Die kleine Schwester

Buchseite und Rezensionen zu 'Die kleine Schwester' von Chandler, Raymond
3.2
3.2 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die kleine Schwester"

Orfamay Quest kommt aus der Provinz nach Los Angeles. Sie sorgt sich um ihren vermissten Bruder. Das ist die Version, die sie Privatdetektiv Philip Marlowe auftischt. Die Spur führt hinter die Kulissen von Hollywood, Orfamays große Schwester ein Leinwandstar ist. Marlowe gerät in eine Welt aus Gangstern und Glamour, Cops und Fedoras. Ein Meisterwerk mit wunderbarster Film-Noir-Atmosphäre. Und gleichzeitig eine gnadenlose Entlarvung der Traumfabrik.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
Verlag:
EAN:9783257071399

Rezensionen zu "Die kleine Schwester"

  1. Hard-boiled Klassiker in Neuübersetzung

    Stimmungsgeladen und gesellschaftskritisch sind die Klassiker von Raymond Chandler, von Sarkasmus triefend, zynisch und bissig, Vorreiter und Wegbereiter für eine völlig neue Art, Krimis zu schreiben.
    Wer allerdings einen im Hinblick auf Politik und Frauenbild korrekten Roman erwartet, dessen Handlung realistisch und logisch ist, ist hier falsch.

    Aber das erwarte ich eben nicht bei Raymond Chandler, der seine sieben vollständigen Philip-Marlowe-Romane zwischen 1939 und 1958 erstmals in den USA veröffentlichte, meist basierend auf viel früher veröffentlichten Kurzgeschichten. (Daraus, dass mehrere Kurzgeschichten zu Romanen verarbeitet wurden, ergibt sich übrigens die komplexe, manchmal verwirrende Handlung der Philip-Marlowe-Bücher.)
    Vielmehr freue ich mich bei Chandler auf und über die heute völlig überholten bissigen Schlagfertigkeiten des allwissenden frauenmordenden Machos Philip Marlowe, der trotz aller Gewalt mitten im Abschaum einer untergehenden Gesellschaft immer an den Funken Menschlichkeit glauben kann, vor dem Stars und Sternchen am Rande der kaputten Hollywood-Fabrik reihenweise angehimmelt wird, und seine große hässliche Visage aus Loyalität gegenüber seinen Auftraggebern mehr als einmal in den Schlamm drücken lässt. Manchmal braucht es eben einen Marlowe, wenn Korruption und Falschheit das Bild beherrschen.
    Und genau so lese ich auch diesen Kriminalroman „Die kleine Schwester“ in der Neuübersetzung von Robin Detje.

    Zur Handlung: Orfamey Quest, eine Provinzgöre aus Manhatten in Kansas, kommt zu Philip Marlowe aus Sorge um ihren vermissten Bruder. Sie spielt die arme Kleine vom Lande und hinterlässt ihm einen äußerst knapp bemessenen Vorschuss. Auf der Suche nach dem Bruder gerät Marlowe tief in den Sumpf direkt neben dem heruntergekommenen Glamour Hollywoods, wo Orfameys große Schwester ein Leinwandstar ist, der von Alkoholikern, Drogenärzten, Gangstern und Leichen nur so trieft, und merkt schnell, dass hier ein falsches Spiel läuft.

    Chandler zeichnet im großen Stil mit sprachlicher Präszision eine stimmungsvolle und gelungene Film-noir-Atmosphäre, die zwar manchmal dramaturgisch etwas aus dem Ruder läuft, aber deren Abgründe und nahtlose Schnittstellen zwischen Gesetzeshütern und Kriminellen gepaart mit Marlowes cooler Melancholie ihresgleichen sucht. Es ist eine verrottete Gesellschaft mit anarchischen Zügen, in der sich die High Society das Gesetz selbst strickt, und in der Philip Marlowe mit seiner Loyalität und seinem Gerechtigkeitssinn auf verlorenem Posten einen verlorenen Kampf kämpft und dabei selbst die eine oder andere Regel brechen muss.
    Er bricht vor allem die sonst in eben dieser Gesellschaft übliche Regel, dass die Unschuldigen immer bezahlen müssen für großes Staatsversagen und völlige Entgleisung.

    Der Diogenes Verlag hat mit vorliegendem Buch eine für mich gelungene Neuübersetzung des 1949 erstmals erschienenen Krimis „Die kleine Schwester“ (der fünfte Roman um Philip Marlowe) herausgebracht, bei der das Spagat zwischen aus heutiger Sicht verdrehter übertriebener, politisch unkorrekter Sprache, die aber nun mal die Romane von Chandler ausmacht, und guter Lesbarkeit ohne allzu viele Stolperstellen, an denen man sich als moderner Leser stoßen könnte, geglückt ist. Durch harte, punktgenaue, coole und sarkastische Dialoge und melancholische Monologe blitzt neben aller Gesellschaftskritik immer wieder Marlowes Menschlichkeit, der weiche Kern des abgehalfterten Privatschnüffners, was neben gnadenloser Entlarvung und literarischer Anprangerung eben auch Chandlers Romane ausmacht.

