Die Lieben der Melody Shee

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Lieben der Melody Shee' von Donal Ryan
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Lieben der Melody Shee"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:304
Verlag: Diogenes
EAN:9783257070231

Rezensionen zu "Die Lieben der Melody Shee"

  1. 3
    02. Jul 2021 

    Ehebruch in Irland...

    Als Melodys Mann sich nach zwei Fehlgeburten heimlich sterilisieren lässt, beantwortet sie diesen Vertrauensbruch mit einer Affäre und wird schwanger – von einem ihrer Schüler. Das hat Konsequenzen im erzkatholischen Irland. Melody schwankt zwischen dem stillen Glück, das das werdende Leben in ihr auslöst, und der Schuld, die sie mit seiner Entstehung auf sich geladen hat. Doch die Entscheidung, die sie letztlich trifft, ist so unkonventionell wie mutig.

    Der Hörer lauscht bei diesem Roman den Tagebucheintragungen der Melody Shee, die etwa in der 12. Schwangerschaftswoche beginnen. Schnell wird klar: da ist ein Mensch in Not, denn Melody denkt darüber nach, sich das Leben zu nehmen. Und das obwohl sie doch schwanger ist - endlich.

    Doch so einfach ist das nicht, denn sie ist nicht schwanger von ihrem Ehemann, der sich ohne ihr Wissen hat sterilisieren lassen, sondern von einem ihrer Schüler, 17 Jahre jung - und ein Traveller. Im erzkatholischen Irland ist Ehebruch eine Todsünde, und so verlässt Melodys Ehemann sie umgehend, sobald er von ihrer Schwangerschaft erfährt.

    Allein in ihrem Haus, widmet sich Melody ihren Erinnerungen, Gefühlen, Gedanken, die sich in den wöchentlichen Tagebucheintragungen manifestieren. So erhält man beim Hören nach und nach Einblicke in die Jahre ihrer Ehe - der Ehebruch war nur der traurige Schlusspunkt, verkorkst war die Ehe schon zuvor.

    Die rigiden gesellschaftlich-kirchlichen Moralvorstellungen schnüren einem schon beim Hören teilweise die Luft ab, zumal Frauen davon (wieder einmal) stärker betroffen zu sein scheinen als Männer. Melody ist in ihrem Ort nun eine Geächtete, und selbst wenn sie in ihrer Wut einmal die Verfehlungen ihres Mannes herausschreit, ändert das nichts an ihrer eigenen Position.

    Der Vater des ungeborenen Kindes tritt hier nicht selbst in Erscheinung - er ist mit einigen anderen Männern seiner Sippe des fahrenden Volkes unterwegs, um Arbeit zu verrichten, ungewiss, wann er wiederkommen wird. Aber Melody lernt ein junges Mädchen derselben Sippe kennen, die wie sie selbst eine Geächtete ist - in ihrer eigenen Familie. Die zwei einsamen Seelen nähern sich an, tun sich gut, bis...

    Etwa die Hälfte des Hörbuchs empfand ich als sehr eindringlich, da es sich hier v.a. um die Ehe, die Kindheit und die aktuelle Situation der Melody Shee dreht. Einsamkeit, Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle, Angst - all das ist nahezu greifbar, dicht und eindringlich geschildert.

    Ab der Hälfte des Hörbuchs jedoch richtet sich das Geschehen mehr und mehr nach außen. Melodys Vater spielt hier ebenso eine Rolle wie die junge Travellerin mit ihrer Familienfehde. Dadurch zerfaserst die Erzählung zunehmend, und am Ende wird der Hörer schließlich komplett hängen gelassen. Es ist nicht klar, wie es weitergeht - mit der Schwangerschaft, mit dem Mädchen, mit Melody selbst.

