Die Fremde: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Fremde: Roman' von Claudia Durastanti
3
3 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Fremde: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:304
EAN:9783552072008

Rezensionen zu "Die Fremde: Roman"

  1. 5
    17. Aug 2023 

    Historisch dicht mit vielen ???

    Stefan Hertmans, ein belgischer Autor, ließ sich in “Die Fremde“ von seinem Wohnort in der Provence inspirieren und erzählt auf der Grundlage einer mehr als dünnen Dokumentenlage die Geschichte einer Frau des 11. Jahrhunderts, deren Leben mit dem Ort verbunden war. Hertmans forscht, rekonstruiert, erfindet, spürt nach, was auch immer er über das Leben dieser Fremden erfahren kann und erzählt diese auf diese Weise bunt und lebendig gewordene Geschichte glaubhaft, aber immer auch mit einer Haltung, die aussagt: So oder ganz anders kann es gewesen sein.
    Die Fremde ist eine Frau, die in guter christlicher Familie in Rouen, geboren wurde und dort einen Weg nimmt, der alles andere als vorbestimmt für sie ist. Sie durchbricht die gesellschaftlichen Grenzen und Hürden, die in der Stadt zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten und Glaubensgemeinschaften errichtet sind und verliebt sich in David, einen jüdischen Eleven. Hin und her gerissen zwischen den beiden Lebensformen, immer im Verborgenen die Grenzen überschreitend, muss sie sich eines Tages für eine der Seiten entscheiden und flieht mit David in Richtung Süden, wo in Narbonne Davids Vater einen hohen jüdischen Posten bekleidet. Sie ist nun Hamutal, hat also einen jüdischen Namen angenommen und ist doch überall „die Fremde“ und all überall in Gefahr, denn:
    „Sie mag von David noch so viel über die Thora und die alte Geschichte des jüdischen Volkes lernen. Doch sie hat ihre Gewissheiten verloren, und es gibt niemanden, mit dem sie darüber sprechen könnte. Christen würden sie sofort als Hexe verurteilen und auf den Scheiterhaufen zerren, Juden würden sie spüren lassen, dass ihre Zweifel die einer Proselytin seien und sie unwürdig, in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Also reagiert sie, wie jede gebildete Frau jener Zeit reagieren würde: Sie schweigt, neigt das Haupt und betet still.“
    Nach einer gefährlichen und aufreibenden Reise durch Frankreich kommen David und Hamutal schließlich für eine gewisse Zeit in einem kleinen Dorf in der Provence einigermaßen zur Ruhe. Hier in der Einfachheit der Lebensformen spielen die geistlichen und dogmatischen Unterschiede zwischen den Religionen eine untergeordnete Rolle und das Zusammenleben über religiöse Grenzen hinweg klappt ohne große Verwerfungen. Dann allerdings ändert sich alles, als in Frankreich entschieden wird, dass die Christen das gelobte Land in Jerusalem zurückerobern und es den Juden und anderen „Ungläubigen“ entreißen müssen. Kreuzzüge mit Tausenden von Menschen machen sich auf den Weg und werden für alle, auf die sie treffen zur Plage und tödlichen Gefahr. Vermeintliche Unterschiede und Grenzen zwischen Christen und Juden werden überhöht und führen zu Massakern und schrecklichem Leid. Auch das Dorf von Hamutal und David trifft es. David wird getötet und Hamutals Kinder werden von dem Kreuzzug verschleppt. Auf der Suche nach ihren Kindern reist Hamutal in der Folge den Kreuzfahrern hinterher, stolpert dabei von einer Gefahr in die andere und findet schließlich in Alt-Kairo ein neues Heim und einen neuen Ehemann. Ihr Leben in diesem neuen Zuhause aber ist von der ständigen Sorge um die verschleppten Kinder geprägt und so bricht sie irgendwann wieder Richtung Norden auf, um sie weiter zu suchen. Und erneut gerät sie in die religiösen Wirren dieses dunklen Zeitalters, die uns dieser Roman so persönlich und farbenfroh nahebringt. Wird sie die Kinder finden und ihre Reise nach Norden lebendig überstehen? Davon erzählt der Roman, während ich dazu hier Schweigen bewahre.
    Der Roman besticht durch seine besondere Erzählhaltung, in der der Autor als Historienforscher selbst mit zur Figur wird und in seiner Erzählung nie verschweigt, wie vage und unsicher seine wirklichen Kenntnisse über Hamutals Leben sind, dieses aber doch in aller Ausführlichkeit und Detailtreue ausschmückt. So wird Geschichte lebendig, ohne jedoch die Fülle von Fragezeichen zu verschweigen und deutlich zu machen: Ich weiß, dass ich Vieles nicht weiß, aber ich möchte mir auf jeden Fall die Historie erschließen! Denn: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ (Richard von Weizsäcker) In diesem Sinne empfehle ich die Lektüre mit einer 5 Sterne-Wertung.

