Die Molche: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Molche: Roman' von Volker Widmann
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Molche: Roman"

Ein bayerisches Dorf im Nachkriegsdeutschland: Als Zugezogener hat der 11-jährige Max es schwer, Freunde zu finden. Daher sind er und sein verträumter Bruder die idealen Opfer für eine Bande derber Dorfjungen. Und so schauen alle zu, wie Max’ Bruder eines Tages in die Enge getrieben wird, der Erste einen Stein wirft, dann ein Stein nach dem anderen fliegt. Der Junge stirbt. Auch Max hat zugesehen und aus Angst nicht geholfen. Von den Erwachsenen wird die Tat schnell als Unfall abgetan Wieder ist Max, der mit niemandem über seine Einsamkeit und die Quälereien sprechen kann, mit seinen Gefühlen allein. Wie die anderen Kinder versteht auch Max die Erwachsenen nicht: die tüchtigen Mütter, die unnahbaren Väter, ihre unberechenbare Härte gegenüber den Kindern, ihr Schweigen, wenn es um die Vergangenheit geht, ihr Wegschauen bei Konflikten. Geplagt von seiner Schuld und dem Schmerz über den Verlust seines Bruders, flüchtet er sich in seine Streifzüge in die Umgebung des Dorfes, in seine Beobachtungen der Natur, deren Schönheit ihm Trost spendet. So wie die Molche. Seine Entdeckungen lenken Max ab, bis er schließlich doch zwei Freunde findet – und Marga. Gemeinsam beschließen sie, gegen die Bande vorzugehen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
EAN:9783832181727

Rezensionen zu "Die Molche: Roman"

  1. "...Kinder können grausam sein..." (Liedzeile von L. Valeitis)

    Klappentext:

    „Ein bayerisches Dorf im Nachkriegsdeutschland: Als Zugezogener hat der 11-jährige Max es schwer, Freunde zu finden. Daher sind er und sein verträumter Bruder die idealen Opfer für eine Bande derber Dorfjungen. Und so schauen alle zu, wie Max’ Bruder eines Tages in die Enge getrieben wird, der Erste einen Stein wirft, dann ein Stein nach dem anderen fliegt. Der Junge stirbt. Auch Max hat zugesehen und aus Angst nicht geholfen. Von den Erwachsenen wird die Tat schnell als Unfall abgetan. Wieder ist Max, der mit niemandem über seine Einsamkeit und die Quälereien sprechen kann, mit seinen Gefühlen allein. Wie die anderen Kinder versteht auch Max die Erwachsenen nicht: die tüchtigen Mütter, die unnahbaren Väter, ihre unberechenbare Härte gegenüber den Kindern, ihr Schweigen, wenn es um die Vergangenheit geht, ihr Wegschauen bei Konflikten. Geplagt von seiner Schuld und dem Schmerz über den Verlust seines Bruders, flüchtet er sich in seine Streifzüge in die Umgebung des Dorfes, in seine Beobachtungen der Natur, deren Schönheit ihm Trost spendet. So wie die Molche. Seine Entdeckungen lenken Max ab, bis er schließlich doch zwei Freunde findet – und Marga. Gemeinsam beschließen sie, gegen die Bande vorzugehen.“

    „Die Molche“ wurde von Volker Widmann verfasst. Die Geschichte rund um Max ist eine kleine Zeitreise. Nicht nur geschichtlich sondern auch in jede Kinderseele von uns. „Kinder können grausam sein“ - eine Liedzeile aus einem Schlager die hier mehr als treffend ist aber eben nicht die beleuchtet, die eben (gezwungener Maßen) Zuschauer waren bei Gräueltaten und damit nicht umgehen können. Max‘ Geschichte geht einen ans Herz aber richtig emotional wird die Geschichte leider nicht. Alles bleibt irgendwie auf Distanz und ehrlich gesagt, fand ich das nicht so recht passend. Gerade hier sucht man eine gewisse Emotionen-Lage. Die Geschichte wird ruhig erzählt vom Autor und das passt auch - der Inhalt ist bereits schon viel zu heftig um auch noch im Erzählen aufs Gaspedal zu drücken. Sein ganz eigener Sprachstil versuchte hier den Leser einzunehmen. Manches Mal gelang es aber oft verliert er sich in zu vielen Phrasen oder Nichtigkeiten. Selbstredend war die Zeit schwer für alle. Egal ob für die Erwachsenen, die mit den Folgen des Krieges noch mehr als beschäftigt waren oder eben auch die Kinder und ihre ganz eigene Entwicklung. Alles unter einen Hut zu bringen war sicherlich nicht einfach und schlussendlich fehlt mir das in der Geschichte. Als Leser ist man hier gefordert selbst viel darüber nachzudenken, oft bleibt das auch unweigerlich gar nicht aus. Irgendwie fehlte mir hier das i-Tüpfelchen der Geschichte und deshalb vergebe ich 3 von 5 Sterne.

