Die Ladenhüterin: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Ladenhüterin: Roman' von Sayaka Murata
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Ladenhüterin: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:145
Verlag: Aufbau
EAN:9783351037031

Rezensionen zu "Die Ladenhüterin: Roman"

  1. Der Konbini als Zufluchtsort

    Die Ich-Erzählerin Keiko Furukaro hat autistische Züge. Ihr fällt es schwer, die Gefühle ihrer Mitmenschen, aber auch ihre eigenen wahrzunehmen und zu deuten. Bereits in der Kindheit führt dies zu Irritationen und Zwischenfällen, da Keiko sich ganz anders als von ihr erwartet verhält. Als Keiko merkt, dass sie nicht in die Gesellschaft passt, zieht sie sich zurück und vermeidet dadurch unangenehme Situationen. Während ihrer Studienzeit beginnt sie in einem Konbini, einem 24 Stunden lang geöffneten japanischen Lebensmittelmarkt, als Aushilfe zu arbeiten. Alle neuen Angestellten erhalten eine Schulung. Erstmals erhält sie klare Anweisungen für ihr Verhalten gegenüber Kunden sowie für alle anfallenden Tätigkeiten. „Zum ersten Mal wurde mir ein normaler Gesichtsausdruck und eine normale Art zu sprechen beigebracht“ (S. 18). Rückblickend setzt Keiko ihren ersten Arbeitstag im Konbini mit ihrem ersten Geburtstag gleich: ihrem ersten Tag als normales Mitglied der Gesellschaft. Die klaren Regeln geben ihr Sicherheit, sie hat endlich einen Platz gefunden, arbeitet 18 Jahre gewissenhaft dort und imitiert immer wieder Ausdrucksweisen, Tonfall und Kleidungsstil ihrer Kolleginnen, um als normal zu gelten. Anfänglich reagiert Keikos Umfeld erfreut auf ihre Tätigkeit, die ein Stück weit Normalität bedeutet. Mit zunehmendem Alter stellt sich für Keiko aber erneut ein großes Problem: Als japanische Frau sollte sie längst verheiratet und auch nicht mehr in einem Aushilfsjob tätig sein. Als ein anderer Außenseiter in ihr Leben tritt, keimt der Gedanke einer Zweckehe auf, um endlich den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen und wieder in Ruhe leben zu können. Was dann passiert ist an Skurrilität kaum zu überbieten und öffnet den Blick auch für die in Japan geltenden Konventionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Rollenerwartungen an Frauen und Männern in unterschiedlichen Lebensabschnitten.
    Die Autorin schreibt nüchtern, klar und emotionslos. Dadurch fällt es schwer, eine Bindung zu den Figuren aufzubauen. Der Schreibstil passt aber sehr gut zu Keiko, die selbst nicht in der Lage ist, emotionale Beziehungen zu ihren Mitmenschen zu knüpfen. Äußerst glaubwürdig und präzise beschreibt Sayaka Murata den Konbini als einzigen Ort, an dem Keiko ihren Platz gefunden hat. Ich lese das Buch auch als Satire auf die japanische Gesellschaft, in der soziale Angepasstheit ein hohes Gut ist.
    Die Ladenhüterin ist eine besondere, subtile, gesellschaftskritische, stellenweise äußerst bizarre Erzählung, bei der ich innerlich häufig nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen konnte. Dafür und dass mir Keiko und ihr Konbini bestimmt lange im Gedächtnis bleiben werden, vergebe ich gerne fünf Sterne.

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  1. Reichlich Stoff zum Nachdenken

    Die Mittdreißigerin Keiko Furukura arbeitet seit 18 Jahren als Aushilfe in einem 24-Stunden-Supermarkt. Schon als Kind fühlte sie sich als Außenseiterin, da sie nicht dasselbe empathische Empfinden wie ihre Mitschülerinnen an den Tag legen konnte. Um nicht aufzufallen, verhält sich Keiko sehr ruhig, knüpft keine Freundschaften, hat keine Beziehungen und nimmt auch nicht am gesellschaftlichen Leben teil. Sicher fühlt sie sich nur auf ihrem Arbeitsplatz mit seinen vorgegebenen Phrasen und Verhaltensweisen.
    Ihr neuer Kollege Shiraha bringt Keiko auf die Idee, ihrem Leben doch noch eine andere Richtung zu geben.

