Die Parade: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Parade: Roman' von Dave Eggers
4.75
4.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Parade: Roman"

Mit seinem neuen Roman wirft Dave Eggers die Frage auf, ob der Westen in der Lage ist, die komplizierten Verstrickungen eines Entwicklungslands, das sich jahrelang im Bürgerkrieg befand, zu begreifen. Eine kluge, hochaktuelle Parabel und ein echter Pageturner. Zwei Straßenbauer werden von einer internationalen Baugesellschaft in ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land geschickt, um den armen Süden mit dem reichen Norden zu verbinden. Der Präsident des Staates will den noch jungen, fragilen Frieden mit einer Militärparade auf der neuen Straße feiern. Einer der beiden Männer möchte so schnell und korrekt wie möglich seine Arbeit verrichten, um bald wieder nach Hause zu können; der andere ist abenteuerlustig und nimmt voller Freude und Neugier alles mit, was ihm die neue Kultur, die fremden Menschen und das exotisch riechende Essen zu bieten haben. Meter für Meter kämpfen sie sich mithilfe einer hypermodernen Asphaltiermaschine voran. Die Straße wird länger, die Konflikte zwischen den beiden werden härter und nehmen eine dramatische Wendung, als einer der Männer lebensbedrohlich erkrankt. Beide kommen auf dieser Reise an ihre Grenzen – und müssen sich fragen, inwiefern sie der Bevölkerung wirklich helfen, wenn sie ihren Auftrag erfüllen. Tut man automatisch Gutes, wenn man Gutes tun will? In »Die Parade« zeigt sich erneut Dave Eggers’ besondere Begabung, soziale und politische Fragen mit den Mitteln der Literatur zu untersuchen – eine fesselnde Lektüre, die nachdenklich stimmt.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:192
EAN:9783462053579

Rezensionen zu "Die Parade: Roman"

  1. Kurz aber nicht schmerzlos

    In einem unbekannten Land…Schade, dass ich nicht hören kann, wie viele von euch jetzt „vor gar nicht allzu langer Zeit“ vor sich hin summen *g*.

    Spaß bei Seite. Dave Eggers geht in seinem Roman bzw. seiner Novelle „Die Parade“ den Weg der Anonymität und lässt die Handlung in eben jenem unbekannten und unbenannten Bürgerkriegsland spielen, dass überall auf der Welt liegen könnte. Das Land ist arm; es liegen Müllberge auf den Straßen, Kinder spielen in oder mit verrosteten und verbrannten Kriegsfahrzeugen…Und doch hält der Fortschritt „Einzug“ in Form einer schnurgeraden asphaltierten Straße, die den Norden mit dem Süden des Landes verbindet und auf der nach Fertigstellung eine Parade des Präsidenten stattfinden soll und die den Menschen Hoffnung bringen soll.

    Die Asphaltierung liegt in Händen von zwei Mitarbeitern einer ausländischen Straßenbaufirma sowie einer Hightechmaschine.
    Während „Vier“ für die Verkörperung des stets stur geradeaus blickenden tüchtigen Arbeiters steht, ist „Neun“ ein unorthodoxer Lebemann, der Kontakt zu den Einheimischen aufnimmt, die Arbeit auch mal Arbeit sein lässt und sich und seinen „Vorgesetzten“ in Lebensgefahr bringt. Aufmerksame Leser:innen haben schon gemerkt: es gibt keine Namen in dieser Erzählung; das erhöht die Anonymität und hat dadurch meiner Meinung nach auch etwas dystopisches an sich.

    Beim Lesen von „Die Parade“ stellt sich der geneigten Leserschaft unweigerlich die Frage, ob Hilfe von „außen“ wirklich immer Hilfe bedeutet; ganz besonders, wenn es auf das (erwartbare), jedoch zu keiner Zeit vorhersehbare Ende zusteuert, welches mit seiner kurz gefassten Erwähnung umso schauriger und brutaler wirkt.

    Alles in Allem eine nachhaltig wirkende Story, die mich von der ersten bis zur letzten Seite absolut überzeugt hat. Dave Eggers gehört wohl nun auf die Liste der „Will ich mehr von lesen“-Autoren.

    5 makellos geteerte Sterne und eine absolute Leseempfehlung!

    ©kingofmusic

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  1. Kleines Buch mit großer Botschaft

    Für eine Parade des Präsidenten, in einem vom Bürgerkrieg geschüttelten Land, wird eine neue Straße gebaut. Sie verbindet den armen Süden mit dem reichen Norden und endet vor den Toren der Hauptstadt. 2 anonyme Arbeiter aus dem Ausland sollen sie mit einer hochmodernen Teermaschine fertigstellen. Vier und Neun, so nennen sie sich. Niemand soll wissen, wer sie sind, woher sie kommen, umgekehrt ist auch jeglicher Kontakt ihrerseits zu den Einheimischen nicht gewünscht.