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  1. "Ich weinte über diese entsetzliche Welt"

    Anfang der 1960er-Jahre sieht sich der elfjährige Max in einem bayrischen Dorf einer älteren Jungenbande ausgesetzt, die vom äußerst gemeinen und gewalttätigen Tschernik angeführt wird. Als die Jungen mit Steinen bewaffnet Jagd auf Max' ein Jahr jüngeren Bruder machen, kommt es zur Katastrophe. Wie geht ein Kind damit um, wenn es seinen Bruder sterben sieht, weil es selbst nicht rechtzeitig eingegriffen hat? Wie lebt und überlebt es mit dieser Schuld in einer Welt voller schweigender und kriegstraumatisierter Erwachsener? Darüber schreibt Volker Widmann in seinem wunderbar gelungenen Debütroman "Die Molche".

    Es ist ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Coming-of-Age-Roman geworden und ein äußerst wertvoller neuer Beitrag zu diesem ja doch recht umfangreichen Genre. Denn Widmanns Debüt ist alles andere als gefällig und wird die Leser:innen mit Sicherheit stark polarisieren.

    Über jeden Zweifel erhaben dürften zunächst einmal die zahlreichen Beschreibungen sein, in denen Widmann vor allem in Naturszenen sein großes Können entfaltet. Farben, Gerüche, Geräusche - so bildhaft, poetisch und malerisch hat zuletzt wohl Florian Knöppler im ebenfalls großartigen "Kronsnest" geschrieben. Ich-Erzähler Max nimmt sein Umfeld mit einer so großen Intensität wahr, dass ich als Leser das Gefühl hatte, teilzuhaben am Gang über "zerbrechende Kiefernnadeln" und bei der Beobachtung "einer männlichen Zauneidechse im grünen Hochzeitskleid". Ich spürte die klirrende Kälte beim Schlittenfahren und hörte die zirpenden Grillen in der Sommerhitze. Allein dieses bildhafte Erzählen macht "Die Molche" zu einem Ereignis, das weit über den gewöhnlichen Entwicklungsroman hinausgeht.

    Doch Widmann verlässt sich nicht allein auf die Schönheit der Sprache und polarisiert im starken Kontrast dazu nicht nur mit ungewöhnlich harten Szenen wie der Ermordung des Bruders, die bereits im ersten Kapitel ein früher Schock für die Leserschaft ist und sie recht unvermittelt aus der gepolsterten Lesekomfortzone reißt oder dem ungeschönten Schlachten eines Schweines. Auch die Sprache der Kinder gleitet mitunter ins Derbe ab, gerade wenn es ums sexuelle Erwachen geht, das in "Die Molche" einen ungewöhnlich großen Raum einnimmt.

    So präsentiert sich der elfjährige Max doch recht frühreif, und insbesondere die sexuell expliziten Szenen mit der etwas älteren Ellie könnten einigen Leser:innen anstößig vorkommen. Letztlich wirkten sie auf mich aber konsequent, denn die Welt von Max und seinen Freunden und Feinden ist eine Welt, in der die Kinder viel zu früh erwachsen werden müssen, weil die Erwachsenen selbst - wenn überhaupt - nur körperlich anwesend sind. Wenn die Väter noch leben, sind sie gewalttätige kriegstraumatisierte Schweiger, die ihren Kindern beim Erwachsenwerden ebenso wenig eine Unterstützung sind wie die Mütter, die sich mehr oder weniger ihrem Schicksal der verwundeten Familie ergeben. So glauben die Erwachsenen beispielsweise, dass Max' Bruder seinem schwachen Herzen zum Opfer gefallen ist, während jedes Kind die Wahrheit kennt.

