Die Glücklichen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Glücklichen: Roman' von Kristine Bilkau
5
5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Glücklichen: Roman"

Ein großes Generationsporträt unserer Zeit


Isabell und Georg sind ein Paar. Ein glückliches. Wenn die Cellistin Isabell spätabends von ihren Auftritten mit dem Orchester nach Hause geht oder der Journalist Georg von seinem Dienst in der Redaktion auf dem Heimweg ist, schauen sie oft in die Fenster fremder Wohnungen, dringen mit ihren Blicken in die hellen Räume ein. Bei abendlichen Spaziergängen werden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, stilvolle Deckenlampen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen ein wohliges Gefühl geben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Doch das Gefühl verliert sich.


Mit der Geburt ihres Sohnes wächst nicht nur ihr Glück, sondern auch der Druck und die Verunsicherung. Für Isabell erweist sich die Rückkehr in ihren Beruf als schwierig: Während des Solos zittern ihre Hände, nicht nur am ersten Abend, sondern auch an den folgenden. Gleichzeitig verdichten sich in Georgs Redaktion die Gerüchte, der Verlag würde die Zeitung verkaufen. Währenddessen wird ihr Haus saniert. Im Treppenhaus hängt jetzt ein Kronleuchter, im Briefkasten liegt eine Mieterhöhung. Für die jungen Eltern beginnt damit ein leiser sozialer Abstieg. Isabell und Georg beginnen mit einem Mal zu zweifeln, zu rechnen, zu vergleichen. Jeder für sich. Je schwieriger ihr Alltag wird, desto mehr verunsichert sie, was sie sehen. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sagen jetzt: Wir können, ihr nicht. Was vertraut und selbstverständlich schien – die Cafés, Läden, der Park, die Spielplätze mit jungen Eltern –, wirkt auf einmal unzugänglich. Gegenseitig treiben sich Isabell und Georg immer mehr in die Enge, bis das Gefüge ihrer kleinen Familie zu zerbrechen droht.


Kristine Bilkau zeichnet in ihrem Debütroman »Die Glücklichen« das präzise Bild einer nervösen Generation, überreizt von dem Anspruch, ein Leben ohne Niederlagen zu führen, die sich davor fürchtet, aus dem Paradies vertrieben zu werden.


Format:Kindle Edition
Seiten:304
EAN:

Rezensionen zu "Die Glücklichen: Roman"

  1. 5
    12. Jul 2018 

    Die Herausforderung des Scheiterns

    In “Die Glücklichen” erzählt Kristine Bilkau die Geschichte einer jungen Familie, die es durch interessante Berufe in die sichere Schicki-Micki-Welt der gehobenen Mittelschicht geschafft haben. Dort haben sie sich eingerichtet mit Biolebensmitteln, Espresso, Bistros und Babysitter.
    Die junge Mutter Isabell beginnt nach einer knappen Babypause wieder mit ihrer Arbeit als Cellistin in einem Musicalorchester und muss feststellen, dass ihr Körper und/oder ihre Psyche diese (Doppel-)Belastung wohl nicht zulassen will/wollen. Ein Zittern der Hand zwingt sie zur Aufgabe – zunächst zur Krankschreibung, dann zur Kündigung.
    Ihr Mann Georg arbeitet als Journalist bei einer angesehenen Zeitung, die dem Zeitungssterben zum Opfer fällt und ihre Angestellten auf die Straße der Arbeitssuche schwemmt. Die anschließende Suche nach einer neuen Tätigkeit bleibt für lange Zeit erfolglos. Und so ist in dem sicheren Leben in einer gestylten Altbauwohnung einer angesagten Großstadt plötzlich alles in Frage gestellt. Etwas naive Sparversuche (Discounter statt Bioladen), der Plan zum Umzug aufs Land, all das sind Ansätze zur Lösung des Problems, die aber deutlich machen, dass das Aufgeben von gewissen Gewohnheiten vor allem von Isabell, aus deren Sicht der Roman erzählt wird, weit mehr bedeuten würde als eben nur eine gewisse Veränderung im Leben. All das Aufgeben von Gewohntem bedeutet für sie vielmehr das Annehmen eines Scheiterns und einer Lebensniederlage. Ein Abgleiten in eine Welt, die nicht die ihre ist und in der sie von Unsicherheit um geben sind.

