Die Nacht brennt: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Nacht brennt: Roman' von Sarah Butler
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Nacht brennt: Roman"

Autor:
Format:Broschiert
Seiten:288
Verlag: Droemer TB
EAN:9783426304440

Rezensionen zu "Die Nacht brennt: Roman"

  1. "Stick war nicht tot, wie konnte Mac es da sein?"

    Die Geschichte beginnt und endet mit den Unruhen, die 2011 London und andere englische Städte erschütterten, ausgelöst vom Aufruhr nach der Erschießung eines jungen farbigen Mannes durch die Polizei. Was mit friedlichen Demonstrationen begann, breitete sich aus wie ein Buschfeuer und führte zu zügellosen Krawallen, Vandalismus und Plünderungen, die mit der Erschießung rein gar nichts mehr zu tun hatten. Vielerorts brannte die Nacht tatsächlich wortwörtlich.

    Ich fand sehr originell, wie die Autorin diese Unruhen als Hintergrund benutzt für die Geschichte eines zornigen Teenagers, der am liebsten die ganze Welt kaputtschlagen und die Ruinen dann noch abbrennen würde! Die Erschießung des jungen Farbigen interessiert ihn nicht die Bohne - in seinem Kopf und Herz ist nach der Ermordung seines besten Freundes kein Platz für Mitgefühl gegenüber einem Fremden. Nichts hat da mehr Platz außer qualvollem Verlust, ohnmächtiger Hilflosigkeit und rasendem Hass... Und der will raus, raus, raus.

    Das Buch ist hochspannend - ich habe es verschlungen! -, aber vor allem geht es an die Nieren. Man kann gar nicht anders, als mitzufühlen, denn die Autorin beschönigt nichts, sondern lässt den Leser alles ungefiltert miterleben.

    Im Mittelpunkt der Geschichte steht Kieran, der Stick ("Stock") genannt wird, weil er so dünn ist. Er lebt mit seiner Mutter in einer heruntergekommen Sozialsiedlung, in einer schäbigen kleinen Wohnung - während sein Vater mit seiner neuen Familie ein Bilderbuchleben in einer wohlhabenderen Gegend führt. Die Mutter leidet seit dem Tod von Sticks Schwester Sophie an Zwangsstörungen, und so muss er sich eher um sie kümmern als umgekehrt, was ihn heillos überfordert. Was er mit seiner Zukunft machen will, weiß er nicht, denn eigentlich will er nur weg hier, raus aus seinem verkorksten Leben.

    Stick macht es dem Leser oft nicht leicht, ihn zu mögen: Komasaufen, bedeutungsloser Sex auf versifften Kneipenklos, Kiffen und Aggression. Aber in seinem Umfeld ist das eigentlich total normal, denn auch seine Freunde sind zornige junge Menschen, die für sich keine Zukunft sehen. Da steckt ganz viel Sozialkritik drin, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Mir gefiel, wie schonungslos ehrlich und dennoch mitfühlend die Autorin die Jugendlichen beschreibt! Stick ist mir sehr ans Herz gewachsen, obwohl ich ihn manchmal gerne geschüttelt hätte - denn im Grunde ist er ein netter Junge, der es verdient hätte, mal ein bisschen Glück zu erleben.

    Über J erfährt der Leser nicht ganz so viel, denn sie schottet sich ab, spricht nicht gerne über sich, aber zwischen den Zeilen wird doch deutlich, dass ihr Familienleben auch nicht so rosig ist.

    Stick und J tragen beide viel emotionalen Ballast mit sich rum. Wahrscheinlich fühlen sie sich deswegen direkt voneinander angezogen, weil sie sich unbewusst ineinander wiedererkennen. Inmitten des ganzen Chaos ist ihre Beziehung überraschend zart und romantisch, aber nicht unproblematisch.

    Es gibt zwar nur wenige Sexszenen, aber für ein Jugendbuch fand ich die erstaunlich detailliert und direkt, und zum Teil eher nüchtern oder sogar abstoßend. (Wie schon gesagt, versifftes Kneipenklo...)

    Der Schreibstil ist vielfältig: mal knapp, nüchtern, emotionslos, sogar vulgär und ordinär, aber auch bildgewaltig, poetisch und atemberaubend gefühlvoll, pfiffig und witzig... Er bringt die verschiedensten Situationen glaubhaft rüber und bleibt dabei immer ganz nah dran an Stick und seinen widersprüchlichen, chaotischen Gefühlen - sie purzeln sozusagen ungefiltert aufs Papier, und das fand ich großartig, authentisch und überzeugend.

    Das Ende bleibt relativ offen. Erst ganz zum Schluss trifft Stick eine Entscheidung, die den Grundstein für etwas Neues legt - aber was das genau sein wird, das erlebt der Leser nicht mehr mit. Das kann man mögen oder nicht, und ich musste auch erst darüber nachdenken, fand es dann aber passend.

    Fazit:
    "Die Nacht brennt" ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt und zum Mitfühlen auffordert, auch wenn sein zorniger junger Held es einem ganz und gar nicht leicht macht. "Stick" ist ein Teenager aus einem sozial schwachen Milieu und einer kaputten Familie, mit einer psychisch erkrankten Mutter - und jetzt muss er auch noch mit der Ermordung seines besten Freundes klarkommen. Dummerweise haben seine Eltern ihm keine vernünftigen Problemlösungsstrategien vorgelebt, und so versucht er es mit Alkohol, Drogen und blinder Zerstörungswut.

    Bei aller Sozialkritik ist das Buch aber auch spannend und unterhaltsam, mit lebendigen Charakteren und einem Schreibstil, der die Emotionen gut rüberbringt. Die Autorin drückt nicht künstlich auf die Tränendrüse, aber Sticks Trauer ist oft einfach so echt, dass mir die Tränen kamen.

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