Die Meerjungfrau von Black Conch: Roman

Der junge Fischer einer Südseeinsel - David Baptiste - entdeckt eines Tages in den 1970erJahren eine Meerfrau im Wasser und ist hingerissen, aber äußerst vorsichtig. Bei einem späteren Angelwettkampf wird die Meerfrau unglücklicherweise von anderen Männern gefangen und soll als geldeinbringende Trophäe herhalten. David kann sie retten und vorerst verstecken. Dann jedoch beginnt eine folgenschwere Verwandlung...
Diese Märchenadaption von Monique Roffey - eingebettet in die heutige Zeit - quillt über vor Poesie, sprachlichen Besonderheiten, allerlei Fragen zu Herkunft, Fremdsein/Andersartikeit, Rassismus, Feminismus, Veränderung, Vergebung, Selbstfindung... und ganz besonders vor Zärtlichkeit.
Je nach Erzähler*in lesen wir in einem anderen Sprachstil: teilweise ist es eine Art Südseedialekt, der schon recht eigenartig daherkommt oder es sind Verse, wenn die jahrhundertealte, von einem alten Fluch belegte Meerfrau Aycayia erzählt. Wir treffen im Roman ganz nach Märchen-Manier auf "gut" und "böse", es weichen aber auch Grenzen auf, und nicht zuletzt nimmt Mutter Natur eine große Rolle ein und führt erneut vor Augen, wie kraftvoll sie ist.
Dieser Roman ist für mich ein Glücksgriff - in seiner Kürze so intensiv und liebenswert, kritisch und märchenhaft zugleich. Und sprachlich einfach bezaubernd. Diesen Roman geb ich nicht mehr her ;)
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei manchen Büchern weiß man schon vorher, dass sie genau das Richtige sein werden. Für die Stimmung, für genau den Augenblick, für die Jahreszeit. So war es auch bei Monique Roffeys Meerjungfrauenbuch. So schön, so ungewöhnlich, so leicht, so freudig, so poetisch, dennoch traurig: süß und bitter zugleich. Als hätte Frau Roffey daneben gesessen und den Protagonisten über die Schulter geschaut und jeden Moment genauso eingefangen, wie er passiert ist.
Ich konnte kaum glauben, dass es nur eine ausgedachte Geschichte ist, so glaubhaft und realistisch kommt alles rüber. Fein aufgehangen an einem dicken roten Faden, wie man es leider nur zu selten findet. Ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, habe mit David und Aycayia auf ein gutes Ende gehofft und gebangt, als die Grausamkeiten am schlimmsten waren.
Zum Inhalt: David, der junge karibische Fischer, fährt oft mit seiner Piroge, der Simplicity, aufs Meer hinaus, zum Fischfang und zum Gitarre spielen. Die Musik lockt eine Meerfrau an, Aycayia. Sie wurde einst von den eifersüchtigen Frauen ihres Taino-Stammes verflucht, weil sie so wunderschön war und die Frauen Angst um ihre Männer hatten. Ihre vielen Schwestern kamen um und konnten ihr nicht mehr helfen. So musste sie jahrhundertelang als Halbe-Halbe ihr Dasein im Meer fristen. Als David die Wasserfrau bemerkt, „zitterte ihm der Magen vor Begehren und Angst und Erstaunen.“ (Seite 10)
Etwa vierzig Jahre später schreibt David diese Vorfälle in seinem Tagebuch auf, was eben damals, 1976, alles passierte. Diese Tagebucheinträge durchziehen das Buch ebenso, wie Aycayias „Gesänge“, die in Versen ihre Empfindungen mit uns teilt. Aber es kommen noch viele Protagonisten zu Wort: Die Bösen in Form von geldgeilen Jägern, die nur an ihre Trophäe denken und für die Empathie ein absolutes Fremdwort ist. David allerdings hat mehr Freunde, als er dachte, und die verfügen über jede Menge Zivilcourage.
Flora und Fauna auf dieser Insel und im Meer werden so eigenwillig beschrieben, dass nicht nur die Geräusche der Brüllaffen hinter den riesigen Feigenbäumen aus dem Urwald förmlich aus den Seiten gellen. Und die Substanz der Gebäude gerät durch Rosamund in Gefahr, „den schlimmsten Sturm, der im zwanzigsten Jahrhundert in den Kleinen Antillen gewütet hatte […]“ (Seite 231)
Monique Roffey hat eine ganz eigene Sprache entwickelt, „um eine vor Jahrhunderten Vertriebene in der Karibik in unsere moderne Welt zu integrieren.“ (Aus dem Nachwort der Autorin, Seite 235) Auch die Übersetzerin Gesine Schröder hat ganze Arbeit geleistet, um diesen Stil ins Deutsche zu transformieren. Und das ist so fantastisch gelungen, dass mir dieses moderne Märchen noch ganz lange im Kopf bleiben wird.
Allerdings: Das Cover der Originalausgabe fand ich treffender als dieses bunte.
Fazit: Die Flucht aus unserem krisengeschüttelten Alltag gelingt gerade mit diesem Buch besonders gut, weil es spannendes Kopfkino der besonderen Art entstehen lässt, wie es bei mir leider nur ganz selten beim Lesen so zustande kommt. Vergebe fünf voll verdiente Sterne.
