abgestoßen. Erst zum Schluss wird das Lesen wieder zum Genuss. Dann nimmt das Geschehen merklich an Fahrt auf und es werden komplexe Verbindungen und Bezüge hergestellt, die mit überraschenden Wendungen einhergehen. Dieser Abschnitt hätte für meinen Geschmack gerne ausführlicher sein dürfen.

    Der deutsche Titel weicht ein wenig vom irischen Original („From a Low and Quiet Sea“) ab. Allerdings erschließen sich mir beide Formulierungen nicht so ganz in Bezug auf den Inhalt des Romans, weil das Meer nur im ersten Teil eine größere Bedeutung hat. Dementsprechend finde ich das verlagstypische Cover zwar hübsch, aber nur hinsichtlich des Titels passend.

    Mein Fazit:
    Mit „Die Stille des Meeres“ legt Donal Ryan einen Roman vor, der seine Stärken zu Beginn und zum Ende voll ausspielt und mich überraschen konnte. Aufgrund des langatmigen Mittelteils hat mich die Geschichte insgesamt aber enttäuscht, so dass ich sie nur bedingt weiterempfehlen kann.

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  1. 4
    12. Jul 2021 

    Seeinseln / Der Mensch ist eine Insel

    “Die Stille des Meeres” ist ein Roman von Donal Ryan, der aus vier sehr unterschiedlichen Teilen besteht. In den ersten drei Teilen werden die drei Lebensschicksale von Farouk, Lamby und John erzählt, die in diesen Teilen in keinem Zusammenhang zueinander stehen. Die Teile lesen sich deshalb mehr wie Erzählungen denn wie ein Roman.
    In „Farouk“ sind wir mit Farouk, seiner Familie und einer ganzen Reihe anderer Syrer auf einem führerlos dahintreibenden Flüchtlingsschiff mitten auf dem Mittelmeer, umgeben von Angst und der großen Hoffnung, irgendwie doch auf der anderen Seite des Meeres, weit weg von Krieg und Verfolgung zu gelangen.
    In „Lamby“ und „John“ sind wir in den ruhigen Weiten Irlands und lesen von zwei Männern, zwei Charakteren, die beide nicht die Sympathien ihrer Mitmenschen und auch der Leser auf sich ziehen.
    Beim Lesen brennt man als Leser permanent auf die Auflösung des Leserätsels, wie diese Teile nun zueinanderfinden und einen gemeinsamen Sinn ergeben können. Diese Zusammenführung liefert der vierte Teil, überschrieben mit „Seeinseln“.
    Tatsächlich werden hier Fäden zusammengeführt. Die drei Personen finden in verschiedenen Lebensphasen zueinander. John zu Lamby, Farouk zu Lamby. Der Leser versteht, wie sie zusammenhängen, ohne aber wirklich großen Einfluss aufeinander zu nehmen. Jede der drei Personen bleibt eine Insel in der Stille des Menschenmeeres – „Seeinseln“ eben, wie der Titel es andeutet.
    Fazit: Der Zusammenhang der drei Lebensschicksale zueinander bleibt ein relativ unbedeutender, so dass sich die große Idee bei der Konstruktion des Romans nicht wirklich erschließt. Das hinterlässt eine gewisse Leere nach der Lektüre, durch die man sich fragt, was die Idee und der Sinn der ganzen Handlung gewesen sein sollte. Diese Leere beeinträchtigt den Lesegenuss der sehr gut und stimmig erzählten Geschichten und führt zu einer Bewertung von 3,5 – aufgerundet 4 – Sternen.

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  1. Niemand ist eine Insel

    Farouk ist Arzt in Syrien. Als der Krieg vor der Haustüre steht, beschließt er alles aufzugeben und mit seiner Frau und Tochter die gefährliche Überfahrt nach Europa zu wagen. Das führerlose Boot kentert, nur Farouk schafft es an Land.

    Der junge Ire Lawrence, genannt Lampy, ist vielleicht nicht die hellste Lampe am Luster. Immer noch lebt er bei der Mutter, die ihm nie verraten hat, wer sein Vater ist, und dem Großvater. Mit Müh und Not hat er das Abitur geschafft. Nun arbeitet er als „Mädchen für alles“ in einem Altenheim.

    John ist kein erfreulicher Zeitgenosse. Sein ganzes Leben als Erwachsener hat er davon gelebt zu manipulieren und betrügen. Doch nun sucht er Gottes Vergebung in einer Beichte all seiner Sünden.

    Farouk, Lampy, John: drei Männer, drei Lebensgeschichten. Der irische Schriftsteller Donal Ryan gibt in seinem Roman „Die Stille des Meeres“ jeder Geschichte ihren eigenen Tonfall.

    Farouks Schicksal, die Ausweglosigkeit der Flucht, die Ungewissheit und der tragische Verlust berührt ungemein.
    „Der Krieg war allmählich gekommen, war um sie herum gewachsen und nicht plötzlich vor ihrer Tür ausgebrochen.“
    Die Bedrohung im eigenen Land, die miesen Tricks der Schlepper, die Tragödie im Meer und das Elend im Flüchtlingslager, es sind eindrucksstarke Worte auf nur wenigen Seiten. Niemand will die Worte des traumatisierten Flüchtlings hören, wenn er wieder und wieder ein archaisches Märchen von einem alten König, einem jungen Mädchen und dem sinnlosen Tod aller Vögel im Königreich erzählt.