    Keine einfache Erzählung. Vor allem anfangs beklemmend und düster, später ein wenig von Hoffnung durchzogen, die jedoch trügerisch zu sein scheint. Familienfehden, Todsünden, ein enges gesellschaftliches Korsett, Lebensträume und Enttäuschungen, Schuldgefühle - eine ganze Ansammlung schwerer Themen, die jedoch in einem eher nüchternen, fast lakonischen Schreibstil präsentiert werden. Donal Ryan muss man in jedem Fall attestieren, sich hervorragend in die Lage der Melody Shee versetzen zu können - kaum zu glauben, dass diese Zeilen von einem Mann geschrieben wurden...

    Ilknur Bahadir liest die ungekürzte Fassung (7 Stunden und 9 Minuten) dem ruhigen Schreibstil entsprechend unaufgeregt und eher bedächtig, was mir gut gefallen hat.

    Da mich das Hörbuch nur zur Hälfte wirklich überzeugen konnte, gibt es hier von mir nur gute 3 Sterne.

    © Parden

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  1. 5
    24. Jun 2018 

    irisch und erzkatholisch

    Ich habe einen neuen Lieblingsschriftsteller: den Iren Donal Ryan, von dem ich seinen, vor Kurzem im Diogenes Verlag erschienenen Roman "Die Lieben der Melody Shee" (im Original "All we shall know" (2016)) verschlungen habe.
    Der Autor präsentiert in diesem Roman eine vielschichtige Story, eine Protagonistin, die es dem Leser nicht leicht macht und einen ausdrucksstarken Sprachstil. Alles Dinge, die einen Roman für mich lesenswert machen. Kaum zu glauben, dass Ryans erste Romane insgesamt 47mal abgelehnt worden sind. Doch Qualität setzt sich zum Glück immer durch.

    Die Story
    Zunächst geht es in der Geschichte um Schuld und Sühne - wie passend für einen Roman, der in einer erzkatholischen Umgebung spielt.
    Melody Shee lebt mit ihren 33 Jahren in einem irischen Dorf, in der Nähe von Limerick. Sie ist verheiratet und schwanger, jedoch nicht von ihrem Mann, sondern von ihrem 17-jährigen Nachhilfeschüler Martin. Martin ist ein Traveller (das irische Pendant zu unserem landläufigen Ausdruck "Zigeuner"). Pat, Melodys Mann verlässt sie natürlich - vielleicht schmeißt sie ihn auch raus. Sie zieht die Schwangerschaft durch, spielt jedoch mit dem Gedanken, sich umzubringen. Zu groß ist der Druck, dem sie ausgesetzt ist. Der Leser begleitet sie dabei von Schwangerschaftswoche zu Schwangerschaftswoche und nimmt teil an ihren Gedanken. Denn Melody erzählt ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive.

    "Pat hatte Sex mit Prostituierten: Das ist Fakt. Ich hatte Sex mit einem Jugendlichen, einem Schutzbefohlenen: Auch das ist Fakt. Welche Worte hätten etwas an der Tatsache ändern sollen, dass wir zu solchen Dingen fähig waren? Menschen tun einander Schlimmeres an, aber viel schlimmer wird es nicht. Wir haben Greueltaten begangen. In unserem Einfamilienhaus hat ein Holocaust stattgefunden, eine Auslöschung der Liebe."

