Die Schuhe meines Vaters

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Schuhe meines Vaters' von Andreas Schäfer
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Schuhe meines Vaters"

Im Sommer 2018 kommt der Vater von Andreas Schäfer zu Besuch nach Berlin. Kurz zuvor hat er erfahren, dass ein vor langer Zeit überwundener Krebs zurückgekehrt ist, doch Beschwerden hat er keine. Er geht in die Oper, unternimmt einen Ausflug ans Meer, sitzt auf dem Sofa des Sohnes und sagt verwundert: »Dass da was ist!« Aber was? Was ist da im Kopf des Vaters? Er fährt nach Frankfurt zurück, wo er seit der Trennung von der griechischen Mutter vor Jahrzehnten allein lebt. Auch zur Biopsie geht er allein, als wollte er sein Einzelkämpferleben erst im letztmöglichen Moment aufgeben. Am Tag der Untersuchung meldet sich der Oberarzt der Neurochirurgie und teilt dem Sohn mit, dass der Vater eine Hirnblutung erlitten habe: »Ihr Vater wird sterben«, sagt er. »Er liegt im künstlichen Koma. Sie müssen entscheiden, wann wir die Maschinen abstellen.« Wie damit umgehen, wenn einem das Leben des eigenen Vaters in die Hände gelegt wird? Wie sich verabschieden, wenn man den Zeitpunkt selbst bestimmen soll? ›Die Schuhe meines Vaters‹ ist ein ebenso erschütterndes wie zu Herzen gehendes Buch über Väter und Söhne und die unerwarteten Wege der Trauer. Aufrichtig, poetisch und einfühlsam erzählt Andreas Schäfer vom eigenen Schockzustand – vor allem aber nähert er sich dem Vater an, dem leidenschaftlich gern Reisenden, dem Kriegstraumatisierten, glücksgewillt und verloren zugleich, und ihrem besonderen, nicht immer einfachen Verhältnis.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:192
EAN:9783832181963

Rezensionen zu "Die Schuhe meines Vaters"

  1. All das Ungesagte bleibt...

    Klappentext:

    „Im Sommer 2018 kommt der Vater von Andreas Schäfer zu Besuch nach Berlin. Kurz zuvor hat er erfahren, dass ein vor langer Zeit überwundener Krebs zurückgekehrt ist, doch Beschwerden hat er keine. Er geht in die Oper, unternimmt einen Ausflug ans Meer, sitzt auf dem Sofa des Sohnes und sagt verwundert: »Dass da was ist!« Aber was? Was ist da im Kopf des Vaters? Er fährt nach Frankfurt zurück, wo er seit der Trennung von der griechischen Mutter vor Jahrzehnten allein lebt. Auch zur Biopsie geht er allein, als wollte er sein Einzelkämpferleben erst im letztmöglichen Moment aufgeben. Am Tag der Untersuchung meldet sich der Oberarzt der Neurochirurgie und teilt dem Sohn mit, dass der Vater eine Hirnblutung erlitten habe: »Ihr Vater wird sterben«, sagt er. »Er liegt im künstlichen Koma. Sie müssen entscheiden, wann wir die Maschinen abstellen.« Wie damit umgehen, wenn einem das Leben des eigenen Vaters in die Hände gelegt wird? Wie sich verabschieden, wenn man den Zeitpunkt selbst bestimmen soll?“

