Die Schweigende

Rezensionen zu "Die Schweigende"

  1. Weichgespült

    Die drei Töchter Imke, Angelika und Anne haben ihre Mutter immer als etwas seltsam, distanziert und lieblos empfunden. Allein der Vater hat die Familie mit Tatkraft und Herz zusammengehalten. Doch als der Vater 2019 stirbt, verliert die Mutter Karin jeglichen Halt. prFür sie bricht mit dem Tod ihres Ehemannes eine Welt zusammen, da sie sich vor allen anderen, selbst vor ihren Töchtern, völlig verschließt.
    Imke, der ruhigsten und vernünftigsten der drei Schwestern, nimmt der Vater ein Versprechen ab. Sie soll nach Peter suchen. Zunächst tappt Imke völlig im Dunkeln, doch an der abwehrenden Reaktion ihrer Mutter erkennt sie, dass Peter mit ihr und ihrer Vergangenheit zu tun hat.
    In Rückblenden erlebt man die junge, lebenslustige Karin, die aufgrund ihres aus heutiger Sicht ziemlich unschuldigen, aus damaliger Sicht aber völlig lasterhaften Verhaltens in ein Erziehungsheim eingewiesen und von den dortigen Nonnen mit brutalsten Methoden ,,umerzogen". Diese Zeit hat Karin als Erwachsene völlig verdrängt, ihre Töchter sind völlig ahnungslos über das Schicksal ihrer Mutter.
    Imke, die das Versprechen ihrem Vater gegenüber einlösen will, aber auch von Neugier gepackt wird, macht sich gegen den Widerstand der Mutter auf die Suche nach deren Vergangenheit.
    Die schlimmen Zustände im Heim werden sehr anschaulich dargestellt. Man leidet mit den Heimbewohnern, die wie Gefangene behandelt werden, wahrlich mit.
    Verpackt wird diese schwer verdauliche Handlung allerdings in die Familiengeschichte und die privaten Freuden und Leiden der drei sehr ungleichen Schwestern. Diese Nebenstränge wirken teils zu klischeehaft und bewegen sich meiner Meinung nach hart am Rande des Frauen- und Kitschromans.
    So löblich es ist, dass die Autorin sich eines schwierigen Themas annimmt und dieses gut recherchiert hat, so schade ist es, dass sie es in diese Weichspülerhandlung eingebettet hat.

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  1. Sehr subjektives Unbehagen

    Kurz vor seinem Tod nimmt Jens Remy seiner Tochter Imke ein Versprechen ab. „Such nach Peter“, ist das Letzte, was er Imke mitgeben kann So tastet sich Imke langsam an das große Geheimnis ihrer Mutter Karin heran. Ihre Schwestern Anne und Angelika sind Imke bei der Spurensuche in die Vergangenheit keine große Hilfe, zu sehr sind die beiden mit ihren eigenen Problemen miteinander beschäftigt. Der Blick zurück reißt bei Karin eine lang verdrängte Erinnerung auf an die Jahre, die sie Ende der 1950er in einem Erziehungsheim verbringen musste.

    Ellen Sandberg ist ein Alias des der deutschen Schriftstellerin Inge Löhning, deren Münchner Krimserie ich sehr gerne gelesen habe. „Die Schweigende“ ist kein Krimi, nicht mal ein Spannungsroman, viel eher ein Schicksalsroman.

    Wie es heutzutage fast schon Usus ist, spielt die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Die Rahmenhandlung bietet die gegenwärtige Situation: Karin, die bitter um ihren Mann Jens trauert, mit dem sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat. Imke die mit Mann und den Teenager Zwillingen eine heile Welt lebt, mit Häuschen, gutem Einkommen, Zeit und genügend Ressourcen für Selbstverwirklichung. Angelika, die nach dem Tod ihres Mannes zahlreiche Liebschaften hatte und jetzt glaubt, den neuen Mann fürs Leben gefunden zu haben. Und Anne, deren Karriereschub abrupt geendet hat und die sich mit aller Kraft beruflich neu ausrichten will, koste es was es wolle. Es reihen sich dramatische Ereignisse aneinander, die einer Vorabend Telenovela würdig wären. Die erwachsenen Töchter sind nicht in der Lage, aus Karins Verhalten ein tief zurückliegendes Trauma zu erkennen, bis es Imke irgendwann dämmerte:

    „Es ging nicht darum, Peter zu finden, sondern Mama.“

    Aus der Vergangenheit erfahren wir in Rückblenden Stück für Stück von Karins Geschichte, ihrer Jugend und ihrer schrecklichen Zeit im Heim. Die Autorin erwischt dabei die Leserin selbstverständlich auf der Gefühlsebene. Karins Erlebnisse sind so furchtbar, dass ich sie gar nicht in Worte fassen mag. Aber!