    Teilen
  1. 2
    18. Apr 2021 

    Ein Roman, bei dem letztlich ich mich fremd fühlte...

    Claudia Durastanti erzählt in ihrem von der Kritik gefeierten Roman eine ganz besondere Familiengeschichte. Es ist ihre eigene. Beide Eltern sind gehörlos. In den sechziger Jahren sind sie nach New York ausgewandert. Claudia kommt in Brooklyn zur Welt und als kleines Mädchen zurück in ein abgelegenes Dorf in Italien. Mit Büchern bringt sie sich selbst die Sprache bei, die ihr die Eltern nicht geben können. Aus allen Facetten dieses Andersseins hat Claudia Durastanti einen außergewöhnlichen Roman gemacht. Von den euphorischen Geschichten einer wilden italoamerikanischen Familie in den Sechzigern bis ins gegenwärtige London. Dieser Roman lässt einen keine Zeile lang unberührt.

    Bewusst stelle ich den Klappentext voran, damit deutlich wird, mit welchen Erwartungen ich in die Lektüre gestartet bin. Die (hörende) Tochter von gehörlosen Eltern schreibt von ihren Erlebnissen und Erfahrungen, beginnend in den sechziger Jahren. Erwartet habe ich daher eine besondere Familiengeschichte mit Einblicken in eine außergewöhnliche Situation – und welche Auswirkungen diese Kindheit auf das weitere Leben der Autorin hatte. In der Leserunde zum Roman erfuhr ich dann, dass es sich hierbei um eine sog. Autofiktion handelt, also um die Verbindung von einer Autobiografie mit fiktionalen Elementen. Auch das schreckte mich nicht ab, obschon meine letzte Begegnung mit diesem Genre (“Die Erfindung des Countdowns” von Daniel Mellem) mich eher enttäuschte.

    Zu lesen bekam ich anfangs einen kaleidoskopartigen Einblick in eine Kindheit und Jugend, die, hm, jugendamtswürdig war, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das hängt jedoch keinesfalls mit der Gehörlosigkeit der Eltern zusammen, da gab es durchaus ausreichend technisches Equipment, damit die Eltern beispielsweise wussten, wann das Baby schreit. Das hängt vielmehr mit dem Egoismus (der 'Freiheitsliebe') der Eltern zusammen, von denen jede_r nur um sich selbst kreiste, wobei zwischen den beiden auch noch ein überaus toxisches Verhältnis bestand. Die Kinder – die Autorin hat noch einen älteren Bruder - blieben oftmals sich selbst überlassen, es gab Gewalttätigkeiten unter den Eltern, gefolgt von Polizei und Gefängnis für den Vater. Diebstahl galt bei den Eltern als kokette Angewohnheit, das Brechen gesellschaftlicher Regeln als Grundsatz, es kam zu ständigen Umzügen. Das alles bietet verständlicherweise wenig Halt für ein Kind. Dazu kam eben noch die Sprachlosigkeit, geschuldet der Gehörlosigkeit der Eltern und ihrer Sturheit gegenüber dem Gebrauch der Gebärdensprache innerhalb der Familie.

