Die leise Last der Dinge

Buchseite und Rezensionen zu 'Die leise Last der Dinge' von Ruth Ozeki
2.75
2.8 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die leise Last der Dinge"

Ein Jahr nach dem Unfalltod seines Vaters beginnt der dreizehn Jahre alte Benny Oh Stimmen zu hören. Es sind die Stimmen der unbelebten Gegenstände in seinem Zuhause – seine Sneakers, eine zerbrochene Weihnachtskugel, ein Blatt welker Salat. Gleichzeitig beginnt seine Mutter Annabelle, immer mehr Dinge zu horten, bis es kaum mehr einen freien Platz auf dem Fußboden oder in den Regalen ihres Hauses gibt. Mutter und Sohn drohen in ihrer Trauer den Halt zu verlieren – bis sie auf ein Buch stoßen, das sie womöglich zu retten imstande ist ... Mit liebenswerten Figuren, einer fesselnden Geschichte und der Auseinandersetzung mit den Themen Trauer, Erwachsenwerden und unser Verhältnis zu materiellen Dingen legt die Booker-Preis-nominierte Ruth Ozeki einen klugen, verspielten, mitreißenden, herzerwärmenden und absolut einzigartigen neuen Roman vor. Er wurde mit dem Women’s Prize for Fiction 2022 ausgezeichnet.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:688
Verlag: Eisele Verlag
EAN:9783961611430

Rezensionen zu "Die leise Last der Dinge"

  1. Chaos in Zeiten der Trauer und Verlust

    "Jede Leidenschaft grenzt ja ans Chaos, die sammlerische aber an das der Erinnerungen." (Walter Benjamin)
    Nach dem Unfalltod seines Vaters Kenji beginnt der 13-jährige Benny Oh Stimme zu hören. Mit der Zeit wird es immer heftiger und durcheinander, sodass er Probleme in der Schule bekommt und seine Mutter ihn sogar in eine Klinik einweisen lässt. Seine Mutter Annabelle hingegen kann sich nicht von Dingen trennen und so stapeln sich immer mehr unnütze Gegenstände in der Wohnung. Ihr Mann Kenji fehlt einfach an allen Ecken und Enden. Er hat nicht nur die Familie zusammengehalten, sondern außerdem für Ordnung gesorgt. Ohne ihn scheint das Leben immer schwieriger zu werden für Annabelle, bis sie auf ein Buch stößt, das Hilfe verspricht.

    Meine Meinung:
    Anhand des Klappentextes und der Auszeichnung, die sie 2022 gewonnen hat, hatte ich hohe Erwartungen an diese Geschichte. Leider hätte ich lieber die Finger davon gelassen. So schön es begann, wurde die Geschichte immer mysteriöser, schwieriger und unglaubwürdiger für mich. Es mag ja sein, dass dies die Absicht der Autorin war. Allerdings hatte ich mir unter Gegenständen, die eine Stimme bekommen, etwas anderes vorgestellt. Ich dachte, diese bekommen eine wirklich eigene Stimme, stattdessen erlebe ich ein Durcheinander, das eigentlich nur von Benny wahrgenommen wird. Komisch wird es dann, als Benny in der Bibliothek einen Obdachlosen kennenlernt, der überaus eigenwillig ist und mit dem ich gar nichts anfangen konnte. Genauso ging es mir mit Aleph dem Mädchen, mit dem Benny sich anfreundet und die ständig weise Ratschläge für ihn hat. Dass er nach dem Tod seines Vaters und der Trauer psychische Probleme und dadurch Stimmen hört, konnte ich noch nachvollziehen. Selbst als diese immer dominanter werden und ihn an seine Grenzen der Belastbarkeit bringen. Annabelle hingegen war für mich ein recht schwieriger Charakter, mit dem ich nicht warm wurde. Besonders als Mutter und Erziehungsberechtigte tue ich mich bei ihr schwer. Oft hatte ich das Gefühl, Benny ist hier der Vernünftige und seine Mutter das Kind, welches sich einfach nicht unter Kontrolle hat. Von Kauf- und Sammelzwang, keine Ordnung halten bis zu Bequemlichkeit kommt bei Annabelle alles zum Tragen. Ihr Mann Kenji war seither der Gegenpol zu ihren Macken, welcher nach seinem Tod nun maßgeblich fehlt. Annabelle sieht zwar diese Probleme, ändert jedoch kaum etwas. Für Benny selbst wird sein zu Hause zusehends zur Belastung, weshalb er sich fast nur noch in der Bibliothek aufhält. Bücher schenken ihm Ruhe und lassen ihn die Stimmen vergessen. Schade, dass die Autorin dann zusehends die esoterische Richtung in Form des Zen Buddhismus in die Geschichte einfließen lässt. Vor allem durch Tidy Magic Buch und der Nonne spüre ich immer mehr Einflüsse der zen-buddhistischen Priesterin Ruth Ozeki. Leider war mir dieses Detail zuvor entgangen, sonst hätte ich es mir vorher überlegt, ob ich dieses Buch lese. Ab der Mitte wurde die Geschichte dann immer mehr zum Fantasybuch, was so gar nicht mein Favorit ist. Immer häufiger erwische ich mich, dass ich Seiten einfach nur noch überfliege, weil es zu langatmig ist. Bis mir ehrlich gesagt die Zeit zu schade ist, um weiterzulesen und ich aufgebe. Ich bin nur noch enttäuscht, bei so einer Auszeichnung hatte ich definitiv etwas anderes erwartet. Leider kann ich keine Empfehlung aussprechen, doch da es gelegentliche Szenen gab, die ich durchaus positiv empfand, gebe ich diesem Buch 2 von 5 Sterne.

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  1. Ratgeber in Romanform

    Einer meiner Lieblingsverlage (wer könnte je das großartige und begeisternde "Eine Laune Gottes" von Margaret Laurence vergessen?) hat einen Roman mit einem ganz wunderbaren Cover herausgebracht – natürlich muss ich den lesen. Tja, leider endet meine Begeisterung genau an dieser Stelle, denn ich bin selten einem Buch begegnet, zu dessen Lektüre ich mich so zwingen musste, wie es bei „Die leise Last der Dinge“ der Fall war. Der Roman, der mit seinen 687 Seiten mindestens 500 Seiten zu lang ist, ist eine langatmige, redundante „Verkaufsveranstaltung“ für den Zen-Buddhismus inklusive Aufräumzauber à la Marie Kondo und sehr platter Konsumkritik.

    Grundsätzlich finde ich den Zen-Buddhismus durchaus interessant, aber wenn ich etwas darüber lesen möchte, kann ich mir auch einen GU-Ratgeber mit Lotosblume auf dem Cover kaufen – dann weiß ich jedenfalls, worauf ich mich einlasse. Bei „Die leise Last der Dinge“ wird nach dem ersten Sechstel des Buches klar, dass es sich hier um genau so einen Ratgeber in Romanverpackung handelt – etwas was weder dem Zen-Buddhismus, der zeitweilig auf das Niveau von Küchentisch-Einsichten heruntergebrochen wird, guttut, noch dem Roman. Alles in diesem Werk ordnet sich der mit Vehemenz an den Leser gebrachten Message unter, dass der Zen-Buddhismus und insbesondere das Ausmisten die Lösung für alle Probleme dieser Welt ist. Vermutlich bleibt der kollektive Aufschrei der Lesenden nur deshalb aus, weil Zen, Achtsamkeit, Meditation ja sehr en vogue und angesehen sind – ich möchte mir die Wellen der Entrüstung nicht vorstellen, wäre irgendeine andere Weltanschauung so ausufernd in Romanverpackung unter die Menschheit gebracht worden.