    Mir bereitete das Lesen ein sehr subjektives Unbehagen. Der Missbrauch Schutzbefohlener, physisch, psychisch, sexuell, ist so ein ernsthaftes Thema. Verpackt in diese klischeehafte und überdramatisierte Gegenwartsgeschichte erwischt mich dieses Buch auf dem völlig falschen Fuß und wird zum Betroffenheitskitsch. Belanglose und triviale Querelen lösen sich ab mit seitenweisen Schilderungen unerträglicher Qualen.

    Ganz leise erinnerte mich das Buch „Die Schweigende“ beim Lesen an ein anderes Buch: The Nickel Boys von Colson Whitehead. In ihrem Nachwort schreibt die Autorin dann auch, dass genau dieses Buch sie zu ihrem eigenen Werk inspiriert hat. Dem Anspruch Colson Whiteheads Buch gegenüber wird Ellen Sandberg nur überhaupt nicht gerecht. Und wenn sich der amerikanische Autor in einigen Besprechungen die Kritik gefallen lassen musste, zu distanziert zu sein, möchte ich kurz aus meiner eigenen Rezension zu The Nickelboys zitieren: „Muss ich über jede Grausamkeit detailliert Bescheid wissen. Ich finde, nein. Mittlerweile geht mein Vorstellungsvermögen, darüber, was der Mensch dem Menschen anhaben kann, ins Unermessliche. Dazu braucht es keine Details, die möchte und muss ich nicht lesen, um trotzdem erschüttert zu sein.“

    „Die Schweigende“ geht mit dem Leid gequälter Kinder und Jugendlicher hausieren und verkauft sich als „Unterhaltungsliteratur“. Es tut mir sehr leid um das Thema, aber ich konnte dem Buch damit nichts mehr abgewinnen als unendlichen Ärger.

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  1. Wenn ein kleiner Fehler dein Leben zerstört...

    Seitdem mich "Die Vergessenen" so begeistern konnte, habe ich jeden Roman der Autorin gelesen und so wollte ich mir auch diesen nicht entgehen lassen.

    In der Geschichte geht es um Karin, die gerade erst ihren Mann verloren hat und seitdem im Leben nicht mehr zurechtkommt. Immer wieder plagen sie Albträume. Als dann noch eine ihrer Töchter anfängt in ihrer Vergangenheit zu graben, gerät Karins Leben völlig aus den Fugen. Wird die Vergangenheit sie einholen?

    Gut gefallen hat mir wieder, dass die Handlung auf zwei Zeitebenen spielt, denn mal wandeln wir gemeinsam mit Karin in den 50ern und mal sind wir in der Gegenwart. Die Kapitel drehen sich um die vier Frauen: Karin als Mutter und ihren drei Töchtern Geli, Imke und Anne.

    Dieses Mal hat sich Frau Sandberg aber ungemein seltsame Protagonisten einfallen lassen, bei denen ich ungemein Schwierigkeiten hatte sie zu mögen und auch zu verstehen.

    Mutter Karin mit ihrer harschen und kalten Art möchte man regelrecht schütteln. Erst im Verlauf der Handlung wird klar warum sie so ist wie sie ist. Ihre Geschichte hat mich tief berührt, denn so eine Behandlung hat wirklich niemand verdient.

    Von den Töchtern war mir natürlich Imke die Liebste, da sie sich um alle kümmert und beinahe selbstlos handelt, um das Familienleben wieder zu kitten. Die anderen beiden, allen voran Anne sind nur an sich interessiert und schrecken auch vor Intrigen nicht zurück, um an ihre Ziele zu kommen. Ganz besonders schlimm empfand ich Anne, die scheinbar so voller Selbstzweifel ist, dass sie jedem in ihrer Umgebung das Leben schwer macht. Ich kann nicht begreifen wie man nicht mal der eigenen Familie etwas gönnt.

