Die Erfindung des Countdowns: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Erfindung des Countdowns: Roman' von Mellem, Daniel
3.9
3.9 von 5 (16 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Erfindung des Countdowns: Roman"

Nach dem Ersten Weltkrieg bricht das Zeitalter der Utopien an. 1920 zieht es den jungen Hermann Oberth von Siebenbürgen nach Göttingen, um Physik zu studieren - die spannendste Wissenschaft der Zeit. Hermann will den Menschheitstraum von der Mondrakete verwirklichen. Als der Durchbruch nah ist, weisen seine Professoren ihn ab. Seine lebenslustige Frau Tilla versucht, einen gemeinsamen Alltag als Familie zu ermöglichen, als doch jemand an Hermanns Forschung glaubt: Wernher von Braun, Mitglied der SS. Doch statt der Mondrakete soll Hermann die V2 mitentwickeln, eine »Vergeltungswaffe« für die Nazis. Seine Kinder Ilse und Julius verliert er an den Krieg. Und so stellt sich ihm und auch Tilla mit voller Wucht die Frage nach der eigenen Verantwortung für die Geschichte.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
Verlag:
EAN:9783423282383

Rezensionen zu "Die Erfindung des Countdowns: Roman"

  1. Auf zum Mond?

    Zunächst ein Hinweis: es handelt sich hier um einen semi-biographischen Roman, der auf dem Leben des Physikers Hermann Oberth beruht. Der Autor strafft manche Episoden und interpretiert andere im Sinne der Literatur eher frei, über das Wesentliche gewinnt man jedoch einen guten Überblick.⠀

    Hermann wurde 1894 in Siebenbürgen geboren. Zunächst begegnet er dem Leser als hochbegabtes Kind, das mit seinem kompromisslosen Antrieb und seinen leidenschaftlichen Interessen kaum gewürdigt wird.⠀

    Der Vater, ein promovierter Arzt, ist sehr darauf versteift, dass allein die Medizin ein würdiges Fach für seinen Ältesten ist. Im Tunnelblick sieht er zwar dessen Intelligenz, nimmt aber nicht wahr, wie außergewöhnlich begabt Hermann in Interessengebieten ist, die kaum Berührungspunkte mit seinen eigenen haben. Hermann soll der Sohn sein, der das berufliche Erbe übernimmt, Punkt.⠀

    Hermann hatte mich zunächst ganz auf seiner Seite. Ich verfolgte gespannt seinen Weg zum Physikstudium, dann seine Irrwege zur Dissertation, seine Pläne und Entwürfe, sein großes Scheitern und seine kleinen Siege, seine Kooperationen mit Fritz Lang und Wernher von Braun…⠀

    Ich fieberte geradezu mit bei seinen langjährigen beschwerlichen Versuchen, den unschuldigen Kindheitstraum einer von ihm entworfenen Rakete wahr werden zu lassen – ein langer Sisyphos-Pfad des kontinuierlichen Scheiterns. Immer wieder habe ich mir gedacht: viele hätten genau hier, genau jetzt aufgegeben, aber Hermann kämpft sich mit bewundernswerter Entschlossenheit weiter und weiter und weiter.⠀

    Der Weg von der Forschung ins Kriegsgeschehen: Die Verwendung als Waffe war gewiss nicht Hermanns ursprüngliche Motivation für seine Mondrakete. Doch irgendwann gewinnt der friedliche Kindheitstraum eine politische Komponente – fast schon unvermeidlich in Zeiten des Kriegs. Hermann erfährt das Leid der Soldaten im Ersten Weltkrieg am eigenen Leibe, später muss er (vergeblich) um seinen jüngeren Bruder bangen, und das verändert etwas in ihm.⠀

    Bestürzend fand ich, dass Hermann anfängt, über den möglichen Einsatz von Raketen im Krieg nachzudenken, weil er Unrecht und Leiden beenden will. Bestürzend, weil es so naiv und absurd ist, und doch die Grundlage des späteren Wettrüstens.⠀

    Ja, wenn man es wirklich ganz nüchtern betrachten könnte, ergäbe es rein theoretisch sogar einen bitteren Sinn: die Menschen leiden, solange der Krieg weitergeht – nur die nicht, die ihn verschuldet haben. Eine Rakete verkürzt dieses Leiden, und womöglich würden sogar mehr Menschen sterben, wenn der Krieg noch Jahre oder gar Jahrzehnte weiter ginge. Aber das Heilmittel ist hier der Tod, da müsste man die ganz konkreten Opfer schon ausblenden und ihren Leben damit jeden Sinn absprechen.⠀

    Und Hermann geht diesen Schritt, er lässt seiner Idee Taten folgen. Als Leser fragt man sich: inwieweit realisiert Hermann das Ausmaß dessen, was er in Gang setzt? Ist ihm klar, was das ganz konkret bedeuten wird und wieviel Schuld er sich damit auflädt?⠀

    Tatsache ist: er beteiligt sich am Bau der “Vergeltungswaffe” V2, die durch ihren Einsatz im Zweiten Weltkrieg über 8.000 Menschenleben kosten wird, und bei ihrer Produktion indirekt das Leben von 16.000 bis 20.000 KZ-Häftlingen.⠀

    Hier möchte ich einen Kritikpunkt äußern.⠀

    Meines Erachtens ist dies die große Schwachstelle dieser Romans: Hermanns politisches Verständnis bleibt für einen Großteil des Buches ein Rätsel. Hier und dort passiert etwas, woraus man seine Ansichten erahnen oder bis zu einem gewissen Punkt ablesen kann. Doch das überaus wichtige, in seinem Leben doch so zentrale Thema Holocaust wirkt dennoch wie eine Leerstelle, ein gähnendes Loch im Gewebe der Erzählung…⠀

    Dass da etwas schwärt, steht außer Frage, doch ist Hermanns Schuld bloß eine der stillschweigenden Duldung aus Ignoranz – oder mehr? Erst gegen Ende, als die Geschichte die Zeit des Zweiten Weltkrieges schon hinter sich gelassen hat, erfährt man Dinge, die im Rückblick ein ganz anderes Licht auf die Ansichten dieses brillanten Sonderlings werfen und unschöne Aspekte seines Denkens enthüllen.⠀

