Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit

Buchseite und Rezensionen zu 'Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit' von Dr. Mai Thi Nguyen-Kim
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5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:368
Verlag: Droemer HC
EAN:9783426278222

Rezensionen zu "Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit"

  1. Breit gefächert

    Wahr, falsch, plausibel - Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft

    Sie geistert schon einige Zeit auf erfrischend „wissenschaftlich-jugendliche“ Art und Weise durch die Social Media Kanäle, die vierunddreißigjährige Mai Thi Nguyen-Kim, promoviert an der Universität Potsdam – heute meist (unzulässig) verkürzt als Wissenschaftskommunikatorin bezeichnet, weil sie andererseits genau das macht: Wissenschaft zu kommentieren und deren Ergebnisse, Forschungen und Studien zu kommunizieren – nicht nur in ihrem eigenen Fach. [1]

    Es waren die Videos des YouTube–Kanals MailLab, die sie immer bekannter machten, wozu Klimakrise und vor allem die Covid 19 – Pandemie nicht unerheblich beigetragen haben dürften. „MaiLab“ hieß ursprünglich „schönschlau“ und wird vom Südwestrundfunk produziert: [2]

    „Hallo, Freunde der Sonne, holt euch einen Tee und macht es euch gemütlich, jetzt geht es los mit der kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit“, würde sie dort sagen, um das Buch vorzustellen, das seit Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher zu finden ist.

    Das ist doch etwas anders, als wenn wir lesen würden: „Physikalische Hydrogele gewinnen derzeit als Zellsubstrate zunehmend an Interesse, da Viskoelastizität oder Stressrelaxation ein bedeutender Parameter in der Mechanotransduktion ist, der bisher vernachlässigt wurde.“ [3]

    Mit diesen Zeilen leitet die Uni Potsdam die Darstellung der Dissertation über „Physikalische Hydrogele auf Polyurethan-Basis“ ein. Dazu fällt mir gerade noch ein, dass da was mit Wasser und Makromolekülen sein muss, nein mich interessiert weniger, was das für Moleküle sind, aus denen wir zusammengesetzt sind. Mai Thi Leiendecker, so der bürgerliche Name, interessierte genau das, darum studierte sie Chemie.

    Dies erzählt sie ziemlich am Ende des Hörbuches nachdem sie sich durch ein enorm breites Spektrum ihres zweiten (?) Buches hangelt. Es geht um Videospiele und Gewalt, die Gehirne von Mann und Frau, Gender Pay Gap, Lohngerechtigkeit, die großen Pharma-Konzerne, Impfpflicht, Homöopathie, Drogenlegalisierung und wie wissenschaftliche Studien so sind und was sie aussagen können.

    Natürlich sind Corona, Klimawandel und Tierversuche große Themen. Es ist an sich nicht nötig, ihr Plädoyer zur Covid-Schutzimpfung zu betonen und ihre Sympathie für Friday for Future. Überlegenswert sind die Gedanken, die sie zu Tierversuchen in der Medizin und Tiere als Fleischlieferanten äußert.

    Vor Jahresfrist ging sie auf dem Kanal Mailab mit Dieter Nuhr ins Gericht, der in diversen Shows so tat, als würde er dem Ruf „Folgt der Wissenschaft“ selber folgen. Auch in diesem Buch zeigt sie noch einmal, was davon zu halten war bzw. ist.

    Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit ist schwer zu erreichen, dazu bracht es wissenschaftlicher Methoden. „Wissenschaftliche Studien sagen wenig, wenn man die dazugehörigen Methoden nicht kennt.“ – So schließt Nguyen-Kim ihr Buch ab, in dem sie darstellt, dass Konsens in der Wissenschaft viel häufiger besteht, als uns das Medien und Politik glauben machen, wobei sie uns ihren eigenen Blick auf social Media nicht vorenthält.

    Für wissenschaftliche Diskussions- und Fehlerkultur gilt dies ebenso, das ist irgendwie beruhigend. „Wissenschaftlicher Konsens ist die beste Annäherung an die Wahrheit“ und dieser besteht eben zum Beispiel in der Anerkennung des menschengemachten Klimawandels und in der Gefährlichkeit des Corona-Virus.

    Ihren „wissenschaftliche Spirit“ will die Autorin mit uns teilen , und nein, das hat mit „Wissenschaftsreligion“ nicht zu tun.

    Das Buch - Wer des öfteren dem Kanal Mailab folgt, kennt die erfrischende Art der Autorin, die ich oben bereits erwähnte. In einem Buch über „Wissenschaftskonsens“ geht das nicht ganz so locker und jugendlich daher, obwohl es Spaß macht ihr zuzuhören. Allerdings braucht man Pausen und wenn man vorhat, vom Inhalt möglichst viel zu behalten, zum Beispiel um über das Buch in einem Literaturblog zu schreiben, dann sollte man es besser auf hergebrachte Art lesen. Schon wegen der Klebezettel, die man darin anbringen und der Zitate, die man besser abschreiben kann.

    Das Buch ist, gehört oder gelesen, gerade in heutiger Zeit zu empfehlen, es ist an einigen Stellen geradezu Augen öffnend. Man braucht auch keine Hochschulreife, um es zu verstehen, auch wenn sie hilft. Nicht völlig verschüttetes Schulwissen reicht aus. Ihre "Mission, Wissenschaft wie eine Seuche über das Land zu verbreiten" verfolgt sie konsequent.