    „Etwas steht auf der Kippe, und es hat nicht nur damit zu tun, dass sie beide keine Arbeit haben. Er hat seinen Instinkt verloren, sein Gespür dafür, wie ihre Situation wirklich ist. Wie zuversichtlich darf er sein? Wie skeptisch muss er sein? Beschließt er an die Zukunft zu glauben, beschleicht ihn die Befürchtung, seine Hoffnung wäre nur eine Form der Verdrängung. Malt er sich alle möglichen zukünftigen Probleme genau aus, sicherheitshalber, stellt er seine Skepsis wieder in Frage. Denn diese ständige Vorsicht ist so ermüdend.“

    FAZIT
    Kristine Bilkau vermag es, die Gemütslage von Isabell und Georg sehr präzise und berührend zu beschreiben. Sie hat ein Thema aufgegriffen – möglicher Niedergang in der Mittelschicht -, das ich für durchaus prägend für unsere Zeit halte und deshalb nach literarischer Gestaltung suchte. Der Umgang mit Niederlagen ist für jeden Menschen etwas Quälendes, etwas, was nicht leicht von der Hand geht. Es ist Bilkaus Verdienst, dieses Quälende literarisch ansprechend in dem Roman gestaltet zu haben. Sie zeigt kleine Erfolge und Fortschritte bei ihren Protagonisten, ohne ihnen den Durchbruch zurück nach oben zu gewähren oder zu gönnen. Und verlangt so von ihren Lesern ebenfalls, sich mit dem Umgang mit persönlichen Niederlagen zu beschäftigen und sie als Option in ihrem Leben zu erkennen.
    Ich habe das Buch mit steigendem Interesse gelesen und wünsche ihm viele weitere Leser: 5 Sterne!

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  1. "Doch es gibt keinen Anspruch auf Sicherheit." (S.292)

    Inhalt
    Die Cellistin Isabell und der Journalist Georg leben gemeinsam mit ihrem halbjährigen Sohn Matti in einer Altbauwohnung in Hamburg. Das Haus wird kurz vor dem Winter saniert und verschwindet unter einem Plastikvorhang. Isabell spielt abends in einem Musical im Orchestergraben, während Georg tagsüber bei der Zeitung arbeitet. Alles scheint perfekt, die Brötchen kommen von einer "Manufaktor", der Blumenladen um die Ecke nennt sich "Floristenwerk", sie kaufen im Feinkostladen - wohl situierte Mittelschicht, ein glückliches Paar, eine gesicherte Existenz.

    Isabells Rückkehr in den Beruf erweist sich jedoch als große psychische Belastung, während ihres Solis zittern ihre Hände.

    "Jeder konnte ihr dabei zusehen: Sie hatte den Klang verloren, und die Leichtigkeit." (S.18)

    Keiner spricht sie offen darauf an und sie weigert sich, darüber mit Georg zu sprechen oder sich Hilfe zu suchen, aus Angst, dann werde ihr Leiden real.
    Der Roman thematisiert auch ihre Wut auf Matti, wenn er ihr keine Zeit, keine Ruhe zum Üben lässt. Ungefiltert lesen wir Isabells Gedanken.

    "Beide sind sie erschöpft und zornig, "sei still", spricht sie leise in sein Ohr, "sei doch still, bitte", der letzte Funken Fürsorglichkeit verglimmt, sein Geschrei verschlingt jedes ihrer Worte." (S.32)

    Bilkau schreibt nieder, was junge Eltern denken, aber niemals zugeben würden. Die Momente, in denen man sich wünscht, das Kind wäre einfach still, man müsste sich nicht mehr kümmern, man dürfe schlafen und sich ausruhen, die sofort von Reue, Fürsorge und Liebe gegenüber dem Kind abgelöst werden - ungeschminkte Wahrheit.

    Dazu gehören die Besuche bei Georgs Mutter, die in einem ehemaligen Elektrogeschäft lebt, das irgendwann von den großen Discountern verdrängt wurde. Ein lästiger Pflichtbesuch für Isabell.