    Ein herber Schlag, der unerwartet kommt. Das Thema der wissenschaftlichen Ethik hätte für mich in diversen Passagen gerne deutlich mehr in den Mittelpunkt gerückt werden können⠀

    In meinen Augen wäre die Geschichte schlüssiger und authentischer, hätten die Leser*innen schon viel früher mehr über Hermanns politische Gesinnung und seine Gedanken zum nationalsozialistischen Gedankengut erfahren – jeweils im direkten Bezug der Erzählzeit, nicht aus der hehren Distanz einiger Jahre.⠀

    In diesem Leseabschnitt habe ich die Diskrepanz zwischen dem “echten” und dem literarischen Hermann das erste Mal als störend empfunden.⠀

    Letztlich kam mir Hermann vor wie einer, der immer wieder gescheitert ist, der von Menschen wie Wernher von Braun nur noch mitgeschleift wurde. Man sieht im Buch kaum echte Erfolge, im Sinne von: hier ist ein ganz konkretes Resultat, ein funktionierendes XYZ. Hermann ist zwischenmenschlich inkompetent und in allem, was er nicht berechnen oder empirisch nachweisen kann, unglaublich blind. Er tat mir lange leid, doch am Schluss hatte ich das Gefühl, ihn nicht wirklich zu kennen.⠀

    Hermanns familiäres Leben:⠀

    Der Vater drängt relativ am Anfang des Buches darauf, dass Hermann heiratet. Die bald darauf folgende Ehe mit der forschen Tilla dient sicher zumindest zum Teil dazu, den Vater zu beruhigen – damit Hermann sich wieder den in seinen Augen wichtigeren Dingen widmen kann.⠀

    Die beiden Eheleute haben so rein gar nichts gemein. Er scheint wenig interessiert an ihr, auch nicht am Sex, die im Laufe der Jahre folgenden vier Kinder sind da fast schon erstaunlich… Was hält Tilla also bei Hermann? Mal erweckt sie den Eindruck, sie müsse Herman wohl sehr lieben und seine Marotten daher tolerieren, dann spricht aus ihren pointierten Bemerkungen wiederum Bitterkeit und Enttäuschung. Vielleicht ist es für sie nicht weniger eine Pflichtehe als für ihn: als selbstbewusste, intelligente Frau hat sie einen Mann gefunden, der sie schalten und walten lässt, ohne sich einzumischen.⠀

    So oder so ist Tilla ein großartiger Charakter, vielleicht sogar die stärkste Identifikationsfigur des Romans. Ihre Bemerkungen sind bissig und bringen die Dinge immer haargenau auf den Punkt, was für eine sehr willkommene Prise Humor sorgt – auch wenn Hermann das mangels emotionaler Intelligenz gar nicht mitbekommt.⠀

    Dem Schreibstil gelingt (meist) der Balanceakt:⠀

    Hermann ist ein Mann von eher sprödem, nüchternem Naturell, und dennoch wirkt der Schreibstil nicht steril oder langweilig. Man kann der Geschichte wunderbar folgen, ohne viel von Physik zu verstehen, obwohl ein gewisses Grundverständnis die Lektüre bestimmt noch interessanter machen würde.⠀

    Als Charakter bleibt Hermann hingegen oft etwas blass und wirkt durch seine Fixierung auf die Forschung so emotional distanziert wie schwer zu fassen. Dennoch bin ich froh, mehr über diesen Mann erfahren zu haben, über den heute nur noch wenig gesprochen wird.⠀

    Fazit⠀

    Daniel Mellem erzählt in seinem semi-biographischen Roman die Geschichte eines gescheiterten Lebens mit deutlich mehr Tiefen als Höhen. Als kleiner Junge wollte Hermann Oberth nur eine Mondrakete bauen, entwickelte später bahnbrechende Theorien und Methoden und widmete sein ganzes Leben der Forschung.⠀

    Letztlich wurde er indes immer wieder übergangen und aufs Abstellgleis verbannt. Rückschlag nach Rückschlag nach Rückschlag. Und doch: er schuf als Begründer der wissenschaftlichen Raketentechnik die Grundlagen für so Vieles – ohne ihn wären später wohl einige Entwicklungen nie oder erst sehr viel später möglich geworden.⠀

    Der Roman liest sich durchaus interessant und lehrreich. Gegen Ende des Romans erfährt man jedoch Dinge über Hermann, die mich ernüchtert und meinem bisherigen Mitgefühl einen empfindlichen Dämpfer verpasst haben – und die meines Erachtens schon früher hätten zur Sprache kommen müssen, weil sie ein wichtiges Element dessen sind, was Hermann als Mensch ausmacht.⠀

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  1. Der Fehler von Jules Vernes

    Hermann Oberth war der erste, der in Verbindung mit dem Gedanken einer wirklichen Weltraumfahrt zum Rechenschieber griff und zahlenmäßig durchgearbeitete Konzepte und Konstruktionsentwürfe vorlegte. Ich selbst verdanke ihm nicht nur den Leitstern meines Lebens, sondern darüber hinaus meine erste Berührung mit den theoretischen und praktischen Seiten der Raketentechnik und Raumfahrt. Seinen richtungsweisenden Beiträgen auf dem Gebiet der Astronautik gebührt ein Ehrenplatz in der Geschichte der Wissenschaft und Technik.
    Zitat: Wernher von Braun
    Quelle: foerderverein-peenemuende

    Inhalt

    Der Roman beginnt im Jahr 1899 in Schäßburg, Siebenbürgen, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Hermann Oberth ist noch ein Kind und geht dort zur Schule. Sein Vater, „Direktor des Spitals“ (S.9) sieht in seinem ältesten Sohn seinen Nachfolger. Doch Hermann beschäftigt sich lieber mit Jules Verne und seinem Roman "Reise um den Mond". Schon recht früh begeistert er sich für das Weltall und träumt davon, einmal zum Mond fliegen zu können.
    Sein Vater schenkte ihm ein Teleskop und als er zum ersten Mal Details des Mondes entdeckt wird sein Lebenswunsch geweckt zum Mond zu fahren. „»Kann man da hinfahren?«“ (S.17)
    Seine Mutter schenkte ihm Jules Vernes „Reise um den Mond“, versteht aber bald die Gedanken des eigenen Sohnes nicht mehr. Sehr schnell macht dieser sich daran, über den Bau einer Weltraumrakete nachzudenken. Er entdeckt in dem Roman von Jules Vernes, dass der Visionär sich verrechnet haben muss. Durch Zufall findet er bei einer Fahrt im Ruderboot die Lösung, nachdem das Boot in ein Unwetter geriet.