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  1. 3
    14. Jan 2021 

    Düstere Engel

    Die junge Dame aus Manhattan, Kansas, sucht ihren Bruder. Sie fährt nach Los Angeles und sucht nach einem Detektiv. Philip Marlowe soll den Auftrag bekommen. Orfamay Quest hat nicht viel Geld, aber ein niedliches Gesicht. Ein Grund für Marlowe den Auftrag anzunehmen. Den ehemaligen Medizinstudenten zu finden, erweist sich als schwierig. Auch scheint Marlowes Kundin es entweder mit der Wahrheit nicht ganz so genau zu nehmen oder zumindest mit etwas hinter dem Berg zu halten. Doch nach und nach deckt Marlowe die düsteren Geheimnisse des Orrin Quest und seiner kleinen Schwester auf.

    Bei diesem Roman handelt es sich um den fünften Band, mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe als Ermittler. Eine Rahmenhandlung, die es angebracht erscheinen ließe, beim Lesen eine Reihenfolge einzuhalten, ist nicht erkennbar. Die Welt von Philip Marlowe ist in Südkalifornien Ende der 1940er angesiedelt. Stars und Sternchen gab es auch damals schon und viele von ihnen hatten eine ungewöhnliche Geschichte. Alle träumten von Ruhm und Geld und möglicherweise von ein wenig Liebe. Doch in was ist Orrin Quest hineingeraten? Und warum ist seine kleine Schwester nicht einfach zu Polizei gegangen?

    Wenn es mal ein Crime Noir Klassiker sein soll, kommt einem der Name Raymond Chandler durchaus in den Sinn. Ob „Die kleine Schwester“ der richtige Band für den Einstieg ist, kann man vielleicht etwas in Frage stellen. Auch muss man sich im Klaren sein, dass die Art der Darstellung aus den späten 1940er Jahren vielleicht nicht ganz einfach in die heutige Zeit übertragen werden kann. Diese Punkte und auch dass es in dem Fall eher um die Darstellung der Filmindustrie und deren Verbindung zum Verbrechen geht als um eine stringente Ermittlung, machen die Lektüre nicht ganz einfach. Auf der anderen Seite lässt sich jedoch sagen, dass die Stimmung im damaligen Los Angeles mit seiner Filmindustrie sehr gut rüberkommt. Mitunter braucht der Autor nur wenige prägnante Worte, um Bilder einer lebendigen Stadt mit ihrem besonderen manchmal düsterem Flair erstehen zu lassen.

    3,5 Sterne

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  1. 3
    03. Jan 2021 

    Nur der zynisch-resignierte Detektiv blickt durch...

    Orfamay Quest kommt aus der Provinz nach Los Angeles. Sie sorgt sich um ihren vermissten Bruder. Das ist die Version, die sie Privatdetektiv Philip Marlowe auftischt. Die Spur führt hinter die Kulissen von Hollywood, wo Orfamays große Schwester ein Leinwandstar ist. Marlowe gerät in eine Welt aus Gangstern und Glamour, Cops und Fedoras. Ein Meisterwerk mit wunderbarster Film-noir-Atmosphäre. Und gleichzeitig eine gnadenlose Entlarvung der Traumfabrik.

    Einen Raymond Chandler wollte ich immer schon einmal lesen - wer hat denn noch nie etwas gehört von dem berühmten Philip Marlowe, dem Privatdetektiv, der die schwierigsten Fälle löst? Noch dazu wo Chandler als einer der Väter des Kriminalromans gilt und selbst heute noch von Autoren so empfunden wird?

    Nun ja. In der Leserunde, in der ich diese neu aufgelegte Folge der Reihe um Philip Marlowe lesen durfte (sie stammt aus dem Jahr 1949), bekam ich mit, dass 'Die kleine Schwester' wohl nicht der beste / einfachste Band Chandlers sein soll. Aber er war nun einmal mein erster und damit wohl auch gleichzeitig mein letzter Krimi dieses Autors.

    Ganz eindeutig ist, dass man diesen Krimi im Zusammenhang mit seiner zeitlichen Entstehung lesen muss. Chandler lässt seinen resignierten, zynischen Detective durch das Hollywood der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts streifen und gewährt dabei einen gnadenlosen Blick auf die schöne Scheinwelt. Was hinter den Kulissen läuft, kann Marlowe nicht schockieren, bestärkt ihn aber in seiner Haltung, von allen stets nur das Schlechteste zu erwarten.

    Definitiv gilt hier von Anfang an, dass nichts ist was es zu sein scheint, einschließlich der mysteriösen Auftraggeberin, die Marlowe bittet, ihren verschollenen Bruder zu finden. Der Privatdetektiv hat zwar stets den richtigen Riecher, stochert anfangs aber ebenso im Dunkeln herum wie der Leser. Dabei blieb es für mich durchgehend verwirrend, und auch die Dialoge emfpand ich meistensteils als anstrengend, weil hier ständig etwas gesagt wird, das sich spätestens zwei Sätze später genau ins Gegenteil verkehrt. Allein Marlowe blickt am Ende durch und präsentiert seine Erkenntnisse auf die ihm übliche lakonische Art.

