Die Schulter des Riesen: Gegenwartsroman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Schulter des Riesen: Gegenwartsroman' von Raffael Rauhenberg
4.25
4.3 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Schulter des Riesen: Gegenwartsroman"

Als Gregor Bach, Silberschmied und Liebhaber schöner Dinge, an einem heißen Septembernachmittag seine Wohnung betritt, trifft er nicht nur seine zwei kleinen Söhne an, sondern auch eine verwahrloste junge Frau, die sich das Vertrauen der Kinder erschlichen hat. Er reagiert jähzornig, ja gewalttätig, und löst damit eine Kettenreaktion aus, der er nichts entgegenzusetzen hat: Unaufhaltsam frisst sich von diesem Tag an ein zerstörerisches Feuer in seine Beziehungen und seine materielle Existenz.
Es folgen panische Versuche, den Sturz ins Leere abzuwenden, ein Intermezzo in der brodelnden Atmosphäre einer Restaurantküche, aber schließlich landet Gregor doch in den Kellergewölben der Wohlstandsgesellschaft und damit in einem Milieu, für dessen Bewohner er bislang nur Verachtung empfunden hat. Bald wird Gregor in ein Geflecht von undurchsichtigen Beziehungen und persönlichen Geheimnissen hineingezogen, und als selbst die Menschen, die ihm nahestehen, von den bedrohlichen Verwicklungen erfasst werden, trifft er eine radikale Entscheidung, um der Situation zu entkommen …

Die Schulter des Riesen ist ein spannender Roman aus dem Deutschland der Gegenwart, der das Thema der sozialen Gerechtigkeit mit einer Frage verknüpft, die persönlich und philosophisch zugleich ist: Was bleibt einem, wenn man alles verloren hat? Gibt es im Leben ein Licht, das der Dunkelheit ihre Schrecken nimmt?

Format:Kindle Edition
Seiten:439
Verlag:
EAN:

Rezensionen zu "Die Schulter des Riesen: Gegenwartsroman"

  1. Gesellschaftskritik mit Schwächen

    Der Roman „Die Schulter des Riesen“ ist ein gesellschaftskritischer Gegenwartsroman, angesiedelt in einer fiktiven deutschen Stadt, der das Schicksal eines unverschuldet in die Obdachlosigkeit abgeglittenen Mannes thematisiert.

    Gregor, ein bisschen überheblich, ein bisschen aggressiv und aufbrausend, glaubt mitten im Leben zu stehen mit seinem Job als Silberschmied, seiner Frau Beatrice und den beiden geliebten kleinen Jungen Robert und Alex. Er reagiert mit Gewalt, als er überraschend in seiner Wohnung bei seinen Kindern eine völlig heruntergekommene Drogensüchtige erwischt. Mit dieser Tat ist sein Schicksal besiegelt - aufgrund einer Kette zufälliger Ereignisse, die in der Folge des aggressiven Hinauswurfs der jungen Frau eintreten, gerät Gregor massiv zunächst in finanzielle, später in emotionale und berufliche Schwierigkeiten, aus denen es für ihn keinen Ausweg gibt. Er landet in Untersuchungshaft, seine Ehe geht in die Brüche, er verliert seinen Job und die Schuldenfalle schlägt so gnadenlos zu, dass er letztlich obdachlos wird. Gregor findet sich auf der Straße wieder, hat nach einem kurzen schrecklichen Intermezzo als gepeinigter Küchenhelfer eines Edelrestaurants nichts zum Leben und muss sich damit zurechtfinden, die bürgerliche Gesellschaft, die er bisher mit blasiertem schöngeistigem Blick betrachtete, nun von unten in der Haltung eines Bittstellers und Bettlers anzuschauen.

    Einmal ohne Wohnung ist er abgeschrieben bei potenziellen Arbeitgebern genauso wie bei sämtlichen Ämtern und Behörden, und auch der gerichtliche Freispruch nutzt ihm nichts mehr. Er gehört zum ungeliebten gesellschaftlichen Bodensatz, chancenlos und verachtet, übersehen und unbeachtet. Nur für sich selbst kann sich Georg ein bisschen Menschlichkeit bewahren, indem er versucht, nicht wie andere Obdachlose saufend zu verlottern oder indem er sich die Liebe zu seinen beiden Söhnen zu bewahren versucht.