    „Er wusste nun, was, die Lösung für Vernes Fehler war.“ (S.27)

    Hermann nimmt seine Idee eine Reise zum Mond ernst und steckt Misserfolge weg. Der erste Raketenstart auf dem Friedhof, moderiert von seinem kleinen Bruder, wird zu einem Desaster, als seine Rakete auf dem Friedhof explodierte und nur das zerbrochene Skelett übrigblieb.
    Die Idee einer Reise zum Mond bleibt tief in der Fantasie von Herbert Oberth verankert.
    Nach der Schule lernt Hermann Tilla kennen. Sie heiraten im letzten Kriegssommer. Tilla versucht einen gemeinsamen Alltag als Familie zu ermöglichen und wird jahrzehntelang auf ihn warten und trotzdem immer für die vier Kinder und auch für ihn da sein.
    Oberth studiert zunächst in Klausenburg Physik. Als die Donaumonarchie endet und die Stadt rumänisch wird, zieht er 1920 in die Universitätsstadt Göttingen, um dort Physik weiter zu studieren und seine Dissertation über Weltraumraketen zu schreiben. Doch die Professoren weisen seine Arbeit ab. Der Wechsel an die Universität Heidelberg verhilft ihm nur zu einer Empfehlung für Verlage zur Veröffentlichung seiner Gedanken. Er finanziert sein Projekt durch die Ersparnisse von Tilla und 1923 erscheint endlich sein Werk „Die Rakete zu den Planetenräumen“ und wird zu einem Erfolg. Bis zur Verwirklichung seines Lebenstraumes ist es aber noch ein langer Weg.
    Hermann Oberth wird von Fritz Lang zu den UFA-Filmstudios für den Film „Frau im Mond“ als Experte nach Berlin geholt. Er soll mit seinen Kenntnissen helfen den Film technisch zu unterstützen. Doch seine Ideen werden nur ansatzweise umgesetzt. In Berlin lernt er Wernher von Braun kennen, der als Assistent an seine Seite tritt. Mit Brauns Verbindungen und seinem Talent im Reden weckt Hermanns Projekt Interesse.
    Als die Russen um Oberth und seine Kenntnisse werben, lehnt er deren Angebot ab und bietet seine Rakete dem Nazi-Regime an. Er ist blind vor der Gefährlichkeit seiner Waffe, nur um seine Idee verwirklicht zu sehen. Und Hermann Oberth verrät seinen Traum: Er gibt den Nazis seine Idee eine Rakete für die Raumfahrt als Kriegswaffe an die Hand, die die Grundlagen der Raumfahrttechnik auf schreckliche Weise missbrauchen.

    „»Ich will die Gefahr aufzeigen. Für uns Deutsche! Das einzige Mittel, sich gegen die Rakete zu verteidigen, ist, die Rakete selbst zu besitzen.«“ (S.170.

    1941 holt Wernher von Braun ihn nach Peenemünde und er wirkt am Bau der Vergeltungswaffe V2 mit. Dabei bleiben ihm die vielen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge nicht verborgen, die dort eingesetzt werden. Wernher von Braun hatte ihn mittlerweile überholt auch das nagte an ihm, da er überzeugt war, selbst alles besser zu wissen. Im Krieg verlor er zwei seiner vier Kinder. Dieser Verlust traf ihn hart.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sein Traum von der Raumfahrt Wirklichkeit. Wernher von Braun holte ihn nach Amerika und Hermann Oberth bekam seine späte Anerkennung.

    Sprache und Stil
    Sehr gelungen wirkt die Kapitelnummerierung. Oberths gesamtes Leben wird in elf Kapiteln, wie bei einem Countdown von Zehn bis Null, rückwärts gezählt. Die Sprache ist unspektakulär, nüchtern, die Sätze sind kurz. Die physikalische und mathematische Thematik wird präzise beschrieben und die physikalischen und technischen Erklärungen werden dadurch fachlich verständlich. Man merkt besonders an diesen Stellen, dass ein Physiker den Roman verfasst hat.
    Der Aufbau des Romans ist chronologisch aufgebaut beginnend mit der Kindheit und Jugend von Hermann Oberth bis in sein hohes Alter.

    Fazit
    Oberths Leben war voller Sehnsüchte und voller Verfehlungen. Dieser Mensch war nirgendwohin entglitten, in kein Morgen, keine Zukunft, keine ferne Galaxie – er hatte mit beiden Beinen in einer Welt gestanden, in der Nationalismen und Ressentiments herrschten. Als Siebenbürger Sache hatte er um seine Identität als Deutscher gerungen, er hatte mit den Nazis sympathisiert, hatte sich auch antisemitisch geäußert ja, er hatte sogar Hitler persönlich seine Rakete als Waffe angeboten. Seine Idee war nicht einfach missbraucht worden – er selbst hatte sie missbraucht. (Nachwort, S. 285)

    Dieser Absatz im Nachwort trifft den Kern des Romans genau. Der Roman beschreibt sein egoistisches Leben, Denken und Arbeiten und auch seinen Wusch in Deutschland als deutscher angesehen zu werden sehr intensiv. Angetrieben von seinem Forschungsdrang und seinen Visionen ließ er sich im nationalsozialistischen Krieg von Hitler-Deutschland missbrauchen. Doch das wird von Mellem kaum hinterfragt. Schaut man auf seine Biografie, stellt man fest, dass er eine Mitgliedschaft in der NPD von 1965- 1967 hatte.
    Seinen letzten großen Moment erlebt er mit Tilla in Cape Canaveral 1969, als Apollo 11 in einer Saturn V Rakete zum ersten Mondflug startet.