    Gelungen ist mal wieder, dass die Spannung von Seite zu Seite steigt und erst ganz am Ende klar ist, was denn nun wirklich passiert ist. Ich mochte, dass man als Leser fleißig miträtseln kann.

    Fazit: Spannende Unterhaltung mit einem krassen Thema über das ich bis dato noch nichts wusste. Klare Leseempfehlung!

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  1. Sehr fesselnd

    2019: Als der Vater von Imke ihr auf seinem Sterbebett ein Versprechen abnimmt, ahnt sie nicht, was das bedeuten wird. Sie soll nach Peter suchen. Doch wer ist das? Ihre Mutter sagt, dass sie es nicht weiß, doch was verheimlicht sie? 
    1956: Karin ist jung, lebenslustig und träumt von einer Karriere als Ärztin. Doch dann hat eine spontane Entscheidung verheerende Folgen - nicht nur für sie.

    Da mich das Cover und die Beschreibung sehr angesprochen haben, war ich sehr gespannt auf dieses Buch.
    Der Schreibstil ließ sich prima lesen und ich konnte von der ersten Seite an komplett in die Geschichte eintauchen und mitfiebern. Die Erzählungen waren spannend, faszinierend und mitreißend. 
    Die Charaktere wurden sehr anschaulich beschrieben. Karin und ihre drei Töchter Geli, Imke und Anne waren alle sehr unterschiedlich, was gut ausgearbeitet wurde. Ich fand sie alle auf ihre art und Weise interessant, sympathisch oder furchtbar.
    Der Aufbau der Geschichte hat mir gut gefallen, denn ich konnte prima folgen. Sie wurde aus den Sichten der vier Frauen erzählt. Anhand der Überschriften war stets klar, von wem der folgende Abschnitt handelte. Das fand ich sehr gelungen, denn das gab mir sehr gute Einblicke in alle Personen. Zusätzlich gab es dann Rückblicke ins Jahr 1956 zu Karin. Stück für Stück erfuhr ich, wie Karin damals lebte, welche Entscheidungen sie traf und welche Folgen diese hatten. Diese Erzählungen haben mich unglaublich berührt und betroffen gemacht. Teilweise war ich richtig wütend, was da damals geschah.
    Dieser Roman war wahnsinnig spannend, denn ich wollte immerzu wissen, was damals alles geschah und wie sich das Familienleben von den vier Frauen entwickeln wird.
    Das Ende war passend und rund und schloss die Geschichte prima ab.

    Mich hat dieses Buch total begeistert, so dass ich 5 von 5 Sternen vergebe.

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  1. Wenn die Vergangenheit noch lange nachwirkt

    Karin Remy (79) fällt in ein tiefes Loch, als ihr etwa gleichaltriger Mann Jens nach einem Herzinfarkt plötzlich stirbt. Auch die gemeinsamen Töchter Geli (50), Imke (Ende 40) und Nesthäkchen Anne vermissen ihren liebevollen Vater sehr. Einer von ihnen, nämlich Imke, hat er noch im Sterben ein Versprechen abgenommen: Sie soll einen gewissen Peter finden. Wer ist der Unbekannte? Und warum kennt ihn ihre Mutter offenbar, streitet das aber ab? Imke beginnt zu recherchieren und stößt auf grausame Geheimnisse...

    „Die Schweigende“ ist ein Roman von Ellen Sandberg.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus etlichen Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht der vier Frauen, wobei Karins Kapitel zum Teil in der Gegenwart und zum Teil in den 1950er-Jahren spielen. Der Aufbau ist gut durchdacht und funktioniert prima.

    Der Schreibstil ist unspektakulär, aber anschaulich und einfühlsam. Der Autorin gelingt es mit ihren Beschreibungen, viele Bilder vor dem inneren Auge entstehen zu lassen und Atmosphäre zu schaffen. Etwas störend sind in der ersten Auflage die zahlreichen (Tipp-)Fehler, die dem Korrektorat entgangen sind.