    Zur Verdeutlichung der Message bevölkern die Figuren Annabelle (eine völlig überforderte Mutter mit Messie-Syndrom) und Benny (ein sehr naiver Teenager, der Stimmen hört) sowie weitere sehr skurrile Figuren die Handlung, die sich immer zu wiederholen scheint, überhaupt nicht vom Fleck kommt und oftmals auch belanglos bis unzusammenhängend erscheint. Die Figuren sind unterkomplex und haarsträubend blauäugig, die Handlung wird zwischenzeitlich dadurch aufgepeppt, dass wir Auszüge aus dem fiktiven Bestseller „Tidy Magic“ zu lesen bekommen, der Einblicke in das Seelenleben einer japanischen Zen-Nonne gibt. Damit der bibliophile Leser bei der Stange gehalten wird, gibt es einige Szenen in einer Bibliothek inklusive "multikultureller Kinderecke", aus gleichem Grund versucht sich die Erzählweise des Romans an Innovation, indem ein Buch als Figur und Erzählinstanz verwendet wird – ein Kniff, der anfänglich noch zu funktionieren scheint, im weiteren Verlauf des Romans aber deutlich an Reiz verliert, zumal das „Buch“ zunehmend unsympathisch auftritt. Damit auch noch der letzte Leser „abgeholt“ wird, werden außerdem fast alle aktuellen Themen unserer Zeit gestreift: vom Klimawandel über Trump und Non-Binarität ist alles dabei, es gibt Atomkraftwerke, Ablehnung von Kapitalismus, Konsumkritik, Vermüllung, Doku-Soaps, Drogen, Alkohol, Gewalt, Einsamkeit, Technisierung – you name it…All das wird in einem süßlich-infantilen Plauderton beschrieben, der jedwede Seriosität untergräbt und einem zunehmend auf die Nerven fällt.

    So leid es mir tut, denn ich schätze und mag den Eisele-Verlag wirklich sehr: „Die leise Last der Dinge“ ist ein Roman mit platter und durchsichtiger didaktischer Funktion, die in dieser Umsetzung in einem Roman für Erwachsene mehr als ärgerlich ist. Er ist langatmig, besitzt unterkomplexe Figuren, einen redundanten Handlungsaufbau und ist sprachlich eher im Jugendbuch/Kinderbuch-Bereich anzusiedeln. Ich kann diesen Roman leider nur Leuten mit überbordender Zen-Begeisterung empfehlen.

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  1. Die leise Last des Lesers

    Die leise Last des Lesers

    Ruth Ozeki gewann mit ihrem Roman "Die leise Last der Dinge" den Women‘ Prize for Fiction 2022.
    Für mich nicht unbedingt nachvollziehbar, da dieser Roman mich eher ermüdet und verwirrt hat.

    Die Grundthematik, dass ein Junge eine psychische Störung erleidet, weil er mit dem Tod des Vaters nicht klar kommt, zumal die Mutter ebenso überfordert ist mit der Situation wie er, bietet enormes Potenzial daraus ein gutes Buch zu machen.
    Doch die Umsetzung der Autorin macht es dem Leser wirklich sehr sehr schwer. Sie stattet Benny, den Sohn von Annabelle, nicht nur mit Stimmen aus, wie sie bei vielen psychischen Erkrankungen vorkommen, sie zehrt das Ganze leider teilweise ins abstruse und lächerliche. Benny hört im Grunde alle Gegenstände sprechen, sie reden dabei oft wirres Zeig, und der Leser erkennt schnell die Zusammenhänge zum Messiesyndrom der Mutter. Diese hortet nach dem Tod ihres Mannes Kenji nun alles, kann sich von nichts trennen . Hinzu kommt, dass ihr Job fast verloren schien, sie nur mit Müh und Not ihren Chef überreden konnte, sie von zu Hause arbeiten zu lassen, was einen Schreibtisch und einen Computer erfordert, der nun im Wohnzimmer stehen muss. Ein Riesenchaos, für Benny und auch für sie.
    Als Annabelle bei einem Spontankauf ein Buch namens Tidy Magic ersteht, kommt die Verbindung zu einer Zen- Mönchin zustande, die allem dann obendrein auch noch einen esoterischen Touch bringt. Für viele Leser sicher eine tolle Idee, für mich war es zu viel.

    Die Tatsache, dass Benny auch die Stimme eines Buches, genauer seines Buches, dass sein Leben wiedergibt, hört, fand ich gelungen. Doch es wurde von allem anderen so sehr überlagert, dass dies im weiteren Verlauf des Buches für mich nichts mehr rausreißen konnte.
    Als Benny dann noch ein Mädchen aus der Psychiatrie wieder trifft, und er mit ihr in der Bücherei weitere verrückte Bekanntschaften macht, artet alles in ein Abenteuer aus, was das Thema Tod und psychische Probleme in den Hintergrund stellt.

    Ich persönlich habe sehr große Erwartungen an diesen Roman gehabt. Doch leider muss ich sagen, dass er nichts davon erfüllen konnte. Vieles davon ist aber sicher Geschmacksache, so dass ich nicht generell von diesem Buch abraten möchte. Sicher gibt es Leser, die nicht ganz so streng sind, und der Autorin die konfuse Konstruktion verzeihen. Weniger wäre nämlich hier definitiv mehr gewesen. Es müssen nicht alle aktuellen Themen, die in der Welt momentan wichtig sind angerissen werden. Wenn man sie thematisieren möchte, sollte man sie auch stringent verfolgen. Aber auch hier…..jedem das seine.

    Das Ende grenzt an ein Happyend, und sagte mir genauso wenig zu, wobei ich der Autorin hier aber zu Gute halten möchte, dass sie alles wichtige aufgearbeitet hat. Der Leser erfährt von allen wichtigen Charakteren wie es um sie bestellt ist.

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  1. Von der Schwere leichter Dinge

    Ruth Ozeki erhielt für ihren Roman "Die leise Last der Dinge" den diesjährigen Women's Prize for Fiction. Oft sind Preisverleihungen ein Anlass, sich mit den ausgezeichneten Werken zu befassen. In diesem Fall scheint es eine große und relativ heftige Kontroverse über die Preiswürdigkeit des Werkes zu geben.