    Meine Empfehlung: 5/5 Punkten

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  1. 4
    24. Okt 2020 

    Zwiespältige und tragische Figur

    Daniel Mellem, promovierter Physiker, beschäftigt sich in seinem Debutroman, mit einem eher wenig bekannten Pionier der Raketenforschung, Hermann Oberth. Er erzählt in 11 Kapiteln ( rückwärts gezählt wie beim Countdown) chronologisch und episodenhaft dessen Leben von der Kindheit bis ins Jahr 1969.
    Hermann Oberth, 1894 in Hermannstadt geboren, wächst in Schäßburg, einer Stadt in Siebenbürgen, auf. Sein Vater ist Chirurg und der Direktor der örtlichen Klinik. Hermann ist anders als sein jüngerer, wesentlich geselligerer Bruder und seine Mitschüler. Er ist ein Träumer und Einzelgänger, mit einer Neigung zum Jähzorn. Schon früh interessiert er sich für die Naturwissenschaft, versucht den Dingen auf den Grund zu gehen. Die Schule ist ihm ein Graus, zu rückwärtsgewandt die Lehrinhalte. Viel lieber liest er Jules Verne, v.a. dessen „ Reise um den Mond“ oder beobachtet durch sein Teleskop den Sternenhimmel. Hermann‘s Interesse gilt der Zukunft. Er möchte eine Rakete entwickeln und damit zum Mond fliegen.
    Doch zuerst fordert der Erste Weltkrieg seinen Einsatz. Hermann kommt als Sanitäter an die Front und erlebt dabei die grausamen Folgen des Krieges. Auch der Tod seines Bruders an der Front bestätigt ihn in seinem Vorsatz. „ Seine Rakete konnte nicht nur in den Weltraum fliegen. Sie konnte Frontlinien , Schützengräben und Schlachtfelder überflüssig machen.“ Der Krieg sollte dadurch kürzer werden, ja ihn vielleicht sogar durch Abschreckung verhindern. Später sollte er erkennen: „ Nichts hatte man mit der Rakete erreicht. Der Krieg war nicht ausgeblieben, er war auch nicht schneller vorübergegangen. Die Rakete war lediglich ein Werkzeug gewesen.“
    Gegen den Wunsch seines Vaters, der für den ältesten Sohn eine Medizinerlaufbahn vorgesehen hatte, beschließt Hermann Physik zu studieren.
    Noch während des Krieges lernt er Tilla kennen, eine Schneiderin aus einfachen Verhältnissen und im letzten Kriegsjahr heiraten die beiden.
    Nach Ende des Krieges zieht es Hermann an die Universität von Göttingen; hier waren die führenden Köpfe der Forschung, die modernsten Institute. Doch bei der Wohnungssuche für seine junge Familie stößt Hermann auf Ablehnung. Als Siebenbürger Sachse ist er kein Reichsdeutscher, sondern ein „ Rumäne vom Balkan“.
    Auch an der Universität findet seine Arbeit keine Zustimmung. Seine Dissertation „ Die Rakete zu den Planetenräumen“ wird abgelehnt. Erst nachdem er das Manuskript auf eigene Kosten veröffentlicht, wird es ein Bestseller.
    Für seinen Lebensunterhalt arbeitet Herman zeitweise als Gymnasiallehrer in seiner Heimat. Dann, Ende der Zwanziger Jahre, holt ihn der berühmte Regisseur Fritz Lang als Berater für seinen Film „ Frau im Mond“. Für 10.000 Reichsmark soll Hermann die erste Rakete der Welt bauen. Allerdings scheitert Hermann auch hier und muss erkennen, dass ihn Fritz Lang letztendlich nur benutzt hat. Doch ein junger Student, der ihm als Assistent zur Seite gestellt wird, soll später eine wichtige Rolle für ihn spielen, Wernher von Braun. Der wird ihm nach Jahren, in denen Hermann vergeblich für seine Projekte geworben hat, an die Heeresversuchsanstalt nach Peenemünde holen, wo Wernher von Braun und seine Mitarbeiter an der Aggregat 4 - Rakete arbeiten. Die sollte dann als V2 für unsägliches Leid in England sorgen.
    Und nach dem Krieg holt ihn der berühmte Raketeningenieur nach Alabama, wo die Amerikaner alle Kraft daran setzten, die Ersten im Weltraum zu sein ( was sie allerdings nicht schafften).
    Am Ende des Romans sitzt Oberth mit Frau Tilla auf der Zuschauertribüne in Cape Canaveral und beobachtet den Start von Apollo 11, dem ersten bemannten Flug zum Mond.
    Daniel Mellem beschreibt aber nicht nur den Wissenschafter Oberth, der zeitlebens verbissen seinen Traum von der Mondrakete verfolgt , aber letztendlich von anderen überholt wird. Erst im Alter wird seine Pionierarbeit anerkannt und er erhält zahlreiche Ehrungen.
    Der Autor lässt ebenso den Menschen Oberth lebendig werden. Dabei zeichnet er ihn als Theoretiker, der für Alltagsdinge nicht zu gebrauchen ist. Für seine Ehefrau war das Leben an seiner Seite nicht leicht. Die ganze Arbeit und die Verantwortung für die sechsköpfige Familie lag bei ihr. Mellem schildert sie als zupackende und starke Frau, die ihren Mann unterstützt, aber auch kritisiert und korrigiert. „ Ob die Rakete endlich fertig sei? Sie wolle ihn gern auf den Mond schießen“. Tilla ist die eigentliche Sympathieträgerin im Roman.
    Bei den Kindern versucht Hermann anfangs noch, die Fehler seines Vaters nicht zu wiederholen, aber zusehends verliert er den Kontakt zu ihnen.
    Auch harte Schicksalsschläge hat das Ehepaar zu verkraften. Der älteste Sohn Julius meldet sich freiwillig zur Wehrmacht und wird später als vermisst gemeldet; die älteste Tochter stirbt bei einem Arbeitseinsatz.
    Oberth war aber nicht nur ein schwieriger Zeitgenosse, sondern auch politisch eine sehr umstrittene Figur. Als Siebenbürger Sachse entwickelt er ein übertriebenes Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland. Er glaubt an die Überlegenheit der Deutschen, bietet Hitler seine Dienste an und ist einige Jahre Mitglied der neugegründeten NPD .
    Mellem schreibt nüchtern und präzise, fängt gut die Atmosphäre der Zeit ein. Seine Figuren sind vielschichtig und komplex und wirken, gerade durch ihre Brüche, authentisch.
    „ Die Erfindung des Countdowns“ ist keine Biographie, sondern ein Roman, der auf der langjährigen Beschäftigung des Autors mit seiner Figur beruht. Mellem genehmigt sich deshalb einige Freiheiten, d.h. er verdichtet, schmückt aus und lässt weg. Aber dadurch ist ein lebendiges Portrait dieses eher unbekannten Wissenschaftlers gelungen. Oberth erscheint als tragische, aber auch zwiespältige Figur. Dabei wertet Mellem nicht, sondern überlässt das dem Leser.
    „ Die Erfindung des Countdowns“ ist ein lehrreicher und zugleich unterhaltsamer Roman, den ich gerne weiterempfehle.

