Die Kinder des Borgo Vecchio

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Kinder des Borgo Vecchio' von Giosuè Calaciura
3.2
3.2 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Kinder des Borgo Vecchio"

Irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind und das Gesetz der Straße gilt: Hier wachsen Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Sie haben Träume und Hoffnungen, obwohl ihnen der kindliche Blick längst abhanden gekommen ist. Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, betrügt seine Kunden mit einer präparierten Waage. Cristofaros Vater, ein Trinker, schlägt seinen Sohn jeden Abend. Und Celestes Mutter Carmela, die Prostituierte des Viertels, schickt ihre Tochter auf den Balkon, wenn sie ihre Freier empfängt. Die drei Kinder haben ein Idol: Totò, Ganove, der besser schießt als jeder andere. Sie wollen so sein wie er, sie wissen nicht, dass auch Totò von einem anderen Leben träumt ...

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
Verlag: Aufbau Verlag
EAN:9783351037901

Rezensionen zu "Die Kinder des Borgo Vecchio"

  1. 3
    04. Sep 2019 

    Grausam und schön

    Der Roman "Die Kinder des Borgo Vecchio" von Giosuè Calaciura steckt voller Rätsel. Eines der leichteren Rätsel sind Schauplatz und Zeitpunkt der Handlung:
    Schauplatz ist ein Dorf irgendwo in Italien - enger kann ich ihn nicht eingrenzen. Das Geschehen muss irgendwann in den letzten Jahren stattgefunden haben, zumindest gab es bereits moderne Errungenschaften wie das Handy. Und den Euro gab es vermutlich auch schon.

    Das Zusammenleben in diesem Dorf ist von Grausamkeit und Unbarmherzigkeit geprägt. Insbesondere die Kinder haben unter diesem Leben zu leiden. Wahrscheinlich sind sie sich dessen gar nicht bewusst, kennen sie doch nichts anderes als dieses Leben.

    Wer mit seiner Kindheit so richtig in die Sch… gegriffen hat, ist Cristofaro, der sich jeden Tag aufs Neue fragen muss, ob er die nächste Nacht überleben wird. Als persönlicher Prügelknabe des eigenen Vaters, der seinen Sohn jeden Abend zusammenschlägt, wie andere die Nachrichten im Fernsehen ansehen, sind die Überlebenschancen für ihn sehr gering.

    "Im Borgo Vecchio wusste man, dass Cristofaro jeden Abend das Bier seines Vaters weinte. Wenn die Nachbarn nach dem Abendbrot vor dem Fernseher saßen, hörten sie sein Jaulen, das sämtliche Geräusche des Viertels verschluckte. Sie drehten den Ton leiser und lauschten. Anhand der Schreie konnten sie erahnen, wo die Faust zuschlug, harte, treffsichere Hiebe."

    Vielleicht geht es Celeste sogar noch schlimmer als Cristofaro. Als Tochter der Dorfhure erhält sie von klein auf Anschauungsunterricht in Sachen Liebespraktiken, in dem sie bei jedem „Termin“ ihrer Mutter auf den Balkon verbannt wird, wo sie durch ein Guckloch live und in Farbe mitbekommt, wie ihre Mutter für den Unterhalt der Familie sorgt. Zumindest muss Celeste nicht um ihr Leben bangen wie Cristofaro, ganz sicher aber um ihre Zukunft.
    Dann haben wir noch Mimmo, der relativ unbehelligt von seinem Vater vor sich hin lebt. Der Vater ist der Metzger im Dorf und verwendet viel Zeit darauf, seine Kunden zu betrügen. Da bleibt keine Zeit für einen Sohn, der wahrscheinlich nicht ganz richtig im Kopf ist.
    Das Vorbild und der Held der Kinder ist Totó, Dorfganove, vor dem jeder im Dorf Respekt hat, denn er ist derjenige mit der Knarre. In den Fantasien der drei Kinder wird Totó zum Retter von Cristofaro.

    Jetzt komme ich zu den großen Rätseln dieses Romans.
    Gibt es eine Handlung in diesem Roman? Nicht wirklich. Bestenfalls geht die Handlung in die Richtung, dass es mit Cristofaro und seinem prügelnden Vater nicht weitergehen kann wie bisher. Der rote Faden in diesem Buch läuft darauf hinaus, dass sich unter der Gluthitze der Sonne Italiens etwas anbahnt, was auch immer das sein wird. Man ahnt nur, dass der Ganove Totó dabei eine Rolle spielen wird.

    Aber tatsächlich ist die Handlung Nebensache. Denn der Autor hält den Leser durch ausufernde Symbolik und Metaphern auf Trab. Die ersten Seiten faszinieren durch den eindringlichen Sprachstil des Autors. Sofort denkt man an die Anmerkung einer italienischen Tageszeitung zu diesem Roman: "Eines der schönsten und grausamsten Bücher des Jahres". Diese Behauptung möchte man zunächst gerne unterschreiben. Doch es dauert nicht lange, da stolpert man über die ersten religiösen Ansätze und findet sich in einem Buch wieder, das sich eng an der biblischen Geschichte orientiert. Je bibelfester der Leser ist, um so besser wird er mit diesem Buch zurechtkommen. Mich haben die spirituellen Verbindungen überfordert, daher war ich sehr dankbar, dieses Buch in einer Leserunde bei Whatchareadin gelesen zu haben. Zum Einen war ich nicht allein mit meiner Ratlosigkeit, zum Anderen gab es Teilnehmer in der Leserunde, die ein fundiertes religiöses Wissen hatten und daher mit ihren Erklärungen ein wenig für Erleuchtung sorgen konnten.
    Ich kann nur mutmaßen, dass der Autor aufzeigen will, dass in der Religion Gut und Böse sehr dicht beieinander liegen. Über meine Spekulation lässt sich jedoch streiten – wie die Leserunde gezeigt hat.