    Georg ist ein Grenzgänger und Wanderer zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Er versucht nicht, sich als Obdachloser anzupassen, sondern will kämpfen, eckt überall an und scheint alles irgendwie falsch zu machen, wo andere scheinbar leichtfüßig mit ihrer Situation klar kommen. Sein Lebensmut droht zu verlöschen, weil er immer und immer wieder Rückschläge einstecken muss. Dennoch wird er nicht zum Dulder, er wehrt sich vehement weiter und versucht, sich seine Ideale zu erhalten. Selbst in der völligen Ausweglosigkeit beschreitet Georg einen ungewöhnlichen Weg, abseits der ausgetretenen Pfade.

    Womit ich mich nicht anfreunden konnte ist der Stil, in dem die Geschichte umgesetzt ist. Zu viele gewollte Bilder einerseits und das geradlinige chronologische Abspulen ohne Wechsel von Blickrichtung oder Zeit andererseits haben meinen Genuss beim Lesen manchmal sehr geschmälert. Es gibt zudem zu viele Wiederholungen und Zusammenfassungen, die den Fluss der Geschichte bremsen, auf mich ein wenig langweilig wirken. Manchmal waren die Bilder, die zur Erklärung von Stimmungen herangezogen wurden, übertrieben und einfach zu oft benutzt.

    Es ist ein bisschen schade um wirklich gute Ideen, die in die Geschichte eingebaut wurden, zum Beispiel die des gesellschaftskritisch philosophierenden obdachlosen Säufers Nirwana, der mit seinem Wesen und seinen buddhistischen Geschichten die positive Basis von Gregors Wesenart mit Mitleid, Liebe und Lebensmut darstellt. Allerdings wird für mich überstrapaziert, dass er nur im Rausch erträglich für sich selbst und seine Umwelt ist, hingegen nüchtern klare und kluge Gedanken zu fassen vermag. Im Gegensatz dazu steht übrigens der Gegenspieler Nietzsche, dessen boshaftes und menschenverachtendes Nazitum an Gregor klebt wie Hundekacke an einem Schuh, das schwarze Spiegel-Bild seiner Seele.

    Insgesamt konnte mich die Idee zur Geschichte zwar begeistern, ich habe Passagen mit Interesse gelesen, aber stilistisch hätte ich mir mehr Ausgereiftheit und weniger gewolltes Gefallen gewünscht, plastischere Figuren und einen weniger geradlinig-einfachen Schreibstil.

    Ich danke dem Autor, dass ich das Buch zum Lesen bereitgestellt bekam, ebenso danke für die wirklich gut betreute Leserunde.

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  1. 5
    26. Sep 2018 

    Leseästhetik vom Feinsten

    Das Cover, eine wunderschöne alte Grafik eines Sternbildes, der Titel geheimnisvoll, dann der Klappentext sehr vielversprechend...
    Meine Erwartungen wurden dennoch weit übertroffen!

    Gregor, die tragende Figur des Romans, ist ein Liebhaber der schönen Dinge, ein Ästhet und Kunstkenner der seine Umwelt wie ein sich stets wandelndes Kunstwerk empfindet: "Die Wände des Flurs rahmten ihre Gestalt ein, und mit ihrer gelblich grauen Haut und den großen dunklen Feldern unter den Augen glich sie einer von Rosso Fiorentinos abartigen Madonnen.", "Selbst Egon Schiele hätte ihn nicht hässlicher malen können.", "Rührte sich nicht mehr, und wurde für Sekunden zum Teil einer grausigen, fotorealistischen Kunstinstallation."

    Sein Hang zur Unbeherrschtheit ist der Auslöser für eine tragische Kettenreaktion die Gregor unaufhaltsam und unerbittlich buchstäblich an den Abgrund führt.

    In beklemmender Intensität schildert der begnadete Autor Raffael Rauhenberg, Gregors Desaster in all seinen Facetten und lässt den Leser
    in die Abgründe menschlicher Existenz blicken.
    Köstlich und metaphorisch ist Gregors Abscheu gegen die moderne Architektur die er als seelenlos, tot und steril wahrnimmt: "Jenseits dieses Schmuckkästchens wütete die Moderne, lag das Skizzenbuch der ästhetisch Desorientierten offen da. Schon auf dem Nachbargrundstück ein Dutzend schmale, schräggestellte Blocks, ein Arrangement, so originell und lebendig wie eine Kompanie geklonter Soldaten, eingefroren im Links-um.", während ihm der Jugendstil lieb ist, Lebendigkeit, Wärme und Bewegung verkörpert.

    Raffael Rauhenberg hat mit seinem brillanten Werk das Paradoxon vollbracht Hässlichkeit schön darzustellen, mit Worten wahre Kunstwerke zu erschaffen, mit zärtlicher Poesie voller Melancholie den sonst in seiner Gnadenlosigkeit fast nicht zu ertragenden Inhalt in einen wunderbaren und fesselnden Lesegenuss zu verwandeln.