    Der Ich-Erzähler Marlowe ist der Inbegriff des Hardboiled Detectivs, er raucht, trinkt Whisky, hat bei jeder Frau ein Stein im Brett, macht sich nichts mehr vor, und erscheint als einsamer Wolf mit moralischen Prinzipien, wobei diese nicht zwangsläufig mit dem Gesetz konform gehen müssen. Als Figur interessant angelegt, trotzdem wurde ich damit nicht warm. Abgesehen von der zentralen Figur bleiben die anderen Charaktere sehr an der Oberfläche und bedienen in vielen Fällen gewollt Klischees.

    Chandler schreibt oft in einfachen Sätzen, weist dabei aber einen ganz eigenen Schreibstil auf. Ungewöhnliche bis verwirrende Metaphern ziehen sich durch den gesamten Kriminalroman - so z.B.:

    "...sandfarbene Haare und eine Nase wie ein vom öffentlichen Nahverkehr geschärfter Ellbogen."

    Der letzte Abschnitt mit Marlowes Erläuterungen zum Fall und zu seinen Erkenntnissen haben hier gemeinsam mit dem interessanten Nachwort den dritten Stern gerettet. Über große Strecken jedoch habe ich die Lektüre einfach nur als anstrengend empfunden, wodurch ich zwischenzeitlich nahezu das Interesse am Weiterlesen verlor.

    Alles in allem ein interessanter Ausflug in frühere Welten, aber Philip Marlowe und ich werden wohl keine Freunde mehr. Verdienste um das Genre des Kriminalromans hin oder her...

    © Parden

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  1. Marlowes Mission

    „Philip Marlowe…. Ermittlungen, steht in schwarzen Buchstaben auf dem Riffelglas und die Farbe blättert ab von der echt schäbigen Tür.“

    Eine schäbige Tür, ein schäbiger Flur, ein schäbiges Büro. So wie das Büro hat der Privatdetektiv Philip Marlowe schon bessere Tage gesehen. Da beauftragt ihn die junge Orfamay Quest, angereist aus Manhattan, Kansas, ihren verschwundenen Bruder Orrin zu finden. In der heruntergekommenen Unterkunft, in der Orrin zuletzt gemeldet war, trifft Marlowe auf einen Geldeintreiber, einen versoffenen Hausverwalter und einen Fremden in Orrins altem Zimmer. Als Marlowe unverrichteter Dinge den Hausverwalter befragen will, findet er diesen ermordet, mit einem Eispickel erstochen, auf. Marlowe ist sich seiner eigenen Klientin nicht mehr sicher. Es wird zu seiner „Quest“, seiner Mission. Die Neugier und vor allem sein spezieller Ehrenkodex treibt ihn an, weiter Ermittlungen durchzuführen, auch wenn ihn Miss Quest an der Nase herumführt.

    „Ich behaupte ja nicht, dass Sie schon alles wissen, was sie wissen möchten…Die Sache ist nur, ich weiß nicht alles, was ich wissen müsste, um für Sie zu arbeiten.“

    Raymond Chandler schrieb „Die kleine Schwester“ im Jahre 1949 und es ist eine sehr direkte Abrechnung mit der verlogenen Welt der Filmindustrie So führen Marlowes Schlussfolgerungen ihn aus der schäbigen Halbwelt von L.A. mitten in das glanzvolle Hollywood der 1940er Jahre. Der schöne Schein nur Illusion, hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf um Geld und Karriere. Windige Mafiamobster mischen fleißig mit. Drohungen und Drogen, Vertuschung und Erpressung stehen an der Tagesordnung.
    Philip Marlowe ist kein richtiger Held, eher ein Ritter ohne Rüstung. Seit Chandlers Erstling „Der große Schlaf“ (1939) ist Marlowe nicht gealtert, bleibt immer etwa Mitte 30. Er ist einer der Prototypen des abgebrühten Ermittlers, hardboiled, lakonisch, zynisch. Ein einsamer Wolf, er raucht (heute dürfen das nur mehr die „Bösen“) trinkt nicht zu knapp, klopft Sprüche und Frauen ab.

    „Ach alle möglichen Frauen, die sich mir an den Hals werfen und in Ohnmacht fallen und geküsst werden wollen und so weiter. Ganz schön viel Action für einen durchgemängelten Schnüffler ohne Yacht.“

    Ein politisch korrektes Bild muss beim Lesen außer Acht gelassen werden. Wir befinden uns Jahrzehnte vor #metoo. Chandler beschreibt genau, das was er sieht. Schöne Frauen, die sich als Dummchen gerieren, ihre Reize ausreizen, sich gerne von einem starken Mann umherführen lassen. Doch Vorsicht: So hilflos, wie sie alle tun, sind Chandlers weibliche Darstellerin bei weitem nicht.

    Chandlers Romane sind mit Sicherheit mit den Augen von damals zu lesen. Was aber bis heute Bestand hat, ist das „Vorbild Marlowe“ für unzählige Krimiautoren. Im Nachwort schreibt Michael Connelly, dass er jedes Mal, wenn er ein neues Buch beginnt, davor Kapitel 13 aus der kleinen Schwester liest. Wie Marlowe in diesem Kapitel über die Sinnhaftigkeit seines Tuns, dem ewigen Kampf gegen Privilegien, der Ungerechtigkeit und der Verwundbarkeit sinniert ist universell und zeitlos.