    Dabei ist das Thema ein ebenso ernstes wie wichtiges: Es geht darum, wie der plötzliche Unfalltod des Familienvaters die Familie in ein tiefes Loch reißt: Mutter und Sohn verlieren beide jeglichen Halt. Während Mutter Annabelle zunehmend unfähig wird, einfachste Alltagsdinge zu regeln und dadurch alles aufs Spiel setzt, driftet ihr jugendlicher Sohn Benny zunehmend in eine Phantasiewelt ab. Beide sind völlig unfähig, die Trauer zu verarbeiten und kompensieren dies auf je individuelle Art: Annabelle sammelt immer mehr Zeugs an und müllt die Wohnung immer mehr zu, was durch ihren zu Hause durchgeführten Recherchejob und die notwendige Dokumentation von Unterlagen verschlimmert wird. Es geht soweit, dass ihr Vermieter mit Kündigung droht, denn die Wohnung verkommt immer mehr zu einer Müllhalde. Keine Umgebung, in der ein Jugendlicher aufwachsen sollte. Benny ist im Grunde genommen ein ordentlicher Junge, weswegen er unter dem "Messie-Syndrom" seiner Mutter sehr leidet. Vor allem leidet er aber unter Stimmen, die ihm zunehmend zu schaffen machen. Stimmen, ausgelöst von Gegenständen um ihn herum, die ihm zum Teil gefährlich werden. Eine Psychotherapie soll helfen, doch dort lernt Benny Alicia kennen - eine folgenschwere Bekanntschaft. Was dann folgt, hat dazu geführt, dass ich mich etwas in der Geschichte verloren habe: Alicia alias das Aleph und ein Obdachloser alias Flaschenmann werden zur bevorzugten Gesellschaft des Jungen, der sich zunehmend in der stadteigenen Bibliothek einschanzt. Ob Mutter und Sohn am Ende wieder ins Leben zurückfinden, sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

    Ich habe mich sehr auf die Lektüre von "Die leise Last der Dinge" gefreut. Ein Buch mit einem wie ich finde wunderschönen Cover, ein Schmöker von knapp 700 Seiten. Die Vorfreude war groß. Tatsächlich startete die Lektüre auch verheißungsvoll: Der Leser wird in die Grundkonstellation der Geschichte eingeführt und wird früh mit einer interessanten, wenn auch nicht innovativen Erzählstimme konfrontiert: dem Buch. Dieses ist eine eigene Erzählperspektive, die die Bennys' dialogisch ergänzt. Das hat mir gut gefallen. Auch war ich sehr neugierig auf den Verlauf der Mutter-Sohn Geschichte und deren Trauerbewältigungsprozess. Leider verlor die Autorin dann lange Zeit die Konzentration auf diese zentralen und auch wichtigen Themen. Sie wurden von vielen anderen Aspekten, die irgendwie alle Erwähnung finden sollten, förmlich überlagert. Dabei hat mich der Bezug zum ebenfalls eingebauten Werk einer fiktiven Erzählerin über "Tidy Magic" noch vergleichsweise wenig gestört. Für mich nahmen die fantastischen Elemente viel zu großen Raum ein und überfrachteten den an sich sehr lobenswerten Fokus auf die "leise Last der Dinge" sehr. Ich empfand diese als unnötigen Ballast, die die Konzentration auf das Wesentliche erschwerten. Denn die Bewältigung von Trauer, die damit in Zusammenhang stehenden Ohnmachtgefühle und die Last von Dingen, die zerstörerisches Ausmaß annehmen kann, halte ich für immens wichtige Themen. Es ist das Verdienst von Ruth Ozeki sich dieser Themen angenommen zu haben. In diesem Fall wäre etwas weniger aber wohl deutlich mehr gewesen, weswegen ich hoffe, dass sich die Autorin in ihrem Nachfolgewerk stärker auf wesentliche Thematiken beschränken wird, indem sie vielleicht auch mehr auf ihr eigenes Handwerk vertraut.

    Da ich das Buch in einer Leserunde gelesen habe, in der wir alle phasenweise uns durch die Lektüre "kämpfen" mussten, kann ich an dieser Stelle keine unmitttelbare Leseempfehlung aussprechen. Dennoch gilt auch hier wie immer die Einladung, dass jeder sich ein eigenes Bild machen möge. 

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  1. Ein besonderer Außenseiter

    Eine zerbrochene Christbaumkugel oder ein Paar Schuhe: Ein Jahr nach dem Unfalltod seines Vaters Kenji fängt der 13-jährige Benny Oh an, die Stimmen unbelebter Gegenstände zu hören. Für den Teenager ist es nicht leicht, die Gegenstände auszublenden, weil seine Mutter Annabelle in ihrer Trauer immer mehr Dinge zu Hause anhäuft. Beide drohen sowohl in einem psychischen als auch in einem realen Chaos zu versinken…

    „Die leise Last der Dinge“ ist ein Roman von Ruth Ozeki.

    Meine Meinung:
    Der Roman setzt sich aus fünf Teilen zusammen, die wiederum aus 91 Kapiteln bestehen. Zudem gibt es zwei Prologe. Der Aufbau ist durchaus kreativ.

    Erzählt wird aus zwei Perspektiven: aus der des Buches und der Bennys. Die Idee, ein Buch erzählen zu lassen, ist originell und vielleicht sogar einzigartig. Diese Erzählstruktur wird gegen Ende jedoch aufgeweicht. Eine weitere stilistische Besonderheit ist das Einflechten von Auszügen eines fiktiven Entrümpelungsratgebers. Die Sprache ist dialoglastig, detailliert, insgesamt unspektakulär, aber sehr anschaulich.

    Der Fokus der Geschichte liegt in erster Linie auf dem jugendlichen Benny, einem reizvollen Charakter, und in zweiter Linie auf dessen Mutter. Während diese beiden Charaktere noch weitgehend realitätsnah dargestellt werden, sind die Nebenfiguren gnadenlos überzeichnet und wirken teilweise geradezu absurd.

    Inhaltlich bietet der Roman eine Menge Potenzial. Besonders interessant finde ich, dass psychische Traumata und Krankheiten im Zusammenhang mit dem Messie-Syndrom beziehungsweise Überforderung aufgegriffen werden. Darüber hinaus spielen das Thema Literatur und die Rolle von Büchern eine wesentliche Rolle. Diesbezüglich gibt es mehrere lesenswerte Passagen.

    Im ersten Teil schafft es der Roman, mich zu berühren und zu fesseln. Allerdings kommt danach ein Konglomerat an weiteren Aspekten wie Rassismus und Geschlechtsidentität zum Tragen, was die Geschichte zwar facettenreich, aber auch unübersichtlich macht. Der rote Faden geht somit immer mehr verloren.

    Auf den fast 700 Seiten kommt es zu einigen Längen, vor allem aufgrund von Wiederholungen und sehr ausschweifenden Passagen. Die Handlung tritt immer wieder auf der Stelle. Den Lesegenuss trüben außerdem widersprüchliche Angaben, Logikfehler und Ungereimtheiten. Leider lässt die Autorin zudem die Möglichkeit ungenutzt, mit einem Plottwist oder anderen Überraschungen einen gelungenen Schlusspunkt zu setzen.

    Den deutschen Titel mag ich etwas lieber als das englischsprachige Original („The Book of Form and Emptiness“). Das gilt auch für das liebevoll gestaltete Cover, wobei beide thematisch nicht die gesamte Geschichte abdecken.

    Mein Fazit:
    Mit „Die leise Last der Dinge“ konnte Ruth Ozeki meine hohen Erwartungen nicht erfüllen. Der mit dem Women‘s Prize for Fiction 2022 prämierte Roman konnte mich leider nur in Teilen überzeugen.

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  1. Das Ernste im Leichten

    Der Teenager Benny lebt mit seiner Mutter Annabelle zusammen. Der Vater ist unter kuriosen Umständen bei einem Unfall ums Leben gekommen, als Benny 12 Jahre alt war. Kenji fehlt den beiden Verlassenen sehr, nicht zuletzt, weil er als Musiker auch einen großen Teil der häuslichen und familiären Sorge übernommen hat. Verlust und Trauer beeinträchtigen Benny und Annabelle schwer. Als äußeres Zeichen dessen hört Benny auf zu wachsen, seine Mutter fängt massiv an, Gewicht zuzulegen. Beide haben keine Freunde.