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  1. 4
    17. Okt 2020 

    Hermann Oberth - eigenwillig und genial

    Ich war nicht immer verrückt nach Büchern. Meine Leidenschaft für die Literatur hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. In meiner Schulzeit, als Brandt, Schmidt und Kohl noch Bundeskanzler waren ;-), war sie noch nicht vorhanden. Der Deutschunterricht war nicht meins. Was ich noch viel weniger mochte, waren allerdings die Naturwissenschaften, allen voran Physik. An meinem Desinteresse für diese Disziplin hat sich mit den Jahren nicht viel geändert. Daher wunderte es mich nicht, dass ich mit dem Namen Hermann Oberth nichts anfangen konnte, als dieser (der Name ;-)) mir vor Kurzem das erste Mal begegnete.

    Hermann Oberth war ein Pionier auf dem Gebiet der Raketenforschung. Seine Visionen waren wegweisend für diese Wissenschaft, viele seiner Forschungen bildeten die Grundlage dessen, was heute durch den Weltraum schwirrt. Warum ich das auf einmal weiß? Ich habe ein Buch gelesen:
    "Die Erfindung des Countdown" von Daniel Mellem. Der Autor, selbst promovierter Physiker, hat in seinem biografischen Roman die Geschichte dieses ungewöhnlichen Mannes erzählt.

    Hermann Oberth ist 1894 in Siebenbürgen geboren und hat dort seine Kindheit verbracht. Siebenbürgen ist vielen vermutlich eher unter dem Namen Transsilvanien bekannt und liegt mitten im heutigen Rumänien. Hermann kam aus einer der vielen deutschstämmigen Familien, die damals in Siebenbürgen lebten. Der Roman, der in mehreren Episoden den größten Teil des Lebens dieses Physikers erzählt, setzt in der Kindheit von Hermann ein. Hier zeichnet sich bereits ab, dass der Junge anders als andere Kinder ist. Hermann ist überaus neugierig, er will den Dingen auf den Grund gehen. Der Klassiker "Reise zum Mond" von Jules Vernes ist dasjenige Buch, welches die ersten Anregungen für Hermanns Traum, mit einer Rakete das Weltall zu erforschen, liefert. Hermanns Vater konnte leider mit den Träumereien seines Sohnes nicht viel anfangen. Als Arzt und Leiter eines Krankenhauses hatte er andere Pläne mit seinem Erstgeborenen. Wie viele Söhne dieser Zeit, wurde von Hermann erwartet, beruflich in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Nach Ansicht des Vaters standen Hermann seine Träumereien dabei nur im Weg. Allen väterlichen Widerständen zum Trotz schaffte Hermann es dennoch, seinen eigenen Weg zu gehen.

    "Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Es gab kein Oben mehr und kein Unten, so fühlte sich die Schwerelosigkeit an, so war es, durch den Weltraum zu gleiten!"

    Wir begleiten den Physiker in unregelmäßigen Zeitsprüngen durch sein Leben. Er übersteht den 1. Weltkrieg, heiratet seine Frau Tilla, bekommt mit ihr vier Kinder. Er versucht, als Wissenschaftler Anerkennung zu erlangen, was gerade am Anfang nicht leicht war, da seine Vision von einer Rakete als Unfug abgetan wurde. Die Physik steckte damals noch in den Kinderschuhen und wurde zunächst der Esotherik zugeordnet, wofür etliche Scharlatane gesorgt haben, die sich durch abstruse Theorien einen fragwürdigen Ruf erworben haben. Von einer erstzunehmenden Wissenschaft war die Physik zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt. Hermanns verrückte Raketenvisionen passten zunächst ganz gut in diese Szenerie.

    Erst mit dem 2. Weltkrieg fanden seine Ideen größere Beachtung. Insbesondere die Überlegung, mit einer Rakete nicht nur ins All fliegen zu können, sondern diese auch als Super-Waffe einsetzen zu können, besaß für die Kriegsparteien einen großen Charme. Nazi-Deutschland finanzierte ein groß angelegtes Forschungsprogramm, an dem auch Hermann Oberth mitarbeitete. Für dieses Projekt trug Wernher von Braun, ein weiterer Pionier der Raketenforschung, welcher bei Hermann Oberth gelernt hatte, die Verantwortung. Nach dem Krieg ging Hermann Oberth zusammen mit Wernher von Braun nach Amerika, um hier die Forschungen fortzusetzen. Der Roman endet mit dem Start der amerikanischen Rakete Apollo 11, der ersten bemannten Raumfahrtmission mit einer Mondlandung.

    "Früher hatte er einen Kampf führen und die Welt überzeugen müssen, dass es überhaupt möglich war, zum Mond zu kommen. Doch nun glaubten die Menschen das längst, und sie würden dorthin fliegen, früher oder später."

    Welches Bild vermittelte mit der Autor Daniel Mellem von dem Physiker Hermann Oberth?

    Es gibt nur sehr wenige belastbare Quellen, die Hermann Oberth und sein Leben beschreiben. Diese Quellen hat Daniel Mellem als Grundlage für seine Romanfigur genutzt und diese durch seine eigenen Überlegungen zum Charakter Hermann Oberth ergänzt.

    Eingestiegen bin ich in dieses Buch, indem ich voller Ehrfurcht Hermann Oberth als Pionier und Genie der Physik betrachtet habe. Beendet habe ich diesen Roman mit einem Hermann, der einzigartige Visionen hatte, aber nicht in der Lage war, diese umzusetzen, weil ihm seine Persönlichkeit im Weg stand. Der Mann war ein Theoretiker durch und durch, der sich an seiner Forschungsarbeit verbissen hat und dabei das Leben um sich herum vergessen hat. Mit profanen Dingen wie Alltag und Lebensführung wollte er sich nicht beschäftigen, konnte es vermutlich auch nicht. Ein Wunder, dass die Ehe zwischen seiner Frau Tilla und ihm zustande gekommen ist, von den 4 gemeinsamen Kindern ganz zu schweigen.