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  1. Eine Schwester auf der Suche nach dem Bruder

    "Was verdienen Sie so Mr. Marlow?" "Vierzig Dollar pro Tag plus Spesen. Das verlange ich. Manchmal auch fünfundzwanzig. Auch schon mal weniger." (Buchauszug)
    Orfamay Quest ein unschuldiges Wesen aus einer kleineren Provinz Kansas, kommt in die große Stadt, um nach ihrem Bruder Orrin zu suchen. Dieser hat sich länger nicht bei seiner Familie gemeldet, weshalb sie sich Sorgen machen. Zumindest ist es dies ihre Variante, die sie Privatdetektiv Philip Marlowe versucht weiß zu machen. Orfamays unschuldiger Blick, ihre Naivität scheinen jedoch Marlowe anzuziehen, weshalb er den Auftrag annimmt, obwohl er keine große Lust dazu hat. Doch immer mehr Ungereimtheiten stellen klar, das Orfamay ihm die ganze Wahrheit verschwiegen hat. Doch Marlowe findet irgendwann heraus, was sie vor ihm zu verbergen versucht. So entdeckt er unter anderem das Orfamays Schwester als Schauspielerin in Hollywood arbeitet und das Geheimnis um ihren Bruder.

    Meine Meinung:
    Zufällig bin ich an dieses Buch geraten, als ich bei einer Leserunde das falsche Buch bekam. So dachte ich mir, warum nicht, dann lese ich eben doch mit, obwohl mich der Klappentext nicht überzeugt. Man sollte vielleicht doch auf sein Bauchgefühl hören, den mit diesem Buch habe ich mir keinen Gefallen getan. Mir sagte zwar der Name Philip Marlowe etwas, jedoch das Chandler der Vorreiter der späteren Kriminalromane war, das wusste ich bis dahin nicht. Der Sprache ist trotz neuer Übersetzung zwar ok gewesen, doch die Ausdrucksformen sind meiner Ansicht nach eher grenzwertig. Einiger seiner Dialoge sind recht witzig und manche durchaus gut gemacht. Doch Chandler zeigt hier leider ein wirklich unschönes, bedenkliches Frauenbild auf, bei dem es keine Ausnahmen gibt. Zudem hat es ihm die Filmindustrie Hollywoods angetan, mit der er hier in diesem Buch anscheinend versucht abzurechnen. Fast alle Frauen werfen sich Marlowe an der Hals, als wenn er der größte Gigolo ist, derweil empfinde ich ihn eher als eine Art Colombo-Magnum Verschnitt zum Einschlafen. Marlowe glaubt sogar, dass die Frauen einen Mann regelrecht schwach machen, sodass dieser gar nichts anders kann, als zuzugreifen. Gerade im Zeitalter der heutigen MeToo-Bewegung empfinde ich dieses Frauenbild einfach nicht mehr zeitgemäß. Natürlich muss man vorstellen, dass dieses Buch kurz nach dem Krieg entstanden ist und da vieles sicher anders war. Doch möchte ich so was unbedingt heute noch in einem Krimi lesen. Außerdem hab ich den Eindruck, das Chandler die Problematik Hollywoods, das sich Frauen damals für eine gute Rolle eben hochgeschlafen musste, aufzeigen wollte. Auch Marlowes Einstellung zu Arbeit empfand ich gewöhnungsbedürftig, ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm sein Job wirklich Spaß macht. Selbst seine Ermittlungen können mich nicht voll überzeugen. So weiß ich bis heute nicht, wie Marlowe an manche Informationen gekommen ist. Das Buch wurde für mich von Seite zu Seite immer verworrener und ich konnte irgendwann gar nicht mehr richtig folgen. Ebenso hält sich die Spannung in Grenzen, sodass die Geschichte immer ermüdender für mich wurde. Selbst wenn Chandler der Vater der Kriminalgeschichten sein soll, war dies sicher mein einziges Buch, das ich von ihm gelesen habe. Deshalb kann ich hier nur 2 von 5 Sternen geben.

