Die Schülerin

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Schülerin' von Matthias Wittekindt
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Schülerin"

»Ihr müsst miteinander reden«, fordert Christine, und Manz weiß: Seine Frau hat recht. Seit Julias Scheidung ist die Stimmung zwischen ihm und seiner jüngsten Tochter eisig. Dabei eifert Julia ihrem Vater beruflich nach: Als Anwältin ist auch sie täglich mit Verbrechen befasst. Um die Wogen zu glätten, erkundigt sich Manz nach Julias Arbeit und stellt fest: Mit ihrer aktuellen Klientin hatte er selbst schon zu tun, in den siebziger Jahren in Berlin. Damals hat diese Sabine Schöffling im Fall eines ermordeten Fünfzehnjährigen eine zweifelhafte Rolle gespielt. Soll Manz seine Tochter warnen? Doch Ratschläge will Julia sicher nicht von ihrem Vater – schon seine Kommentare zur Erziehung von Enkelin Emma sind ihr lästig. Bei Manz selbst setzt die ganze Sache Erinnerungen in Gang: an den Fall, der sich im Umfeld der reformpädagogischen Elisabeth-Rotten-Schule ereignete, an sein damaliges Leben, als Christine gerade mit Julia schwanger war, und an seine eigene Kindheit im Berlin der Nachkriegszeit.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:368
Verlag: Kampa Verlag
EAN:9783311125563

Rezensionen zu "Die Schülerin"

  1. Wo sich Vergangenheit und Gegenwart treffen

    Kriminaldirektor a.D. Manz hat seine Tochter Julia mit Enkelin Emma zu Besuch. Das Verhältnis zu Emma ist herzlich, der Opa ist unternehmungslustig und liest gerne solche Abenteuergeschichten vor, die ihre Mutter kritisch sieht. Julia hat nach ihrer Scheidung wieder begonnen, in einer Kanzlei als Anwältin zu arbeiten. Ein erster wichtiger Prozess steht bevor: Ihre Mandantin Sabine Schöffling soll einen Meineid geleistet haben, Julia hat die Verteidigung übernommen. Als Manz diesen Namen hört, treiben seine Gedanken ihn zurück in die Vergangenheit von 1978. Damals hatte er mit Sabine Schöffling bereits zu tun und ist noch heute der Ansicht, dass sie ihn als 16-Jährige damals wiederholt belogen hat. Soll er seine Tochter vor dieser Person warnen?

    Doch bevor wir darauf eine Antwort bekommen, wird uns der damalige Fall in aller Ausführlichkeit geschildert. Es fängt alles damit an, dass Sabines Mutter einen Zettel in der Schultasche findet, auf dem steht: „Du bist tot.“ Das fasst sie als Drohung auf und geht zur Polizei. Manz und sein Kollege statten der neumodernen Reformschule, auf die Sabine geht, einen Besuch ab. Vieles kommt ihnen dort seltsam vor. Als ein 15-jähriger Junge brutal erstochen wird und man einen Briefumschlag der Schule bei ihm findet, setzt das weitere Ermittlungen in Gang, in deren Mittelpunkt bald schon Sabine Schöffling steht…

    Die beiden Zeitebenen wechseln einander ab. Auch das Privatleben des Kommissars nimmt viel Raum ein. Seine Frau erwartet ein drittes Kind, ein Umzug steht bevor. In der Gegenwart hat man an der aufgeweckten Enkeltochter Freude, die ihren Opa wunderbar um den Finger wickeln kann. Diese Perspektivwechsel sind gut gelungen.

    Der Roman lebt durch seine Protagonisten. Manz ist ein leicht verschrobener und doch liebenswerter Charakter, der auch als Pensionär die Fähigkeit hat, ganz tief in eine vergangene Ermittlung einzutauchen. Seine Gedanken stromern in der Zeit zurück, fügen Bilder zusammen, führen zu Rückschlüssen, Kombinationen und Ergebnissen. Seine Arbeitsweise ist unkonventionell, aber erfolgreich. Auch seine Kollegen kommen sehr menschlich rüber, jeder hat seine Eigentümlichkeiten und Schrullen, über die man nicht selten lachen kann. Die einzige Frau im Team, Frau Bächle, arbeitet als Sekretärin, obwohl ihre kriminalistischen Fähigkeiten weit darüber hinausgehen; Frauen haben es 1978 noch weit schwerer im Berufsleben als heute. Manz bindet sie aber immer gerne ein, schätzt ihren „siebten Sinn“. Manz ist sowieso wunderbar unprätentiös und mit einer guten Portion Selbstironie ausgestattet. Es macht Spaß, den spritzigen Dialogen zu folgen. Der Roman liest sich dadurch fluffig leicht. Allerdings will der eigentliche Kriminalfall, also die Frage, wer nun den Jungen erstochen hat, nicht so recht in Gang kommen. Das kann für manchen Spannungsleser enttäuschend sein. Auf ihre Kosten kommen all jene, die sich für zwischenmenschliche Beziehungen interessieren, denn davon gibt es reichlich sowohl im Familien- und Kollegenkreis als auch im Umfeld der Schule.

    Wie erwähnt wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen erzählt, die rund 40 Jahre auseinander liegen. Im Jahr 1978 finden allerdings Dialoge in Bezug auf Rassismen und Diskriminierungen statt, die es so damals noch nicht gegeben haben dürfte. Damals waren Begriffe wie Schwarzafrikaner, Südländer oder Behinderter (leider) noch unreflektiert/unkritisiert an der Tagesordnung. Diese political correctness erschien mir daher an einigen Stellen aufgesetzt und minderte die Authentizität der Geschichte.