    Von den vier Frauen steht vor allem Karin im Vordergrund. Ihr Charakter verfügt über am meisten psychologische Tiefe und wirkt recht realitätsnah. Ziemlich klischeehaft werden dagegen ihre Töchter dargestellt. Vor allem Anne wird als Figur stark überzeichnet. Sie kommt als Karikatur der egoistischen Karrierefrau rüber und wäre auch aus inhaltlicher Hinsicht für die Geschichte verzichtbar gewesen. Wie bei ihren Schwestern wird ihr Denken und Fühlen sehr gut deutlich. Die Töchter bleiben jedoch insgesamt charakterlich recht schablonenhaft und eindimensional.

    Die Grundthematik der Geschichte ist wichtig und interessant. Karins Erlebnisse, die von wahren Begebenheiten inspiriert sind, machen den Roman bewegend und rütteln auf. Die fundierte Recherche ist dem Buch anzumerken. Es regt dazu an, nachzudenken und sich weitergehend zu informieren. In einer Art Nachwort erklärt die Autorin, wie sie zu dem Thema gekommen ist. Zudem zeigt die Geschichte auf, wie die Vergangenheit auch in das Leben nachfolgender Generationen hineinwirken kann.

    Eine gewisse Spannung bleibt bis zum Ende des Romans erhalten, indem Karins Geheimnisse nur Stück für Stück aufgedeckt werden. Manche Enthüllungen sind überraschend, andere etwas vorhersehbar. Auf rund 500 Seiten ist die Geschichte größtenteils kurzweilig und schlüssig.

    Das stimmungsvolle, etwas düstere Cover passt sehr gut zum Inhalt. Der Titel ist ein wenig überspitzt, aber geht in Ordnung.

    Mein Fazit:
    „Die Schweigende“ von Ellen Sandberg ist ein unterhaltsamer Roman, der einem erschütternden Thema die nötige Aufmerksamkeit verschafft. Nicht ganz gelungen ist allerdings die Ausgestaltung der Protagonistinnen.

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  1. Es gibt Dinge über die man einfach nicht sprechen kann

    "Eine Seele ohne Schweigen ist wie eine Stadt ohne Schutz, und wer das Schweigen pflegt, bewahrt seine Seele." (Thérèse von Lisieux)
    München 2019:

    Karin Remy fällt nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes in eine tiefe Depression. Ihre drei Töchter Geli, Imke und Anne sind fassungslos, wie ihre Mutter sich immer mehr gehen lässt. Doch keine der drei Schwestern kommt gut mit ihrer bis dahin herzlosen, kalten Mutter klar. Alle hingen sie am Vater, der ihnen so viel Liebe und Wärme vermittelt hatte und nun tot ist. Allen voran Imke, die ihrem Vater am Sterbebett noch versprechen musste, nach Peter zu suchen. Doch wer ist dieser Peter und wo soll Imke suchen, wenn die eigene Mutter nichts über die Vergangenheit preisgibt? Erst als sie bei ihrer Suche der Vergangenheit auf den Grund geht, kann sie die eigene Mutter immer besser verstehen.
    1956:
    Karin ist ein unbeschwerter Teenager, der gerne mit den Freunden feiert, Jeanshosen trägt, Rock´n Roll hört und später Ärztin werden möchte. Doch eine Entscheidung soll das Leben für sie und ihre Familie für immer verändern.