    Da Melody in einer erzkatholischen Kleinstadt lebt, bleibt der Skandal nicht lange verborgen. Es wird nicht nur hinter Melodys Rücken getratscht. Sie wird auch öffentlich angefeindet. Die junge Frau durchlebt einen Zwiespalt. Sie fühlt sich hin- und hergerissen zwischen den Gedanken, sich umzubringen, das Baby zu bekommen, sich wieder mit ihrem Mann zu versöhnen. Auslöser für diesen Zwiespalt ist nicht ihre Schwangerschaft, sondern ihr bisheriges Leben. Als junge Frau hat man es nicht leicht in diesem Umfeld. Das Sagen haben die Männer und deren Mütter. Denn Wert und Ansehen einer Frau steigen mit ihrer Mutterschaft. Melody ist schon immer angeeckt, weil sie sich mit der Einflussnahme der Gesellschaft auf ihr Leben nicht abfinden wollte. Genauso wenig wie sie sich mit dem ihr vorbestimmten Leben als Mutter und Ehefrau nicht abfinden will.
    Der junge Traveller ist mittlerweile weitergezogen. Melody lernt ein junges Mädchen aus seinem Clan kennen - Mary -, die einen ähnlichen schweren Stand in ihrer Gemeinschaft hat wie Melody in ihrer Kleinstadt. Melody nimmt sich ihrer an. Die beiden Frauen geben sich gegenseitig Kraft, eine Freundschaft entwickelt sich.
    So ganz nebenbei erhält die Geschichte dadurch neue Impulse. Denn der Autor intensiviert seine Darstellung der Gemeinschaft der Traveller. Und plötzlich befindet man sich mitten in einem Streit zwischen Traveller-Clans, die ihre Konflikte nach ihren eigenen Gesetzen lösen. Und Melody und Mary befinden sich mittendrin.

    Die Protagonistin
    Melody ist nicht nur die junge Frau, die gegen Sitte, Moral und Anstand verstößt. Nein, ihre Erinnerungen, mit denen sie den Leser konfrontiert, zeigen, dass sie in ihrer Jugend Schuld auf sich geladen hat. In einem Moment der Schwäche hat sie einen Verrat begangen, der entsetzliche Folgen hatte. Mit dieser Schuld muss Melody nun leben. Wer sich schuldig fühlt und ertappt wird, neigt dazu in Abwehrhaltung zu gehen. Melodys darauf folgendes Leben ist eine einzige Abwehrhaltung. Sie setzt sich gegen alles zur Wehr: ihre Umgebung, das für sie vorbestimmte Leben, ihren Ehemann Pat. Trotz einer Heirat aus Liebe wird der Ehealltag zum Kriegsgebiet. Sie ist kein einfacher Mensch, ihre Gefühlsausbrüche sind zum Fürchten. Pat kann ihr nichts Recht machen, auch wenn er es unbedingt möchte - was Melody noch mehr antreibt, ihn ihren Frust über ihr Leben spüren zu lassen.
    Melody ist auch keine einfache Protagonistin. Sie gehört sicher nicht zu denen, die man vor lauter Sympathie ins Herz schließen wird. Bestenfalls entwickelt man Mitleid aufgrund des Drucks, den sie durch ihre Umgebung erfährt. Doch man kommt ihr langsam näher. Denn je tiefer man in ihre Gedanken eintaucht, umso mehr wird man sie verstehen.

    "Ich zischte meine Antwort durch zusammengebissene Zähne. Ja, Pat, bist du. Du bist absolut ekelhaft. Und da war es, ausgesprochen und gehört, gemeint und geglaubt, und es würde nie wieder erschütternd sein, und ab diesem Punkt hinderte uns nichts mehr daran, uns jeder Gemeinheit, jeder Schlechtigkeit hinzugeben; unsere Sprache verkam. Wir suhlten uns darin. Wir ließen unsere Wut zu einem wahnsinnigen lebendigen Biest werden. Sie wurde unser Kind, unser fleischgewordener Schmerz."

    Die Sprache
    Donal Ryan hat einen sehr plakativen und kraftvollen Sprachstil. Er lässt Bilder im Kopf entstehen, die bedrückend, sogar schwermütig sein können. Dies gelingt ihm, indem er seine Sprache mit Vergleichen und opulenten Beschreibungen arbeiten lässt, die einen starken Kontrast zu dem Geschehen bilden. Es entsteht ein bildgewaltiges Kopfkino, dessen Stimmungen sich auf den Leser übertragen. Mich hat seine Sprache fasziniert, und ich hoffe, diesen Stil auch in weiteren seiner Romane zu finden.

    Fazit:

    Eine unglaubliche Geschichte, erzählt in einer unglaublichen Sprache. Unbedingt lesen!

    © Renie

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