    Schade, dass man nur fünf Sterne vergeben kann!

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  1. 5
    26. Sep 2018 

    Leseästhetik vom Feinsten

    Das Cover, eine wunderschöne alte Grafik eines Sternbildes, der Titel geheimnisvoll, dann der Klappentext sehr vielversprechend...
    Meine Erwartungen wurden dennoch weit übertroffen!

    Gregor, die tragende Figur des Romans, ist ein Liebhaber der schönen Dinge, ein Ästhet und Kunstkenner der seine Umwelt wie ein sich stets wandelndes Kunstwerk empfindet: "Die Wände des Flurs rahmten ihre Gestalt ein, und mit ihrer gelblich grauen Haut und den großen dunklen Feldern unter den Augen glich sie einer von Rosso Fiorentinos abartigen Madonnen.", "Selbst Egon Schiele hätte ihn nicht hässlicher malen können.", "Rührte sich nicht mehr, und wurde für Sekunden zum Teil einer grausigen, fotorealistischen Kunstinstallation."

    Sein Hang zur Unbeherrschtheit ist der Auslöser für eine tragische Kettenreaktion die Gregor unaufhaltsam und unerbittlich buchstäblich an den Abgrund führt.

    In beklemmender Intensität schildert der begnadete Autor Raffael Rauhenberg, Gregors Desaster in all seinen Facetten und lässt den Leser
    in die Abgründe menschlicher Existenz blicken.
    Köstlich und metaphorisch ist Gregors Abscheu gegen die moderne Architektur die er als seelenlos, tot und steril wahrnimmt: "Jenseits dieses Schmuckkästchens wütete die Moderne, lag das Skizzenbuch der ästhetisch Desorientierten offen da. Schon auf dem Nachbargrundstück ein Dutzend schmale, schräggestellte Blocks, ein Arrangement, so originell und lebendig wie eine Kompanie geklonter Soldaten, eingefroren im Links-um.", während ihm der Jugendstil lieb ist, Lebendigkeit, Wärme und Bewegung verkörpert.

    Raffael Rauhenberg hat mit seinem brillanten Werk das Paradoxon vollbracht Hässlichkeit schön darzustellen, mit Worten wahre Kunstwerke zu erschaffen, mit zärtlicher Poesie voller Melancholie den sonst in seiner Gnadenlosigkeit fast nicht zu ertragenden Inhalt in einen wunderbaren und fesselnden Lesegenuss zu verwandeln.

    Schade, dass man nur fünf Sterne vergeben kann!

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  1. Auf dem Weg zum Abgrund mit Blick zu den Sternen

    Das erste was ich erwähnen möchte, ist die raffinierte Sprache, mit der Rauhenberg Gregors Geschichte erzählt. Er zaubert herrliche Analogien und weiss, wann er sie einzusetzen hat. Er schafft es beeindruckende Wortgemälde zu kreieren, ohne sich in seitenlangen Szenenbeschrieben zu verirren, die den Lesefluss stören würden. Der Anfang des Buches zeigt Gregor am Rande einer Klippe und bereit zum Selbstmord, nur ein paar Seiten entfernt von Gregor der (einige Monate früher) glücklich und wild mit seinen Kindern im Wald spielt. Das ist ein vielversprechender Einstieg und weckte bei mir zweifellos das Bedürfnis «das Dazwischen» zu füllen. Gleichzeitig hatte ich Angst vor einem passiven Protagonisten, der einfach von den Umständen niedergeknüppelt wird und sich wehrlos ergibt - diese Klippe hat Rauhenberg aber geschickt umschifft. Meine Erwartungen wurden erfüllt und übertroffen.

    Die Schulter des Riesen zeigt einen Teil unserer Welt, dem viele von uns instinktiv mit gerümpfter Nase aus dem Weg gehen; das Leben jener Menschen, die wir gerne mit abschätzigem Blick und wegwischender Handbewegung als «Unterschicht» jeglicher Relevanz berauben. Die Schritte, die Gregor von seinem stabilen Leben zum Rand der Klippe führen, sind erschreckend nachvollziehbar, auch wenn einige Stellen möglicherweise ab und zu für den kafkaesken Effekt etwas überspitzt dargestellt wurden. Dennoch: Ein unglücklicher Zufall hier, eine kleine Fehlentscheidung, deren Folgen unmöglich abzusehen sind, da, und schon steht ein Leben am Rand des Abgrunds.

