Die Jagd

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Jagd' von Sasha Filipenko
4.8
4.8 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Jagd"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
Verlag: Diogenes
EAN:9783257071580

Rezensionen zu "Die Jagd"

  1. 4
    21. Jan 2023 

    Ein düsterer Blick auf russische Verhältnisse...

    Wolodja Slawin ist ein Oligarch mit politischen Ambitionen. Als der junge Journalist Anton Quint enthüllt, dass der selbsternannte Patriot sein Vermögen außer Landes gebracht hat und seine Familie lieber an der Côte d’Azur weilt als in Russland, schwört Slawin Rache. Aus den Stimmen von Jägern und Gejagtem setzt sich die Geschichte einer Menschenjagd mit fatalen Folgen zusammen. Temporeich, schonungslos, literarisch meisterhaft komponiert – ein Roman, nah an der Realität, von einem mutigen Kritiker der Zustände in Russland und seinem Heimatland Belarus. (Klappentext)

    Auch wenn mich "Rote Kreuze" und "Der ehemalige Sohn" seinerzeit nicht vollständig überzeugen konnten, halte ich Sasha Filipenko für einen wichtigen Autor, da er unangenehm den Finger in die Wunde zu legen vermag und sich davon auch nicht abhalten lässt. Dementsprechend war ich auch wieder neugierig auf den aktuellen Roman des heute in der Schweiz (im Exil) lebenden Weißrussen.

    Der Roman verfolgt verschiedene Handlungsstränge, was anfangs etwas verwirrend ist, sich aber zunehmend verdichtet und aufklärt. Überschrieben mit Sätzen aus einer musikalischen Sonate ( Exposition, Durchführung, Reprise usw.) ist der Aufbau zudem sehr eigenwillig, passt aber wiederum zu einem der Charaktere, der sich der Musik verschrieben hat. Das Bild, das Sasha Filipenko hier zeichnet, ist ein düsteres, schonungsloses, erschreckendes, desillusionierendes - und ein doch womöglich realistisches. Das macht die Leseerfahrung so unangenehm.

    Erzählt wird von einer Bärenjagd, grausam geschildert, um dann auf die Jagd nach einem investigativen Journalisten zu schwenken, dem die Hunde sinnblidlich genauso auf den Fersen sind wie dem zuvor erwähnten Bären. Der Oligarch, dem der Journalist zu nahe getreten ist, weiß sich auf seine Art zu wehren. Seine Handlanger betreiben Psychospielchen, verbreiten falsche Informationen, stacheln die Meinung der Öffentlichkeit durch Fake-News an, treiben einen Keil zwischen den Journalisten und seine Familie sowie seine Freunde - kurz: ziehen alle illegalen Register, ohne dass sie jemand belangen könnte oder auch nur wollte. Eine Jagd, bei der dem Opfer zuletzt kein Ausweg mehr bleibt - Happy End ausgeschlossen...

    "Vielmehr scheint mir, dass ich nicht der Einzige bin, der leere Nachrichten versendet... Unser Imperator spricht in Worten, die nichts bedeuten, sein Gefolge denkt sich Gesetze aus, die keinen Sinn ergeben ..." (S. 13)

    Leicht kafkaeske Züge erhält die Erzählung durch einen Nebenstrang von einer Gerichtsverhandlung über jemanden, der im Internet einfach eine leere Seite gepostet hat. Diesem wird eine subversive Haltung unterstellt, zumal hunderte von Menschen diesen Post weiter verbreitet haben. Die Positon des Staatsanwalts und des Rechtsanwalts wird von einer einzigen Person bekleidet, das Urteil fällen die virtuellen Zuschauer im Netz durch einen Klick. Alle, die auf "unschuldig" plädieren, müssen eine saftige Gebühr zahlen und sämtliche relevanten Informationen hinterlassen, die ein Aufspüren ihrer Person mühelos ermöglicht. Alle anderen können kosten- und folgenfrei ihr Urteil fällen. Eine absurde Dystopie innerhalb des Romans, die aber ebenfalls für Bauchschmerzen sorgt. Scheint sie doch lediglich eine etwas überzogene Darstellung der Realität zu sein...

