Die Nacht ist aus Tinte gemacht

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Nacht ist aus Tinte gemacht' von  Herta Müller
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Nacht ist aus Tinte gemacht"

Format:Audible Hörbuch
Seiten:0
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Rezensionen zu "Die Nacht ist aus Tinte gemacht"

  1. 5
    10. Feb 2021 

    Einblicke in Kindheit und Jugend der Literaturnobelpreisträgerin

    In "Die Nacht ist aus Tinte gemacht" erzählt die Berliner Schriftstellerin Herta Müller ihre Kindheit im rumänischen Banat. Aus dem Gespräch heraus, ohne Manuskriptvorlage, erzeugt ihre behutsam sich vorantastende Stimme eine dichte, spannungsreiche Atmosphäre, in der vor dem Ohr des Hörers eine Welt zum Leben erweckt wird, die nur noch in der Erinnerung existiert.

    Das Leben der Banater Schwaben in Nitzkydorf ist geprägt von bäuerlichen Bräuchen und harter Arbeit. Die Abgeschlossenheit dieses kleinen Kosmos bekommt durch den Schulbesuch erste Risse: Im ständigen Wechsel zwischen Dialekt, Hochdeutsch und Rumänisch entdeckt das Kind, dass die Sprachen ganz unterschiedliche Augen haben, mit denen je andere Dinge wahrgenommen werden können. Durch die Risse wird aber auch die Gewalt deutlicher erkennbar, die in den Körpern sitzt, derer sich die politischen Regime brutal ermächtigen. Für die 1953 Geborene sind die Folgen von Krieg, Deportation der Mutter in ein stalinistisches Straflager, Alkoholismus des Vaters und Enteignung der Familie alltäglich spürbar. So beschreibt Herta Müller ihre Kindheitsängste im Rückblick - als sie auf die Nachstellungen und Drangsalierungen durch den gefürchteten Geheimdienst Securitate zu sprechen kommt als Einübung in die spätere "Angst aus politischen Gründen". Angst, die in der Diktatur Ceausescus bewusst zum Machterhalt eingesetzt wurde.

    Der ungewöhnlich lange Klappentext fasst den Inhalt dieses ungewöhnlichen Hörbuchs sehr gut zusammen. Eine Stunde und 54 Minuten lang kann der Hörer der Stimme der Literaturnobelpreisträgerin (2009) lauschen, wie sie sich in Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend im Banat ergeht, einer historischen Region in Südosteuropa, die heute in den Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Herta Müllers damaliger Wohnort Nitzkydorf fiel später Rumänien zu, sämtlicher Privatbesitz wurde enteignet, die Drangsalierungen waren alltäglich.

    Aber auch vor diesen Veränderungen zeichnet sich durch die Stimme Herta Müllers eine Kindheit ab, die heute kaum noch vorstellbar ist - geprägt durch harte Arbeit, Disziplin und Einsamkeit. Faszinierend, wie viele Details von ihren damaligen tiefen Gedanken und Gefühle der Autorin noch erinnerlich sind. Es zeichnet sich ab, dass die hohe Sensibilität, der Wunsch des Hinterfragens, die bereits von Kindheit an stets begleitende Angst in Verbindung mit einem tiefen Verständnis für das Wesen der verschiedenen Sprachen sicherlich dazu beigetragen hat, dass Herta Müller ihren Ausdruck später als Schriftstellerin suchte.

    Weitestgehend chronologisch legt die Autorin hier ein Zeugnis ihrer Vergangenheit dar - nicht als Lesung, sondern im freien Vortrag, vermutlich als Antwort auf Fragen, die hier nicht mit aufgezeichnet wurden. Stellenweise kraftvoll, oftmals aber auch eher leidend und melancholisch lässt die Stimme den Hörer teilhaben an den Erinnerungen. Normalerweise würde mich solch ein an manchen Stellen nahezu depressiv klingender Vortrag stören - wenn man aber der Geschichte lauscht, ahnt man, auch wenn manches nur angedeutet wird, wie man auch auf den Gedanken an einen Suizid als Erlösung kommen kann.

    Ich war fast enttäuscht, als das Hörbuch beendet war. Es war ungemein interessant, in diesen fremden Kosmos einzutauchen, und tatsächlich bin ich nun wieder neugierig geworden auf die Werke Herta Müllers, obschon ich vor einigen Jahren mit 'Atemschaukel' so meine Probleme hatte...

    © Parden

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