    Was mich besonders an der Geschichte begeistert hat, waren die philosophischen Gespräche und Momente, und davon gibt es einige. Sei es Rado, der Koch, der gegen das Kapitalistische System wettert oder Nirwana, der betrunkene Möchtegernbuddhist, es fehlt nicht an Momenten, wo über die grossen und kleinen Fragen des Lebens sinniert wird. Dabei nimmt das Buch aber keine predigende Haltung ein und lässt den Leser zu eigenen Schlüssen kommen. Die Schulter des Riesen lässt sich durchaus als reiner Unterhaltungsroman lesen und wird auch da den Erwartungen gerecht, trotzdem empfehle ich das Buch hin und wieder aus der Hand zu legen und über das Geschriebene nachzudenken.

    Auch wenn der grobe Handlungsverlauf vorweggenommen wird, bietet die Geschichte einige Überraschungen und Wendungen, strotzt vor Menschlichkeit und überzeugt mit Charakteren, die eine Echtheit und Lebendigkeit, eine Tiefe und Vielschichtigkeit aufweisen, die dafür sorgt, dass sie mich noch eine ganze Weile begleiten werden. 5 Sterne.

    Vielen Dank an den Autor, der mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat, was meine Bewertung jedoch in keinster Weise beinflusst hat.

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  1. Das Leben ist niemals nur Armut

    "Armut meint mehr als Besitzlosigkeit. Armut heißt= nicht haben, nicht sein, nicht können, nicht dürfen." (Erwin Kräutler)
    Als Gregor Bach, Silberschmied und Liebhaber schöner Dinge, am Nachmittag im September seine Wohnung betritt, trifft er auf seine zwei Jungs und eine junge verwahrloste Frau. In seiner, Wut und seinem Jähzorn schleift er die Frau an den Haaren vor die Türe. Seine beiden Kinder sind geschockt vom Verhalten ihres Vaters. Das Gregor Bach mit diesem Verhalten eine Kettenreaktion ausgelöst hat, erfährt er erst wenige Tage später. Den kurz darauf wird er auch noch verhaftet und muss für mehrere Tage ins Gefängnis. Doch Gregors Abwärtsspirale geht weiter, seine Frau entdeckt etwas, was sie so erschüttert, dass sie ihn mit den Kindern verlässt. Er verliert seinen Job, seine Wohnung und alles was ihm lieb und teuer ist. Beziehungen und Freundschaften zerbrechen und plötzlich steht Gregor selbst auf der Straße, genau wie die Frau von damals. Verzweifelt versucht er alles, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Aber was will er tun, wenn Menschen verletzt sind, nicht vergeben und ihn die Gesellschaft längst abgeschrieben hat?

    Meine Meinung:
    Als ich von dem Autor angefragt wurde, ob ich seinen Roman lesen würde, hatte ich nicht geglaubt, dass sich hinter diesem Titel so eine Geschichte verbirgt. Auch anhand des sehr mystischen Covers konnte ich nicht viel deuten, um so überraschter war ich dann von der Geschichte. "Die Schulter des Riesen" ist ein spannender Roman der das Thema der sozialen Gerechtigkeit mit einer sehr persönlichen Frage verknüpft ist: Was bleibt einem, wenn man alles verloren hat? Gibt es im Leben ein Licht, das der Dunkelheit ihre Schrecken nimmt? Der Absturz von Gregor Bach hat mich doch sehr bewegt und tief berührt. Unfassbar wie einem so mitgespielt wird und man dann auf der Straße landet und einem keiner hilft. Ich war bei vielem erschüttert wie Menschen sich verhalten, allen voran Gregors Frau oder seine Freunde. Musste mir aber selbst oft überlegen, wie würde ich mich verhalten? Der Schreibstil war flüssig und sehr gut, vielleicht hätte man an ein paar Stellen etwas Kürzen können, da der Autor ab und zu sehr ausschweifte. Trotzdem ist es eine Story, die jeden, zu jeder Zeit treffen könnte und es sich lohnt mal darüber zu lesen und nachzudenken. Ich bin froh, dass ich diesen Debütroman von Raffael Rauhenberg lesen durfte und muss mich schon wundern, warum kein Verlag so ein Buch wollte. Ich jedenfalls fand dieses gesellschaftskritische Buch sehr lesenswert, es hat sehr gute Ansätze ein Bestseller zu werden. Für mein Lesehighlight 2018 hat es auf jedenfalls geklappt, ich gebe 5 von 5 Sterne.

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