    Während ihr eigenes Haus saniert wird, in dem Isabell schon mit ihrer Mutter gelebt hat, verliert sich Georg in Tagträumen vom Aussteigen, während er sich Häuser im Internet ansieht, am Meer, auf dem Land, Bauernhäuser und Villen. Das inspiriert ihn zu einer Reportage über Menschen, die es versuchen und er trifft auf ein Paar, das sich bemüht alles selbst herzustellen.

    "Gibt es etwas, das du vermisst, seitdem du hier lebst?" Björn schaut ihn geradewegs an, "Freunde nicht. Die Arbeit nicht. Das Nachtleben auch nicht." Er überlegt weiter. "Du merkst, ich kann dir nur sagen, was ich nicht vermisse. Im Prinzip vor allem - dieses allgegenwärtige Vergleichen. Mich mit den anderen, und umgekehrt. Das bin ich los. Und daraus ergibt sich der Rest." "Was meinst du mit Rest?" Daraus ergibt sich, dass ich mir nichts mehr kaufen muss. Um dem Vergleich standzuhalten." (S.94)

    Isabell stellt diese Vergleiche an, sie schaut sich das Glück einer Amsterdamer Familie an, die freizügig Fotos in den sozialen Medien postet, während sie selbst sich krank schreiben lässt. Auch in der Physiotherapie schweigt sie ihr eigentliches Problem - das Zittern der Hände beim Auftritt - tot.

    Zeitgleich mit der abgeschlossenen Sanierung des Hauses verliert Georg seinen Job, während das Haus in neuem Glanz erstrahlt, gerät die gesicherte Existenz der Familie ins Wanken.

    Der 2.Teil, der ein halbes Jahr später spielt, schildert die sich verändernde Situation. Georgs vergebliche Arbeitssuche. Er will sich weder unter Wert verkaufen noch außerhalb der Stadt arbeiten. Isabells bestehenden psychischen Probleme, die sie daran hindern, erneut irgendwo vorzuspielen. Die Lage spitzt sich zu und belastet zunehmend ihre Ehe. Während Georg sich den neuen Gegebenheiten anpassen möchte, sparen, günstigen Urlaub, ein Haus auf dem Land ansehen, hält Isabell krampfhaft am alten Leben fest, möchte nicht wahrhaben, dass sie sich nicht mehr alles leisten können, vergleicht jetzt, mit dem, was war.

    "Urlaub ist ein Gradmesser dafür, wie gut oder schlecht es läuft. Alles wird zum Indiz. Ob es die enge Ferienwohnung mit Kunstledersofa ist oder das Strandhotel mit Meerblick und Kinderbetreuung, ob das Ziel mit dem Auto zu erreichen ist oder eine halbe Weltreise entfernt liegt, ob nur im Sommer verreist wird oder es im Winter noch in den Schnee oder irgendwohin, wo Palmen wachsen, geht, alles ist verräterisch." (S.157)

    Die Angst, es nicht zu schaffen, dominiert ihr Leben, aus der schönen Wohnung ziehen zu müssen, unter Wert arbeiten, aber sie haben keine Idee, aus der Situation herauszukommen. Isabell wirkt apathisch, Georg zunehmend verbittert und verzweifelt. Jeder glaubt, der andere gebe ihm bzw. ihr die Schuld - Schweigen dominiert die Gespräche.

    In einem Gespräch mit ihrer ehemaligen Mitbewohnerin aus dem Studium und Freundin offenbart sich Isabell, dass sie nie ein Risiko gewagt hat, immer nur vorsichtig gewesen ist.
    Findest sie deshalb keinen Ausweg? Werden die beiden gemeinsam noch einen finden?

    Bewertung
    Ein Roman, der direkt aus dem Leben gegriffen scheint und ein realitätsgetreues Bild eines Paares mit Kind zeichnet, das plötzlich erkennen muss, dass sein wohl situiertes Leben in Gefahr ist. Eine Möglichkeit, die beide nicht einkalkuliert haben, die in ihrem Lebensentwurf nicht vorkommt. Ein Paar, das zunächst nicht bereit ist, seine Ansprüche zu reduzieren, Veränderungen zuzulassen, das geglaubt hat, alles würde immer so weiter gehen.