    "Der Brotgeruch zog über den Platz und machte den abendlichen Eifer der in Marktkisten gepferchten Zitrusfrüchte zunichte, die eine letzte Duftspur in der Nacht hinterlassen wollten, er zerstörte die Illusion von Frühling, die sich im duftenden Geheimnis der Frangipaniblüten verbarg, vereinnahmte die Kreuzungen und machte sich in den Gassen und Tavernen breit, auf dass niemand seiner Umarmung entkäme."

    Bei aller Verwirrung, was die religiöse Symbolträchtigkeit dieses Buches angeht, möchte ich jedoch betonen, dass der Sprachstil von Giosuè Calaciura für vieles entschädigt hat. Denn Schreiben kann der Mann. Er vermittelt Gefühle und Stimmungen, die bis ins Mark gehen. „Die Kinder des Borgo Vecchio“ ist kein Wohlfühl-Buch. Stattdessen wird man mit einer Grausamkeit konfrontiert, die an die Nerven gehen kann. Die Welt im Borgo Vecchio ist schrecklich. Aber Schrecken übt Faszination aus, insbesondere wenn er dermaßen poetisch beschrieben wird, wie Giosuè Calaciura es getan hat. Grausamkeit und Schönheit liegen sehr dicht beieinander.

    Eine Leseempfehlung wage ich nicht auszusprechen. Denn dieses Buch ist ein symbolträchtiges Experiment, das den Leser (heraus)fordert. Daher sollte man sich als Leser auf einiges gefasst machen. Bei dem einen wird es gut ankommen. Bei dem anderen wird es für Irritationen sorgen. Ich liege irgendwo dazwischen.

    © Renie

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  1. Grausam und schön

    Dicht und voller Poesie das Elend übertünchend schickt der italienische Autor Giosuè Calaciura in seinem Buch „Die Kinder des Borgo Vecchio“ den Leser in das Armenviertel von Palermo, irgendwann in der jüngeren Vergangenheit. Märchenhaft und Symbolträchtig setzt er Ungerechtigkeit, Armut und Trostlosigkeit gekonnt in Szene, emporgehoben von kleinen Freuden, die wie ein plötzlich auftauchender Sonnenstrahl am Wolkendrohenden Himmel Schönheit auch unter all dem Dreck und Gestank vermuten lassen und manchmal fast biblisch wirken.

    Mimmo, Cristofano und Celeste fristen ein bedauernswertes und tristes Dasein im Borgo Vecchio, wo alle Träume im Schmutz erstickt sind, Armut und Gewalt das Leben bestimmen und Willenlosigkeit dem Ausbruch aus all dem Elend vereitelt. Die Kinder hegen dennoch heimliche Träume und vergöttern den Gauner Totò, weil er märchenhaft schnell alle austrickst, der Obrigkeit entkommt wie der Wind und scheinbar jenseits aller Grenzen agiert.
    Die brutale Wirklichkeit fängt sie immer wieder ein, wenn Cristofano von seinem Vater allabendlich geprügelt wird und alle Nachbarn sein Schreien überhören, wenn Celeste Tage und Nächte auf dem Balkon verbringen muss weil ihre Mutter, die Prostituierte des Viertels, sich um Freier kümmert und die Tochter aussperrt und wenn Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, der Aufschneider und Betrüger, die Armen noch mehr ausnimmt. Wenn hingegen allabendlich der Brotduft durch das Viertel zieht, glätten sich alle Wogen des Tages, märchenhaft fühlt man sich beim Lesen, und kann dabei das Brot fast selbst riechen.

    In der Gemeinschaft findet jeder seinen Platz, egal ob mit aller Brutalität oder voller Güte. Wenn Cristofano allabendlich verdroschen wird ist das sein Schicksal und das seines Vaters, vorgezeichnet und unabweichbar beide aneinander bindend.
    Die drei Kinder geben sich gegenseitig Halt, und obwohl sie der Kralle des Elends scheinbar nicht entkommen können, versuchen sie immer wieder, den Kreislauf zu durchbrechen.

    Der Roman, der 2017 mit dem Premio Volponi ausgezeichnet wurde, besticht durch die grandiose poetische Sprache, mit der Bilder lebendig werden, mit dem Zwingen des Lesers, den Blick nicht abzuwenden von fast nicht auszuhaltender und nebenbei erzählter Not und Gewalt. Und die Geschichte kommt trotz des Elends oft märchenhaft und leichtfüßig daher. Man bekommt neben dem Zoom auf die Armut ein Gefühl für die Gelassenheit, die die Menschen das alles ertragen lässt.

    Vieles wirkt vorsinnflutlich, anderes modern und dem Zeitgeist entsprechend. Es passieren wunderliche Dinge, die an Märchen erinnern, und symbolträchtige Ereignisse lassen an einen alttestamentarischen rachsüchtigen Gott denken. Grausamkeiten werden oft wie nebenbei angesprochen, finden manchmal keine direkte Erwähnung, fast ignorant steigt der Autor darüber hinweg, und sie wirken dadurch umso eindringlicher, weil sie so sehr zum alltäglichen Leben gehörend wirken.