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  1. 4
    17. Dez 2020 

    Ein Klassiker des „ hard -boiled - Krimis“

    Privatdetektiv Philip Marlowe sitzt in seinem schäbigen Büro und jagt einer Schmeißfliege nach; mehr gibt es gerade nicht zu tun. Bis das Telephon klingelt und sich eine Klientin ankündigt. Die junge Orfamay Quest, ein „ kleines,braves, adrettes Mädchen“ vom Lande ( „ Nie hätte jemand weniger nach Lady Macbeth aussehen können.“ ), hat einen Auftrag für ihn. Er soll ihren älteren Bruder Orrin ausfindig machen. Seit dieser vor zwei Jahren von daheim, einem Kaff in Kansas, fortging, hat er regelmäßig Briefe an die Mutter und die kleine Schwester geschrieben. Doch seit einigen Wochen bleiben sie aus und Orfamay macht sich Sorgen. Obwohl Marlowe spürt, dass die junge Frau nicht alle Karten auf den Tisch legt, macht er sich auf die Suche, für schäbige 20 Dollar Lohn.
    Er beginnt mit Orrins letztem Aufenthaltsort, einer heruntergekommenen Pension in einer maroden Gegend . ( „ Das kaputte Pflaster ... war fast schon wieder zu Erde geworden.“ ) Hier trifft er auf ebenso heruntergekommene Typen, die wenig Bereitschaft zeigen, ihm weiterzuhelfen.
    Seine weiteren Ermittlungen führen Marlowe ins Gangstermilieu und hinter die Kulissen der Traumfabrik Hollywood. Dabei macht er die Bekanntschaft mit kleinen und größeren Verbrechern, mit schönen Frauen, die ihn für ihre Spielchen zu umgarnen versuchen, mit aufsteigenden Stars und kleinen Sternchen, mit Filmmogulen und ausgebrannten Cops.
    Und immer wieder stolpert er über Leichen mit einem Eispickel im Nacken. Dies alles ist nicht ungefährlich für unseren unerschrockenen Ermittler.
    Das Ganze entpuppt sich am Ende als eine etwas verworrene Erpressergeschichte. Bis dahin müssen sich Marlowe und der Leser die Geschehnisse zu einem Gesamtbild zusammenpuzzeln. Das ist nicht ganz einfach, leicht lässt sich der Überblick verlieren.
    „ Ich will nicht behaupten, dass die Teile sich zu einem Bild zusammenfügten, aber sie sahen wenigstens langsam so aus, als würden sie zum selben Puzzle gehören.“
    Doch der Krimiplot ist nicht das Wesentliche bei Chandler. Seine Bewunderer ( zu denen ich gehöre ) lieben den schnoddrigen Ton, die Dialoge, mal lakonisch, mal zynisch, die präzise Beschreibung des Milieus und der Umgebung und seinen Ermittler.
    Philip Marlowe, ein einsamer Wolf, führt einen Kampf gegen die korrupte Welt um ihn. Dabei folgt er seinem eigenen Ehrenkodex, der nicht immer im Einklang steht mit dem Gesetz. Nach außen hin wirkt er hart und cool, im Innern aber verbirgt sich eine empfindsame Seele. Ein Melancholiker : „ Ich war das Kalenderblatt von gestern, das zusammengeknüllt ganz unten im Papierkorb lag.“
    Chandler schreibt präzise und detailreich, er entwirft filmreife Szenen, die die Atmosphäre genau vermitteln und die Figuren lebendig werden lassen. „ Die kleine Schwester“ ist Chandlers Kritik an der verbrecherischen Glimmerwelt der Filmindustrie, vielleicht nicht sein stärkster Roman.
    Allerdings darf man als Leser nicht mit heutigen Erwartungen an das Buch herangehen. Der Roman ist 1949 erschienen und transportiert ein Gesellschafts- und Frauenbild von damals. Außerdem darf man Marlowe nicht als realistische Figur betrachten ( ähnlich wie James Bond).
    Raymond Chandlers Romane gehören zu den Klassikern der Kriminalliteratur, er ist Vorbild für viele Kriminalschriftsteller von heute ( wovon das Nachwort von Michael Connelly zeugt ). Gemeinsam mit Dashiell Hammett begründetet er den literarischen „ hard-boiled“ Krimi . Vor den beiden gab es die idyllische Welt einer Agatha Christie oder eines Conan Doyle, die durch ein Verbrechen kurzfristig gestört wird. Am Ende wird der Verbrecher entlarvt und dingfest gemacht, damit ist die alte Ordnung wiederhergestellt. Bei Chandler dagegen gibt es keine verbindlichen Regeln und keine gesellschaftliche Ordnung mehr. Die Welt ist korrupt und der Detektiv kann das Böse nur partiell zerstören.

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  1. Marlowe zwischen Glanz und Glamour

    Marlowe zwischen Glanz und Glamour

    Philip Marlowe wird von Orfamy Quest beauftragt ihren Bruder Orrin zu finden. Das zarte Pflänzchen ist extra aus der Provinz ins glamouröse L. A. gereist und tut Marlowe leid. Er als Frauenversteher kann nicht anders, als ihr zu helfen.
    Was er nicht erwartet hat ist, dass sich hinter allem eine große Scharade befindet. Die Sternchen, zu denen auch Orfamys Schwester gehört, haben es faustdick hinter den Ohren. Macht und Erfolg, eine brisante Mischung. Viele Gangster kreuzen seinen Weg, und auch Orrin war in diesen ganzen Schlamassel verwickelt, wenn auch anders als zu Beginn vermutet.
    Marlowe besticht durch seine Kombinationsgabe. Am Ende war ich von der Auflösung mehr als überrascht, wenn ich auch mit den Methoden des Detektive nicht einverstanden war. Viele Anzüglichkeiten spiegeln Marlowe als Frauenhelden wieder, ob er dies tatsächlich ist, sei dahingestellt.
    Das Flair der Hollywoodszene entstand während des Lesens vor meinen Augen, dass muss ich dem Autor Raymond Chandler durchaus zu gute halten.
    Viele Personen halten nur kurz Einzug in die Handlung. Ihre kurze Verweildauer hat natürlich auch etwas mit ihrem vorzeitigen Ableben zu tun, dennoch erschwerte die Vielfalt mir doch ein wenig die Übersicht.
    Ein weiterer Hauptcharakter, nämlich der Eispickel, taucht allerdings konstant auf. In diesen Kreisen scheinbar eine beliebte Mordwaffe........