    Diese Ausgangslage wirkt zunächst tieftraurig, jedoch versteht es Ozeki, ihrem Roman stets eine Portion von Leichtigkeit einzuhauchen, die keine allzu ernste Stimmung beim Lesen aufkommen lässt. Das liegt in seiner Struktur begründet, es gibt mehrere Erzählstimmen. Benny beginnt, imaginäre Stimmen zu hören. Zunächst ist es die seines Vaters, dann treten andere hinzu. Nicht alle Stimmen sind tröstlich oder wohlmeinend, es gibt auch welche, die den Jungen in Versuchung führen und ihm nicht nur Ärger bescheren, sondern ihn schließlich in eine jugendpsychiatrische Anstalt befördern. Mutter Annabelle fühlt sich indessen mit dem Alltag völlig überfordert. Sie arbeitet in der Medienbeobachtung als „Schnipsellady“. Im Zuge der Datendigitalisierung fallen dort immer mehr Arbeitsplätze weg, so dass sie von elementaren Zukunftssorgen geplagt wird. Für Ordnung im Haus sorgte früher Kenji. Seitdem er nicht mehr da ist, sammelt sich immer mehr Gerümpel im Haus an. Annabelle vernachlässigt nicht nur den Haushalt, sondern auch ihren Sohn. Sie kann nichts wegwerfen und hat fast eine ehrfurchtsvolle Beziehung zu allen Gegenständen, mit denen sie zu tun hat. Da Benny darunter leidet und diese Dinge laut reden hört, resultiert daraus eine unheilvolle Mischung…

    Nicht nur die Dinge reden, sondern auch das Buch, das Bennys Geschichte erzählen soll, hat eigene Kapitel und tritt direkt mit Benny in den Dialog. Das ist meist ein erfrischender Austausch in anderer Tonlage. Zudem lässt das Buch allerlei bibliophile Wahr- und Weisheiten einfließen, die die meisten Leserherzen höher schlagen lassen. Was jedoch darum herum angesiedelt ist, erscheint ebenso wie Annabelles Haus überfrachtet und unaufgeräumt.

    Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass Benny ein ernstzunehmendes Problem hat. Seine Therapeutin wirkt mehr oder weniger inkompetent. Der Junge bekommt ständig neue Medikamente, deren Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen sind. In der Klinik freundet er sich mit dem drogensüchtigen Mädchen „das Aleph“ an. Andere Figuren, die am Rand der Gesellschaft stehen, treten hinzu. Gemeinsam mit dieser Truppe stolpert Benny von einem skurrilen Abenteuer ins nächste. Die Stadtbibliothek wird zum Treffpunkt der sozialen Außenseiter.

    Annabelle ist währenddessen dermaßen haltlos und mit sich selbst beschäftigt, dass sie keine Stütze ist. Die Probleme werden immer drückender, zum drohenden Verlust des Arbeitsplatzes tritt der der Wohnung hinzu. Wie durch Zauberhand gelangt Annabelle in den Besitz des kleinen Büchleins „Tidy magic – Zen oder die Kunst dein Leben und deine Wohnung aufzuräumen“. Spätestens an dieser Stelle kristallisiert sich ein Hauptanliegen der Autorin heraus: Sie möchte uns von den Vorteilen der Zen-Lehre überzeugen. Jedem Ding wohnt demnach eine Seele inne, die mit Respekt zu behandeln ist. Gleichzeitig muss man loslassen, nicht an materiellem Besitz festhalten, ihn stattdessen sinnvoll weiterreichen. (Ruth Ozeki ist ausgebildete Zen-Priesterin.) Annabelle ist fasziniert von diesem Buch, tritt sogar mit dessen Autorin in Kontakt, kann die zweifellos sinnvollen Aufräumtipps aber kaum umsetzen. Dadurch dreht sich die Geschichte aus meiner Sicht über weite Strecken im Kreis. Man möchte diese Mutter schütteln, man möchte Benny helfen, der darauf angewiesen ist, mit einem Buch über seine Gefühle zu sprechen.

    Mutter und Sohn sind durch Kennys Tod traumatisiert. Das ist das ernste Grundthema, das durch viel Nippes und unnötiges Beiwerk überlagert wird. Zahlreiche aktuelle Themen arbeitet Ozeki in ihren Roman mit ein. Egal ob Klimawandel, Globalisierung, kategorische Konsum- und Kapitalismuskritik, Gender, Rassismus, Herkunft und Identität – alles wird ohne Relevanz fürs Geschehen kurz angerissen, jedoch nie vertieft. Dabei ist die dahinterstehende Didaktik nur allzu offensichtlich, was in meinen Augen die Nähe zum Jugendbuch (Coming of Age) unterstreicht. Auch andere Autoren und literarische Bezüge finden Eingang in den Roman. Die Liebe zur Literatur wird an vielen Stellen transportiert, was insgesamt gut gelungen ist. Sprachlich hat der Leser allerdings wenige Höhepunkte zu erwarten, der Roman liest sich sehr konventionell, worüber auch die ein oder andere gelungene Metapher nicht hinweg täuschen kann. Zudem finden sich in der Figurenzeichnung stereotype, unglaubwürdige Muster, eine Entwicklung erkenne ich kaum.

    Ich habe mich mit dem Buch, auf das ich mich sehr gefreut hatte, sehr schwer getan. Wahrscheinlich gehe ich zu ernsthaft mit der Lektüre um. Der tragische Tod Kenjis überschattet für mich das Sammelsurium aus skurrilem Figurenkabinett, Abenteuern à la Enid Blyton und surrealem, beinahe märchenhaftem Geschehen. Hinzu kommen Bennys psychische Probleme, die Mutter Annabelle nicht sehen will oder latent bagatellisiert. Die zunehmende Vermüllung ihrer Wohnung ist schwer zu ertragen, zumal sich verschiedene Lösungsansätze im Kreis drehen, was manche Szene redundant macht.

    Ist „Die leise Last der Dinge“ vielleicht ein amerikanisches Buch, das auf die Zustände der dortigen Gesellschaft zugeschnitten ist? Fehlt mir die innere Leichtigkeit, um mich an Zen-Botschaften, Esoterik und skurrilem Humor zu erfreuen? Alles in allem habe ich das Gefühl, in einem für mich falschen Roman gelandet zu sein. Beim aufmerksamen Lesen des Klappentextes hätte ich das vielleicht schon spüren müssen. Nichtsdestotrotz hat der Roman den Womens Prize for Fiction 2022 gewonnen. Vielleicht ist es gerade die Fähigkeit Ozekis, das Ernste mit dem Leichten zu verbinden, die die Juroren überzeugt hat? Außerdem kann man ihren Roman zweifellos als einen Appell für einen offeneren Umgang mit Menschen verstehen, die unter körperlichen/psychischen Beeinträchtigungen oder Abhängigkeiten leiden und in Folge sozial ausgegrenzt werden. Ob Zen allerdings tatsächlich die patente Lösung bereithält, wie es der Roman suggeriert, sei dahingestellt.

    Mir hat das Buch also eher weniger gefallen. Es gibt einen Bonusstern für die wunderschöne deutsche Auflage. Andere Leser könnten durchaus von diesem Roman begeistert sein.