    Vier hält sich an die Vorgaben seiner Firma und konzentriert sich auf seine Aufgabe, die Straße in 10 Tagen zu teeren. Neun ist das komplette Gegenteil von Vier und stürzt sich vom ersten Tag an, in die Abenteuer, die die Bevölkerung zu bieten hat: Frauen und Essen. Bald schon ist er kein zuverlässiger Partner mehr für Vier, der sich erst darüber ärgert, dann versucht die Situation zu ignorieren, schließlich aber gezwungen ist, Neun Hilfe zu leisten.

    Die Zeit drängt, wichtige Hilfsmittel sind verschwunden und schließlich lässt auch Vier alle Vorsicht fallen, um Neun das Leben zu retten.

    Wie schon in "Der größte Kapitän aller Zeiten" die parodierte Hauptperson nie wirklich genannt wird, wird auch in dieser Parabel weder das beschriebene Land, noch der Kontinent erwähnt. Beim Lesen habe ich mir den Sudan in Afrika vorgestellt, wohl auch, weil sich Eggers mit "Weit gegangen" in mein Leserherz zurück geschrieben hat und die Landschaft und die politische Situation sich sehr gut auf diese Geschichte übertragen lassen.

    Trotz aller Verfremdung von Personen und Ortschaften, habe ich mich voll und ganz auf die zwei Arbeiter einlassen, Viers Ärger nachvollziehen und Neuns Helfer- und Abenteuersyndrom verstehen können. Ich hegte gleiches Misstrauen gegen die Einheimischen und versuchte logistische Strategien zu entwickeln, war also voll und ganz in der Geschichte... bis mich die letzte Seite unsanft aus diesem Geplänkel riss.

    Aus dem toten Winkel heraus, schoss dieses doch so folgerichtige Ende an mir vorbei, mitten in meine rosa Wattewolke und erinnerte mich daran: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Eine einprägsame Geschichte, eine Botschaft und viel Nachdenkpotential.

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  1. Dieser Roman schreit geradezu: ich bin eine Parabel.

    In einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land ist ein fragiler Frieden eingekehrt. Nun soll eine neue Straße gebaut werden, um den armen Süden mit dem reichen Norden zu verbinden, und zu diesem Zweck wird eine Baugesellschaft aus einem nicht näher benannten Industrieland angeheuert. Diese schickt eine hochmoderne Asphaltiermaschine sowie zwei Straßenbauer, damit schnellstmöglich eine Militärparade auf der neuen Straße stattfinden kann.

    Die beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein: Der eine, “Vier” genannt, hält sich penibel an die Regeln, den Blick unerschütterlich auf den nächsten Meter Straße gerichtet, und vermeidet gemäß Firmenpolitik jegliche Interaktion mit der indigenen Bevölkerung. Der andere, “Neun”, lässt seine Pflichten schleifen und vergnügt sich derweil mit exotischem Essen und willigen Frauen, was Vier immer mehr aufbringt und aus der Bahn wirft.

    Es ist subtropisch in diesem vom Bürgerkrieg geplagten Land, die Lebensbedingungen im armen Süden sind katastrophal. Das Industrieland, das die Maschine und die Straßenbauer geschickt hat, ist hingegen politisch stabil und wohlhabend – und hat Eigeninteressen bei diesem Bauprojekt.

    Es geht um Krieg und dessen Nachwehen, es geht um Kriegsverlierer und Kriegsgewinnler. Dieser Grundkonflikt liest sich durchaus greifbar, doch die Details und die daraus entstehende Geschichte wirken seltsam unwirklich und gleichzeitig bestechend hyperreal.

    Anonym oder mit rein symbolischen Namen ausgestattet, sind die Charaktere, die beteiligten Länder und die Baufirma wenig mehr als Platzhalter – gerade konkret genug, um den Konflikt der Geschichte tragen zu können, gerade gewichtig genug, um dem Leser 192 Seiten lang als Anker zu dienen.

    Reicht das, um nicht nur stumpf zu belehren? Reicht es, um den Leser wirklich in die Geschichte zu ziehen, ihn gleichzeitig zu unterhalten und seinen Horizont zu erweitern?

    Ein weiter Horizont ist jedenfalls einer der ersten Eindrücke des Buches – gesehen aus der klaustrophobischen Enge der Fahrerkabine heraus. Es sind die Gedanken von Vier, die die Geschichte erzählen, und dieser Kontrast von Weite und Enge macht in vielerlei Hinsicht sein ganzes Wesen, sein ganzes Leben aus. Er schaut zwar voraus (räumlich und im übertragenen Sinne), stellt sich vor, was die Straße für die Menschen des Landes bedeuten wird – hinterfragt die politische Situation, die Absichten der Firma und die tatsächlichen Auswirkungen dabei jedoch kaum.

    Neun hingegen ist unberechenbar, sprunghaft, genussorientiert, für ihn gibt es scheinbar keinerlei Regeln oder Einschränkungen. Er eilt in der Geschichte so oft außer Sichtweite vorweg, existiert nur noch als Echo eines steten Grolls in den Gedanken von Vier, dass man glauben könnte, Neun sei lediglich dessen personifizierter Kontrapunkt.