    Meine Meinung:
    Das geheimnisvolle Cover mit dem verwilderten Garten und Haus machen mich neugierig auf diese Geschichte. Ich hätte niemals gedacht, dass sich dahinter eine solch deprimierende, traurige Geschichte steckt. Das in mehrere kurze Kapitel eingeteilte Buch wird von zwei maßgeblichen Handlungssträngen dominiert. Zum einen geht es um die Gegenwart der drei Schwestern Geli, Imke, Anne und ihre Mutter Karin. Im anderen erfahre ich, was Karin damals als junge Frau miterleben musste. Dieses Buch beschreibt sehr gut, wie die nächste Generation durch die belastende Vergangenheit der Mutter sich entwickelt und ebenfalls wiederum betroffen wird. Das kann selbst ein guter Vater nicht alles ausgleichen, auch wenn er sich noch so große Mühe gibt wie im Fall von Jens Remy. Die 50 Jahre stehen heute noch für Zucht und Ordnung und haben dadurch leider einen bitteren Nachgeschmack. Den zu dieser Zeit wurden oft Kinder den Eltern entzogen und in Heime gesteckt. Eltern fatalerweise falsch beschuldigt und angeklagt. Alleinerziehende von Nachbarn oder gar Freunden denunziert und ihrer Kinder beraubt. Dass es solche Methoden selbst bei uns in Deutschland gab, war mir nicht neu und das es in diesen Heimen nicht gerade zimperlich zuging, ebenfalls nicht. Doch das, was Karin erleben musste, ist schon wirklich hart, gefühllos und außerordentlich grausam. Daneben erfährt der Leser allerdings noch, wie sich ihre Töchter entwickelt haben, die durch ihre lieblose Art von ihr erzogen wurden. Erstgeborene Geli hat ein bisschen die Lieblosigkeit ihrer Mutter übernommen und ihre eigenen Kinder ebenfalls recht herzlos erzogen. Imke hat schon immer sehr an ihrem Vater gehangen, deshalb möchte sie unbedingt ihr Versprechen einlösen, das sie ihm gegeben hat. Sie ist auch diejenige, die ihre Mutter am meisten unterstützt, auch wenn sie selbst wenig Liebe von ihr erfahren hat. Doch sie scheint nicht nachtragend zu sein, sondern versucht sich in ihre Mutter hineinzuversetzen und zu hinterfragen. Anne, die jüngste dagegen, wurde verwöhnt ohne Ende und gleichzeitig ist sie schon immer eifersüchtig auf ihre Schwestern gewesen. Was sicher von einem unüberlegten Satz der Mutter herrührt. Nach dem Tod des Vaters und ihren Problemen im Job entwickelt sie sich immer mehr ins Negative. Das ist der Grund meines Punktabzuges, den die Person Anne finde ich viel zu übertrieben und unglaubwürdig dargestellt. Anne ist hier überaus nachtragend, rachsüchtig, lieblos, eifersüchtig, berechnend und absolut egoistisch dargestellt. Sie misstraut jedem und selbst ihr Ehemann Alex kommt irgendwann nicht mehr an sie heran. Für mich hätte die Autorin diesen Charakter ruhig etwas unspektakulärer darstellen können, dann wäre das Ganze glaubwürdiger gewesen. Deshalb gebe ich diesem Buch 4 von 5 Sterne, weil es ein Thema angreift, vor dem wir alle und besonders die Kirchen sich nicht verschließen sollten.

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  1. Es gibt Dinge über die man einfach nicht sprechen kann

    "Eine Seele ohne Schweigen ist wie eine Stadt ohne Schutz, und wer das Schweigen pflegt, bewahrt seine Seele." (Thérèse von Lisieux)
    München 2019:

    Karin Remy fällt nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes in eine tiefe Depression. Ihre drei Töchter Geli, Imke und Anne sind fassungslos, wie ihre Mutter sich immer mehr gehen lässt. Doch keine der drei Schwestern kommt gut mit ihrer bis dahin herzlosen, kalten Mutter klar. Alle hingen sie am Vater, der ihnen so viel Liebe und Wärme vermittelt hatte und nun tot ist. Allen voran Imke, die ihrem Vater am Sterbebett noch versprechen musste, nach Peter zu suchen. Doch wer ist dieser Peter und wo soll Imke suchen, wenn die eigene Mutter nichts über die Vergangenheit preisgibt? Erst als sie bei ihrer Suche der Vergangenheit auf den Grund geht, kann sie die eigene Mutter immer besser verstehen.
    1956:
    Karin ist ein unbeschwerter Teenager, der gerne mit den Freunden feiert, Jeanshosen trägt, Rock´n Roll hört und später Ärztin werden möchte. Doch eine Entscheidung soll das Leben für sie und ihre Familie für immer verändern.