Ein Märchen, komplett aus der Zeit gefallen und trotzdem fest in der Zeit verankert!
Den Mythos der Meerjungfrauen gibt es offenbar überall: die schöne Lau, die griechischen Nereiden und Sirenen, Undine, Melusine, Nixen und so fort - und hier ist es ein Mythos aus der Karibik, und auch hier wird er eng verbunden mit dem Motiv der Erlösung.
Mit verschiedenen Erzählerstimmen wird die bittersüße Liebesgeschichte zwischen dem Fischer David und der Meerfrau erzählt. Diese Erzählstimmen sind wiederum auf verschiedenen zeitlichen Ebenen verankert, was der Geschichte eine Art Zeitlosigkeit verleiht, passend zum Mythos. Einmal ist es David selber, der sich in Form eines Tagebuches an diese wichtigste Episode seines Lebens erinnert. Dazu kommt der auktoriale Erzähler, der aber immer wieder, auch sprachlich, in die Köpfe seiner Protagonisten schlüpft – und schließlich die Meerfrau selber, die liedartig die Geschichte ihrer Verfluchung und ihrer jahrhundertelangen Verbannung erzählt.
Das hört sich kompliziert und schwierig an, ist es aber nicht. Die Autorin entwickelt trotz des märchenhaften Stoffes eine absolut logische Geschichte, der man spannend und mit großer Teilnahme folgt. Sie entwirft Bilder, die ausgesprochen anrührend sind, wie z. B. das Bild des Fischers, der mit seinem Gesang die Meerfrau anlockt und erschrickt über dieses mächtige und bedrohliche Wesen, das da vor ihm aus dem Wasser aufsteigt. Daneben stehen sehr machtvolle Bilder wie die Beschreibung des Hurricans, den die Geister der Ahnen entfesseln und mit dem sie die Meerfrau erneut in die Verbannung zwingen.
Mit der Liebesgeschichte verknüpft werden die wechselvolle Geschichte der Insel, das Schicksal der Ureinwohner und die allgegenwärtigen Themen Rassismus, Korruption u. a. Diese Verbindung erfolgt mit einer unglaublichen Leichtigkeit. Nichts wirkt aufgesetzt oder schwerfällig.
Die Sprache des Romans ist zunächst gewöhnungsbedürftig. Die Figuren sprechen ihr verschliffenes Kolonial-Englisch, und auch der Erzähler rutscht in seinen inneren Monologen in diese Sprache hinein. Diese besondere Sprache lässt die Figuren aber authentischer wirken, und auch die märchenhafte Geschichte wird dadurch fest in der Jetzt-Zeit verankert.
Ein ganz wunderbarer, mitreißender und außergewöhnlicher Roman über eine bittersüße große Liebe!
Mythe trifft auf die Realität
"Die Meerjungfrau von Black Conch" von Monique Roffey war ein interessantes und auch ein außergewöhnliches Buch. Das etwas märchenhafte Thema der Meerjungfrau trifft auf die vorkolumbische Geschichte der Karibik, beides prallt auf die Jetztzeit mit den heutigen Problemen und eine gehörige Prise Feminismus würzt und wertet dieses Buch nochmals auf, so dass für mich keine andere Wertung als 5 satte und volle Sterne möglich erschien. Denn dieses Außergewöhnliche in der Mischung der Thematiken hat etwas durchaus Reizvolles und lässt dieses Buch dadurch bei mir bleiben. Die Taino-Geschichte ließ mich aufhorchen, sind doch die einstigen Bewohner der Amerikas schon lange in meinem Fokus. In der Taino-Thematik das Meerjungfrauen Thema unterzubringen, ist richtig interessant. Denn bisher dachte ich immer, wenn ich von der Meerjungfrau hörte, zuerst an Hans Christian Andersen. Ob sich das jetzt ändert, weiß ich noch nicht. Aber die Geschichte von Monique Roffey transportiert eine ähnliche tiefe und berührende Traurigkeit. Denn auch hier gibt es zwei Liebende, David und Aycayia, und zwei nicht zueinander passende Welten, eigentlich sogar drei nicht zueinander passende Welten, die Taino-Welt, die Meereswelt und die Jetztzeit. Dazu gruppiert sich noch der Rassismus, die menschliche Gier, der Neid, der Hass und das Thema Frauenrechte und fertig ist eine einzigartige Geschichte, die mich vollkommen verzaubert zurücklässt. Diese Thematiken derartig stimmig zusammen zu bringen ist eine gewaltige Leistung in meinen Augen. Denn diese Mischung hätte auch schnell in ein Zuviel abdriften können. Aber genau dieses Zuviel verhindert die 1965 geborene Autorin Monique Roffey aus Trinidad gekonnt und ich bin sehr neugierig, was diese Autorin noch so alles zaubern wird.
Eine Geschichte in der traumhaften Kulisse der Karibik, die absolut nichts von diesem Urlaubsflair hat, welches das reine Nennen des Namens Karibik auslöst. Denn auch die Naturgewalten kommen in "Die Meerjungfrau von Black Conch" zum Tragen und diese Naturgewalten haben es besonders in der Karibik in sich.
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