Die Erfindung des Lebens

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Erfindung des Lebens' von Hanns-Josef Ortheil
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3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Erfindung des Lebens"

Die Geschichte eines stummen Kindes, das sein Leben erfinden muss, um sein Glück zu machen


»Die Erfindung des Lebens« ist die Geschichte eines jungen Mannes von seinen Kinderjahren bis zu seinen ersten Erfolgen als Schriftsteller. Als einziges überlebendes Kind seiner Eltern, die im Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach vier Söhne verloren haben, wächst er in Köln auf. Die Mutter ist stumm geworden, und auch ihr letzter Sohn lebt zunächst stumm an ihrer Seite. Nach Jahren erst kann er sich aus der Umklammerung der Familie lösen, in Rom eine Karriere als Pianist beginnen und nach deren Scheitern mit dem Schreiben sein Glück zu machen versuchen …


In seinem neuen, autobiographisch inspirierten Roman erzählt Hanns-Josef Ortheil die Geschichte eines jahrelang stummen Kindes, dessen Eltern im Krieg und in der Nachkriegszeit vier Söhne verloren haben. Zusammen mit der ebenfalls stummen Mutter wächst es in einer künstlichen Schutzzone auf, aus der es sich erst langsam durch das geliebte Klavierspiel und den unorthodoxen Sprachunterricht des Vaters befreien kann. Doch die Befreiung ist schmerzhaft. Sie führt den Jungen auf lange, einsame Reisen durch Deutschland und in einem letzten Befreiungsakt schließlich nach Rom. Dort wird er ein erfolgreicher Pianist, der Freundschaften schließt und sogar ein Liebesverhältnis eingeht. Diese Bindungen aber zerreißen, und auch die Pianistenkarriere muss aufgegeben werden. Nach der Rückkehr nach Deutschland macht ihm ein früherer Lehrer den faszinierenden Vorschlag, es mit dem Schreiben zu versuchen …


In Anlehnung an die großen Bildungsromane der deutschen Literatur entwirft dieser auch historisch weit ausholende Roman eine Biographie, die nach jedem Rückschlag wieder ganz neu erfunden werden muss. Entstanden ist dabei die ergreifende Geschichte von einem jungen Pianisten und späteren Schriftsteller, deren am Ende glücklicher Verlauf an ein Wunder grenzt.


Format:Taschenbuch
Seiten:592
Verlag: btb
EAN:9783442739783

Rezensionen zu "Die Erfindung des Lebens"

  1. 3
    13. Mai 2016 

    Komplizierte Ichwerdung

    Komplizierte Ichwerdung

    Hanns-Josef Ortheil ist ein deutscher Gegenwartsautor mit einer langen Liste von Büchern, die ich mit dem Buch „Die Erfindung des Lebens“ für mich mit einiger Erwartung gestartet habe. Die Bezeichnung „Roman“ hüllt den offensichtlich starken autobiografischen Kern dieses Buches in Nebel, denn informiert man sich über die Lebensgeschichte des Autors, so tauchen tatsächlich alle Stationen und eine Vielzahl der handelnden Personen des „Romans“ auch in Ortheils Leben selbst auf. Zum Hintergrund und zur Einschätzung des Buches bleibt das nicht ohne Bedeutung.
    Der Roman startet in einer Atmosphäre der Stille und Sprachlosigkeit und hat hier für mich seine größten Stärken, denn er kann das individuelle Schicksal des (autobiografischen) Helden mit Zeitgeist und gesellschaftlichem Leben atmosphärisch dicht und stimmig miteinander verschränken und zusammenbringen. Der mutistische (die Sprache verweigernde) kindliche Held lebt in der Nachkriegsstille der fünfziger Jahre

    „… es war die unheimliche, wie von großer Erschöpfung herrührende Nachkriegsstille der fünfziger Jahre, in denen man jeden Laut, jede Stimme und jeden Klang noch sehr genau wahrnahm, weil diese Stille noch nicht durchsetzt war von fremden, künstlichen Klängen. Es war eine Welt ohne Fernsehen, ja sogar weitgehend noch ohne Radio oder Schallplatte, eine Welt, in der man sich bemühen musste , ein Geräusch zu erzeugen oder die Entstehung von Geräuschen zu veranlassen, eine Welt, in der es also nicht immer schon und dazu noch ununterbrochen Geräusche und Klänge gab.“

    Im weiteren Verlauf seines Lebens und des Buches geht es dann um die Befreiung aus dieser sprachlosen Welt, in der der Held für sich ein Leben und eine Zukunft zu finden, zu entwerfen und zu realisieren sucht. Dabei geht es um ein vielfältiges Finden: das Finden der Sprache, eines Ortes zum Leben, einer Beschäftigung, das Finden von Menschen.
    Der Leser kann den Helden durch verschiedene Karrieren (Pianist, Organist, Schriftsteller) und zu verschiedenen Orten (Köln, Hunsrück, Rom) begleiten und die Überwindung der Sprachlosigkeit lesend miterleben.

    „Der ausdauerndste und längste Kampf, den ich gegen diese Nachwirkungen führe, besteht in meinem Schreiben. All mein ewiges Schreiben, könnte ich nämlich behaupten, besteht letztlich nur darin, aus mir einen anderen Menschen als den zu machen, der ich in meiner Kindheit gewesen bin.“

    Ein Entwicklungsroman also, der – hier setzen meine kritischen Bemerkungen an – immer mehr den Bezug zur umgebenden Gesellschaft verliert. Aus einer intelligenten Verschränkung von individuellem Erleben und der Umwelt und Gesellschaft wird zum Ende des Romans immer mehr eine Nabelschau des Individuums. Das tut dem Lesegenuss keinen Abbruch, denn Schreiben kann Ortheil ohne Frage. Er schafft eine „unendliche Melodie“ aus Sprache, um ein Zitat aus dem Klappentext zu übernehmen. Aber mein Interesse als Leser an der Entwicklung der Ichwerdung wurde zum Ende hin doch immer geringer. Und das kann ich mir nur dadurch erklären, dass der Eindruck einer etwas eitlen Nabelschau sich immer mehr in den Vordergrund schob.
    Mein Fazit ist deshalb geteilt. Als Schriftsteller hat mich Hanns-Josef Ortheil sprachlich auf jeden Fall überzeugt und ich werde gerne noch ein weiteres Buch / weitere Bücher von ihm ausprobieren. Inhaltlich aber sehe ich mich in einer recht großen kritischen Distanz zu dem Buch, seinem Helden und seiner Entwicklung.
    Ich gebe 3 Sterne.

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