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  1. Die leise Last, dieses Buch zu rezensieren

    Als Benny zwölf Jahre alt ist, stirbt sein Vater Kenji durch einen tragischen Unfall. Mit ihm verlieren sowohl seine Frau Annabelle als auch sein Sohn Benny den Halt. Annabelle trauert, ist restlos mit den Anforderungen des Alltags überfordert, vernachlässigt und überbehütet Benny gleichermaßen. Sie verliert immer mehr den Zugang zu ihrem Sohn. Annabelles Situation verschlimmert sich durch Umstrukturierungen, die ihren Arbeitsplatz betreffen. Ständig lebt sie in Sorge, ihren Job zu verlieren und nun droht auch noch eine Wohnungskündigung. Es zeigt sich, dass Annabelle vom Messie-Syndrom betroffen ist. Benny, dessen Zimmer immer ordentlich aufgeräumt ist, leidet sehr unter den häuslichen Zuständen. Er fängt an, Stimmen zu hören - zunächst nur die seines verstorbenen Vaters, doch später prasseln auch Stimmen von Gegenständen unkontrollierbar auf ihn ein. Als er sich mit einer Schere selbst verletzt, landet er in der Psychiatrie. 

    Nach seiner Entlassung hält sich Benny gerne stundenlang in der Bibliothek auf. Sie wird für ihn zum Zufluchtsort. Er trifft dort den F-Mann, einen obdachlosen slowenischen Dichter mit einem Hang zum Wodka und zur Philosophie sowie ein ebenfalls obdachloses Mädchen, das Aktionskunst anfertigt und eine große Faszination auf Benny ausübt.

    Die Zutaten für diesen Roman sind vielversprechend: Wir haben eine komplizierte Mutter-Sohn-Beziehung, die durch Trauer ausgelöste psychische Erkrankung eines Jugendlichen, das Messie-Syndrom der Mutter, diverse skurrile Figuren und eine Bibliothek als magischen Ort. Auch die Erzählstimmen im Roman sind ungewöhnlich. „Das Buch“ erhält eine aktive Rolle und erzählt Bennys Geschichte. Zuweilen fordert Benny das Buch zum Erzählen auf, bittet es dann um Ergänzungen oder Korrekturen. Ein weiteres Buch und deren Verfasserin, eine Zen-Nonne, erhält ebenfalls eine wichtige Rolle: Das „Tidy Magic“, ein Zen-Aufräumbuch à la Marie Kondō, das wir in Auszügen präsentiert bekommen. Es fällt Annabelle bei einem Einkaufsbummel im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor die Füße und die Lektüre bzw. das Schreiben unbeantworteter Fanbriefe an die Verfasserin dieses Ratgebers, werden für Annabelle zum Anker und Hoffnungsschimmer, ihre häusliche Situation in den Griff zu bekommen. 

    Relativ schnell merkte ich, dass dieses Buch für eine andere Zielgruppe geschrieben wurde. Zu Beginn fand ich die Herangehensweise der Autorin durchaus charmant und kreativ. Der Roman lässt sich locker lesen, die Sprache ist einfach, hat etwas Verspieltes, manchmal durchaus Witziges. Bennys Not und die seiner Mutter war für mich zumindest anfänglich gut spürbar. Doch dieser erste Eindruck verflüchtigte sich leider relativ schnell. Hätte ich „Die leise Last der Dinge“ nicht im Rahmen einer Leserunde gelesen, dann hätte ich wohl nach 100 Seiten abgebrochen. 

    So habe ich mich zunehmend genervt durch diese Geschichte gequält, deren Handlungsstränge und Figurenzeichnungen immer unglaubwürdiger wurden. Ozeki verliert sich in zu vielen Themen, lässt keinen Raum für eigene Gedanken, serviert uns ihre Botschaften mit dem Zaunpfahl winkend. Sie überschüttet ihren Roman mit Lebensweisheiten, Banalitäten und Nebensächlichkeiten. Zugleich verklärt sie bittere, knallharte Realitäten wie z.B. psychische Erkrankungen und Obdachlosigkeit fast schon auf eine magisch-märchenhafte Art und Weise, die mir gegen den Strich ging. Sie beschönigt und romantisiert harte Lebensumstände, ohne diese Sicht zu relativieren. Es stecken zahlreiche Logikfehler in der Geschichte.
    Viele gesellschaftsrelevanten Themen unserer Zeit haben schlagwortartig Eingang in den Roman gefunden, ohne irgendwelche Relevanz für die Handlung zu haben bzw. ohne tiefergehende Ausführungen.
    Auch das hat mich massiv gestört. Insgesamt war mir „Die leise Last der Dinge“ zu weich gespült, zu zerfasert, zu märchenhaft, zu vorhersehbar, zu plakativ, zu offensichtlich in seinen Botschaften, zu lang und zu langweilig - leider!

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  1. 3
    11. Okt 2022 

    Sammelsurium

    Der Roman der amerikanisch-kanadischen Schriftstellerin Ruth Ozeki erhielt den Women‘s Prize for Fiction 2022 und ist nun auf Deutsch im schönen Eisele Verlag erschienen. Beides ließ mich voller Vorfreude zum Buch greifen.
    Worum geht es?
    Eines Abends kommt der Jazzmusiker Kenji Oh auf tragische Weise ums Leben. Ein Ereignis, das seine Frau und seinen zwölfjährigen Sohn nachhaltig erschüttert. Beide kommen mit dem Verlust und der Trauer nicht zurecht. Annabelle ist heillos überfordert mit ihrer neuen Rolle als alleinerziehende Mutter . Sie vergisst Lebensmittel einzukaufen, stopft sich selbst mit ungesundem Essen voll und kann sich von keinem Erinnerungsstück trennen. Ihre Sammelwut kennt keine Grenzen; die Wohnung füllt sich, bis kein freies Plätzchen mehr zu sehen ist.
    Annabelle liebt ihren Sohn, aber sie vernachlässigt ihn gleichzeitig. Sie bekommt überhaupt nicht mit, dass auch Benny massiv Probleme hat.
    Es beginnt damit, dass Benny die Stimme seines verstorbenen Vaters hört. Doch nach einiger Zeit wird diese Stimme leiser, dafür dringen andere Stimmen an sein Ohr. Verschiedene Gegenstände verlangen immer mehr Bennys Aufmerksamkeit. Er weiß sich derer nicht zu wehren. Doch mit wem soll er darüber sprechen? Seine Mutter kann er nicht noch mehr belasten, Freunde hat er keine. Erst als eine Schere ihn auffordert, die Lehrerin zu verletzen und Benny sich in seiner Not selbst ins Bein sticht, wird die Umwelt auf sein Leid aufmerksam. „Akustische Halluzinationen“ lautet die Diagnose. Benny landet in der Psychiatrie und wird mit Medikamenten vollgestopft.
    Wieder draußen wird sein Zufluchtsort die Bibliothek, wo er auf eine seltsame Truppe stößt. Ein drogensüchtiges Mädchen, das sich als Aktionskünstlerin versteht und ihr nicht- binäres Frettchen, sowie einen alkoholkranken Obdachlosen im Rollstuhl, der in Wirklichkeit ein slowenischer Dichter ist.
    Spätestens hier hat sich meine anfängliche Begeisterung in Enttäuschung verwandelt. Ich fühlte mich wie in einem schlechten Jugendbuch. Die skurrile Truppe kommt von einer unglaubhaften Situation in die nächste.
    Auch Annabelle, deren Schicksal mich zu Beginn des Romans noch berührt hat, beginnt mich zusehends zu nerven. Ihr fehlt jeglicher Zugang zu ihrem Sohn. Sie behandelt den Teenager wie ein kleines Kind, reagiert meist völlig unangemessen. Und ihr Messie- Verhalten bekommt sie überhaupt nicht in Griff. Obwohl ihr wie durch einen Zauber das Selbsthilfehandbuch einer buddhistischen Nonne in die Hände fällt: „ Tidy Magic: Zen oder die Kunst dein Leben und deine Wohnung aufzuräumen“. Kostproben daraus bekommt der Leser. Es erinnert wohl bewusst an Marie Kondos Aufräumratgeber. Aber bei Annabelle hilft auch das nicht weiter.
    Erst kurz vor Schluss löst sich alles relativ abrupt in Wohlbehagen auf.