    Das Buch hat mich angezogen und abgestoßen zugleich, und ich kam mir manchmal wie in einer surrealen Italienischen Oper festsitzend vor. Sprachlich absolut fesselnd und grandios ist es ein grausam schönes Buch, das sich in der Kitschecke ebenso bedient wie im Alten Testament, das Brutalität durch ständige abscheuliche Beschreibung aufzeigt, und ein fast opulentes opernhaftes Ende kann nicht trösten, will es auch nicht.
    Ich habe mich schwer getan mit der Bewertung, mich letztlich für vier Lesesterne entschieden.

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  1. Gut und Böse, und dazwischen

    Mimmo, Cristofaro und Celeste sind die Kinder des Borgo Vecchio. Es ist ein Armenviertel, irgendwo in einer italienischen Stadt, vermutlich im Süden, am Meer. Es ist eine zeit- und ortlose Geschichte irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg.
    Mimmo, der eigentlich Domenico heißt und Cristofaro sind die besten Freunde, Celeste ist die Tochter der Prostituierten und Mimmos Angebetete. Im Borgo leben kleine Ganoven, wie Mimmos Vater, dem es eine diebische Freude bereitet, seine Kunden um ein paar Gramm Mortadella zu betrügen, üble Schläger, wie Cristofaros Vater, der seinen Sohn immer wieder übelst zurichtet. Aber auch Toto, der Räuber ist dort zu finden. Um diesen jungen Mann ranken sich Heldenlegenden, der aber auch nur von einem besseren Leben träumt.
    Die Kinder des Borgo Vecchio von Giosuè Calaciura sei „Eines der schönsten und grausamsten Bücher des Jahres“. Grausam ist es tatsächlich, und auch ein wenig seltsam. Voller religiöser Anspielungen, sehr bildhaft und stark überzeichnet. Es ist archaisch und poetisch, die Palette des Unerträglichen reicht von roher Gewalt bis pseudokatholischem Kitsch. Die Handlung verläuft sehr szenisch. Wie mit einer Kamera folgt man den Menschen des Borgo Vecchio durch die Gassen. Unglaublich realistische Beschreibungen der Örtlichkeiten wechseln mit fantastischen, nahezu magischen Episoden ab. Die erzeugten Stimmungswechsel sind bemerkenswert und herausfordernd.
    Das Buch erinnert an eine italienische Oper, viel mehr noch an die Karikatur einer italienischen Oper. Mir war die Dramatik in diesem Roman zu überfrachtet und der Interpretationsspielraum zu groß, um umfassend begeistert sein zu können.

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  1. Eine Kindheit in Borgo Veccio

    Der Handlungsfaden, der dieses schmale Büchlein durchzieht, ist schnell erzählt: Die im Titel erwähnten "Kinder des Borgo Veccio" sind unter anderem Mimmo, Cristofaro und Celeste. Mimmos Vater ist der Metzger des Viertels, der seine Kunden mittels einer gefälschten Waage betrügt. Cristofaros Vater ist dem Alkohol verfallen und verprügelt Cristofaro jeden Abend. Celestes Mutter ist Prostituierte. Wenn sie ihre Freier empfängt, muss Celeste auf dem Balkon ausharren – bei jedem Wetter.

    Es scheint als könnten die drei Kinder ihrem Schicksal nicht entfliehen. Die Schranken ihrer sozialen Herkunft sind hoch und unüberwindlich. Dennoch haben sie Hoffnungen und Träume, die aber teils wenig kindlich sind. Cristofaro überlegt gemeinsam mit Mimmo, wie man den im Viertel bekannten Kriminellen Toto dazu bringen könnte, Cristofaros Vater zu erschießen. Mimmo pflegt ein lahmes Pferd namens Nana und hofft, dass Nana eines Tages ein Rennen gewinnen wird. Celeste entflieht zumindest für einen Nachmittag ihrem Exil vom Balkon und darf auf Nanas Rücken durch das Viertel reiten.

    Dies alles wird vom Autor gekonnt in Szene gesetzt. Die Bilder des Viertels Borgo Veccio und seiner Bewohnern steigen mühelos vor dem inneren Auge auf. Die Beschreibungen erreichen teils fast poetisches Niveau. Dadurch kommen die nonchalant eingestreuten, im Viertel allseits begangenen Grausamkeiten umso drastischer zum Ausdruck.

    Trotz der schönen Worte konnte ich mit diesem Buch am Ende nicht viel anfangen. Die Geschichte selbst hat viel Potential, wirkt aber extrem reduziert. Hieraus hätte man viel mehr machen können. Stattdessen wird vieles nur angedeutet oder in Metaphern verkleidet. Wir haben daher in der Leserunde viel gedeutet und eine Menge religiöser Bezüge hergestellt. Alle Mühe der Überlegung hat jedoch zu keinem schlüssigen Gesamtkonzept geführt. Das ist schade, lässt es mich doch als Leser ratlos und mit dem Eindruck zurück, das Buch nicht richtig verstanden zu haben. Daher gibt es von mir in diesem Fall nur drei Sterne.