    Die Ängste und Sorgen der beiden sind nachvollziehbar, ihre Handlungsweisen verständlich. Jeder, der selbst Familie, Beruf, ein Haus oder eine Wohnung hat bzw. zur Miete wohnt, kennt diese Existenzängste und die Gedanken daran, was wäre, wenn ich meinen Job verliere. Werde ich meinen Lebensstandard halten können? Was werden die anderen sagen? Gehöre ich noch dazu?

    In diesem Roman werden diese Gedanken greifbare Realität und fordern uns dazu auf, über unser eigenes Leben nachzudenken. Ein großartiger Gesellschaftsroman, der das Ansprüche einer Generation (meiner Generation) genau unter die Lupe nimmt. Einer Generation, in der Niederlagen nicht vorkommen dürfen, sich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe am Kaufverhalten und den Konsumgewohnheiten widerspiegelt.
    Am Ende des Romans, der aufgrund eines Erlebnisses die Einstellung der Figuren zu verändern scheint, erkennt Isabell im Zusammensein mit ihrem Mann und ihrem Sohn, wie vollkommen dieser Moment jetzt ist,

    "denn wie vollkommen etwas war, lässt sich oft erst viel später verstehen. Mit der Zeit reifen Momente zu etwas heran, erst dann kristallisiert sich heraus, das war es, das Glück."

    In der Intimität der Familie - fernab von materiellen Zwängen und Zukunftsängsten - sind sie "Die Glücklichen."

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  1. 5
    06. Jan 2016 

    Was ist Glück?

    Wenn jemand die höchste Stufe eines schmeichelhaften Glücks erreicht hat, ist er einem gefährlichen Abgrund am nächsten.
    (Zitat von Sully Prudhomme
    (1839 - 1907), eigentlich René François Armand Prudhomme, französischer Notar und Lyriker, erster Nobelpreisträger für Literatur 1901)

    Worum geht es in diesem Roman?
    Isabell und Georg sind ein Paar. Ein glückliches. Wenn die Cellistin Isabell spätabends von ihren Auftritten mit dem Orchester nach Hause geht oder der Journalist Georg von seinem Dienst in der Redaktion auf dem Heimweg ist, schauen sie oft in die Fenster fremder Wohnungen, dringen mit ihren Blicken in die hellen Räume ein. Bei abendlichen Spaziergängen werden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, stilvolle Deckenlampen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer Signale gesicherter Existenzen, die ihnen ein wohliges Gefühl geben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Doch das Gefühl verliert sich. ... (Klappentext)

    Nach der Geburt ihres Sohnes hat sich Isabell die Rückkehr in ihr Berufsleben einfacher vorgestellt. Sie hat den Anspruch, Mutter- und Musikerrolle perfekt miteinander in Einklang zu bringen. Dabei setzt sie sich dermaßen unter Druck, dass sie auf einmal nicht mehr in der Lage ist, öffentlich mit ihrem Cello aufzutreten. Sie muss sich krank melden. Ungefähr zur gleichen Zeit wird die Zeitung bei der Georg angestellt ist, verkauft. Die Mitarbeiter werden entlassen, Georg ist plötzlich arbeitslos.

    "Im Café jammerten die Mütter, um sich zu verbünden, aber es war harmloses Jammern, bevor es wirklich ehrlich wurde, wandelten sich die Gespräche, die Frauen wiegelten ab, es sei ja doch alles so schön, und überhaupt, sie steckten das weg, wie, wüssten sie nicht, das wäre halt so, und Isabell dachte, ihr blöden Mütterkühe, die ihr alles so mühelos schafft -,..." (S. 58)

    Wie gehen Isabell und Georg mit der Arbeitslosigkeit um?
    Kristine Bilkau lässt beide Protagonisten zu Wort kommen. Die Geschichte wird sowohl aus der Sicht von Georg als auch von Isabell erzählt.
    Anfangs sind beide noch zuversichtlich. Jemand mit Georg's Qualifikation kann einfach nicht lange arbeitslos bleiben. Insofern leben sie ihren gewohnten Lebensstandard weiter wie bisher, warum auf's Geld achten? Schließlich handelt es sich bei der Arbeitslosigkeit von Georg nur um einen vorübergehenden Zustand. Und auch die Schwierigkeiten von Isabell lassen sich therapieren, so dass sie früher oder später wieder ein Engagement annehmen kann. Also, alles kein Problem?!