    Ich habe den Roman überwiegend gern gelesen. Allerdings hatte ich vom Ende mehr erwartet, die Spannung wollte einfach nicht anziehen, die Handlung tröpfelte weiter heiter-sympathisch voran. Der Kriminalfall steht eben nicht wirklich im Fokus. Trotzdem hatte ich (vielleicht aus Gewohnheit) mit einem Anziehen des Erzähltempos gerechnet. Interessant wird es auf den letzten 20 Seiten, als es zum Prozess wegen Meineids gegen Sabine Schöffling kommt und die Gegenspieler von damals erneut aufeinander treffen.

    Als Vorbereitung auf dieses Buch habe ich auch den ersten Fall um Kriminaldirektor a.D. Manz gelesen, der mir insgesamt deutlich besser gefallen hat. Im zweiten Fall erscheint mir schon das Zettelchen als Aufhänger relativ banal. Solch ein Zettel hätte auch damals keine polizeilichen Ermittlungen in Gang gesetzt. Aber sei es drum: Allen Freunden atmosphärischer Ermittlungsarbeit ohne viel Blutvergießen und Herzrasen sei dieser Roman herzlich empfohlen. Meinen Geschmack hat er nicht hundertprozentig getroffen.

    3,5/5 Sterne

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  1. Hurra, hurra, die Reformschule brennt

    Als Kriminaldirektor a. D. Manz von seiner Tochter erfährt, dass sie als Anwältin gerade eine Mandantin wegen eines vermeintlichen Meineids vertritt, gehen bei ihm die Warnlichter an. Jene Sabine Schöffling erinnert ihn nämlich an einen alten Fall aus dem Jahre 1978, als sich die damals 16-jährige Schülerin als Zeugin in einem Mordfall nicht gerade kooperativ verhielt. Nach und nach kehren seine Gedanken zurück zu diesem Fall, als ein 15-jähriger Junge tot aufgefunden wurde, den niemand zu vermissen schien. Im Fokus seiner damaligen Ermittlungen: die Elisabeth-Rotten-Schule, eine Berliner Reformschule, und deren seltsame Lehrer- und Schülerschaft...

    Etwa ein Jahr nach dem erfolgreichen Manz-Debüt "Vor Gericht" legt Matthias Wittekindt beim Kampa Verlag mit "Die Schülerin" nun den zweiten Band der neuen Reihe vor - und landet damit erneut einen Volltreffer. Gewohnt unaufgeregt und in ruhigem Erzähltempo begeistert das Buch nicht nur optisch mit dem knallroten Farbschnitt, sondern auch mit einem kauzig-liebenswerten Ermittler, authentischen Dialogen und spannenden ambivalenten Nebenfiguren.

    Die Struktur des Romans gleicht dabei "Vor Gericht" nahezu exakt. Im ersten Teil des Buches, der mit mehr als 300 Seiten um ein Vielfaches länger ist, rekonstruiert Matz die Ermordung des 15-jährigen Riccy, wobei für kurze Momente auch immer wieder die gegenwärtigen Familienverhältnisse des Kriminaldirektors a. D. beleuchtet werden. Der zweite sehr kurze Teil befasst sich mit dem Prozess gegen Sabine Schöffling und lässt die Protagonist:innen nach 41 Jahren wieder aufeinander treffen.

    Am gelungensten sind dabei vor allem die Verhöre von Manz und seinem Kollegen Borowski an der Elisabeth-Rotten-Schule. Die "zur Freiheit" erzogenen Schülerinnen und Schüler präsentieren sich zwar als künstlerische Freigeister, doch Manz bemerkt schnell, dass eine schöne Fassade allein "das Böse" nicht wegsperren kann. Durch seine unnachgiebigen Ermittlungen werden letztlich nicht nur verbale Brandsätze gelegt.

    Während mich eine Dialoglastigkeit in Romanen sonst eher stört, habe ich die unverstellten und unterhaltsamen Gespräche in "Die Schülerin" sehr geschätzt. Zwischen den Zeilen blitzt immer wieder Manz' Schalk durch, der erheblich dazu beiträgt, dass man diesen Ermittler und die Buchreihe so schnell ins Herz geschlossen hat. Insgesamt strahlt "Die Schülerin" eine etwas hellere Stimmung als der Vorgänger "Vor Gericht" aus - und das, obwohl es sich bei der jugendlichen Leiche um ein wahrlich tragisches Opfer handelt. Zu Höchstform laufen die Ermittler gar auf, als es darum geht, in einem Striplokal eine Sing- und Tanzgruppe namens "Die Sirenen" zu befragen. Eine wirklich herrliche Szene, die mich sehr zum Lachen brachte und nicht nur wegen der Zeuginnen lange im Gedächtnis bleibt.

    Wer sich also mit der etwas unglaubwürdigen Ausgangsprämisse abfindet, dass Manz wegen eines von Sabines Mutter vorbeigebrachten Zettels, auf dem "Du bist tot" steht, erstmals seine Ermittlungen an der Elisabeth-Rotten-Schule aufnimmt, wird in der Folge mit einem wunderbaren Kriminalfall belohnt, der ganz nebenbei auch einen Blick auf die Pädagogik der 70er-Jahre und das Berliner Stadtbild erhält. Matthias Wittekindt beweist jedenfalls erneut, dass er neben Friedrich Ani und Jan Costin Wagner zum Triumvirat der deutschen Kriminalliteratur gehört. Da freue ich mich jetzt schon, dass der Kampa Verlag bereits am 13. Oktober dieses Jahres mit "Die rote Jawa" den dritten Manz-Band veröffentlichen wird.

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