    Dieser Klassiker in seiner Neuübersetzung konnte mich leider nicht begeistern. Dies lag allerdings nicht am Können des Autors. Ich hatte bei der Wahl der Lektüre weder die Zeit in der der Roman spielt, noch den Hintergrund Hollywood und das Leben im Showbusiness bedacht. Das Bild der Frau, dass dort, sicher authentisch, dargestellt wurde, sagte mir überhaupt nicht zu. Der Krimi wird zurecht seine Anhänger finden, denn Philip Marlowe ist eine Ikone. Außerdem ist der Autor sicher zurecht ein Vorbild für viele spätere Spannungsautoren gewesen. Doch ich persönlich werde keine weiteren Bände lesen.
    Die Aufmachung des Romans ist allerdings wieder einmal treffend gewählt. Ich bin ein großer Fan der Diogenes Büchlein, und der Roman wird sich daher perfekt in mein Buchregal einfügen. Generell gefällt mir die Idee die Klassiker neu aufleben zu lassen sehr gut, daher hoffe ich, dass der Verlag dies fortsetzt, und uns regelmäßig mit neuen Veröffentlichungen überraschen wird.

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  1. Crime noir

    Durch eine Fehllieferung erhielt ich die Neuübersetzung von Raymond Chandlers Klassiker „Die kleine Schwester“. Warum nicht die Gelegenheit ergreifen um einen Krimi zu lesen, dessen Autor als Vater des modernen Detektivs und als Mitbegründer des „Krimi noir“ gilt. (Die Straßen waren schwarz nicht vom Dunkel der Nacht allein. Chandler)

    Orfamay Quest kommt aus der Provinz nach Los Angeles, ihr Bruder Orrin meldet sich seit Monaten nicht mehr und sie befürchtet schlimmes. Viel Geld hat sie nicht, aber sie ist hübsch und hilflos, dem kann der hartgesottene Phil Marlowe nicht widerstehen – auch wenn er bald merkt, dass es einer der Fälle wird, bei denen er draufzahlt.

    Die Ermittlungen führen in die Glitzerwelt Hollywoods, wo die jungen und schönen Starlets um Ruhm und Aufmerksamkeit buhlen und dabei jedes Mittel nutzen. Gleich daneben geht in die Schäbigkeit hinter den Kulissen, in abgeranzte Hotels, zu zwielichtigen Ärzten, die ihre Praxis mit Drogen finanzieren und zu Gangstern, die Hollywood als Geldmaschine erkannten.

    Die Handlung ist sehr komplex und manchmal sogar verworren, man muss schon sehr konzentriert bei der Sache bleiben, um nicht einen Namen, einen Hinweis zu überlesen. Phil Marlowe ist ja inzwischen ein Synonym für einen Detektiv geworden, er agiert hier als „Harter Hund“, hat aber immer wieder seine romantischen Anwandlungen, wie er sich selbst eingesteht. Einer hilflosen Frau, einem hübschen Gesicht – da kann er eben nicht anders, auch wenn er die Folgen voraussieht.

    Das sind sehr interessante Einblicke in die Filmwelt der 40iger Jahre, die sich seit der Zeit wohl nur wenig veränderte. Die Sprache ist „cool“, für meine Begriffe wird das aber zu sehr strapaziert. Allerdings blitzten immer wieder Abschnitte auf, die brillant geschrieben sind. Das vermittelt mir schon, warum Chandler zu den Klassikern gehört. Aber ob jeder Klassiker die Jahrzehnte übersteht und gut altert, muss jeder für sich entscheiden. Ich hatte meine Schwierigkeiten damit.

    Nichts desto trotz war es an der Zeit mal einen „Philip Marlowe“-Krimi zu lesen und nicht nur die Filmbilder im Kopf zu haben.
    3,5 Sterne

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  1. Sweet little sister

    Was für ein verrücktes Jahr ist das bitteschön? Ein Jahr auf jeden Fall, welches in Punkto „Was lese ich gerne? Von was sollte ich lieber die Finger lassen?“ gerade zum Ende hin einige Überraschungen (oder - je nach Standpunkt - auch nicht) bereithält.

    Durch Zufall bekam ich die Möglichkeit, die Neuübersetzung von „Die kleine Schwester“ von Raymond Chandler (Erstveröffentlichung: 1949) zu lesen. Nun, mein lesehungriges Ich überfüttert sich scheinbar gerne mal mit Dingen, die ihm (eigentlich) gar nicht wirklich schmecken. Und ich darf es jetzt anhand einer Rezension wieder ausbaden – tolle Wurst :-).