    Mit der Zeit steigt die Nervosität und der Druck. Zumindest Georg versucht sparsamer zu leben - sehr zum Unwillen von Isabell. Sie will den finanziellen Engpass nicht akzeptieren. Für sie steht im Vordergrund, das Bild der wohlhabenden glücklichen Familie aufrechtzuerhalten. Sparen bedeutet für sie das Einbüßen von Lebensqualität, und das möchte sie nicht hinnehmen. Stattdessen geht sie nach wie vor verschwenderisch mit den finanziellen Ressourcen der Familie um.

    "Sie zuckt kalt mit den Schultern. Jetzt ist er mal derjenige, der mit hohlen Fragen ihre Nähe sucht. Besser, er spricht nicht mit ihr, vor allem soll er gar nicht erst anfangen zu versuchen, ihr etwas Freundliches zu sagen, sie auffangen zu wollen, ihr Misserfolg kommt ihm nämlich gelegen, der gibt ihm doch richtig Auftrieb, er braucht ihre Schwäche, die lenkt ihn vom eigenen Versagen ab." (S. 203)

    In guten wie in schlechten Zeiten...
    Es ist keine Anstellung in Sicht, die den intellektuellen Ansprüchen Georgs gerecht werden kann! Georg droht, an dem Druck zu zerbrechen. Isabell hingegen will die Probleme, die die Arbeitslosigkeit mit sich bringt, einfach ignorieren. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Die beiden entfremden sich, fangen an, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen - vorwiegend in Gedanken, denn sie haben verlernt miteinander zu reden. Es ist, als ob bei beiden eine Schockstarre eingetreten ist. Angesichts der übermächtigen Probleme sind sie wie gelähmt und sind nicht in der Lage aufeinander zuzugehen.

    Versuche, an den alten Zeiten anzuknüpfen, enden in einem Fiasko. Es ist fast rührend, wie beide versuchen, ein Stückchen des alten Lebens zurückzuholen, allerdings als Sparversion. Doch schnell stellen sie fest, dass sie mit den wenigen Bruchstücken des Glücks, das sie sich noch leisten können, nicht zufrieden sind. Die Ehe der beiden scheint an der Arbeitslosigkeit zu zerbrechen.

    "Da packt sie die kalte Panik, ihnen wird die Luft ausgehen, ganz egal, wohin sie ziehen, zusammen zu scheitern ist schlimmer als allein. Wer allein ist, wird nicht beobachtet, muss keine Haltung bewahren, muss sich nicht als Ursache für das nächstbeste Problem fühlen, und die Frage, wer recht oder unrecht hat, ist auch nicht mehr wichtig." (S. 215)

    Und, wenn man nun meint, dass die Familie am Tiefpunkt angelangt ist ... Irrtum, es geht noch schlimmer. Als Georg's Mutter stirbt, stellt Georg fest, dass der Nachlass seiner Mutter eine böse Überraschung für ihn bereit hält.

    Wo Sonne ist, da ist auch Schatten ....
    Dieser Spruch geisterte mir beim Lesen dieses Romans permanent durch den Kopf. Das ursprüngliche Leben der Familie, diese vermeintliche Idylle, die für die Außenwelt zur Schau getragen wird, ist nicht so toll, wie es aussieht. Insbesondere Isabell kostet es unheimlich viel Kraft, das Bild von einer hippen, wohlhabenden Familie aufrechtzuerhalten. Nicht umsonst wird sie krank und arbeitsunfähig, weil sie mit dem enormen psychischen Druck, den sie sich macht nicht zurecht kommt.
    Ebenso die überflüssigen Geldausgaben während der Arbeitslosigkeit, die sich ganz einfach mit dem Spruch "man kann nicht immer nur sparen, man muss sich auch mal was gönnen" entschuldigen lassen. Das kleine Stück Glück, das sich das Ehepaar von Zeit zu Zeit gönnt, ist teuer erkauft und vergänglich. Denn das nachfolgende schlechte Gewissen wegen einer überflüssigen Geldausgabe macht die finanzielle Misere umso deutlicher.

