Die Möglichkeit von Glück: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Möglichkeit von Glück: Roman' von Anne Rabe
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3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Möglichkeit von Glück: Roman"

In der DDR geboren, im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Als die Mauer fällt, ist Stine gerade einmal drei Jahre alt. Doch die Familie ist tief verstrickt. In ein System, von dem sie nicht lassen kann, und in den Glauben, das richtige Leben gelebt zu haben. Bestechend klar und kühn erzählt Anne Rabe von einer Generation, deren Herkunft eine Leerstelle ist. Stine kommt Mitte der 80er Jahre in einer Kleinstadt an der ostdeutschen Ostsee zur Welt. Sie ist ein Kind der Wende. Um den Systemwechsel in der DDR zu begreifen, ist sie zu jung, doch die vielschichtigen ideologischen Prägungen ihrer Familie schreiben sich in die heranwachsende Generation fort. Während ihre Verwandten die untergegangene Welt hinter einem undurchdringlichen Schweigen verstecken, brechen bei Stine Fragen auf, die sich nicht länger verdrängen lassen. Anne Rabe hat ein ebenso hellsichtiges wie aufwühlendes Buch von literarischer Wucht geschrieben. Sie geht den Verwundungen einer Generation nach, die zwischen Diktatur und Demokratie aufgewachsen ist, und fragt nach den Ursprüngen von Rassismus und Gewalt.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
Verlag: Klett-Cotta
EAN:9783608984637

Rezensionen zu "Die Möglichkeit von Glück: Roman"

  1. Vom ewig Gestrigen

    Kurzmeinung: Man liest dieses Buch leicht weg, aber es ist keine Freude, es fehlt zu viel, Reflexionen, Ideen, Gestaltungsspielraum.

    - Stine, die Erzählerin, wird 1986 in Ostdeutschland geboren. Als die beiden Deutschlands ein einziges gemeinsames Deutschland werden, ist sie folglich drei Jahre alt. Trotz des folgenden gesellschaftlichen Umbruchs leben ihre Eltern und Großeltern und viele in ihrer Umgebung gedanklich weiterhin in der „alten Zeit“.
    - Stine lebt in einer gestörten Familie. Ihre Mutter ist eine Sadistin, die ihre Kinder misshandelt, ihr Vater ein schwacher Mensch, der sich selten gegen die Mutter stellt; aber da und dort steht er den Kindern bei, zu selten, um eine glückliche Kindheit zu gewährleisten.
    - In der Schule ist Stine eine Aussenseiterin. Sie benutzt die erste Gelegenheit, die sich bietet, um zu entkommen, mit 21 ist sie bereits mit dem ersten Kind schwanger.

    Zu den Großeltern mütterlicherseits hat sie das einzige wirklich gute Verhältnis innerhalb der Familie, abgesehen von ihrem kleinen Bruder Tim. Als sie selber Kinder hat, beginnt sie, sich für das Leben ihres Großvaters Paul zu interessieren. Kann es sein, dass er ein ganz anderer Mensch gewesen ist, als den sie ihn wahrgenommen hat und kann es sein, dass Pauls Wahrheiten grotesk sind, zum Beispiel diese, „ein Staat hat das Recht, seine eigene Grenze zu schützen, notfalls auch mit Gewalt“. Das ist ein Narrativ, das sie noch als junge Erwachsene als gottgegeben hingenommen hat, ohne zu realisieren, dass Opa Paul es richtig findet, dass auf DDR-Flüchtlinge geschossen wurde.

    Die Aktenlage zu Opa Paul, früh verstorben, ist mickrig, es gibt keine Stasi-Unterlage über ihn, dennoch wurde er von der DDR mehrfach mit Orden ausgezeichnet, wie Stine zu ihrem Erstaunen herausfindet. Natürlich sind die Orden verschwunden und Opa Paul beklagt sich, dass seine Rente als „staatsnaher und staatstragender Bürger der DDR“ von den Verwaltung der BRD gekürzt wird. Er war das nicht. Nicht staatstragend. Eigenbild und Fremdbild voneinander abweichend.