    Passenderweise ist Vier in der Fahrerkabine an den schnurgeraden Weg der Maschine gebunden, während Neun wild und frei auf dem Motorrad voraus fährt. Bald kristallisiert sich (vorhersehbar) heraus, dass Vier und Neun sehr davon profitieren würden, sich beim jeweils anderen etwas abzuschauen. Gemeinsam ist ihnen ein sonderbarer Optimismus, dass diese Straße das Heil bringen wird.

    Beide Charaktere sind so überdeutlich gezeichnet, dass sie zu reinen Sinnbildern, zu Archetypen werden.
    Als Leserin konnte ich keinem der beiden zugestehen, hundertprozentig richtig zu handeln, weil sie ihre jeweiligen Lebensmodelle zu kompromisslos ausreizen – und dabei meist blind sind für die großen Fragen, die über ihren persönlichen Horizont hinausgehen.

    Ihre übersteigerten Eigenschaften und der Konflikt, der aus dem Zusammenstoß ihrer Persönlichkeiten entsteht, ergeben jedoch einen sehr lebendigen Nährboden, damit der Leser sich genau diese Fragen stellen und ein Stück weit beantworten kann.

    Die Sprache ist überwiegend knapp, dicht und sinnorientiert. Insofern entspricht sie genau dem Naturell von Vier und verfällt nur manchmal in erstaunlich altmodische, fast schon blumige Formulierungen. Vielleicht soll es dem Leser zeigen, dass auch hinter Viers rigidem Verhalten ein Mensch mit unerwarteten Eigenheiten und Vorlieben steckt – dass er sich vielleicht doch ein wenig des kindlichen Staunens bewahrt hat, das auch Neun antreibt.

    Die Geschichte verläuft so gradlinig wie die Straße – um dann doch mehrmals in unerwarteten Ereignissen auszubrechen.
    In diesen Brüchen entlädt sich das ganze Spannungspotential des Romans.

    Obwohl ich meist eine gewisse Distanz zu den Ereignissen und Charakteren empfand, verspürte ich doch einen enormen Drang, weiterzulesen und über das Gelesene nachzudenken. Dieser Drang wurde nur selten unterbrochen – nicht einmal in den Passagen, in denen die Handlung sich träge voranwälzt wie die Maschine. Die Stärke des Romans liegt meines Erachtens nicht in der konkreten Handlung von A bis Z, sondern in seinen Denkanstößen.

    Das Ende fegt die Erwartungen des Lesers dann gnadenlos vom Tisch. Das wirkt zunächst wie ein genialer Schachzug, am Schluss blieb für mich jedoch ein bitterer Beigeschmack bei dem Gedanken: ‘Aber das weiß ich doch schon.’

    Die neue Situation transportiert eine Botschaft, die man aus Büchern und Filmen kennt, die man sich aus der Realität schon tausendfach hergeleitet hat. So verpufft in meinen Augen ein Teil des Potentials, weil es im Verlauf der Geschichte aufgebaut, aber vom Ende nicht solide getragen wird.

    Dennoch: es ist auch so immer noch ein lohnender Roman, der Denkanstöße gibt.

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  1. Minimalismus in Perfektion. Das kann (nur) Eggers

    Handlung: Mit der modernsten Asphaltiermaschine, wo gibt, ausgestattet, asphaltiert und liniert Vier die Straße von Süden nach Norden in nur 10 Tagen, in einem rückständigen Land, in dem bis vor kurzem ein mörderischer Bürgerkrieg tobte. Man kennt seinen Namen nicht, denn Anonymität ist besser in diesem Land, falls man entführt würde oder dergleichen. Auch der Name seiner Firma ist nicht öffentlich geworden.

    Vier macht seine Arbeit, stoisch, und das ist gut. Aber bei diesem Einsatz, hat er Neun an seiner Seite. Und sein Kollege sorgt mit seiner Lebensfreude und seiner Menschenfreundlichkeit für unkalkulierten Ärger.

    Kommentar: Dave Eggers greift fast immer gesellschaftspolitisch relevante Themen auf. Man kann nicht sagen, dass sein neuestes „Werk“ eine literarische Offenbarung sei. Gar nicht. Die Sätze. Karg. Dem Gedankengang des Vier angepasst.

    Vier und Neun sind Platzhalter. Der eine steht fürs Pflichtbewusste. Fürs Ausführen ohne Nachfragen. Verlässlichkeit. Pragmatismus. Handlangertum. Und Geldverdienen. Der andere für den sogenannten Gutmenschen. Neugier, Menschenzugewandtheit. Optimismus, der bis zur Dummheit reicht.

    Das Ende ist folgerichtig. Man sieht es mit Grausen kommen.

    Der Roman ist toll. Gerade weil der Autor diesmal mit dem absoluten Minimalismus arbeitet. (Er kann auch anders). Seine Figuren. Reduziert. Sein Plot. Einseitig. Eintönig. Genau wie das Straßenbauprojekt. Das Ende. Folgerichtig.

    Fazit: Kleiner Roman über den Zustand der Welt. Klasse. Wie eigentlich immer bei Eggers. Chapeau!

    Kategorie: Gesellschaftspolitischer Roman. Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2020

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