    Vermutlich erreicht das Buch nicht die, deren Schulwissen anscheinend unter einem großen Berg Verschwörungsschrott liegt, was zumindest für Logik, ein bisschen Philosophie und vor allem Naturwissenschaften gilt. (Von denen mochte ich übrigens Chemie am wenigsten). Aber diese Leute glauben sowieso, dass die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, welches sie im Herbst 2020 für ihre Art der Wissenschaftskommunikation erhielt, eine reine, fake news verbreitende, Marionette der Politik ist.

    Für alle anderen gilt, greift zu, und gebt es euren Abi-machenden Töchtern und Söhnen in die Hand, ein bisschen Logik und das Verstehen ein paar kausaler Zusammenhänge mehr hat noch keinem geschadet.

    [1] Vgl: https://de.wikipedia.org/wiki/Mai_Thi_Nguyen-Kim
    [2] vgl. Ebenda
    [3] siehe https://publishup.uni-potsdam.de/frontdoor/index/index/docId/10391

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  1. interessantes Sachbuch

    Mai Thi Nguyen-Kim ist bei vielen seit der Corona-Pandemie mit ihren You-Tube Channel maiLab bekannt geworden. Doch bereits vorher hat sie dort vermeintlich schwierige, naturwissenschaftliche Themen so aufbereitet, dass auch interessierte Laien diese Themen verstehen können.

    Mit „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ legt sie nun ein Buch vor, in dem sie wissenschaftliches Arbeiten erklärt. Denn um viele Dinge zu verstehen, muss man wissen, wie in der Wissenschaft gearbeitet, geforscht, veröffentlich und debattiert wird. Wer die Vokabeln der Wissenschaft nicht versteht, wirft vieles durcheinander und manche Debatte wird von den Medien als Streit inszeniert, wo eigentlich gar keiner ist. Wissenschaft heißt nicht immer einer Meinung sein, sondern einen Konsens finden und vermeintliche Tatsachen immer wieder überdenken.

    Ich habe Buch und Hörbuch parallel gelesen bzw. gehört. Je nachdem wie ich Zeit hatte. Wobei es mir teilweise leichter fiel Mai Thi zuzuhören, als das gelesene aufzunehmen. Ihre Art zu sprechen und Fakten teilweise mit einem ironischen Unterton zu versehen, machen den teilweise schwierigen Stoff zu einem unterhaltsamen Hörbuch. Viele Dinge wusste ich schon trotzdem fand ich die Erklärungen immer sehr interessant. Und an manchen Ecken bekommt man gute Vergleiche geliefert, die man in Diskussionen nutzen kann.

    Interessant fand ich die Themen rund ums Impfen und die Medikamentenforschung. Gerade im Moment, wo viele skeptisch ob der schnellen Zulassung von Impfstoffen sind, fand ich es wichtig zu erfahren, wie das normalerweise läuft und die der Prozess nun beschleunigt werden konnte. Und auch das Thema Tierversuche wird in diesem Zusammenhang einmal genauer beleuchtet.

    Einzig beim Thema „Ist Intelligenz vererbbar?“ bin ich bei der Definition der Begriffe etwas ausgestiegen. Allerdings ist mir jetzt auch klar, dass so eine Frage sicher nicht einfach zu beantworten ist.

    Alles in allem haben mir sowohl Buch als auch Hörbuch sehr gut gefallen und werden sicher noch einmal zur Hand genommen werden. Auch meine Kinder waren von dem Hörbuch recht angetan und werden es noch komplett hören. Besonders, da sie einige der Themen auch gerade in der Schule durchnehmen.

    Von mir daher eine Empfehlung sowohl für das Buch als auch für das Hörbuch.

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  1. 5
    14. Mai 2021 

    Streitkonsens

    Vielleicht kennt man den YouTube Kanal maiLab und hat eines oder mehrere der Videos gesehen. Dann wird man natürlich neugierig darauf, wie die Autorin ihre eingängigen, auch für Laien gut verständlichen Videos, in Schriftform bringt. Doch vielleicht will sie das ja auch garnicht. Diese Frage ist recht schnell beantwortet, so ungefähr nach den ersten paar Sätzen. Ihre gradlinige, deutliche und dabei von der Wissenschaft geprägte Art kommt auch in Schriftform sehr sympathisch rüber und man startet mit der eigentlichen Lektüre. Man beschäftigt sich mit Themen wie der Gewaltbereitschaft von Gamern oder der Möglichkeit der Freigabe von Drogen und der unterschiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern. Man lernt über Methoden, die weiterbringen und von wissenschaftlich konstruktivem Streit. Immer hat man die offene sympathische Wissenschaftlerin vor Augen, die für das, was sie sich zur Aufgabe gemacht hat, lebt.

    Die Wissenschaft ist nicht dröge und auch, wenn man als Laie nicht hundertprozentig alles versteht, so versteht man doch das Meiste und wird vielleicht einige Themen durch einen anderen Filter sehen. Eine Art wissenschaftlicher Diskurs in seiner Sachlichkeit könnte eine Erholung gegenüber der heutigen Aufgeregtheit bieten, in der jeder Recht hat und keiner zuhört. Einem anderen seine Position gönnen, sie, wo sie in die Irre geht, sachlich widerlegen und den Versuch starten, bei allen Differenzen etwas Gemeinsames zu finden, wie viel entspannter könnte alles sein. Wahrscheinlich wird durch dieses Buch die Welt nicht gerettet, aber der interessierte Leser kann durch die möglicherweise auch wiederholte Lektüre etwas klüger werden. Von der Kultur des Umgangs kann man sich zumindest eine Scheibe abschneiden. Dieses Buch kann gerne in Griffnähe bleiben, die behandelten Themen werden so schnell ihre Aktualität nicht verlieren und die Methoden sind sicherlich zeitlos und können durch Auffrischung noch besser im Gedächtnis verankert werden.

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