    Interessant fand ich, dass die Autorin gerade die Sprache als Mittel einsetzt, um sich mit ihrer Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Doch die Sprache hat es in sich – hier erwartet den Leser / die Leserin ein anspruchsvoller Schreibstil voller Schachtelsätze, Widersprüchlichkeiten und Metaphern, die für mich nicht immer leicht und teilweise auch gar nicht verständlich waren, dazu eine manchmal nur schwer nachvollziehbare Sprunghaftigkeit in der Darstellung, Widersprüchlichkeiten, die nicht aufgelöst werden, und zudem noch eine wohl bewusst gewählte Distanziertheit zum Geschehen... Anstrengend! Es entstand bei mir der Eindruck, je persönlicher die Inhalte wurden, die Betroffenheit angedeutet, desto sachlicher hielt die Autorin die Schilderung, die Art, auf die brisanten Themen einzugehen. Sie lässt persönliche Einblicke zu, toleriert aber keine emotionale Beteiligung des Lesers / der Leserin. Legitim, natürlich. Aber mich holte der Roman damit keinesfalls ab.

    So wurde aus dem anfänglichen Sog, den der Roman trotz des anspruchsvollen Schreibstils und des wenig augenfreundlichen Drucks (sehr kleines Schriftbild ohne Absatz innerhalb eines Kapitels) auf mich ausübte, schließlich eher eine Pflichtübung. Immer wieder habe ich das Buch beiseite gelegt, die Seiten wollten gar nicht weniger werden, die Lesefreude blieb oft auf der Strecke, und wenn ich den Roman dann schließlich wieder zur Hand nahm, stellte ich nicht selten fest, dass ich nicht mehr wusste, wovon in dem Abschnitt davor die Rede war... Ist der Roman ein intellektuelles Abreagieren von Wut und Resignation, ein vor den Kopf stoßen wollen?

    Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich bin einfach froh, das Buch beendet zu haben. Selten habe ich mich so durchquälen müssen durch einen 'Roman'. Ich persönlich konnte weder etwas aus dem Roman ziehen noch großartig etwas damit anfangen. Vieles blieb nebulös und im Stadium der Andeutung, anderes überlagert von Metaphern und Assoziationen zu/aus Filmen/Liedern usw. Irgendwie kam bei mir an, dass man sich letztlich selbst fremd bleibt, dem anderen sowieso. Aber ob das jetzt die 'gewollte Botschaft' ist oder nicht: ich bin durch. Das ist gerade alles was zählt.

    Wirklich schade…

    © Parden

    Teilen
  1. Ab wann ist man fremd?

    Dieses Buch habe ich so oft auf Social Media gesehen und da ich über Gehörlose doch sehr wenig weiß, dachte ich das könnte doch spannend werden und begann gebannt zu lesen.

    Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um Autofiktion, in der die Autorin ihr Leben mit ihren gehörlosen Eltern beschreibt. Wie haben ihre Eltern zueinander gefunden? Was hat das andauernde Emigrieren mit der Familie gemacht?

    Der Einstieg in die Geschichte fiel mir noch recht leicht, da ich so voller Vorfreude war und die Sprache mir sehr zusagte. Leider nahm die Lesefreude immer mehr ab.

    Die Geschichte liest sich in etwa wie ein nicht chronologisches Tagebuch, bei dem jeder Gedankensprung und jede Idee aufgezeichnet werden. Je mehr ich las, desto mehr habe ich den roten Faden vermisst und desto weniger interessierte mich auch das Geschriebene.

    Man bekommt Einblicke in das Leben von Gehörlosen, allerdings von jenen, die ihr Schicksal nicht wirklich akzeptiert haben, weshalb diese Einschränkung für den Leser als eine Unerträglichkeit rüberkommt. Sicherlich ist jede Art der Behinderung schwer verkraftbar und es kostet Mühe und Engagement damit dennoch ein lebenswertes Leben zu führen. Die beschriebenen Eltern tun jedenfalls alles dafür, um eben nicht in der Welt klar zu kommen, was beim Lesen wehtat.

    Für mich fühlte sich der Roman als Aufarbeitung eines Schicksals an, was Frau Durastanti sicher geholfen hat im weiteren Leben, aber sich leider nicht wirklich angenehm lesen lässt.

    Die letzten hundert Seiten habe ich mich dann nur noch durchgekämpft und war froh als das Buch dann vorbei war.

    Fazit: Schwere Kost, die man mögen muss. Ich kann leider keine Empfehlung aussprechen. Das Einzige, was es mir gebracht hat, dass ich aufgrund der Lektüre zu Gehörlosen recherchiert habe und deswegen mehr darüber weiß.

    Teilen