    Meine Meinung:
    Das geheimnisvolle Cover mit dem verwilderten Garten und Haus machen mich neugierig auf diese Geschichte. Ich hätte niemals gedacht, dass sich dahinter eine solch deprimierende, traurige Geschichte steckt. Das in mehrere kurze Kapitel eingeteilte Buch wird von zwei maßgeblichen Handlungssträngen dominiert. Zum einen geht es um die Gegenwart der drei Schwestern Geli, Imke, Anne und ihre Mutter Karin. Im anderen erfahre ich, was Karin damals als junge Frau miterleben musste. Dieses Buch beschreibt sehr gut, wie die nächste Generation durch die belastende Vergangenheit der Mutter sich entwickelt und ebenfalls wiederum betroffen wird. Das kann selbst ein guter Vater nicht alles ausgleichen, auch wenn er sich noch so große Mühe gibt wie im Fall von Jens Remy. Die 50 Jahre stehen heute noch für Zucht und Ordnung und haben dadurch leider einen bitteren Nachgeschmack. Den zu dieser Zeit wurden oft Kinder den Eltern entzogen und in Heime gesteckt. Eltern fatalerweise falsch beschuldigt und angeklagt. Alleinerziehende von Nachbarn oder gar Freunden denunziert und ihrer Kinder beraubt. Dass es solche Methoden selbst bei uns in Deutschland gab, war mir nicht neu und das es in diesen Heimen nicht gerade zimperlich zuging, ebenfalls nicht. Doch das, was Karin erleben musste, ist schon wirklich hart, gefühllos und außerordentlich grausam. Daneben erfährt der Leser allerdings noch, wie sich ihre Töchter entwickelt haben, die durch ihre lieblose Art von ihr erzogen wurden. Erstgeborene Geli hat ein bisschen die Lieblosigkeit ihrer Mutter übernommen und ihre eigenen Kinder ebenfalls recht herzlos erzogen. Imke hat schon immer sehr an ihrem Vater gehangen, deshalb möchte sie unbedingt ihr Versprechen einlösen, das sie ihm gegeben hat. Sie ist auch diejenige, die ihre Mutter am meisten unterstützt, auch wenn sie selbst wenig Liebe von ihr erfahren hat. Doch sie scheint nicht nachtragend zu sein, sondern versucht sich in ihre Mutter hineinzuversetzen und zu hinterfragen. Anne, die jüngste dagegen, wurde verwöhnt ohne Ende und gleichzeitig ist sie schon immer eifersüchtig auf ihre Schwestern gewesen. Was sicher von einem unüberlegten Satz der Mutter herrührt. Nach dem Tod des Vaters und ihren Problemen im Job entwickelt sie sich immer mehr ins Negative. Das ist der Grund meines Punktabzuges, den die Person Anne finde ich viel zu übertrieben und unglaubwürdig dargestellt. Anne ist hier überaus nachtragend, rachsüchtig, lieblos, eifersüchtig, berechnend und absolut egoistisch dargestellt. Sie misstraut jedem und selbst ihr Ehemann Alex kommt irgendwann nicht mehr an sie heran. Für mich hätte die Autorin diesen Charakter ruhig etwas unspektakulärer darstellen können, dann wäre das Ganze glaubwürdiger gewesen. Deshalb gebe ich diesem Buch 4 von 5 Sterne, weil es ein Thema angreift, vor dem wir alle und besonders die Kirchen sich nicht verschließen sollten.

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  1. 4
    18. Nov 2020 

    Madame Katze

    Karins Mann Jens ist nach über 50 Jahren Ehe plötzlich verstorben. Für Karin und ihre drei Töchter ist die Welt nicht mehr wie sie war. Jens fehlt in jedem Moment. Karin bringt es nicht fertig, ihre Gefühle auszudrücken. Doch Jens hat vor seinem Tod einen Auftrag an Imke erteilt. Imke war immer die Tochter, die keine Probleme gemacht hat. Sie ist genau die Richtige für die Aufgabe. Geli, selbst schon verwitwet, ist gerade dabei, eine neue Beziehung aufzubauen. Und mit Anne liegen alle irgendwie im Clinch oder Anne ist es, die allen unterstellt, sie wollten ihr nichts Gutes.