    Autor Andreas Schäfer hat hiermit ein wahrlich heftiges und sehr emotionales Werk verfasst. Beim lesen kommt und geht der bekannte Kloß im Hals und man kommt hier und da auch um manche Träne nicht herum aber eines ist hier ganz klar hervorzuheben: der kitschfreie und unheimliche klare Schreibstil. Schäfer erzählt seine ganz persönliche Geschichte und diese ist in meinen Augen schwer zu bewerten bzw. es steht uns Lesern auch eigentlich gar nicht zu. Er erzählt seine ganz persönliche Geschichte und wie er damit umgegangen ist - jeder von uns würde es anders machen und hätte ihm vielleicht Tipps und Ratschläge gegeben. Die sind alle schön und gut aber schlussendlich muss jeder allein so eine Situation bewältigen. Jeder findet irgendwie seinen Weg der Trauer. Für mich persönlich war es sehr schwer dieses Buch zu lesen da ich selbst lange mit zwei Hirnblutungen und so einiges mehr zu kämpfen hatte und die Ärzte in fast allen Bereichen versagt haben - aber ich lebe. Es ändert sich viel nach so einer Situation egal ob für einen selbst oder seine Mitmenschen. Schäfer hat einen feinen und unheimlich unnahbaren Ton (besser ging es nicht!) hier gewählt um seine Geschichte und die seines Vaters zu erzählen. Sicherlich sind viele, ganz viele Dinge nie zwischen den beiden ausgesprochen wurden und da stellt sich die Frage warum also jetzt, wo es eh zu spät ist, darin noch wühlen. Wir können nichts mehr aufholen wenn es vorbei ist, wir können nur darüber nachdenken als Hinterbliebene und uns fragen warum wir so scheu waren überhaupt diese wichtigen Themen nie besprochen zu haben die uns doch so auf der Seele liegen. Ist das Trauerbewältigung? Vielleicht. Ist es diese berühmte Mauer die man um sich herum aufbaut in der die Trauer umzingelt liegt? Vielleicht. Wir erlesen hier so einiges aus dem Leben des Vaters aber weniger über die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Schäfer hält in gewisser Weise Rückschau auf seinen Vater. Warum er dies so tut, weiß nur er. Auch die Art und Weise wie sein Vater mit all den Erkrankungen umgegangen ist, ist ein Thema und natürlich wie seine Mutter und er nun mit diesem „am Leben erhalten ist nicht weiter möglich und wann die Maschinen abstellen“-Thema umgehen. Es ist eine Bürde von größtem Ausmaß die Schäfer hier anspricht. Die Thematik mit der Patientenverfügung wird gerne mal etwas abgetan, viele verschließen sich davor aber man muss einfach sich mit dem Thema auseinander setzen. Was soll mit einem geschehen wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt? Diese Wahl liegt bei jedem selbst. Einerseits liegt da ein Mensch ohne Hoffnung auf Leben und auf der anderen Seite steht da ein Mensch der über dieses Leben entscheiden muss - zwei Extreme die alle belasten. Gerade wenn noch so viel Unausgesprochenes in einem schwelt. Als dann dieses abschalten der Maschinen thematisiert wird, wählt Schäfer den kurzen weg und das ist auch verständlich. Wer genau wissen will wie das abläuft, muss sich damit selbst auseinander setzen - völlig zurecht wie ich finde. Dies hier detailliert zu beschreiben wäre einfach nicht angemessen. Wem hier Gefühl in der Geschichte fehlt, der muss sich fragen wie man selbst damit umgehen würde. Jeder drückt Gefühle anders aus und geht mit ihnen anders um. Es wäre hier nicht fair zu sagen, Schäfer hat hier zu wenig Gefühl in die Geschichte gelegt. Genauso auch vermeintliche „Märchen“ des Vaters sind eine Art Erinnerung - egal ob sie real oder eben erfunden waren, es sind die Erinnerungen zwischen Vater und Sohn und diese sollte man wertefrei betrachten. Auch wenn es schwer fällt. Es sind Erinnerung Schäfers und nicht die unseren! Es ist schwierig dieses Buch wertefrei zu betrachten aber gelingt wenn man auf den Tenor achtet den Schäfer hier anbringt: man muss frühzeitig über alles reden was einem auf der Seele liegt und auch über den Tod sollte man sprechen. Ohne diese Offenheit bekommt man dann die Quittung wenn es plötzlich zu spät ist. Der Ärger darüber überwiegt und belastet die Trauer noch mehr. Will man das? Das muss jeder selbst für sich entscheiden.

    Fazit: Ein äußerst bewegendes und sehr emotionales Buch mit einer ganz wichtigen Botschaft. Es ist dem Autor sehr hoch anzurechnen das er so offen und ehrlich seine ganz persönliche Geschichte hier erzählt hat. Sie regt unweigerlich zum nachdenken an und hallt extremst nach. 5 Sterne vergebe ich für „Die Schuhe meines Vaters“.

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  1. Verlust und Annäherung

    Die letzte Reise führt den 1936 geborenen Vater von Frankfurt am Main zum Sohn nach Berlin. Kurze Zeit zuvor hat er erfahren, dass ein vermeintlich geheilter Krebs möglicherweise wieder aufgebrochen ist und im Gehirn metastasiert hat. Eine Biopsie soll Klarheit bringen. Zunächst stehen aber angenehme Tage in Berlin an: Unternehmungen mit der Enkeltochter, angenehme Gespräche mit dem Sohn. Der Vater spürt nichts von seiner Krankheit, fühlt sich fit genug, den Eingriff ein paar Tage nach der Rückreise ohne Begleitung seiner Familie durchführen zu lassen. Leider kommt es zu Komplikationen, in deren Folge er ins Koma fällt und künstlich am Leben erhalten wird. Eine Blutung hat das Hirn irreversibel geschädigt. Die Ärzte empfehlen ein Abschalten der Maschinen, womit der Sohn und seine Mutter logischerweise in emotionale Konflikte gestürzt werden.

    Andreas Schäfer ist ein versierter Autor. Er hat sein autobiografisches Memoir in drei Teile geteilt, dessen erster eine knappe Hälfte des Buches einnimmt. Hier schildert er gekonnt und zutiefst menschlich von dem familiären Schicksalsschlag, der tiefgreifende Entscheidungen nach sich zieht: „Entscheiden, wann die Maschinen abgestellt werden, also demjenigen, dem man das Dasein verdankt, das seine nehmen – das widersprach den Gesetzen.“ (S. 39) Wunderbar versteht es Schäfer, das Gefühlschaos zu beschreiben, das sich aus dieser prekären Situation ergibt. Er schildert den Weg mit den Zwischenschritten, die es schließlich ermöglichen, das Unumgängliche zu tun. Er tut das in nachvollziehbaren, einfühlsamen Bildern, und doch ohne Pathetik und allzu große Sentimentalität. Der Autor wahrt wohltuend die Distanz. Mir gefällt sein Schreibstil ungemein, der Reife und Kompetenz ausstrahlt.

