Die neue Freundin

Buchseite und Rezensionen zu 'Die neue Freundin' von Ruth Rendell
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Inhaltsangabe zu "Die neue Freundin"

Diskussionen zu "Die neue Freundin"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:0
EAN:9783499427787

Rezensionen zu "Die neue Freundin"

  1. "Treffende" Krimikurzgeschichten und eine besondere Perle

    Ruth Rendell braucht nicht vorgestellt zu werden. Sie ist eine der bekanntesten Krimiautorinnen der Welt (auch unter ihrem Pseudonym Barbara Vine) und hinterlässt ein vielfach ausgezeichnetes Werk von riesigem Umfang. Ihr letztes Buch erschien 2015 kurz vor ihrem Tod - da war sie 85 Jahre alt. Die treue Fangemeinde in aller Welt sieht ihr vermutlich nach, dass ihr, besonders in ihrem Alterswerk, hin und wieder gepflegte Langeweile und auch schon mal ein Selbstplagiat unterlief.

    "Die neue Freundin" enthält elf Erzählungen von zehn bis sechzehn Seiten Länge. Die meisten sind Krimis; einmal geht es um zwanghaften Diebstahl, manchmal auch um Lebenslügen und weit zurückliegende Gewalttaten. Der Grund, warum ich das Buch hier vorstellen möchte, ist die letzte Geschichte "Die grüne Straße nach Quephanda", ein Nicht-Krimi.
    Der Ich-Erzähler hat einen Freund namens Arthur, der Fantasy-Romane schreibt. Obwohl die beiden eng befreundet sind, liest der Erzähler nie eines seiner Bücher. "Schon die Titel widerten mich an: Kallinarth der Wölkling, Der Herr von Quephanda, Der Lohn des Gralssuchers und so weiter." Elizabeth, die Gattin des Erzählers, liest dagegen mit liebevollem Interesse alle Bücher, die Arthur ihr errötend mit persönlicher Widmung überreicht. Der Erzähler (ich bin mir nicht sicher, ob er einen Namen hat; ich habe die Geschichte eben nur noch einmal quergelesen) vermerkt grimmig, dass Arthurs Bücher nie in der Literaturkritik auftauchen: "Wie es kommt, dass das Werk einiger Autoren der Aufmerksamkeit der Kritiker entgeht, ist ein Rätsel, doch selbstverständlich nimmt jeder an, sie hielten es für unter ihrer Würde, davon Notiz zu nehmen" stellt er fest und fährt fort, Arthurs Bücher seien in den Augen der Kritik "eine kommerziell motivierte Wiederholung seines letzten Buchs, (...) ein weiteres Werkstück profitbringender, trivialer Fließbandarbeit." Dass Arthur jedes einzelne seiner Werke mit Herzblut schreibt und mit geradezu leidenschaftlichem Ernst verteidigt, führt sogar bei Elizabeth schon mal zur Verstimmung: "Tolkien hätte nichts dagegen gehabt, wenn jemand einen kleinen Scherz über Frodo gemacht hätte ..."

    Ein einziges Mal, berichtet der Erzähler, wird eines von Arthurs Büchern einer offiziellen Literaturkritik gewürdigt: durch einen Kritiker, der mit dem Geständnis beginnt, "dass er normalerweise sein Farbband (wie er es ausdrückte) nicht an Science Fiction- und Fantasy-Mist verschwende, er finde jedoch, es sei höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen, das der Buchmarkt mit solchen Machwerken überschwemmt werde. Besonders nötig sei es in einem Fall wie diesem in dem über die Handlung ein Fluidum großer epischer Erzählkunst ausgebreitet werde ..." Ich denke, jeder Mitleser hier im Forum hat das einschlägige Regal im Buchladen sofort vor Augen. Die zitierte Buchkritik hat Folgen. Die Geschichte endet mit einem für Ruth Rendell ungewöhnlichen Dreh; wie gesagt handelt es sich nicht um einen Krimi.

    Wer - wie Ruth Rendell, wie sie immer wieder gern erzählt hat - die Londoner Gärten und Grünanlagen liebt, oder Gärten und Grünanlagen überhaupt, oder vielleicht einfach nur städtische Brachen (im Zeitalter der Gentrifizierung kleine Kostbarkeiten!), wird die Geschichte mit besonderem Genuss lesen. Sie zeigt nicht nur auf, dass man alles, auch die Literatur, von mindestens zwei Seiten aus betrachten kann, sondern hat auch eine zweite, sehr geschickt eingeführte und geradezu zauberhafte Ebene. Ob man hier "zauberhaft" mehr als "bezaubernd" oder mehr als "phantastisch" liest, mag jeder selbst entscheiden. Unter Ruth Rendells gigantischem Werk ist die Geschichte eine kleine Kostbarkeit, über die man lange nachdenken kann - sehr viel länger als die Geschichte selbst ist.

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