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  1. 3
    27. Jul 2019 

    Grausam in Sepia

    Im Borgo Vecchio wachsen Mimmo, Cristofano und Celeste auf. Mit ihren Eltern haben sie es alle nicht leicht. Mimmo muss damit klarkommen, dass sein Vater, der Fleischer, ein Betrüger ist. Cristofano wird regelmäßig verprügelt. Und Celeste ist diejenige, die Stunden auf dem Balkon verbringt, während ihre Mutter als Dorfhure ihren Lebensunterhalt verdient. Wie gerne würden die drei auf der Sonnenseite aufwachsen, doch das ist ihnen nicht vergönnt. In Ermangelung einer Persönlichkeit, die wirklich etwas geleistet hat, nehmen sie sich den schnellsten Ganoven des Viertels zum Vorbild.

    Das kann nicht in der heutigen Welt angesiedelt sein, denkt man, wenn man von dem Leben der drei Kinder liest. Doch irgendwie scheint die Zeit im Dorf stehen geblieben zu sein. Eigentlich, meint man, sollten Kinder heutzutage nicht mehr so behandelt werden, sollte es so hoffnungslose Orte nicht mehr geben. Jemand, der Italien bereist hat, kann das vielleicht besser beurteilen. Alle drei Kinder hadern mit ihrer Welt, Mimmo, der lieber bei dem Pferd Nana ist als bei seinem betrügerischen Vater, Celeste, die gerne lernen würde und doch auf dem Balkon gesperrt wird und am meisten Cristofano, der jeden Abend hoffen muss, mit dem Leben davon zu kommen. Was bleibt ihnen anderes als ihr Hoffnung auf den schnellsten Ganoven zu setzen?

    Auch wenn das Buch nur 160 Seiten hat, so ist es doch ein recht schwerer Brocken. Die Sprache ist eindringlich und wortgewaltig, gleichzeitig auch eingängig und schmeichelnd. Hier ist dem Autor große Kunst gelungen. Schwieriger ist es dagegen an der Handlung Gefallen zu finden. Eltern, die ihre Kinder nicht schützen. Kinder, die schlimmste Not leiden und denen nicht geholfen wird, obwohl alle wissen, was geschieht. Große Hoffnungslosigkeit, Armut herrschen. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben. Und wenn sich doch ein Weg auftut, hat auch dieser einen zu hohen Preis. Ein Buch, das zwar nachdenklich macht, aber auch eines in das zu viel depressive Stimmung hineingepackt wurde.

    Auch wenn das Buch einem vielleicht seine Handlung zumutet, ist es doch sprachlich von herausragender Kunst.

    3,5 Sterne

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  1. Die Gräuel der Welt geballt und poetisch in Szene gesetzt.

    In seinem Roman „Die Kinder des Borgo Vecchio“, der im Juli 2019 im Aufbau Verlag erschien, stellt Giosuè Calaciura auf knapp 160 Seiten die Erbarmungslosigkeit der Welt am Beispiel des alten palermischen Stadtviertels „Borgo Vecchio“ dar. Im Jahre 2017 erhielt der Autor für dieses Werk den „Premio Volponi“, einen italienischen Literaturpreis, der für besonderes bürgerliches Engagement verliehen wird.
    Menschen, die im Borgo Vecchio leben, haben es schwer im Leben. So auch Mimmo, Cristofaro und Celeste, die schon in jungen Jahren vom Leben gebeutelt sind, von ihren Eltern geschlagen und vernachlässigt werden. Doch trotz allem träumen sie von einer besseren Zukunft und erhoffen sich Hilfe von Totò, dem Verbrecher und vermeintlichen Halbgott des Viertels. Doch sie ahnen nicht, dass auch er von einer besseren Welt träumt …
    Das Borgo Vecchio selbst ist als Mekka des Bösen und der Grausamkeit dargestellt: Kleine, verwinkelte Gassen bieten eine Zuflucht für Kriminelle. Die Bewohner/innen verschließen ihre Augen vor der Brutalität von Cristofaros Vater und rotten sich nur zusammen, wenn die Ordnungshüter versuchen, das Chaos in den Griff zu bekommen. Behinderte werden wie Vieh gehalten, ja selbst der Geistliche des Viertels macht, gezwungen oder nicht, gemeinsame Sache mit den Ganoven. In dieser Welt aufzuwachsen, verlangt den Jugendlichen viel ab, doch nehmen sie kleine Attraktionen zum Anlass, der Welt zu entfliehen, z.B. das Auftauchen des abgehalfterten Pferdes Nanà, das als erfolgreiches Rennpferd Glanz in dieses Leben bringen soll; auch an anderen Stellen wird deutlich, dass die Kinder nicht von Grund auf schlecht sind. Leider macht das Schicksal den Einwohner/innen, teilweise selbst verschuldet (wenn Totò z.B. die Hure Carmela und ihre Tochter Celeste mittels Hochzeit aus dem Elend herausholen will, das neue Leben aber mithilfe von Diebstählen beginnen will), teilweise aber auch ohne eigenes Zutun, immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Und auch wenn das Buch selbst keine befriedigende Lösung der Torturen bietet, erscheint am Ende ein kleiner Hoffnungsfunke, wenn auf der Flucht im „Osten der (…) morgendliche Schimmer eines neuen Tages zu sehen“ ist.
    Zart besaitete Leser/innen werden beim Lesen wahrscheinlich das eine oder andere Mal an ihre Grenzen stoßen, wenn z.B. Nanà die Rennen nur gewinnt, weil ihr Besitzer ihr vorher einen „rosenförmigen Dornensporen (…) in den Anus rammte“. Jedenfalls steht die bildhafte, ja poetische Sprache, der sich der Autor bedient, wenn er z.B. den Brotduft durch das Viertel ziehen lässt, in einem eklatanten Gegensatz zum Geschilderten selbst; dieses macht einen großen Teil des Reizes dieses Werkes aus und lässt die Brutalität umso abscheulicher erscheinen.
    Fantasie, Traum, Realität, Rückblenden und fantastische Elemente, die als Metaphern zu verstehen sind, wechseln einander ab und fordern von Leserinnen und Lesern viel Konzentration, um dem Geschehen folgen zu können. Auffällig und ebenfalls eine Herausforderung sind die zahlreichen biblischen und christlichen Motive sowie Symbole, die den gesamten Roman durchziehen; von ihnen sollen hier nur das Judas- oder Schutzmantelmadonna-Motiv, Oster- und Weihnachtssymbolik sowie die „sprechenden“ Namen der Protagonist/innen als die Bekanntesten Erwähnung finden.
    Ob die Welt wirklich so bestialisch ist oder sein muss, wie über weite Strecken dargestellt, und ob der Mensch nicht doch das Seinige dazutut, wie an manchen Stellen zu erahnen ist, ist eine Frage, die sich beim Lesen dieses Romans immer wieder stellt. Auf jedem Fall ist es dem Autor sehr eindrucksvoll gelungen, mich wieder einmal zum Nachdenken über das Böse in der Welt und die Hoffnung zu bewegen. Von mir erhält das Buch vier von fünf Lesesternen, allerdings sollte man sich beim Lesen der Schwere der Lektüre bewusst sein. Ein Buch, das einige Ansprüche stellt, jedoch auch viel zu sagen hat.