    Das erste Drittel des Romans konnte mich überzeugen. Schon die originelle Erzählstruktur gefiel mir. Die wichtigste Erzählstimme ist „ Das Buch“, die uns Bennys Geschichte präsentiert. Ab und zu gibt es Einwände von Seiten des Jungen, der manches genauer wissen möchte oder Dinge korrigiert. Das liest sich teils witzig, teils philosophisch. Dass Bücher und Bibliotheken eine wichtige Rolle spielen, erfreut natürlich mein Leserherz. Zum spielerischen Ton passt auch, dass sich die Autorin selbst in die Geschichte hineingeschrieben hat. Unschwer erkennt man sie an der japanisch aussehenden Dame, die in der Bibliothek ihren Arbeitsplatz hat.
    Hätte Ruth Ozeki sich auf die Mutter - Sohn - Geschichte beschränkt, diese ernst genommen und realistisch dargestellt, hätte es ein guter Roman werden können. Dass Menschen in ihrer Trauer psychische Störungen bekommen, ist ein wichtiges Thema. Wie geht man damit um ? Welche Hilfen sind nötig, um eine Abwärtsspirale aufzuhalten und was ist noch normal, was pathologisch? Das sind wichtige Fragen, die eine ernsthafte Antwort verlangen.
    Aber hier bekommen wir ein Märchen aufgetischt und das noch in einer recht kindlichen Sprache.
    Dazu muss die Autorin auch noch jedes aktuelle Thema in ihrem Roman unterbringen. Oberlehrerhaft bekommen wir Informationen zum Klimawandel, zu den Auswirkungen der Globalisierung , über Walter Benjamin und vieles mehr. Kapitalismuskritik darf auch nicht fehlen, genauso wenig wie die Genderdebatte. Ebenso die Frage, wohin uns unser Konsumverhalten führt und ob nicht mittlerweile die Dinge uns beherrschen, wird aufgegriffen.
    Zugegeben, viele dieser Problemstellungen sind bedeutsam. Aber sie werden kaum organisch in die Handlung eingebaut, sondern ziemlich wahllos aufgepfropft.
    Der Roman ist wie Annabelles Wohnung, ein Sammelsurium von allem. Hier hätte ein Lektor mal gründlich aufräumen müssen, Unnötiges und Belangloses rauswerfen und sich auf das Wesentliche beschränken.
    Warum dieses Buch mit einem Preis ausgezeichnet wurde, erschließt sich mir nicht. Wahrscheinlich bin ich nicht die richtige Zielgruppe dafür.

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  1. Von Achtsamkeit und Akzeptanz

    Kurzmeinung: Mit Sonderpunkt für ein schwieriges, eher ungeliebtes Thema.

    Der vorliegende Roman, Originaltitel „The book of Form and Emptiness“ gewann 2022 den „Women’s prize for fiction“. Nun ist man natürlich neugierig, was das für ein Roman ist. Es ist, so viel sei schon einmal verraten, ein seltsamer Roman und einer, mit dem viele Leser ihre Schwierigkeiten haben dürften, denn er ist verknäuelt, mit anderen Worten, sein Aufbau ist ein wenig unübersichtlich.

    Es ist ein Roman, dem zwar ein ernsthaftes Thema zugrundeliegt, nämlich eine psychische Erkrankung, der jedoch immer wieder ins Märchenhafte abdriftet. Die psychische Erkrankung ist ernst, ein 12jähriger Junge verkraftet den plötzlichen Tod des Vaters nicht und er beginnt, sich allerhand einzubilden. So hört er plötzlich, wie die Dinge zu ihm sprechen. Sofort leuchten bei uns alle Alarmlampen auf, psychisch krank, ganz schlimm, unzurechnungsfähig, Psychiatrie, Isolation, Ausgrenzung, nicht gesellschaftsfähig.

    Ruth Ozeki allerdings macht uns klar, dass Benny, der Stimmenhörer, nicht so ganz ausserhalb der Normalität steht, wie wir denken. Und damit macht sie auch der Leserschaft klar, dass die Gesellschaft es sich oft zu leicht macht, mit Menschen, die eine psychische Auffälligkeit haben. „Na und“, sagt eine der Figuren, „viele Menschen hören Stimmen.“ Ozeki geht spielerisch mit ihrem Thema um. Dieses Spielerische mag aus ihrer Kindheit kommen, denn sie sagt in einem Interview: „As a child, I related to objects as though they were semi-sentient, and even now I think about the stories that things could tell if only they could speak.“ Das ist ein entzückender Ansatz, der dazu führen könnte, dass wir alle achtsamer werden im Umgang mit Dingen. Aber die Dinge könnten auch die Herrschaft übernehmen – und dann wird es unangenehm.

    Mit den Dingen beschäftigt sich nämlich auch Bennys Mutter, Annabelle, die durch den Tod ihres Mannes ebenfalls aus der Bahn geworfen wird. Sie versucht tapfer sich ihren Problemen zu stellen, drohende Arbeitslosigkeit, Mietklage, Einsamkeit, Bennys Krankheit, aber alles wächst ihr über den Kopf und sie mutiert zum Messie.

    Die Botschaft, die Ruth Ozeki mit spielerischer Gelassenheit an die Leserschaft bringen will, ist leicht verständlich und wichtig: Grenzt Menschen nicht aus, die anders sind! Allerdings, und das macht ihren Roman gleichzeitig problematisch, bedient sie sich erstens einer recht kindlichen Sprache, die bei anspruchsvoller Leserschaft nicht ankommen dürfte, doch mag die simple Sprache dem Märchenhaften geschuldet sein, und zweitens pflastert sie ihren Roman mit sehr vielen skurrilen Gestalten, von denen man nicht immer weiß, ob sie real sind oder ob sie nur in Bennys Kopf existieren. Dann fängt sogar noch das Buch an zu sprechen, mal mit Benny „jeder Junge hat ein Buch in seinem Kopf“, mal mit dem Leser, ein weiteres Buch „Tidy Magic“, das Aufräumen bzw. Ordnunghalten thematisiert, kann ebenfalls sprechen. Es erteilt auf der einen Seite Zen-orientierten Rat, andererseits zieht es die japanische Mode, fremden Aufräumservice in Anspruch zu nehmen (Clips aus Japan, die man ganz zahlreich auch im Netz finden kann) durch den Kakao.

    Es geht auch viel um Bücher, so wird eine öffentliche Bibliothek zu einem magischen Ort.