    Imkes Aufgabe erweist sich als spannend, aber auch schwierig, denn sie muss tief in die Vergangenheit ihrer Mutter dringen. Eine Vergangenheit, über die Karin am liebsten schweigt. Was kann damals nur geschehen sein, dass es Imkes Mutter verstummen lässt. Imkes Schwestern sind doch eher mit sich selbst beschäftigt. Geli musste den Tod ihres Mannes verwinden und auch Anne hat einen schlimmen Rückschlag hinnehmen müssen. Doch ihr Mann will sie bei einem Neuanfang unterstützen. Die Leere nach dem Tod ihres Mannes bringt Karin jedoch dazu, sich ihren Erinnerungen anzunähern. Und so machen sich Imke und Karin von unterschiedlichen Ausgangspositionen auf, um die Geheimnisse aus der Vergangenheit ans Licht zu bringen.

    Wie sie selbst schreibt, ist die Autorin durch ein Buch inspiriert worden. Wenn man dieses Buch kennt, wird man gleich eine positive Einstellung vom vorliegenden Roman finden. Auch wenn sich einiges an Annes Charakter nicht erschließt, so wird dieses kleine Manko durch die Schilderung von Imkes Suche und den Erinnerungen von Karin wettgemacht. Imke lässt nicht locker und Karin wagt es schließlich, sich der Vergangenheit zu stellen. Eine Kindheit in den 1950ern kann durchaus leichte Momente gehabt haben, wie auch Karin zum Glück erfahren hat, allerdings konnten aus heutiger Sicht Kleinigkeiten schwerwiegende Folgen haben. Die dramatischen Ereignisse sind mitreißend zu lesen und mitunter denkt man, das kann doch nicht sein. Der Roman ist fesselnd geschrieben und wie Karin selbst sagt, ist sie am Ende so klar wie schon lange nicht mehr. Mit Karin und Imke hat die Autorin fesselnde Persönlichkeiten geschaffen, deren Geschichte ausgesprochen lesenswert ist.

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  1. 5
    16. Nov 2020 

    Erschütternd

    Der überraschende Tod von Jens Remy wirft Karin völlig aus der Bahn. Sie ist kaum in der Lage für sich selbst zu sorgen, geschweige denn für das riesige Haus und den Garten. Ihre drei Töchter Imke, Geli und Anne sind besorgt, haben aber auch selbst genug mit ihren eigenen Familien zu tun. Lediglich Imke erinnert sich an das Versprechen, dass sie ihrem Vater gab. Sie soll Pelle suchen. Das waren seine letzten Worte, bevor er starb.

    Imke fragt ihre Mutter Karin, die sofort abblockt und sagt sie kennt keinen Pelle. Erst die Rücksprache mit Tante Gitta offenbart, dass Pelle Karins Bruder ist, der Ende der fünfziger Jahre spurlos verschwand.

    Imke beginnt zu hinterfragen und Pelle zu suchen. Aber auch in Karin passiert etwas. Die Erinnerungen kommen wieder. Die Erinnerungen an eine Zeit, als sie jung war und in der ihr und ihrem Bruder Schlimmes angetan wurde. Abwechselnd erfahren wir, was damals mit Karin und ihrem Bruder geschah. Parallel dazu führt die Suche nach Pelle auch in der Familie zu viel Unruhe. Die drei Schwestern, die einmal harmonisch in der Familie gelebt haben, geraten miteinander in ungeahnte Konflikte. Die Familie droht durch den Streit auseinanderzubrechen.

    Ellen Sandberg hat sich in diesem Buch mit einem Thema beschäftigt, über das heute nur bzw. fast gar nicht gesprochen wird. Die körperliche und seelische Misshandlung von Schutzbefohlenen unter dem Deckmantel der Nächstenliebe und keiner hat eingegriffen. Den wenigen Kindern, die diesem System entfliehen konnten, wurde einfach nicht geglaubt - weil es so unvorstellbar war.

    Es zeigt aber auch, wie schwer es für die Überlebenden dieser Grausamkeiten war sich in der Realität zurechtzufinden und ein normales Leben zu führen. Und es erklärt auch, warum Menschen sich anderen gegenüber nicht immer so verhalten, wie sie es gern würden. Insgesamt war es ein Buch, was mich von der Thematik her sehr berührt hat und zum Teil auch aufgeregt hat.

    Von mir gibt eine ausdrückliche Leseempfehlung und verdiente fünf Lesesterne.

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