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  1. Ein Ort voller Sünder

    In dem kleinen Viertel Borgo Vecchio an der Küste, irgendwo in Italien, wachsen Cristofaro, Celeste und Domenico, der von allen nur Mimmo genannt wird, auf. Die drei Kinder stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, haben ihren kindlichen Blick jedoch schon länger verloren. Giovanni, Mimmos Vater, ist der Metzger des Viertels. Er betrügt seine Kunden mit einer manipulierten Waage. Cristofaros Vater, ein notorischer Säufer, ist sogar noch schlimmer: Er verprügelt seinen Sohn jeden Abend heftig. Und auch Celestes Mutter, die Prostituierte, ist für ihre Tochter kein gutes Vorbild. Während sich Carmela um ihre Freier kümmert, muss die Schülerin bei Wind und Wetter auf dem Balkon ausharren. Doch die drei Freunde setzen ihre Hoffnungen in Totò, den Berufsganoven mit der Pistole…

    „Die Kinder des Borgo Vecchio“ ist ein Roman von Giosuè Calaciura.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus sieben Kapiteln unterschiedlicher Länge. Erzählt wird aus einer allwissenden Perspektive. Immer wieder gibt es Rückblenden, die nicht sofort als solche zu erkennen sind. Genaue Orts- und Zeitangaben fehlen, was die Einordnung des Romans erschwert. Insgesamt funktioniert der Aufbau jedoch gut.

    Besonders beeindruckt am Roman hat mich das sprachliche Ausdrucksvermögen des Autors. Die nur rund 150 Seiten sind gespickt mit ungewöhnlichen Sprachbildern, mit allerlei Metaphern und Symbolen, die für eine dichte, fast schon greifbare Atmosphäre sorgen. Poetisch und intensiv mutet der Schreibstil an. Mit wenigen Worten und auf nahezu brillante Weise gelingt es Calaciura, sehr vieles zu transportieren. Dies ist eine der Stärken des Romans. Allerdings erfordert er ein aufmerksames und sorgfältiges Lesen.

    Mit Mimmo, Cristofaro und Celeste stehen drei junge, interessante Charaktere im Vordergrund. Schon nach wenigen Seiten habe ich mit den sympathischen Protagonisten mitgelitten, die noch Träume und Hoffnungen haben, obwohl sie in einer grausamen Umgebung leben müssen. Weniger überzeugt haben mich die Nebenfiguren, die teils klischeehaft, teils stark überzeichnet wirken.

    Apropos Übertreibungen: Auch inhaltlich habe ich mich mit der Geschichte schwergetan. Viele der Schilderungen gleiten ins Pathetische, Karikaturenhafte, übermäßig Dramatische und immer wieder auch ins Surreale ab. Trotz der dargestellten Ungerechtig- und Grausamkeiten konnte mich der Roman daher leider nur wenig berühren. An einigen Stellen habe ich die Geschichte stattdessen als skurril und sogar (ungewollt?) komisch empfunden.

    Gut gefallen hat mir, dass hier und da Gesellschaftskritik durchscheint. Unklar bleibt jedoch auch nach den letzten Seiten die (moralische) Botschaft des Ganzen. Ebenso wenig hat sich mir der Sinn der unnötig zahlreichen Bibelbezüge und religiösen Passagen erschlossen.

    Nicht richtig zuordnen kann ich auch das Cover der gebundenen Ausgabe, da ich nicht verstehe, wen die drei Jungen darstellen sollen. Rein optisch gefällt es mir allerdings. Der deutsche Titel ist eine erweiterte Version des italienischen Originals („Borgo Vecchio“).