    Der Kommentar:
    Benny und Annabelle kämpfen miteinander und umeinander und mit ihren psychischen Beeinträchtigungen. Sie sind eigentlich ganz zauberhafte Figuren. Antihelden, alle beide, aber lieb. Doch zwei sind hier einer zuviel. Wäre der Roman bei Benny und seinen Problemem geblieben, hätte er mir sehr gut gefallen. Das Märchenhafte hätte ich verkraftet. Doch die Messiemutter ist zuviel, auch die vielen seltsamen Abenteuer Bennys und seine neuen Freunde sind zu viel, der Roman ist übervölkert. Übervölkert mit Ideen, Figuren, Themen. Denn jede der auftauchenden Figuren belästigen den Leser mit grauenhaften oberlehrerhaften Monologen, es gibt Kapitalismusschelte, es gibt zahme Frettchen, es gibt Belehrungen über Walter Benjamin, über Jorge Louis Borges, über Politik, über Zen-Philosophie. Ich kann gar nicht alle Themen aufzählen, die im Vorbeilaufen angeschnitten werden. Dabei haben manche Stories dann auch wieder Charme, zum Beispiel die Geschichte einer uralten Tasse, die schon zerbrochen ist, während man sie noch heil in der Hand hält, weil Zen durch die Zeit hindurch aufs Ende schaut.

    Was bei allem schriftstellerischen Ausprobieren leider ein wenig verloren geht, ist der Leidensdruck, den eine psychische Krankheit verursacht. Durch Zen, Magie, das Spielerische und Märchenhafte spielt der Roman die Krankheit/en herunter. Ich hin da hin- und hergerissen, ja, einerseits, Krankheit ist normal und gehört zum Leben und da sie nun schon einmal da ist, sollte man sie akzeptieren, die totale Akzeptanz, aber andererseits wirkt sie eben auch lebenszerstörend und man kann sie nicht nur auf die leichte Schulter nehmen.

    Der Roman ist in seiner Konzeption so verknäuelt wie Bennys Innenleben; und überbordend in allem. Ob man der Weltanschauung des Romans folgen mag oder ganz anders empfindet, ist zudem reine Ansichtssache. Der Entwurf der Autorin Ruth Ozeki ist mal was anderes. Gewöhnungsbedürftig auf alle Fälle, mag aber Denkanstöße geben. Auf der Metaebene funktioniert dieser Roman ganz gut, auf der handwerklichen Seite hätte mehr drin sein können, zum Beispiel durch Straffung, Streichung, Kürzung und Fokusierung, zumal Zen dem Überbordenden kritisch gegenüber steht und Schlichtheit bevorzugt. Schade, das Thema der psychischen Krankheit ist nämlich wirklich wichtig.

    Fazit: Totale Akzeptanz mag der letzte Ausweg sein für Krankheiten aller Art und auch für diesen Roman. Ich hätte mir dennoch ein klareres und fokusierteres Vorgehen der Autorin gewünscht. Das Spielerische bringt die Thematik freilich auch an Leute heran, die sich vor niederdrückenden schweren Themen scheuen. Dies ist durchaus ein Verdienst, das man würdigen kann. Dafür gibt es von mir einen Extrastern, einen Sonderpunkt. Auch für Jugendliche ist das Buch hervorragend geeignet.

    Kategorie: Gute Unterhaltung
    Verlag: Eisele, 2022
    Sieger des Women’s prize for fiction, 2022

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  1. Krempel und Gerümpel

    Ein Buch über Krempel und Gerümpel, das einem Menschen über den Kopf wächst und sein Leben entscheidend bestimmt? "Die leise Last der Dinge" scheint genau so ein Buch zu sein.

    Die junge Familie Oh, verliert auf tragische Weise ihren Vater und Ehemann. Benny ist gerade einmal 12 Jahre alt und leidet sehr unter seinem Verlust. Der Mutter ergeht es nicht besser, doch verliert sie sich in abgebrochene Aufräumaktionen und Belohnungskäufen. Sie muss sich gleichzeitig um ihren Job als Medienbeoabchterin kümmern, den sie zu verlieren droht. Als ihr Arbeitgeber Homeoffice vorschlägt, stimmt sie resigniert zu, nicht wissend, dass das ganze Archiv von Zeitungen und Speichermedien in ihrem Haus landet. Es füllt sich.
    Das ist auch der Zeitpunkt, an dem ihr Sohn anfängt Stimmen zu hören. Er zieht sich emotional zurück, sein Fluchtpunkt ist eine große Bibliothek. In der Schule sticht er, von Stimmen getrieben, mit der Schere in sein Bein und wird in psychiatrische Behandlung geschickt. Mit Medikamenten ruhiggestellt, und seinem neuen Schwarm, die er in der Klinik kennengelernt hat, suchend, schwänzt er die Schule und verbringt seine Tage gänzlich in der Bibliothek. Dort kommt er nicht nur seiner gesuchten Alice/Aleph näher, sondern lernt mit ihr auch das bunte Häufchen Leute kennen, die mit ihr das öffentliche Gebäude als ihren Wohnsitz auserkoren zu haben scheinen. Obdachlose, Hausmeister, Drogensüchtige. Mit Wodka und Haschisch im Blut, erlebt Benny denn auch gefährliche Abenteuer mit reichlichen Verletzungen.

    Die Situation zu Hause eskaliert. Der Sohn ihrer Vermieterin droht mit Kündigung, wenn Annabelle (Bennys Mutter) nicht ihren Müll, der sich inzwischen schon auf der Veranda und im Garten aufhäuft, beseitigt. Annabelle startet wieder einen ihrer verzweifelten Aufräumaktionen...

    Nun, das Gute und Kreative ist, dass Benny auch die Stimmen seines Buches hören kann. Es füllt die Lücken in Bennys Geschichte, die er nicht wissen kann, die er aber auch nicht immer hören will. Er streitet mit seinem Buch, aber er muss seine Einmischung wohl hinnehmen.

    Das Magische, aber wenig Hilfreiche ist, dass es ein weiteres Buch gibt, welches in Annabelles Einkaufskorb springt. Es heißt Tidy-Magic, und hat die ultimativen Aufräumtipps für Konsumgeschädigte auf Lager. Die Wirkung auf Annabelle bleibt überschaubar. Gleichzeitig mischt sich die Geschichte der Verfasserin dieses Büchleins, einer Zen-Meisterin, ein. Sie hockt in Japan, dem Geburtsland von Annabells Ehemann, und rüstet sich für eine Lesereise in die USA. Dabei denkt sie auch an Annabelle, die ihr Fan-Mails geschrieben hat, und deren trauriges Schicksal sich doch vielleicht für eine begleitende Fernsehdokumentation eignen würde.

    Die einzige Vernünftige in dieser wenig aufgeräumten Geschichte, kommt ziemlich unscheinbar daher. Es ist eine Bibliothekarin, die Benny schon von Klein auf kennt und seine wahre Natur begreift. Sie ist es auch, die anpackt und Hilfe bringt.

    Das Nervige ist, dass viele Tote wieder auferstehen, nur ihre Namen, ihre Dichtkunst und sogar leibhaftig. Eine Coming-of-Age Liebesbekundung, ein fettes Eigenlob, ein Cluster von Weltproblemen (Gentrifizierung, Weltraumschrott, Gesundheitsversorgung...), eine inkompetente Psychiaterin, ein wodkasaufender Dichter, eine blindtippende Bibliotheksbesucherin die allem Anschein nach die Autorin über der Autorin (haha) ist, und dieses eine Mädchen, das alles mit ominösen Nachrichten aufmischt.