    Diese frühe Reife drückt sich auch im Wortschatz und Verhalten der Kinder aus, wodurch ich manchmal den Eindruck bekam, es würde nicht authentisch erzählt. Doch aufgrund des stimmigen Gesamtkunstwerks störte mich dies mit der Zeit gar nicht mehr.

    Die stärkste Szene des gesamten Romans ist gleichzeitig die Schlüsselszene, der das Buch seinen Namen zu verdanken hat. Ab Seite 96 gibt sich Max auf mehreren Seiten komplett der Natur hin, man bekommt sogar den Eindruck, als verschmelze er mit ihr. Es ist eine hinreißende, fast kontemplative Szene, die wohl niemand so schnell vergessen wird, der sie gelesen hat. In meinen Augen ist es eine der bemerkenswertesten Szenen überhaupt, die ich in den vergangenen Jahren lesen durfte und ich kam nicht umhin, sie gleich mehrfach genießen zu wollen. Die Molche, die Max in dieser Szene findet, werden nicht nur Max' Leben ändern, sondern treiben auch den Roman in eine andere Richtung, die bisweilen an einen sehr guten Jugendroman erinnert - wenn da nicht immer wieder diese eingestreuten Derbheiten wären. "Ich weinte, wie ich noch nie in meinem Leben geweint hatte, weinte erst jetzt um meinen Bruder, und ich weinte über diese entsetzliche Welt", heißt es am Ende dieser eindringlichen Szene, die so bedrückend wie befreiend auf alle Beteiligten inklusive der Leserschaft wirkt.

    Eine Kuriosität, die der Roman nicht unbedingt benötigt hätte, erlaubt sich Volker Widmann zwar noch, indem er völlig unvermittelt in gerade einmal etwas mehr als zwei Kapiteln die Ich-Perspektive wechselt und anstelle von Max wie aus dem Nichts die gleichaltrige Marga erzählen lässt. Doch bei all den Stärken, die das Buch ansonsten aufweist, fiel diese Tatsache bei mir nicht besonders schwer ins Gewicht.

    Volker Widmanns Debütroman "Die Molche" ist ein bemerkenswert mutiger Coming-of-Age-Roman, der in seiner Mischung aus wunderschönen Naturbeschreibungen, gewalttätigen Szenen und sexuellen Derbheiten wahrscheinlich nicht den Nerv aller Leser:innen gleichermaßen treffen wird. Doch in meinen Augen riskiert Widmann damit zwar viel, gewinnt aber gleichermaßen auf ganzer Linie. Für mich war es eine melancholische Reise in die Kindheit, in der man Schönes und Schreckliches gleichermaßen intensiv empfindet, wie man es im späteren Leben nie wieder tun wird. Ein hinreißendes Buch, dem ich viele Leser:innen wünsche.

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  1. Erwachsenwerden im Schatten des Krieges

    Der 11-jährige Max lebt Anfang der 1960er Jahre mit seiner Familie in einem bayrischen Dorf. Als Zugezogene haben er und sein verträumter Bruder bei der Dorfjugend einen schweren Stand und werden regelmäßig Opfer von Attacken des Jugendlichen Tschernik mit seiner Gang. Eines Tages eskaliert die Gewalt: Max sensibler Bruder wird gejagt, eingekesselt und mit Steinen erschlagen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche werden Zeuge dieser grausamen Tat. Es schaudert mich, dass nicht ein Beobachter darüber mit seinen Eltern spricht. Die Erwachsenen reden vom schwachen Herzen und von der labilen Gesundheit des Opfers… Noch immer scheint eine Kultur des (Ver-) Schweigens vorzuherrschen.