    Mein Fazit:
    „Die Kinder des Borgo Vecchio“ von Giosuè Calaciura ist ein wort- und bildgewaltiger Roman, dessen sprachliche Versiertheit besonders ist. Leider lässt mich die Geschichte, die dem Leser einiges abverlangt, in Bezug auf den Inhalt jedoch ein wenig ratlos zurück, sodass ich das Buch nur bedingt empfehlen kann.

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  1. 3
    22. Jul 2019 

    Sprachlich brillant...

    Selten lässt mich ein Roman derart zwiegespalten zurück. Ich nehme es dem Autor nicht übel, dass Gewalt und Brutalität sich durch die Erzählung winden und den Bewohnern des heruntergekommenen Stadtviertels gelegentlich die Luft zum Atmen nehmen. Denn das ist die Realität dieser Menschen, j eder arrangiert sich hier mit dem ihm zugewiesenen Schicksal, von Geburt an festgelegt und scheinbar ausweglos. Wer in diesem Viertel lebt, muss sich den Gegebenheiten anpassen - das lernen schon die Kleinen.

    Ich finde es ganz im Gegenteil faszinierend, wie es Giosuè Calaciura gelingt, mit seiner bildhaften Sprache beinahe eine Poesie der Grausamkeit zu kreieren - der Schreibstil ist für mich eine große Stärke des Romans und konnte mich bis zum Ende begeistern. Doch bei aller Begeisterung und dem Schaffen einer sehr intensiven Atmosphähre, die gezeichnet ist von Resignation und Grauen, durchbrochen nur von kleinen Lichtblicken und zaghaften Hoffnungsfunken, erscheint die Schilderung der Szenerie auch vollkommen übertrieben, so dass manches gar ins Karrikaturhafte abgleitet.

    Dies ist vom Autor sicher so gewollt und nicht am Ziel vorbeigeschossen, doch hört meine Zuversicht an dieser Stelle auch gleich wieder auf. Denn was der Autor wirklich gewollt hat, habe ich bis zum Schluss nicht verstanden. Ein irgendwie zeitloses Viertel einer nicht näher zu verortenden Stadt am Meer hat er gezeichnet, verhaftet dabei aber nicht in der Realität, sondern lässt immer wieder auch surreale Szenen einfließen, die sprachlich durchaus außergewöhnlich sind, mir aber die Botschaft dahinter nicht preisgaben.

    Überhaupt haben mich viele Bilder, Metaphern und Andeutungen einerseits fasziniert, andererseits aber auch ratlos zurückgelassen. Anspielungen auf die Bibel und die christliche Religion, den naiven Glauben und die Bigotterie durchziehen die Erzählung und lassen eine Symbolik erahnen, die mich beim Lesen überforderte. Das Ganze wirkt wie eine sprachlich brillante Parabel, deren Bedeutung sich mir leider nicht wirklich erschloss. Und das ist es, was ich übelnehme - ich habe von einer vielschichtigen Erzählung nur die oberste Fassade gesehen, die anderen Schichten zwar erahnt, doch leider nur bruchstückhaft wahrgenommen.

    In der Leserunde zu dem Roman kam es zu lebhaften Diskussionen mit diversen Interpretationsansätzen, die mich teilweise staunen ließen. Staunen auch darüber, wie verschieden man einen Roman lesen kann. Doch die geschilderte Ratlosigkeit erfasste letztlich jeden Teilnehmer der Runde, und bei aller Faszination über den Schreibstil bleibt für mich das Fazit:

    Ich hätte gerne mehr und tiefer verstanden...

    © Parden

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  1. Auf der Suche nach Erlösung

    Im Süden Italiens, in einem heruntergekommenen Stadtviertel, dem Borgo Vecchio wachsen die Kinder Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Es ist keine behütete Kindheit, ganz im Gegenteil, das Kindsein durften die Kinder nie erleben. Zu hart ist der Überlebenskampf, zu sehr haben sie die Bewohner mit ihrer Lage abgefunden. Mimmos Vater betrügt die Kunden seiner Metzgerei mit einer präparierten Waage, der Vater von Cristofaro prügelt seinem Sohn allabendlich die Seele aus dem Leib und Celeste, die Tochter der Ortsprostituierten verbringt die meiste Zeit des Tages auf dem Balkon, wohin sie ausgesperrt wird, wenn die Mutter ihre Freier bedient.
    Das hat die Kinder zusammengeschweißt und ihr Held heißt Totò, ein Straßenräuber, der den Gesetzeshütern immer ein Schnippchen schlägt. Sie wollen werden wie er: unabhängig, stark und frei.

    Der Roman hat mir einiges abverlangt. Die wort- und bildgewaltige Sprache ist faszinierend, die fast beiläufige Schilderung von Gewalt, Gefühllosigkeit und Brutalität gegen Menschen und Tiere verstörend. Immer wieder mischen sich Realität und Phantastik, so bleibt die Zeit der Handlung im Dunkeln, manches mutet sehr gegenwärtig an, anderes verweist in eine archaische Welt. Nicht nur die Kinder, auch Celestes Mutter und Totò suchen eine Erlösung, ein anderes freies Leben und doch liegt das Scheitern schon in den Anfängen.