    Durch die ganzen Querverweise im Buch, wird das ernsthafte Thema Verlust und Bewältigung, die psychische Störung Bennys und das Versagen der öffentlichen Einrichtungen, überdeckt. Die Geschichte kann sich nicht entscheiden, zwischen Kunstprojekt, Anklageschrift, Abenteuerroman und zen-buddhistischem Lehrbuch. Leider ist die Einbindung dieser Elemente in die Handlung sehr holprig und unstimmig. Übergänge werden mit magischen Momenten (Magnetbuchstaben am Kühlschrank) bewältigt, Pattsituationen mit hingeworfenen Zufällen (die Vermieterin ist wieder da und halbwegs gesund) gelöst und sämtliche geistigen Schöpfer haben ihren Auftritt.

    Es verwirrte und ermüdete mich, aber vor allem hat es mich verärgert. Die Rechtschreib- und Logikfehler traten damit in den Hintergrund. Wer gerne Kreuzworträtsel löst und ein wenig auf der Esoterikschiene läuft, der könnte diese Buch trotzdem mögen.

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  1. Die große Last eines überfrachteten Romans

    Der 13-jährige Benny Oh hat ein Problem. Seit dem Unfalltod seines Vaters Kenji hört der Junge Stimmen. Seine Turnschuhe, die Fensterscheibe, die sich über den Tod eines Vogels beklagt, das Quietscheentchen - wie bringt man diese Gegenstände bloß wieder zum Schweigen? Seine Mutter Annabelle ist ihm keine große Hilfe. Trotz ihrer großen Liebe für den Sohn ist sie heillos überfordert und in ihrer Trauer gelähmt, hortet Dinge und kann sich nicht mehr von ihnen trennen. Für den Jungen werden sie zu einer Kakophonie des Grauens. Und während sich das Haus langsam aber sicher zu einer Müllhalde wandelt, macht Benny in der städtischen Bibliothek eine aufregende Entdeckung, die sein Leben fortan in eine andere Bahn lenken wird...

    "Die leise Last der Dinge", der neue Roman von Ruth Ozeki, hat gerade den renommierten "Women's Prize for Fiction 2022" gewonnen und sich dabei gegen namhafte Konkurrentinnen wie Louise Erdrich oder Elif Shafak durchgesetzt. Im Eisele Verlag ist nun die deutsche Übersetzung von Andrea von Struve und Petra Post erschienen.

    Zu Beginn der Lektüre überraschte mich diese Auszeichnung überhaupt nicht. So originell und im positiven Sinne einlullend startet das Buch. Formal zeichnet es sich zunächst durch zwei Erzählstimmen aus, die sich nicht nur im Tonfall, sondern auch in der gewählten Schriftart deutlich voneinander unterscheiden. Der erste Erzähler ist "das Buch", das jedoch immer wieder von Protagonist Benny selbst unterbrochen und korrigiert wird. Einfühlsam und gleichzeitig komisch lässt Ozeki ihre beiden Erzähler sich die Bälle zuspielen. Später lesen wir mit dem Zen-Ratgeber "Tidy Magic" ein Buch im Buch, wie es zuletzt beispielsweise Amy Waldman in ihrem Roman "Das ferne Feuer" meisterlich umsetzte. Einen so großen Raum nimmt "Tidy Magic" zwar nicht ein, doch die Idee ist durchaus charmant. Ohnehin bleibt die Form die große Stärke des Romans. Später wechselt das Buch in die Du-Perspektive und spricht Benny direkt an, es gibt Briefe zu lesen, Bennys eigene kleine Kurzgeschichten und immer wieder auch eine Meta-Ebene, auf der sich "das Buch" über verschiedene Themen auslässt, die sich mit Büchern befassen. Sei es der Wertverlust eines gedruckten Buches, der allseits bekannte Stapel ungelesener Bücher, der ganz geduldig auf seine Leser:innen wartet oder das schlechte Image von Ratgebern. Ozeki spielt gekonnt mit den Erwartungen der Leserschaft und überrascht in dieser Hinsicht immer wieder mit ihren kreativen Ideen.

    Jedoch kann "Die leise Last der Dinge" inhaltlich nicht mit seiner formalen Innovation mithalten. Dabei beginnt die Geschichte durchaus verheißungsvoll. Ozeki erzählt einfühlsam von einer dysfunktionalen Mutter-Sohn-Beziehung. Trotz der spürbaren Liebe zueinander sind Benny und Annabelle so mit sich und ihrer Trauer beschäftigt, dass der jeweils andere mit seinen schwerwiegenden Problemen eher eine Last denn eine Hilfe ist. Bennys Stimmen-Wirrwarr führt ihn schließlich in eine Klinik, während Annabelle ihr Messie-Chaos daheim allein nicht in den Griff bekommt und durch den Verlust des Hauses und ihres Jobs bedroht wird. Da kommt das kranke Kind schon mal zu kurz oder wird fast sträflich falsch behandelt. Denn Annabelle tut so, als sei Benny noch immer ein Kleinkind und merkt gar nicht, wie sehr sie ihren Sohn dadurch beschämt.

    Allein aus diesem Familienporträt hätte Ruth Ozeki einen ganz wunderbaren 350-seitigen Roman stricken können. Doch leider belässt sie es nicht dabei, sondern verheddert sich in zu vielen Nebenschauplätzen und damit fast 700 Seiten. Das Unheil nimmt für die Leser:innen seinen Lauf, als Benny mit dem obdachlosen "Flaschen-Mann" und einem Mädchen namens "Das Aleph" zwei Figuren kennenlernt, die besonders schräg und liebevoll wirken sollen. Anfangs gelingt das auch durchaus, doch mit zunehmender Dauer nehmen diese Nebenfiguren einfach zu viel Raum ein und entwickeln sich dadurch zu einem Ärgernis. Denn "Die leise Last der Dinge" entpuppt sich in dieser zweiten Hälfte als ein nicht besonders origineller Jugendroman, dessen Charaktere man gefühlt schon 50 Mal irgendwo getroffen hat und deren Abenteuer immer unwahrscheinlicher werden. In dieser Phase fühlte ich mich beispielsweise stark an Alina Bronskys "Nenn mich einfach Superheld" oder etwas weniger auch an Gavin Extences "Das unerhörte Leben des Alex Woods" erinnert, die zu ihrer jeweiligen Veröffentlichung sicherlich überraschen konnten, aus heutiger Sicht durch die Vielzahl an ähnlichen Werken aber überholt wirken.

    Und auch das Finale konnte mich leider nicht mehr überzeugen. Zu vorhersehbar und konstruiert wirkten auf mich die Verbindungen, zu einfach die präsentierten Lösungen.

    Ich bin mir dennoch sehr sicher, dass "Die leise Last der Dinge" eine durchaus große Anzahl an Leser:innen erreichen wird und für viele davon sogar zu einer Art Lieblingsbuch werden könnte. Die Mischung aus schrullligen Figuren, Weisheiten über Bücher und Bibliothekarinnen wird bei einer großen Zielgruppe den Nerv treffen. Das Buch selbst macht jedenfalls schon mal kräftig Werbung für sich: "Natürlich gibt es einzigartige Bücher - vielleicht haltet ihr gerade eines in der Hand", heißt es an einer etwas sich selbst beweihräuchernden Stelle. Auch für mich hätte es ein Lieblingsbuch werden können, wenn sich der Inhalt gleichermaßen gelungen wie die Form präsentiert und das Buch mindestens 200 Seiten kürzer gewesen wäre.

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