    Ein düsterer Blick auf russische Verhältnisse von einem Autor, der nach Weißrussland schließlich auch Russland verlassen musste. Ein realistisches Bild? Sasha Filipenko wird es wissen...

    © Parden

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  1. Das Sinnbild für Mobbing und Schikane...

    Da mir die anderen Romane des Autors sehr gefielen, musste ich natürlich auch hier reinlesen und es hat mich ehrlich gesagt umgehauen.

    In der Geschichte geht es um Anton Quint, einem Journalisten, der gerne provokativ schreibt und Missstände aufdeckt. Seine letzte Enthüllung hat leider einem Oligarchen so gar nicht gefallen und er muss die Konsequenzen tragen. Wie weit geht man, um sich selbst treu zu bleiben?

    Der Roman las sich für mich fast so wie ein Drehbuch oder Theaterstück, da viel Redeanteil enthalten ist und der Leser Hinweise bekommt, was ihn als Nächstes erwarten wird.

    Es wird sehr anschaulich dargestellt wie die russische Gesellschaft tickt und dass es eben nur darauf ankommt wer Macht und Geld hat und nicht wer im Recht ist. So lässt sich auch verstehen warum auch aktuell im Land kaum Widerstand zu spüren ist, denn da gehören Mut und Mumm dazu das auszuhalten.

    Die eigentliche Jagd auf den Journalisten hat mir Gänsehaut verschafft, denn mir war nicht klar wie grausam es zugehen könnte. Man konnte sich intensiv vorstellen wie sich Anton Quint quält und ich muss gestehen, dass ich sehr schnell aufgegeben und mich zurückgezogen hätte.

    Lews Erzählungen über sein Leben als junger Mann und wie er dann zum Gangster wurde, das hatte schon etwas für sich. Es machte ihn jetzt nicht sympathisch, aber sein Handeln war doch irgendwie nachvollziehbar, schließlich musste er aus seinem Schlamassel wieder heraus. Und auch für den Oligarchensohn hatte ich irgendwie Mitgefühl, das hat Filipenko sehr geschickt gemacht.

    Fazit: Eine bedrückende Geschichte, die mich völlig in ihren Bann gezogen und mich begeistert hat. Klare Leseempfehlung. Klasse!

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  1. Spannung in Form einer Sonatenhauptsatzform

    Erschüttert und aufgewühlt war ich nach diesem Roman: so viel eiskaltes Handeln, so wenig Empathie und 0 Unrechtsbewusstsein! Und warum das Ganze? Weil Anton Quint, Journalist und frisch gebackener Vater, schon zu viel über den Oligarchen Wladimir Slawin herausgefunden hatte.

    Dass der Autor inzwischen nicht mehr weder in Belarus noch in Russland lebt, kann ich sehr gut nachvollziehen - zu sehr zeigt er die Probleme Russlands auf, legt den Finger in die Wunde. Und so lesen wir von einem Showprozess wegen eines leeren Posts in ‚social media‘, von einem Bären, der angebunden zur Unterhaltung von Hunden in einer Grube zerrissen wird (ein Anwalt auf die gleiche Art!), von Methoden, die angewendet werden wenn einer ernsthafte Probleme bereitet (ein LKW an der Kreuzung, eine Kugel in den Kopf, Gift, ein Sturz aus einem vergitterten Fenster……….), von der ‚sanften‘ Tour (‚Nieren zerkloppen‘, ein paar Finger brechen), aber auch die Methode ‚Plus minus auf Heimatliebe‘.