    Alle Bewohner des Borgo haben sich mit den Zuständen arrangiert, so lebt der Bodensatz der Gesellschaft seit Jahrhunderten und so wird es bleiben. Wenn Cristofaro allabendlich unter den Schlägen seines Vaters schreit, drehen die Nachbarn das Radio lauter und seufzen ergeben. Wenn Celeste in Hitze oder Regen auf dem Balkon ausharrt, wundern sie Leute nur, dass sie unverdrossen in ihrem Schulbuch liest. Aber hat nicht zu viel Bildung und Wissen schon immer ins Verderben geführt?

    Einen großen Raum nehmen Symbolik und religiöse Metaphern ein, die mir einerseits zu viel waren und anderseits nicht immer ganz verständlich. Aber was bleibt, ist ein Buch, das berührt und verstört und mich durch die Sprache gefesselt und gleichzeitig durch manche Schilderung auch abgestoßen hat.

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  1. Zwischen Schmerz und Poesie

    Der Borgo Vecchio ist ein Viertel gemäß Klappentext „irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind …“. Hier leben die drei Kinder, die im Mittelpunkt dieses kleinen, aber intensiven Romans stehen. Mimmo ist der Sohn des Metzgers Giovanni, dessen Waage die Kunden stets um ein paar Gramm betrügt. Celeste ist die Tochter der gut frequentierten Prostituierten Carmela. Celeste muss immer, wenn ihre Mutter Kundschaft hat, auf dem mitunter kalten, unwirtlichen Balkon ausharren – oft stundenlang. Cristofaro hat es am schlechtesten getroffen: Sein betrunkener Vater schlägt ihn regelmäßig dermaßen unkontrolliert, dass allgemein klar ist, dass der Junge dieses Martyrium nicht dauerhaft aushalten kann. Doch weder seine Mutter noch die Bewohner des Borgo schreiten ein:

    „Im Borgo Vecchio wusste man, dass Cristofaro jeden Abend das Bier seines Vaters weinte. Wenn die Nachbarn nach dem Abendbrot vor dem Fernseher saßen, hörten sie sein Jaulen, das sämtliche Geräusche des Viertels verschluckte. Sie drehten den Ton leiser und lauschten.“ (S. 7/8)

    Mimmo und Cristofaro sind enge Freunde. Der Held ihrer Kindheit ist Toto, der Räuber. Im Geheimen sinnieren sie darüber nach, wie viel Geld sie für einen Auftragsmord an Cristofaros Vater aufbringen müssten, den Toto für sie erledigen soll. Der Räuber wird für sie zum Wahrzeichen einer möglichen Befreiung.

    „Toto kannte weder Regeln noch Grenzen, denn alles, was er am Tage stahl, wurde des Nachts wieder verprasst, für ihn hatten sich die Pforten der Hölle bereits geöffnet. All das klang für Cristofaro und Mimmo weit weniger bedrohlich denn verheißungsvoll“. (S. 74)

    Toto ist also kein Robin Hood, wird aber im Zuge der Geschichte mit übermenschlichen Eigenschaften ausgestattet dargestellt, die ihn zunächst unverletzbar erscheinen lassen.

    Ein wenig Freude zieht in das Leben der Kinder ein, als Giovanni das lahme Pferd Nana mitbringt, das später für ihn Rennen laufen und Geld einbringen soll. Die Jungen nehmen sich der Pflege des Tieres an und beziehen auch Celeste mit ein, die froh ist, auf diese Weise dem Balkon zu entkommen. Der Stall wird ein Zufluchtsort, das Pferd zum verständigen Vertrauten. Mimmo verliebt sich zärtlich in Celeste.

    Das Borgo Vecchio ist eine heruntergekommene, freudlose Gegend, seine Bewohner sind gefühlsarm und hart. Es werden Episoden geschildert, die unglaublich brutal und trostlos sind. Sie wären in einer zivilisierten Gesellschaft so nicht vorstellbar. Immer wieder geht es um Sünde, um Strafe und Vergebung, die in biblischen, alttestamentarischen Ausmaßen über die Menschen kommen. Dem gegenüber stehen aber immer wieder herausragend poetisch formulierte Absätze, die einen Kontrast dazu bilden:

    „Im Spinnennetz des Brotduftes blieb auch der heimkehrende Werftarbeiter hängen, (…). Als der Brotduft ihn erreichte, verwechselte er ihn mit dem Duft des Meeres, denn dort, wo das Ende der Straße zerflirrte und sich in blendendem Dunst verlor, sah er sich in einer Ahnung von Zukunft auf dem höchsten Deck eines frisch vom Stapel gelassenen Schiffes stehen, (…). (S. 48)

    Toto, der Räuber nimmt im Zuge der Geschichte eine zentrale Rolle ein. Man wird als Leser immer wieder verunsichert, was real, was Traum oder gar Magie ist. Was ist Legende, was Wahrheit? Es gibt zahlreiche Bilder und Anspielungen. Wer gerne tüftelt und recherchiert, kommt voll auf seine Kosten. Zum Ende hin nimmt der Roman Fahrt auf, es kommt zum Showdown Gut gegen Böse. Langeweile gibt es nicht.

    Dennoch blieb ich persönlich nach der Lektüre etwas ratlos zurück. Ich hätte so gerne gewusst, was der Autor, der schließlich einen wichtigen italienischen Literaturpreis gewonnen hat, mit diesem Werk aussagen will. Geht es ihm um das Anprangern von sozialen Missständen? Wie sind die zahlreichen biblischen Anspielungen zu verstehen? Wurde die Brutalität im Borgo Vecchio bewusst überzeichnet und wenn ja, warum? Vielleicht fehlen mir hier einfach profunde Kenntnisse über Italien und seine Schattenseiten.