    Nun gut.

    Angesiedelt in Hollywood mit all seinen Stars, Sternchen, Glitzer-, Glamour- und sonst was für hin- und dahergelaufenen„Helden“ und einem schier unwiderstehlichen Privatermittler *roll eyes* namens Philip Marlowe kredenzt Herr Chandler den Leser:innen eine Welt, in der ich auf Gedeih und Verderb nicht leben wollen würde. Hier wimmelt es vor Lug und Betrug, vor schönem Schein, vor Mord, vor Korruption. Spätestens jetzt würde ich meinem kindlichen Ich, das von einer Karriere in eben diesem Metier „träumte“, davon abraten. Denn auch wenn sich in gut 70 Jahren einiges geändert hat: viele Probleme bleiben gleich, verlagern sich…

    Da es mein erster (und vermutlich gleichzeitig auch letzter) Chandler-Roman war, kann ich nicht sagen, ob und wie weit die Figur des Philip Marlowe sich entwickelt hat oder nicht – in „Die kleine Schwester“ wird er mir nach und nach eher unsympathisch. Auch das durchgehend transportierte mehr als fragwürdige Frauenbild hat mich (als Mann!) eher abgeschreckt. Nun gut, die geneigte Leserschaft muss bzw. sollte den damals geltenden „Zeitgeist“ bei der Lektüre „berücksichtigen“ – egal, wie man persönlich zu diesen Dingen steht.

    Der Fall ist einigermaßen verworren; es wird gemordet was das Zeug hält, als Leser*in weiß man nicht genau, woher Philip Marlowe seine „Informationen“ hat, es gibt viel (überflüssiges) Personal und die Unwiderstehlichkeit unseres Helden ist auf Dauer anstrengend und hat sich nach zwei Szenen abgenutzt.

    All das zeigt, dass auch Klassiker nicht automatisch das Recht auf eine Klassikerbenotung haben; von daher gebe ich drei bronzene Sterne und werde wohl doch wieder genauer auf die mir angebotene Lektüre schauen (müssen).

    ©kingofmusic

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  1. Phlip Marlowe ermittelt in Hollywood

    "Die kleine Schwester" ist Teil einer Reihe um den Privatdetektiv Philip Marlowe. In diesem Fall soll Philip Marlowe nach dem Bruder seiner Klientin Orfamay Quest suchen. Orfamay macht sich vorgeblich Sorgen um ihren Bruder Orrin, der die Heimatstadt verlassen und nach Los Angeles gegangen ist. Seit Wochen hat sie nichts von ihm gehört. Trotz der kläglichen Bezahlung macht Marlowe sich auf die Suchen nach Orrin. Seine Suche führt ihn zunächst in schäbige Viertel und vergammelte Apartmenthäuser. Schon bald ziehen die Spuren Marlowe allerdings ins Zentrum der Stadt und nach Hollywood, wo Glas, Glanz und Neonlichter die menschlichen Unzulänglichkeiten der Bewohner zu überstrahlen versuchen.

    Bedenkt man, dass das Buch in den 1940er geschrieben wurde, muss man es sicherlich als gelungen anerkennen. Chandlers Beschreibungen des Milieus sind lebendig und führen vor Augen, dass wohl nicht nur in Hollywood Verkommenheit an der Tagesordnung und Keinem zu trauen ist – nicht einmal der Polizei. Damit hören die guten Punkte des Buches für mich allerdings auch schon auf. Die Krimihandlung, von der ich hier nicht zu viel verraten will, hat mich nicht wirklich gefesselt. Ich war über Strecken gelangweilt und von dem Frauenbild, das hier ununterbrochen gezeigt wird, abgestoßen. Die kriminalistische Kombinationsgabe Marlowes habe ich nicht nachvollziehen können. Für meinen Geschmack ist die Handlung nicht darauf angelegt, dass der Leser mitknobeln kann. Der (zugegeben überraschende) Schluss wurde mir dann auch mehr auf dem Silbertablett präsentiert als nachvollziehbar erzählt.

    Ich habe dieses Buch zufällig in die Hände bekommen und hätte es mir nicht selbst aus¬gewählt, da ich kein großer Krimileser bin. Die Lektüre hat mich darin bestätigt, in Zukunft die Finger von dieser Art Bücher zu lassen. Sie fallen bei mir einfach nicht auf fruchtbaren Boden. Ich kann allerdings anerkennen, dass Chandler mit Philip Marlowe offensichtlich den Prototyp des Privatdetektivs erschaffen hat. Daher gebe ich (trotz meiner persönlichen Ernüchterung) drei Sterne.