    Und wo Schatten ist, da ist auch Sonne ...
    Tatsächlich hat dieser Roman ein versöhnliches Ende. Der Tod von Georg's Mutter mit all seinen negativen Konsequenzen bewirkt bei Georg und Isabell einen Umdenkprozess. Beiden wird bewusst, dass die von ihnen angestrebte Glücksform einfach viel zu vergänglich ist, um ihr weiter nachzujagen.

    "Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurde sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher ... Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen freut er sich, wenn irgendwo vergilbte altmodische Gardinen oder rebellisch schmutzige Bettlaken in den Fenstern hängen. Dann denkt er: Da verteidigt ein alter Mann trotzig seinen dreißig Jahre alten Mietvertrag und will und will nicht sterben.... Doch ansonsten lässt ihn seine Nachbarschaft im Stich. Sie stößt ihn davon. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sage alle dasselbe: Wir können, du nicht." (S. 134 f.)

    Kristine Bilkau beschreibt das Schicksal dieser Familie in einem sehr eindringlichen Sprachstil. Sie schafft es, dass man den Druck und Stress, der durch eine derartige Situation aufgebaut wird, fast körperlich spüren kann. Die Art, wie das Ehepaar mit der Arbeitslosigkeit umgeht, ist nachvollziehbar. Ich habe erschreckend viele Parallelen zu dem Alltagsleben entdeckt. Insbesondere das Streben nach Wohlstand, dessen Zurschaustellung und das Streben nach Anerkennung ist bei vielen Menschen zu finden und deren eigene persönliche Definition von Glück.

    Dieses Buch macht nachdenklich. Gerade, weil es so viele Parallelen zum Alltag gibt, hält Kristine Bilkau dem Leser einen Spiegel vor die eigene Seele, so dass man am Ende sein eigenes Verständnis von Glück hinterfragt. Ich habe dieses Buch verschlungen und spreche daher eine klare Leseempfehlung aus.

    © Renie

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  1. 5
    25. Apr 2015 

    Lebensträume...

    Während man vom Kind zum Erwachsenen heranreift, findet man immer mehr darüber heraus, wer man eigentlich ist, und trifft Entscheidungen, um Lebensentwürfe zu realisieren. So auch Isabell und Georg, ein junges Paar mit einem kleinen Kind. Sie fühlen sich wohl in ihrem Beruf - sie ist eine begabte Cellistin, er ein erfolgreicher Journalist - und haben gerade den Traum von einer kleinen Familie verwirklicht.
    In ihrem Stadtviertel voller Flair und der Altbauwohnung, in der Isabell bereits als Kind gewohnt hat, genießen sie das Leben zu dritt, nichts scheint wichtiger als die geregelten Abläufe, die Verbundenheit miteinander.

    Doch ein kleiner Missklang schleicht sich ein, als Isabell nach der Geburt ihres Sohnes wieder im Orchestergraben sitzt. Als sie ihr Solo spielt, beginnen ihre Hände zu zittern - winzig beim ersten Mal, doch mit jedem Auftritt ärger. Gleichzeitig mehren sich die Gerüchte, der Verlag würde Georgs Zeitung verkaufen. Plötzlich scheint nichts mehr sicher.

    ... nimmt dann das Cello und vergewissert sich, dass sie ohne Probleme, ohne den Hauch eines Zitterns spielen kann; ihre Fähigkeit ist unbeschädigt, ihre Hände sind gesund, wenn sie für sich allein spielt. Dann ist alles möglich, ist alles eine Suche, sie und das Cello wachsen zusammen, werden zu einem Organismus mit einem Kreislauf aus Ruhe und Kraft, aus Bewegung und Klang. Doch im Theater kehrt die Angst zurück, jeder Abend ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, kein unkontrolliertes Zittern, nein, es kommt auf den Punkt genau, wenn sie verwundbar ist. (S. 79)