    Der Kommentar:
    Die Spurensuche Stines, die dem unsichtbar gemachten Leben ihres Opas nachspürt und es ans Tageslicht holt, erinnert eins zu eins an die Spurensuche, die Menschen im Westen vorgenommen haben, als sie herauszufinden versuchten, was ihre Eltern/Großeltern im Zweiten Weltkrieg gemacht haben. Denn ganz Deutschland wimmelt/e von Opfern, Täter will keiner gewesen sein. In der DDR und in der Nach-DDR war und ist es natürlich genau so. Ein Heer von Opfern, keine Täter weit und breit. Und immer fragen sich die Nachkommen, warum sie nicht Verdacht schöpften und rechtzeitig einige prekäre Fragen gestellt haben!
    Das ist nichts Neues! Ja, es ist sogar ewig gestrig und rückwärtsgewandt. Insofern langweilt mich auch die per se berechtigte Aufarbeitung Anne Rabes durch ihre Protagonistin Stine. Sie kommt einfach viel zu spät damit rum. Das Thema ist gegessen.

    Und während Stines hartnäckige Nachforschungen schließlich zum Erfolg führen „Opa Paul hat viele Leben geführt“, bleibt die Bewältigung des engeren Familiendramas auf halber Strecke stecken. Es gibt keine andere als eine rein gedankliche Auseinandersetzung mit der noch lebenden Mutter, Vatern bliebt sowie so ausgespart. Noch immer fürchtet die erwachsene Stine ihre Mutter. Sie ist einer persönlichen Konfrontation nicht gewachsen. Dabei wäre genau dieser Konflikt der interessante gewesen.
    Überhaupt setzt sich Stine kein bisschen mit sich selbst auseinander. Hat sie sich doch als Jugendliche selber Schmerzen zugefügt, um alles aushalten zu können. Macht sie eine Therapie? Bekommt sie sich selbst und ihre Probleme unter die Füße? Das weiß man nicht.
    Statt dessen zählt die Autorin auf, was ihr zum Thema Gewalt an Schulen, an Gewalt an Kindern durch Kinder einfällt, also alles das, was wir in der Zeitung lesen. Amokläufe, Misshandlungen, etc. pp. Alles ganz schlimm, ja. Aber was will Stine damit sagen beziehungsweise Anne Rabe? Dass die Gewalt im Kleinen beginnt oder – bei den Kleinen? Dass zu allen Zeiten zu allen Gräueltaten geschwiegen wird? Obwohl es so viel besser wäre, hinzuschauen und Gewalt als Vorkommnis Gewalt zu thematisieren? Don’t know.

    Der Roman hätte sicherlich einiges an Schwung bekommen, wenn die Mutter von Stine und Tim selber etwas hätte sagen dürfen. Wenn wir als Leser auch in deren Haut hätten schlüpfen können. Oder in den des schweigenden Bruders? Oder in den der misshandelten Ehefrau eines Onkels? Die Stimme Stines als einzige Erzählstimme reißt mich einfach nicht vom Hocker. Zwar versucht, Stine zu verstehen, aber letztlich ist alles Erzählte Stines Bewertungen unterworfen.

    Thematisch ist das Buch uninteressant: Was interessierts mich, ob Stines Opa, der war, der er vorgab zu sein?
    Die Quintessenz, dass es nachher keiner gewesen sein will, ist nicht neu. Das Täterprofil von Opa Paul auch nicht. „Die Täter sind mitten unter uns.“ Klar, so ist das! Nur ist diese Erkenntnis kalter Kaffee. So war es im Westen, das ist bekannt.
    Es überrascht doch nicht, dass es im Osten genau so gewesen ist. Und überall so ist.

    Fazit: Der Roman „Die Möglichkeit von Glück“ bleibt gedanklich irgendwo in der Vergangenheit stecken, da fehlt die Line in die Zukunft. Es ist mir auch zuviel an Lamento und es fehlt Schwung und Zug.

    Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
    Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2023
    Verlag, Klett-Cotta 2023

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