    Hermann Oberths Visionen und Forschungen waren ihm wichtiger als alles andere, so dass sogar seine Familie zur Nebensache wurde.
    Leider war er nicht in der Lage, sich mit anderen Menschen auseinander zu setzen. In seine Forschungen ließ er sich nicht gern reinreden, mit Kritik konnte er nicht umgehen. Das Ergebnis waren Überheblichkeit und Selbstüberschätzung, die dazu geführt haben, dass er über seine einzigartigen Visionen nicht hinausgekommen ist. Es blieb also bei der Theorie. Wenn andere Forscherkollegen, allen voran Wernher von Braun, nicht gewesen wären und hätten Oberths Visionen zur Realität werden lassen, hätte dieser sicher nicht seinen Ruhm erlangt.

    "'Jahrelang hat mir niemand geglaubt und jetzt ist die Rakete endlich in der Welt und man treibt nur Schindluder damit!'"

    Nun sollte man meinen, dass soviel negative Publicity, die ich hier Hermann Oberth zuteil werden lasse, ein Beleg dafür ist, dass mir dieser Roman nicht gefallen hat.

    Ganz im Gegenteil! Ich habe diesen Roman sehr gern gelesen. Daniel Mellem hat es mir mit seiner lockeren und humorvollen Erzählweise dabei einfach gemacht. Es gibt Momente in diesem Buch, in denen der Autor seinen Protagonisten sehr tollpatschig erscheinen lässt. Dadurch betont er die menschliche Seite dieses Mannes und nimmt somit die Ehrfurcht vor dem Genie. Merke: "Es gibt kein großes Genie ohne einen Schuss Verrücktheit." (Aristoteles)

    Die Geschichte von Hermann Oberth, die sich nicht von der Geschichte der Raketenwissenschaft trennen lässt, war hochinteressant und sehr informativ. Allerdings ist Hermann Oberth in diesem Roman ausschließlich als literarische Figur zu betrachten. Der Autor Daniel Mellem hat sich an die Fakten gehalten, hat sich aber auch einen Gestaltungsspielraum gelassen, was für die Darstellung eines literarischen Charakters völlig in Ordnung ist. Daher sollte man diesen Roman nicht mit der Absicht lesen, eine lückenlose Biographie über Hermann Oberth zu erhalten. Wer jedoch an einer unterhaltsamen, aber anspruchsvollen Geschichte über einen eigenwilligen, aber genialen Physiker interessiert ist, gepaart mit Informationen über die Entwicklung der Raketenforschung, wird hier voll auf seine Kosten kommen.

    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. 3
    11. Okt 2020 

    Wieder was gelernt...

    Zugegeben, ich lese eher selten Biografien. Da dieser Roman im Rahmen einer Leserunde angeboten wurde, machte mich der Klappentext aber neugierig. Wieso hatte ich zuvor noch nie etwas von Hermann Oberth gehört oder gelesen? Wernher von Braun war mir doch schließlich auch ein Begriff, auch wenn ich weder Physik studiert habe noch sonderlich fasziniert bin vom Raketenbau und den damit verbundenen Möglichkeiten.

    Dieser Roman beginnt mit der Kindheit und Jugend von Hermann Oberth und arbeitet sich dann meist chronologisch bis in sein hohes Alter. Früh zeigt sich Oberths Hochbegabung, sein Drang zu forschen, verstehen zu wollen. Jules Verne hat es ihm mit seiner 'Reise zum Mond' angetan - und Hermann Oberth selbst ist erstaunt, als ihm bereits als Jugenlichem klar wird, dass der Autor sich bei der Ausgestaltung der Rakete verrechnet haben muss.

    Oberth zieht schließlich von seinem Elternhaus in Siebenbürgen nach Göttingen, um Physik zu studieren. Seine Dissertation, in der er sich mit der möglichen Raumfahrt beschäftigt, wird jedoch von sämtlichen Professoren abgelehnt, da sich niemand zuständig fühlt, die Arbeit zu keinem der gängigen Fächer passt. Auch hat Oberth es als Siebenbürger Sachse schwer, als Deutscher anerkannt zu werden - nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er seinen Bruder verloren hat, wurde Siebenbürgen Rumänien zugesprochen.

    Der Roman verdeutlicht, dass Oberth seiner Zeit einerseits voraus war, dass er es durch sozial-emotionale Unzulänglichkeiten (schüchtern, unbeholfen, nicht ganz in dieser Welt) aber auch nicht verstanden hat, Menschen von sich zu überzeugen. So forscht er vor sich hin, wann sich ihm eine kleine Möglichkeit auftut, vernachlässigt darüber seine Frau Tilla und seine vier Kinder, kommt aber nie richtig zum Zug und sieht sich plötzlich von anderen Wissenschaftlern wie Wernher von Braun überholt.

    Daniel Mellem zeichnet hier das Bild eines Unverstandenen, eines Getriebenen, lässt dabei aber erstaunlicherweise für mein Empfinden nicht unerhebliche Details aus dem Leben des Hermann Oberth aus, die sich beim einfachen Recherchieren im Internet bereits aufdrängen. Das hat mich verwirrt, bis ich im Rahmen der Leserunde erfahren habe, dass es sich bei diesem Roman nicht etwa wie von mir (leichtgläubig) erwartet um eine Biografie handelt, sondern um eine Biofiktion.

    Hm? Noch nie gehört, ehrlich gesagt. Also habe ich mich mal auf die Suche gemacht nach dem Unterschied zwischen den beiden Genres. In dem Werk 'Literarischer Narzissmus' von Diana Tappen-Scheuermann bin ich schließlich fündig geworden:

    "Während die Biographie über die historische Person Aufschluss gibt, wird in der Biofiktion eine Geschichte anhand einer historischen Figur erzählt. Dabei erscheint die Biographie der historischen Figur gegebenenfalls nur als Ausschnitt oder unter einem bestimmten Aspekt innerhalb der Handlung des Werks."