    Max hat nicht eingreifen können, er fühlt sich schuldig am Tod seines Bruders, der ihm immer ein treuer Freund gewesen ist und ihm auch weiterhin sehr präsent bleibt. Diese Verlassenheit und Trauer wird ungemein empathisch dargestellt. Niemandem kann sich Max anvertrauen, nun ist er allein. Er findet Ruhe und Linderung seines Schmerzes in der Natur, geht regelmäßig auf Entdeckungstouren, erfreut sich an der vielseitigen Tier- und Pflanzenwelt, die uns der Autor in wunderschönen poetisch-naturalistischen Beschreibungen nahebringen kann. Er spielt dabei mit Licht und Schatten, riecht, fühlt und schmeckt; webt also umfassende Sinneserfahrungen ein. Die überaus bildliche Sprache ermöglicht dem Leser ein intensives Eintauchen in die scheinbare Dorfidylle, lässt eventuell Szenen der eigenen Kindheit auf dem Land wieder auferstehen: die zahlreichen kleinen Höfe mit Milchwirtschaft, Pferdefuhrwerke, Hausschlachtung, Sonntagsschule, erste Telefone mit Wählscheibe, Dampflokomotiven und Bonanza am Sonntagnachmittag… Atmosphäre schaffen kann der Autor erstklassig: Egal ob verwunschener Park, verlassenes Gebäude, Wald oder romantischer Weiher – alles entsteht in des Lesers Vorstellung, weil sämtliche Sinne eingebunden werden. Doch auch die Schattenseiten der Nachkriegskindheit werden deutlich: „Die müssen irgendwas gemacht haben, zusammen, Männer wie Frauen, irgendwas Furchtbares.“ „Und das platzt dann aus ihnen raus, wenn sie dich prügeln. Dann können sie nicht mehr aufhören.“ (S.132) – Gewalt in der Schule, Gewalt im Elternhaus. Schweigen. Der Krieg wirkt auf vielen Ebenen noch nach.

    Erzählt wird aus kindlicher Perspektive, meistens aus der von Max. Den harmonischen Szenen in der freien Natur stehen Max´ Demütigungen gegenüber. Immer wieder wird er drangsaliert und gepeinigt. Tschernik ist nichts heilig, um anderen wehzutun. Erst als Max sich mit Marga, Heinz und Rudi anfreundet, die ebenfalls unter Tscherniks Gang leiden, scheint ein Ende der Repressalien in Sicht. Die neuen Freunde stellen fest, dass man in Gemeinschaft nicht nur Abenteuer erleben kann, sondern zusammen auch stärker ist und dem Feind entgegentreten kann. Ein Widerstand formiert sich.

    Während der Roman hochdramatisch beginnt, kommt die Handlung schnell in ruhigere Fahrwasser. Man solidarisiert sich mit dem ruhigen, einsamen Max, begleitet ihn auf seinen Erkundungstouren und freut sich, als er endlich Anschluss zu Gleichaltrigen bekommt. Erwachsene spielen kaum eine Rolle, positive männliche Vorbilder lässt die Zeit nicht zu. Auch wenn die Schilderung der meisten Erlebnisse sehr authentisch gelingt, wirkt der weitere Handlungsablauf auf mich doch ziemlich vorhersehbar. Natürlich darf in einem klassischen Entwicklungsroman auch das sexuelle Erwachen des Protagonisten nicht fehlen. Die Erlebnisse an sich mögen glaubwürdig geschildert sein, allerdings halte ich sie im Alter von 11 Jahren für reichlich verfrüht, noch dazu in den 1960er Jahren. Gleichfalls störe ich mich in dem Zusammenhang an Vokabeln wie Möse oder Fotze, während auf der Gegenseite von Zipfel die Rede ist, was auf mich kindgerechter wirkt. Insgesamt wirken die meisten halbwüchsigen Charaktere für ihr Alter sehr reif und abgeklärt, was aber auch der Zeit geschuldet sein könnte.

    Die Stärke des Romans liegt eindeutig im Atmosphärischen. Wer Entwicklungsromane liebt, wird in diesen wunderbar eintauchen können. Der poetische, verschachtelte Schreibstil liest sich wunderbar. Die Nachkriegskindheit mit Licht- und Schattenseiten wird veranschaulicht, immer wieder erinnern kleine Episoden an diesen bedrückenden Hintergrund. Mir hat noch ein bisschen was Besonderes gefehlt, ein bisschen weniger Sexualität und mehr Überraschungen vielleicht. In der zweiten Hälfte hat mich die Geschichte deshalb nicht mehr völlig erreichen können. Dennoch hoffe ich, dass Volker Widmann weitere Romane schreiben wird. Denn Schreiben kann er wirklich gut.

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