    Geschichten von Außenseitern fesseln mich so gut wie immer, und so hat mich auch dieser Roman von Anfang an in seinen Bann gezogen. Wie sich eine junge Frau den Erwartungen der Gesellschaft (und sicher nicht nur der japanischen) entzieht, hat mir außerordentlich gut gefallen.
    Keiko ist eine sehr sympathische Protagonistin, der es lediglich am Mut fehlt, ihren Aushilfsjob aufzugeben. Wie dieses Berufsleben beschrieben wird, hat mich fasziniert und erinnert auch ein wenig an eine große westliche Handelskette. Sicher ist es in Japan noch extremer, wo die Angestellten zum Morgenappell antreten und die Kunden begrüßen müssen, als wären sie gern gesehene Verwandte. Dennoch hat mich der Roman immer wieder sehr stark auch an uns bekannte Gesellschaftsstrukturen erinnert. Wer kennt nicht die Fragen besorgter Familienmitglieder, warum die Heirat oder der Kindersegen ausbleibe. In Japan dürfte dieser Druck noch wesentlich höher sein, gilt man doch nur dann als nützliches Mitglied der Gesellschaft, wenn man einen guten Job hat oder verheiratet ist, am besten beides.
    Keiko kann sich diesem Druck sehr lange entziehen, sie lebt für ihren Job, schläft und isst ausreichend, um nicht krank zu werden und ihren Dienst stets ordnungsgemäß versehen zu können.
    Auch der Eintritt Shirahas in ihr Leben verläuft anders, als man es üblicherweise gewohnt ist. Wie sich die beiden begegnen ist ebenso überraschend wie Keikos Vorschlag ihrem neuen Kollegen gegenüber.
    Die Sprecherin Bettina Storm hat wirklich großartig gelesen. Sehr einfühlsam den innersten Gedanken Keikos nachspürend, konnte sie deren antrainiertes Auftreten im Supermarkt ebenfalls überzeugend vermitteln.
    Das Ende hat mir ebenfalls sehr gut gefallen, für mich eine in sich stimmige, abgerundete Geschichte, die viel Stoff zum Nachdenken bereithält.

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  1. 4
    04. Mär 2020 

    Die wahre Bestimmung

    Schon als Kind war Keiko anders, sie nahm es schon damals allzu wörtlich. Fand sie einen toten Vogel, dachte sie, er könne zum Verzehr geeignet sein, während ihre Schwester das Tierchen ehrenvoll bestatten wollte. Und so zieht es sich durch ihre Kindheit und Jugend. Ihr Studium schafft Keiko zwar mit Ach und Krach, aber einer richtigen Anstellung fühlt sie sich nicht gewachsen. Ihr Aushilfsjob in einem Convenience Store einem sogenannten Konbini ist wie eine Offenbarung. Endlich hat sie ein Vorbild im Verhalten ihrer Kollegen und ein Handbuch, endlich fällt sie nicht mehr auf.

    Doch in diesem berührenden kleinen Roman bleibt es nicht lange bei dem angenehmen Leben im Konbini. Mit Mitte dreißig hat Keiko ihre Aushilfsstellung immer noch inne und wieder fällt sie auf. Normale junge Frauen haben in dem Alter eine ordentliche Arbeit, Hobbys, eine Familie. Keiko beginnt zu überlegen, wie sie ihre Situation verbessern könnte. Vielleicht bietet der neue Mitarbeiter, der ihr irgendwie ähnlich zu sein scheint, die Rettung.

    In diesem kurzen Hörbuch/Büchlein steckt eine ganze Menge. Wie engstirnig ist die Gesellschaft - und das ist hier sicherlich nicht viel anders als in Japan - wenn sie eine junge Frau wie Keiko nicht einfach so sein lassen kann wie sie ist. Augenscheinlich hat Keiko eine Art autistische Störung, die sie zwar ganz gut funktionieren lässt, sie aber doch von denen unterscheidet, die sich als normal bezeichnen. Gut kann man Keikos Erleichterung nachempfinden als sie endlich im Konbini angekommen ist und ihre Bestimmung gefunden zu haben scheint. Warum verlangt ihre Familie von ihr, normal zu werden. Warum lassen ihr die Kollegen nicht einfach ihren Job? Wie traurig, dass sie darüber nachdenken muss, etwas an ihrem Leben zu ändern, um nicht mehr aufzufallen. Und mit ihrem männlichen Gegenpart findet sie tatsächlich einen, neben dem sie wie ein Ausbund an Normalität wirkt. Am Ende befreit sich Keiko von allen Konventionen und geht mit Freude und Erleichterung ihrer waren Bestimmung nach.

    Ein gefühlvoller kleiner Roman, der einem vor Augen hält, dass Menschen grundsätzlich so genommen werden sollten wie sie sind.

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