    Es geht aber nicht nur um diese auf dem Klappentext beschriebene Abschiedsproblematik, sondern gleichsam um ein Aufarbeiten des in früheren Jahren schwierigen Vater-Sohn-Verhältnisses. Der Schriftsteller nähert sich im Schreibprozess an das Leben des Vaters an, lässt Erzähltes Revue passieren, gleicht es mit selbst Erlebtem ab, sucht nach Erklärungen und posthumem Verständnis. So bekommt der Leser Einblick in die Familiengeschichte, die alles andere als stromlinienförmig verlief. Der Sohn hat sich als junger Mann oft für seinen Vater geschämt: „Ich hatte mich also nicht geirrt. Er wurde als Zumutung empfunden, als peinigende Irritation, genau so, wie ich es seit früher Kindheit geahnt hatte.“ (S. 66).

    Im Angesicht des bevorstehenden Todes sucht der Sohn nach den Ursachen für das schwierige, teilweise unangenehme, besserwisserische Verhalten seines Vaters, das für die Familie eine Belastung war und letztlich auch in der Scheidung der Eltern mündete. Erst mit den Jahren entspannten sich die Beziehungen. Die Mutter vermietete dem Vater nicht nur eine Wohnung, sondern stand ihm auch sonst im Leben hilfreich als verlässliche Freundin zur Seite. Das Verhältnis zum Sohn klärte sich spätestens mit der Geburt der mittlerweile 12-jährigen Enkeltochter.

    Der zweite und dritte Teil des Buches beschäftigen sich mit den Spuren, die der Vater im Leben hinterlassen hat. Es geht aber gleichfalls um das Zulassen von Trauer und Verlustgefühlen. Schäfer beschreibt den Prozess des Abschiednehmens. Hier wird sich jeder wiederfinden, der bereits ein Elternteil auf die ein oder andere Weise verloren hat, der Wohnungen ausräumen und entscheiden musste, welche Erinnerungen man im Herzen und welche man körperlich mit nach Hause trägt. Man betrachtet Fotos und versucht etwas aus ihnen herauszulesen, man sortiert Dokumente und Hausrat. Dabei überrascht der Autor immer wieder mit eindrucksvollen Sätzen wie: „Von einem Sonntagsfoto erwarte ich nicht, dass es vom Leiden der Nachbarn erzählt.“ (S. 93) Schäfer ruft sich die Vergangenheit des Vaters in Erinnerung, der Brüche in seinem Leben zu verwinden hatte, die über die rein historische Traglast eines Kriegskinds hinausgehen. Der Autor rekonstruiert schmerzhafte und glückliche Erlebnisse. Des Vaters Aufzeichnungen helfen ihm dabei. Er bringt sie in Einklang mit eigenen Erfahrungen. Der Leser darf an diesem Prozess teilhaben, erfährt über die höchst ambivalenten Gefühle des heranwachsenden Sohnes seinem Vater gegenüber. Man spürt die Sehnsucht des erwachsenen Autors nach innerem Frieden.

    „Gedenken ohne Worte. Erinnernder Abschied durch Wiederholung von Handgriffen und Gewohnheiten. Ist es nicht so, als würde man dabei in die Leerform hineinschlüpfen, die der Verstorbene hinterlassen hat?“ (S. 165) Im dritten Teil des Buches begibt sich der Autor auf eine Reise nach Griechenland, um die Stätten zu besuchen, an denen sein Vater vielleicht am glücklichsten war. Mit dem Schreiben des Buches und der intensiven Hinwendung zum Vater hat der Autor sich an seine Wurzeln angenähert und Verständnis aufgebracht für die komplizierte Vaterfigur.

    Zugegebenermaßen konnte ich nicht jedem Gedanken folgen, mancher persönlichen Schilderung fehlte mir einfach der Zugang. Vielleicht ist die komplette Auseinandersetzung auch nicht von Belang für den uninvolvierten Leser. Es gab für mich kleine Hängepartien, manchmal fehlte mir eine Brücke. Es gilt allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei diesem Buch um ein Memoir handelt, nicht um einen Roman, an dem ich höhere Ansprüche an Verständlichkeit und Schlüssigkeit stellen würde. Hier schreibt ein Autor seine persönlichen Empfindungen nieder und lässt die Öffentlichkeit daran teilhaben. Sprachlich tut er das auf so hohem Niveau, dass es ein Genuss ist. Insofern empfehle ich dieses Buch allen Menschen (vielleicht vorwiegend in der zweiten Lebenshälfte), die sich mit Verlust und Tod auseinandersetzen wollen oder müssen. Es ist tatsächlich ein „zutiefst berührendes und auch versöhnliches Buch über die Trauer“, wie der Verlag auf dem Schutzumschlag verspricht. Lesenswert!

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