    Die Spannung wird geschickt aufgebaut: Lew Smyslow besucht in Lugano seinen um 10 Jahre jüngeren Bruder Mark kurz vor dessen Konzert. (Daher auch die Gestaltung des Romans als Sonatenhauptsatzform!) Er erzählt nicht nur, wie es ihm nach dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Absturz der Familie erging, sondern auch, wie er Arbeit bei Kalos (Freund aus Kindheitstagen) ‚Onkel Wolodja‘ fand und wie diese Arbeit ausschaut. (Und ich fragte mich dauernd, warum Lew ihm das alles erzählt.)

    Auch in diesem Buch (wie auch in seinen früheren) werden keine Namen genannt, aber jeder weiß bestimmt, wer mit ‚Imperator‘ gemeint ist. Ich konnte das Buch vor lauter Spannung nicht mehr aus der Hand legen! Bei den ganzen Beobachtungen („Was auch immer im Land passiert, wie sehr die Staatsmacht auch pfuscht, meine Kommentare stellen klar, dass an allem die USA schuld sind.“) fiel mir die alte Führungs-Weisheit ein, die da lautet: ‚der Fisch stinkt vom Kopf her‘.

    Ich empfehle dieses neue Werk von Sasha Filipenko jedem, der sich mit der aktuellen russischen Geschichte beschäftigt! Fünf Sterne vergebe ich an diesen Roman, der mich lange beschäftigen wird!

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  1. 5 Sterne für diesen Lese-Knaller

    !ein Lesehighlight 2022!

    Klappentext:
    „Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel. Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem Oligarchen anlegt. Worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen. Die Hetzjagd ist eröffnet.“

    Sasha Filipenko gehört nach „Rote Kreuze“ zu meinem ganz festen Stamm-Autoren-Repertoire. In seinem aktuellen Werk „Die Jagd“ dürfen wir ihn wieder in Höchstleistung erleben. Der bietet uns eine Hetzjagd an! Also nutzen wir Leser diese Chance und lassen uns jagen oder werden wir die Jäger sein?
    Journalist Anton Quint hat etwas, was andere nicht haben und das ist zu viel Wissen. Ich will hier versuchen ganz behutsam auf den Inhalt neugierig zu machen, ohne etwas zu verraten. Dieses Wissen wird ihm zum Verhängnis. Und dann ist da noch dieser Oligarch mit einer Macht, die den Leser fast erschlägt. Wow! Filipenko fängt auch in diesem Buch wieder eine politische Lage in den Ostländern auf und zeigt schonungslos und offen das Böse. Hier braucht man wahrlich etwas stärkere Nerven. Wer offen durch die Welt geht und sich für Weltpolitik ein wenig interessiert, wird hier viele Parallelen erkennen, und wie gesagt, kennt man das als Leser von Filipenko sehr gut. Er zeigt aber auch, das Idealismus und zu viel Akribie komplett das Gegenteil erzielen können und den Menschen der dies betreibt, aus der Bahn werfen kann. Filipenko hat auch hier wieder einen scharfen und dieses Mal auch etwas gewaltbereiten Ton am Leib. Hier werden wir Leser mit Gewalt konfrontiert, aber keine Angst, Sie werden kein blaues Auge dabei bekommen oder gar den KGB auf den Hals gehetzt bekommen. Aber seien Sie vorsichtig und auf der Hut! Anton wollte auch nur „Gutes tun“ und trat in ein Wespennest und zertrat dabei fast die Königin. Er wird zum Spielball, die Hetzjagd die hier beschrieben wird, bringt uns Leser wirklich in Fahrt und fast um den Verstand.
    Es war wieder ein Fest Filipenko zu lesen, er hat einen grandiosen und treffenden Stil. Er bohrt in Wunden und traut sich den Mund aufzumachen. Er weiß genau den Leser gekonnt am Ball zu halten, er weiß, wie er uns gefangen nehmen muss um dieser Geschichte treu zu bleiben.
    Dieses Buch bekommt von mir wieder 5 von 5 Sterne verliehen und eine Leseempfehlung!

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