    Also historische Fakten gemischt mit reichlich Fiktion. Wie es hätte sein können, sagt der Autor. Tatsächlich erwartet den Leser genau das hier - nur war mir das zuvor nicht klar. Ich hatte erwartet, der tatsächlichen historischen Person Hermann Oberth nahezukommen, zumindest soweit die bekannten Fakten dies zulassen. Das Gefühl verließ mich jedoch bald, auch wenn Daniel Mellem sich an der Chronik des Physikers orientiert hat. Die Darstellung der Figur und das Auslassen von Details sorgten dafür, dass ich bald den Eindruck erhielt, in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden.

    Hermann Oberth wird hier als derart weltfremd, unbeholfen und tölpelhaft geschildert, dass es überspitzt formuliert fast Wunder nimmt, dass er so lange überlebt hat. Manche Szenen wirkten dabei auf mich so übertrieben, dass mir das 'Wie es hätte sein können' nicht einleuchten wollte. Daniel Mellem zeichnet hier das Bild eines unsympathischen, lebensuntauglichen, sozial unbegabten Eigenbrötlers, der sich ständig verkannt fühlt und an dem das Leben vorbei zieht. Nicht nur priavt, sondern auch beruflich wurde ständig die Vergeblichkeit, Umständlichkeit, Forschung auf einem toten Gleis der Wissenschaft betont. Die Verleihung diverser Preise und Ehrungen im fortgeschrittenen Alter wollen da gar nicht mehr ins Bild passen.

    Für mich stellt sich die Frage, was der Autor mit diesem Roman erreichen wollte. Die Darstellung einer historischen Figur? Wohl nur zum Teil, denn dafür hätte man mehr bekannte Fakten mit einfließen lassen müssen, die auch das Bild des Lesers womöglich verändert hätten. Er selbst spricht davon, dass er eine widersprüchliche Figur darstellen wollte - aber für mich erfüllte er das ebenfalls nur im Ansatz. Das Tölpelhafte wird stellenweise bis ins Skurrile überzeichnet und überlagert für mich die anderen Eindrücke. So wirkt es beispielsweise fast, als könne er für seinen Beitritt zur NPD nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Grunde nichts, weil er eben einfach nur ein tunnelblickbehafteter Tölpel ist, an dem das Leben irgendwie vorbeiläuft.

    Und der Klappentext? Die benannte Frage nach der eigenen Verantwortung für die Geschichte? Nein, der Hermann Oberth, den Daniel Mellem hier vorstellt, übernimmt für sein Handeln und seine Entscheidungen im Leben in meinen Augen keine Verantwortung. Er bleibt notgedrungen hinter den Kulissen, sonnt sich im Licht seiner späten Ehrungen und vesteht gar nicht, weshalb seine Frau Tilla, die im Laufe der Erzählung reifer und selbstbewusster wurde und die einzig sympathische Figur des Romans darstellte, ihn im Grunde zwingt, wieder aus der NPD auszutreten. Die Ethik der Wissenschaft? Sie wurde für mich allenfalls angerissen.

    Was fange ich also mit diesem Roman an? Nun, er hat mich neugierig gemacht auf einen Gescheiterten, einen der seiner Zeit offensichtlich voraus war. Und so habe ich einiges selbst recherchiert. Dann fand ich interessant, dass Oberth für den Film von Fritz Lang 'Frau im Mond' als Berater fungierte. Die Szene vom Start der Rakete habe ich bei Youtube entdeckt:

    https://youtu.be/_7XgP7rws5c

    Gelernt habe ich, dass das Genre 'Biofiktion' offensichtlich nichts für mich ist und ich mich dabei eher an der Nase herumgeführt fühle. Allerdings stellt sich die Frage, wie Biografien geschrieben werden, ob wir als Leser da auch nicht einiges an Fiktion zu lesen bekommen? Sehr interessant fand ich die lebhafte Leserunde mit Autorenbeteiligung, bei der teilweise sehr kontrovers diskutiert wurde - es zeigt sich halt immer wieder, dass das Lesen von Romanen bei den Einzelnen etwas ganz anderes auslösen kann.

    Leider konnte mich das Debüt des Physikers Daniel Mellem nicht wirklich überzeugen. Doch bedaure ich es auch nicht, den Roman gelesen zu haben, bot er doch so viel Diskussionsgrundlage. Aber möge sich jeder selbst ein Bild machen...

    © Parden

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  1. Der Traum von der Mondrakete

    Inhalt (Klappentext):

    Nach dem Ersten Weltkrieg bricht das Zeitalter der Utopien an.

    1920 zieht es den jungen Hermann Oberth von Siebenbürgen nach Göttingen, um Physik zu studieren - die spannendste Wissenschaft der Zeit. Hermann will den Menschheitstraum von der Mondrakete verwirklichen. Als der Durchbruch nah ist, weisen seine Professoren ihn ab.

    Seine lebenslustige Frau Tilla versucht, einen gemeinsamen Alltag als Familie zu ermöglichen, als doch jemand an Hermanns Forschung glaubt: Wernher von Braun, Mitglied der SS. Doch statt der Mondrakete soll Hermann die V2 mitentwickeln, eine »Vergeltungswaffe« für die Nazis. Seine Kinder Ilse und Julius verliert er an den Krieg. Und so stellt sich ihm und auch Tilla mit voller Wucht die Frage nach der eigenen Verantwortung für die Geschichte.

    Meine Meinung:

    Ich hatte vorher noch nie von Hermann Oberth gehört. Deutsche Raketenforschung ist für mich mit dem Namen Wernher von Braun verbunden und es war interessant zu erfahren, dass Oberth sozusagen ein Lehrer und Vorbild von Brauns war. Dass Buch hat mir ganz gut gefallen. Der Schreibstil ist sachlich, die Geschichte chronologisch aufgebaut, allerdings mit einigen größeren Zeitsprüngen. Wissenschaftliche und technische Begriffe und Vorgänge sind, mit wenigen Ausnahmen, auch für Laien gut verständlich erklärt. Sehr schwer getan habe ich mich mit dem Charakter des Hermann Oberth. Daniel Mellem beschreibt ihn als sturen, besserwisserischen und empathielosen Menschen. Aus dem Kind, das mit großem Forschergeist seinen Traum einer Mondrakete verfolgt, wird ein getriebener Mensch, der alles diesem Ziel unterordnet. Die Rakete wird zum Lebensinhalt. Durch seine Herkunft aus Siebenbürgen, das nach dem 1. Weltkrieg plötzlich zu Rumänien gehörte, wurde er als Deutscher 2. Klasse behandelt, was ihn extrem nationalistisch machte. Die Gräuel und Schrecken des Krieges, die er als junger Soldat erlebte, sorgten paradoxerweise dafür, dass er seine Rakete als friedensstiftende Waffe ansah. Ein Lichtblick und sympathischer Gegenpol war für mich Oberths Ehefrau Tilla. Mit ihrer pragmatischen Art sorgte sie für die gemeinsamen 4 Kinder und organisierte das Alltagsleben. Sie versuchte positiven Einfluss auf die manchmal radikalen Ansichten ihres Mannes zu nehmen, konnte aber nicht verhindern, dass er sich seiner Familie mehr und mehr entfremdete.