    Lampy, der vaterlose „Bastard“, findet seinen Platz im Leben nicht. Zwischen Depression und Aggression lebt er ohne Antrieb. Seine erste Liebe hat ihn verlassen, seine neue Freundin scheint ihm nur zur Befriedigung seiner sexuellen Lust zu dienen. Ihm fehlt es an emotionaler Reife. Was nicht wundert. Denn der Großvater, der den „Jungen“ zwar mit Sicherheit liebt, versteckt seine eigene Gefühlswelt hinter zotigen Sprüchen und Stammtischparolen.

    Mit John, der plötzlich aus der Ich-Perspektive seine Lebensbeichte vor uns ablegt, haben wir ein ganz anderes Kaliber vor uns. Johns Kindheit war geprägt durch den Tod des Bruders. Danach blieb keine elterliche Liebe für ihn über. So verlegte er sich schon früh aufs Lügen, Betrügen und Manipulieren und wurde zu einem schäbigen Mistkerl mit Geld und Macht. Ein kurzer Lichtblick hätte die kurze Liebesbeziehung zu einer Frau sein können, die jedoch in einer Katastrophe endete.

    Was ist es nun, was diese drei Männer zusammenführt? Dieses Rätsel hat Donal Ryan in seinem letzten Kapitel gelöst.

    Zu Beginn des Buches erzählt Farouk seiner Tochter von Bäumen:
    „Wenn ein Baum hungert, wird er von seinen Nachbarn mit Nahrung versorgt. Niemand weiß, wie das funktioniert, aber so ist es.“
    Seeinseln lautet die Überschrift des letzten Abschnitts. Inseln, die durch Ablagerungen oder Einschläge entstehen.

    „Was vergangen ist können wir nicht ändern, und was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, aber man kann ich nicht sein ganzes Leben lang Sorgen machen…Man muss Gutes tun, und dann wird man irgendwann ein gutes Leben gehabt haben.“

    Alles hängt zusammen und niemand ist eine Insel. Es beginnt mit dem Gleichnis der Bäume, der Verflechtung der Wurzelsysteme und endet mit diesen Inseln. Wir alle haben doch unsere Ablagerungen und einschlagenden Ereignisse, die wir nicht abwenden können und die uns formen.

    Ein Leitmotiv, dass allen drei Kapiteln zu den Protagonisten innewohnt: Tu Gutes.
    Farouk sagt es seiner Tochter, Lampy bekommt es von einer Heimbewohnerin zu hören und John war für kurze Zeit ein "guter Mensch", als er verliebt war.

    "From a low and quiet Sea" ist der Originaltitel dieses Buches. Wir lesen von drei Männern, stillen Wassern, mit schweren emotionalen Rucksäcken, wie sie mit ihrer Rolle als Mann umgehen und mit den Einschlägen, die ihr Leben geformt haben.
    Mich haben diese drei Geschichten auf unterschiedliche Weise mehr oder weniger berührt und wie sich der Kreis schließt fand ich erzählerisch hervorragend gemacht.

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  1. Vom Trauma wegen eines Wortes

    Es gibt ja Autorinnen und Autoren, deren (Teil-)Backlist auf dem Tsunny seit Jahren auf ihren Einsatz warten. Dann gibt es ein neues Buch, die Möglichkeit, jenes in einer Leserunde zu diskutieren und - tja, hier fängt es an, das Dilemma. Zunächst einmal fällt bei "Die Stille des Meeres" des irischen Autors Donal Ryan auf, dass es keinerlei Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Rede gibt; ein Stilmittel, welches man häufiger sieht bzw. liest und mit dem ich normalerweise auch kein Problem habe. Wenn aber der Text nur so dahin fließt wie ein steter Strom und sich über knapp dreihundert Seiten in Richtung Meer (Ende) bewegt (unterbrochen von kleineren Inseln im Sinne von Kapiteln und Leseabschnitten, die jeweils nach einem der Protagonisten benannt sind und dessen Geschichte die geneigte Leserschaft dann genauer kennenlernt) kann es mit dem Lesen auch anstrengend werden. So habe ich es empfunden; andere werden damit weniger Probleme haben, was aber vollkommen in Ordnung ist!

    Ist die Geschichte von Farouk und seiner Familie noch emotional bewegend, sind es die Kapitel über Lampy und John leider nicht mehr. Sie sind weder sympathisch (Lampy noch eher als John) noch haben sie mich bewegt, obwohl beide (wie jeder von uns) ihre Lebenspäckchen zu tragen haben.
    Auch die "Zusammenführung" der verschiedenen Personen im letzten Teil ist mir zu konstruiert, zu nichtssagend, zu gewollt, zu hektisch. Wenigstens da war Donal Ryan konsequent: sein ganzes Buch lebt von einer geschriebenen Hektik, die durch die häufige Benutzung des Wortes "und" noch unterstrichen wird. Zum Schluss konnte ich das Wort nicht mehr lesen ohne genervt mit den Augen zu rollen. Vielleicht war es volle Absicht des Autors, seine Geschichte "schnell" zu erzählen und im Teil über Farouk hatte ich sogar noch Verständnis für die Erzählweise. Danach hat sie sich mir leider nicht mehr erschlossen.