    Isabell lässt sich krankschreiben, verliert das Engagement am Theater, und Georg muss sich ebenfalls nach einer neuen Stelle umschauen, nachdem die Zeitung verkauft ist. Gleichzeitig wird nach umfassender Sanierung des Hauses die Miete erhöht. Der Druck und die Verunsicherung wachsen. Isabell spricht nicht über ihr Problem, hat Sorge, dass das Zittern real wird, sobald sie es benennt, hofft, es gehe so vorüber, zieht sich in sich zurück. Georg fühlt sich zunehmend als Versager, der seine Familie nicht versorgen kann, die Alternativen scheinen reizlos, kein anderer Job, kein anderes Haus zumutbar. Was geschieht, wenn Lebensträume platzen?

    Auf dem Heimweg schaut er wieder in die Fenster der anderen, dringt mit seinem Blick in ihre hellen Räume ein. Früher haben er und Isabell das oft gemeinsam gemacht. Zusammen schauten sie in fremde Zimmer. Bei abendlichen Spaziergängen wurden sie zu Voyeuren. Regalwände voller Bücher, geschmackvolle Deckenlampen, moderne, offene Küchen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. Das eigene Leben in den fremden Wohnungen erkennen. Inzwischen (...) lässt ihn seine Nachbarschaft im Stich. Sie stößt ihn davon. Die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben sagen alle dasselbe: Wir können, du nicht. (S. 200 f.)

    Isabell, die das kommende Unheil nicht wahrhaben will, trotzig Einkäufe tätigt wie zu den Zeiten, als das kein Problem war, so lange es eben noch geht. Und Georg, der zu rechnen beginnt, zum sparsamen Mahner wird, Discounter nun statt Bioladen. Ängste, Schuldgefühle, Unsicherheit - und über allem die Sprachlosigkeit.
    Es fehlen die Worte, die eine gemeinsame Lösung finden lassen könnten, die Verständnis für die Situation des anderen bringen würden, die wieder eine Gemeinsamkeit entstehen lassen könnten. So irrt jeder einzeln für sich wie ein Trabant durch die Unsicherheit, isoliert sich immer mehr, fühlt sich unverstanden und am Rande des Erträglichen. Das stark geglaubte Familienband zerfasert, droht zu zerreißen, in den Abgrund der Scherben der Lebensentwürfe zu trudeln.

    Sie verachtet seine Vernunft und nimmt ihm seinen Mangel an Eitelkeit übel. Eine gewisse Eitelkeit, die verhindert, dass sie sich den miesen Umständen vorauseilend anpassen, dass sie eins werden mit den miesen Umständen, dass sie diese Umstände eigentlich erst heraufbeschwören. (S. 224)

    Kristine Bilkau wählt in ihrem Debütroman eine distanzierte Erzählweise, lässt den Leser abwechselnd aus der Sicht Isabells und Georgs an den Geschehnissen teilhaben. Dabei legt sie in glasklarer Sprache Gefühle und Gedanken auf den Seziertisch, so dass der wachsende Druck, die zunehmende Sprachlosigkeit, der Verlust der Hoffnung trotz der distanzierten Sicht der Dinge greifbar, spürbar werden.
    Neben den sehr authentischen Charakteren präsentiert Kristine Bilkau darüber hinaus mit der Infragestellung von Lebensentwürfen ein Thema, das auch den Leser mit einbezieht. Jeder kann seiner Situation entsprechend etwas aus der Erzählung herauslesen, für sich als wesentlich und bedeutsam herausfiltern, wird dazu verführt, sich mit Themen und Fragen des Lebens zu beschäftigen.

    Ich frage mich, wie lange es hier so weitergehen kann. Ich fühle mich wie unter Wasser. Ich tauche, ich halte die Luft an, eine Weile wird es noch gehen, aber ich weiß, lange halte ich es nicht mehr durch. (S. 195)

    Ein melancholisch gestimmter Roman, der aber nicht in die Hoffnungslosigkeit abgleitet, sondern eine Perspektive bietet, der Titel durchaus passend gewählt.
    Für mich eine überraschende Entdeckung, die ich hiermit sehr gerne weiterempfehle!

    © Parden

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