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  1. Der zweite Fall des genialen Ermittlers Philip Marlowe

    Raymond Chandler (1888 – 1959) schuf mit dem Privatdetektiv Philipp Marlowe den Pionier des schrulligen, eigensinnigen Ermittlers, der in Los Angeles, der Welt der Reichen und Schönen, versucht Verbrechen aufzuklären. Marlowe geht im Laufe seiner Arbeit den Dingen auf den Grund. Er schaut hinter die Fassaden, ist unbestechlich und eine Festung aus Moral und Integrität. Er arbeitet bis zur völligen Erschöpfung, setzt sich persönlich Gefahren an Leib und Leben aus - und das mit kümmerlicher Bezahlung. Es geht ihm eben um die Sache der Gerechtigkeit selbst, die allerdings nicht streng juristisch auszulegen ist, sondern eher von der moralischen Seite her. Um dieses Ziel zu erreichen, wird auch schon mal ein Tatort manipuliert, die Wahrheit gedehnt oder ein Beweismittel entwendet. Philip Marlowe ist ein moderner Robin Hood.

    „Die kleine Schwester“ von 1949 ist der zweite Kriminalroman mit dem Ermittler Philip Marlowe, den der Diogenes Verlag in hochwertiger Ausstattung und als zeitgemäße Neuübersetzung herausgegeben hat. Marlowe, der Ich-Erzähler, bekommt Besuch von Orfamay Quest, einer jungen Frau, die ihren Bruder vermisst und Marlowe um diesbezügliche Nachforschungen bittet: „Sie war ein kleines, braves adrettes Mädchen mit glatten braunen Haaren in steifer Frisur und einer randlosen Brille. Sie trug ein braunes Schneiderkostüm, und über ihrer Schulter hing ihr eine dieser klobigen Taschen, die an eine barmherzige Schwester denken ließen…“ (S. 9)

    Die Auftraggeberin hält sich bedeckt, verstellt sich, gibt längst nicht alle Informationen preis. Dennoch beginnt Marlowe mit der Suche nach dem Bruder. Die letzte bekannte Adresse lag im heruntergekommenen Stadtteil Bay City, wo der Detektiv ins zwielichtige Milieu eintauchen muss. Er sammelt Informationen, setzt seine Informanten auch gerne unter Druck. Er verfolgt Verdächtige und kombiniert Fakten. Schnell stößt er auf eine mit einem Eispickel gezielt ermordete Leiche – offenbar hat er mit seinen Recherchen den ängstliche Pöbel aufgescheucht. Eine zweite Eispickel-Leiche lässt nicht lange auf sich warten. Marlowe ist ein Einzelgänger. Er teilt seine Ermittlungsergebnisse mit niemandem – auch mit dem Leser nicht. Die Fülle an Namen und Figuren machen es teilweise nicht leicht, den Überblick zu behalten. Trotzdem kommt der Ermittler voran: Weitere Spuren führen ihn zum Film, in die Glamourwelt Hollywoods, wo er die Welt des schönen Scheins entlarvt. Die weiblichen Figuren sind gewöhnungsbedürftig: Sie bedienen das Klischee der naiven Femme Fatale, die Schutz und Nähe beim starken Geschlecht sucht. Viele Frauen werfen sich Marlowe nicht nur sprichwörtlich an den Hals und bieten sich offensiv für sexuelle Abenteuer an. Ob das der Ablenkung dient, dem Ambiente Hollywoods geschuldet ist oder ein Spiel mit dem Feuer ist, darüber darf man spekulieren. Das transportierte Frauenbild stammt aus einer anderen Zeit, darf aber zu Recht irritieren.

    Chandler besticht durch seine messerscharfen Dialoge, seine genauen Beschreibungen von Charakteren und Umgebungen, seine ungewöhnliche Metaphorik. Marlowe marschiert geradlinig vorwärts, entlarvt Lügner, hält der Filmwelt den Spiegel vor. Angst kennt er keine, er ist hart im Nehmen. Zum Ende hin setzen sich die zahlreichen Puzzleteile zusammen, einiges an Überraschungen tritt zutage, auch der spannende Showdown darf nicht fehlen. Es geht nicht nur um ein Verbrechen, es sind verschiedene Delikte miteinander verknüpft. Dass die Polizei als legitime Exekutive bei der Aufklärung des Falles rund um den verschwundenen Bruder nicht die beste aller Figuren macht, versteht sich im Angesicht eines derart genialen Ermittlers fast von selbst.

    Man sollte einen Chandler gelesen haben, er gilt als Klassiker unter den Detektivromanen. Für mich als nicht allzu geübte Leserin des Genres gestaltete sich der Plot etwas unübersichtlich. Ich konnte der Spürnase Marlowe nicht konsequent folgen, fühlte mich zeitweise abgehängt, musste meine Lücken durch Zurückschlagen füllen. Ja, auch die Frauenfiguren haben mich gestört – obwohl ich weiß, dass der Roman in den 1940er Jahren angesiedelt ist und wir uns in Hollywood befinden: immer dasselbe Muster. Oder nicht ganz: die ein oder andere versteckt hinter der zur Schau getragenen Hilflosigkeit doch eine besonders verschlagene Raffinesse…

    Obwohl mich der eigenwillige Ermittler amüsiert und beeindruckt hat, der Fall wirklich vielschichtig und stimmig konstruiert ist und Chandler auch sprachlich einiges aufbietet, hat sich bei mir kein großer kriminalistischer Lesesog eingestellt. Vielleicht sollte ich besser meinem Genre, der Gegenwartsliteratur, treu bleiben. Vorgenommen habe ich es mir.

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