    Was bedeutet das jetzt für die Bewertung? Ich muss gestehen: selten ist es mir so schwer gefallen, eine Entscheidung zu treffen. Obwohl ich "Die Stille des Meeres" in Teilen gerne gelesen habe, muss ich mir treu bleiben und anderen gegenüber ehrlich sein, so dass ich (irgendwie mit schwerem Herzen aber konsequent) 3* und eine eingeschränkte Leseempfehlung ausspreche.

    © kingofmusic

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    03. Jul 2021 

    Licht über der See

    In Syrien kommt der Arzt Farouk zu dem Schluss, dass es das Beste ist, mit seiner Frau und seiner Tochter das Land zu verlassen. Es wird einfach zu gefährlich, denn seine Frau, die manche westliche Einstellungen pflegt, wird argwöhnisch beäugt. Die beschwerliche Reise soll sie über den Seeweg nach Europa führen. In Irland vermisst Lawrence einen Vater. Seine Mutter hat nie etwas erzählt und sein Großvater, der sich gut um ihn gekümmert hat, ist eben nicht der Vater. Auch sonst kommt sich Lawrence abgehängt vor. Schließlich ist da John, der weiß, dass er im Leben nicht viel Gutes vollbracht hat.

    Drei Geschichten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Und doch geht es um drei Männer, deren Schicksal ihnen schwere Momente auferlegt hat. Farouks Flucht verläuft dramatisch und tragisch. Lawrence hat es zu nicht so viel gebracht, hat ihm der Wille gefehlt oder doch ein Vater. Konnte ihm der gutmütige Großvater nicht genug sein. Es sind die Gelegenheiten, die er selbst nicht wahrgenommen hat, denen er nachtrauert. Und John sinniert über sein Leben, das gezeichnet ist durch den frühen plötzlichen Tod seines Bruders. Und die Unfähigkeit Johns wie sein Bruder zu sein oder gerade wie ein anderer.

    Der Roman beginnt mit den Geschichten der drei Männer und führt zu einem mitreißenden Finale, welches die Fragen beantwortet, die sich während der Lektüre der anderen Abschnitte aufbauen. Äußerst stark ist der Beginn dieses Romans. Mit ungläubigen Schrecken erfährt man von einer fremden Welt, aus der für gemäßigte Kräfte tatsächlich die Flucht der einzige sich bietende Ausweg scheint. Die perfiden Machenschaften der Schleuser lassen einen sprachlos vor Entsetzen zurück und auch der weitere Verlauf lässt einen Schlucken. Dagegen wirken die beiden mittleren Kapitel etwas zurückgenommen, obwohl auch sie folgerichtig auf den abschließenden Teil hinführen. Dieser ist sehr gelungen, so zwingend, als hätten die vorherigen Berichte nur zu diesem Schluß führen können. Das ist klasse gemacht.

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  1. Wie der Zufall es so will...

    Klappentext:

    „Farouks Leben ist am Ende, weil er verloren hat, was ihm am meisten bedeutete. Lampys Leben sollte gerade so richtig anfangen, doch dann ließ ihn seine große Liebe Chloé einfach stehen. John hat sein Leben lang andere betrogen und hofft nun verzweifelt auf Gottes Vergebung. In einer kleinen Stadt in Irland werden diese drei Männer sich auf unwahrscheinliche Weise begegnen. Mit fatalen Folgen.“

    Autor Donal Ryan kenne ich und ja, seine Bücher haben sich bei mir sehr gut in der Erinnerung festgesetzt, somit waren die Erwartungen hier groß. Die Geschichten der drei Männer sind jede für sich eindrücklich, bewegend, typisch männlich aber auch realistisch aufgenommen. Es ist eine Betrachtung, eine Sichtweise, die uns Ryan hier vorgibt, denken wird man unweigerlich sich selbst seinen Teil. Man kommt nicht daran vorbei, das Gedankenkino anzustellen, es geht automatisch. Das die drei sich begegnen ist ein sehr guter Schachzug des Autors. Ohne diesen Punkt, wären die Geschichten fad und öde aber genau diese Begegnung und deren Entwicklung wird vom Autor zelebriert und als Leser starrt man gebannt auf die Wörter und will verstehen was nun als nächstes passiert. Das, was sich uns dabei eröffnet, hätte man so nie vermutet. Die Charaktere sind regelrecht verbraucht, befinden sich am Abgrund ihrer eigenen Geschichte und suchen alle drei nach dem Lichtschein dr Hoffnung....Ryan hat dabei wieder seinen typischen Ausdruck und seine typische Wortwahl. Ich mag es sehr und habe diese Geschichte(n) sehr genossen. Atmosphärisch, extrem in gewisser Form und sprachlich wieder auf hohem Niveau - 5 von 5 Sterne.

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