    Das Buch ist sprachlich und inhaltlich nicht einfach und sicher etwas für diesbezügliche Gourmets. Mich konnte es nicht vollkommen überzeugen, doch habe ich seine Stärken durchaus zu schätzen gewusst.

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  1. Unschuldig geboren und zu Sündern geworden

    "Der erstrebenswerteste Zustand, meinte der Sündige, wäre der Tod, denn dann könnte man keine Sünden mehr begeh(r)en." (Wolfgang J. Reus)
    Enge Gassen, Wäsche die von den Häusern im Wind flattern, der Geruch nach gebratenem Fleisch oder Brot und Stimmengewirr. Dies ist die Welt von Borgo Vecchio in der Mimmo, Cristofaro und Celeste zu Hause sind. Hier leben eine Vielzahl von Menschen in Armut oder von der Hand in den Mund. So auch Celestes Mutter Carmela, die sich mit Prostitution ihren Unterhalt verdient. Da ihre Wohnung jedoch zu klein ist, muss sie ihre Tochter jedes Mal auf den Balkon schicken, wenn ein Freier kommt. Mimmos Vater ist der Fleischer des Viertels, er betrügt gerne seine Kundschaft, in dem er seine Waage manipuliert. Cristofaros Vater hingegen ist ein Trinker, der regelmäßig jeden Abend seinen Sohn verprügelt. Alle wissen davon, doch keiner tut etwas dagegen. Doch alle drei haben etwas gemeinsam, sie himmeln Totó an einen Ganoven, der so schnell rennt, dass ihn die Polizei nicht schnappen kann. Und er kann besser mit der Pistole umgehen als manch anderer.

    Meine Meinung:
    Das blasse braune Cover mit dem Mann und den zwei Jungen, die wie ich vermute, Spaghetti tragen, passt hervorragend zu dieser Geschichte. Bisher hatte ich noch nie etwas von diesem italienischen Autor aus Palermo gelesen. Er erhielt jedoch für dieses Buch den Premio Volponi, den italienischen, nationalen Literaturpreis für bürgerschaftlichen Engagements. Der Schreibstil ist nicht immer einfach gewesen. Wo ich anfänglich recht schnell gefangen von seinen Schilderung war, wurde dies im Laufe der Geschichte immer schwieriger. Giosuè Calaciura hat eine sehr eigenwillige, bildhafte, fantasievolle Schreibweise, bei der die Dramaturgie bis ins Bodenlose fiel und die mich bei einigen Szenen fraglich zurückließ. Im Nachhinein kann ich hier nur meinem Verständnis zu dieser Geschichte hier berichten, also was ich aus diesem Buch herauslesen konnte. Mit der Geschichte um das Dorf Borgo Vecchio, das es in Wirklichkeit nicht gibt, stellt der Autor eine Art Sündhaftigkeit der Menschen, Religiosität und Erlösung dar. Dabei spielt und wirft er teils mit Worten um sich, wo ich danach regelrecht sprachlos war und ich sofort einige Bilder vor Augen hatte. Dagegen gab es dann jedoch Szenen, die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Zum Beispiel redet Mimmo mit seinem Pferd Naná, das der Vater vor dem Tod der Schlachtbank gerettet hat. Das wäre ja noch gar nicht so grotesk, doch das dieses Pferd auch noch antwortet, bzw. es so dargestellt wird, fand ich dann doch ein wenig skurril. Die Sündhaftigkeit des Dorfes hingegen stellt der Autor hier allerdings sehr gut dar. Dabei ging es um die Todsünden, wie Betrug, Lüge, Ehebruch, Mord, Prostitution, Diebstahl, Ausschweifung (Alkohol), Neid bis hin zum Verrat wie wir es schon von Judas her kennen. Kaum jemand aus diesem Dorf erschien mir, ohne Sünden zu sein. Wie es ja auch schon in der Bibel steht, das niemand ohne Sünde sein werde. Und so erkannte ich in diesem Buch anhand dieser Andeutungen schon einen gewissen roten Faden, den der Autor hier dem Leser mit der Sündhaftigkeit der Menschheit nahebringen wollte. Leider jedoch muss man vieles selbst aus diesem Text heraus interpretieren, da es durch den Autor selbst, lediglich bei Andeutungen und Metaphern blieb. Und so wurde diese anfänglich schöne Geschichte mit der Geburt von Mimmo für mich zu einer wahrlich schweren Geburt. Den dieses Buch liest man nicht ebenso mal nebenher. Nein man muss hierbei schon wirklich ganz bei der Sache sein, damit man auch versteht, was der Autor hier dem Leser mitteilen möchte. Zu guter Letzt blieben wegen der Kürze des Buches auch noch die Charaktere recht oberflächlich. Den bei gerade mal 160 Seiten kann man die Vielzahl der Personen, die diese Geschichte ausmachen, nicht ausführlich darstellen. Das hingegen war natürlich sehr schade, da ich gerade dadurch auch vieles nicht nachvollziehen konnte. Alles in allem sicher eine literarische Besonderheit, die mich jedoch nicht so ergreifen konnte, wie ich gehofft hatte. Deshalb von mir nur 3 von 5 Sterne.

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