    Fazit:

    Die Lebensgeschichte eines, außer in Fachkreisen, vergessenen Wissenschaftlers, der menschlich wohl erhebliche Defizite aufwies.

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  1. Hochgelobt und doch gescheitert: Der Physiker Hermann Oberth

    Hermann Oberth wurde 1894 in Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren. Er gilt als bedeutendster Pionier der Raumfahrttechnik und der Raketen-Wissenschaften. Sein Vater war Arzt mit der festen Erwartung, dass der Sohn in seine Fußstapfen treten und ein Medizinstudium absolvieren würde. Hermann jedoch hatte schon früh andere Ziele. Inspiriert durch die Romane von Jules Verne träumte er davon, eine Rakete zu bauen, mit der man ins All fliegen kann. Bereits in der Schule entwickelt sich der Junge zum Außenseiter: „Die Lehrer kannten nichts anderes als altgriechische Vokabeln und antike Jahreszahlen. Sie alle wollten nur wissen, was in der Vergangenheit einmal gewesen war. Niemanden hier schien zu interessieren, was die Zukunft bereithielt.“ (S. 23)

    Hermanns Leidenschaft bleiben die Naturwissenschaften, er fokussiert sich auf seine Forschungen und Berechnungen, er ist überhaupt nicht lebenspraktisch veranlagt. Auch im ersten Weltkrieg erkennt man schnell, dass er als Kämpfer nicht taugt und stellt ihn in den Sanitätsdienst, wo er sich ebenso schwer tut. Während der Nachtdienste im Krankenhaus seines Vaters kann er weiter an seiner Rakete arbeiten. Er sieht in ihr nicht nur die Möglichkeit, auf den Mond zu fliegen, sondern auch Kriege schneller und unblutiger zu entscheiden: „„Wem soll eine Weltraumrakete helfen?“ „Es kann ja auch eine Raketenwaffe sein. Deutschland wäre so stark gerüstet, dass niemand mehr einen Krieg wagt.““ (S. 71) Auf solchen Überlegungen beruht viel später das System der militärischen Abschreckung.

    Im Sommer 1918 heiratet er die Schneiderin Tilla, mit der er im Laufe der Jahre vier Kinder bekommt. Nach dem Krieg beginnt er das ersehnte Physik-Studium in Göttingen, der Stadt, in der die namhaften Forscher zu Hause sind. Mittlerweile gehört Siebenbürgen zu Rumänien und er sieht sich rassistischen Anfeindungen ausgesetzt: „Hermann erzählte davon, dass die Deutschen ihn auf einmal für einen Rumänen hielten. Der Türke nickte: „Die Deutschen sind das Volk der großen Taten und der kleinen Seelen.“ (S. 81) Wie sehr sich dieser Satz noch in der Geschichte bewahrheiten soll…

    Doch nicht nur die Staatsangehörigkeit macht ihm Probleme. Bei seinen Mitbewohnern gilt er schnell als versponnen. Auch die Göttinger Professoren können mit seinen futuristischen Grundlagen für eine neue Raketentechnik wenig anfangen. Krampfhaft sucht er einen Doktorvater, wird aber nur von einem zum anderen geschickt. Schließlich veröffentlicht er seine Arbeit „Die Rakete zu den Planetenräumen“ privat.

    In den kommenden Jahren bleibt Oberth seinem Ziel treu. Er wird von Filmemacher Franz Lang engagiert, um eine reale Rakete für den Film „Die Frau im Mond“ zu bauen. Bei den Filmarbeiten wird auch der Countdown erfunden (Titel!). Mit Wernher von Braun bekommt er einen Assistenten, der ihm von Anfang an große Bewunderung entgegenbringt und der wiederholt Einfluss auf sein Leben nehmen wird. Oberth muss erkennen, dass die Filmbranche mehr auf Effekte denn auf Fakten setzt. Immer wieder kommt er seinem Ziel näher, kann es jedoch nicht verwirklichen.

    Daniel Mellem hat seinen Roman analog zum Countdown in elf Kapitel unterteilt, die beginnend mit 10 rückwärts gezählt werden. Diese Idee hat mir sehr gut gefallen. Mit jedem Kapitel wird eine Episode aus dem Leben des berühmten Mannes erzählt. Dabei legt Mellem weniger Wert auf die wissenschaftlichen Fakten, die den Leser leicht überfordern würden, sondern er zeigt den Menschen Hermann Oberth mit seinen Widersprüchen und Ambivalenzen. Der Leser lernt dadurch nicht nur den Physiker kennen, der laufend an Grenzen stößt, missverstanden wird und dem der Ruhm erst im höheren Alter zuteilwird. Oberth kann nicht gut kommunizieren, sich nicht in andere Personen hineinversetzen – auch nicht in die Bedürfnisse seiner Frau oder die Wünsche seiner Kinder. Man lernt ihn auch als Patrioten kennen, der ein Zweckbündnis mit den Nationalsozialisten eingeht, um auf der Forschungsstation Peenemünde seine Raketenträume zu verwirklichen. Auch wenn er kurzzeitig Mitglied der Partei wird, ist er kein politischer Mensch. Nach dem Zweiten Weltkrieg führt ihn eine weitere Station nach Huntsville/USA.

    Tilla ist die Konstante in Oberths Leben. Sie hat all die Eigenschaften, die dem Theoretiker fehlen. Sie hält die Familie zusammen, sorgt für den Lebensunterhalt, wenn er keine Einkünfte hat. Sie ist die starke Frau, die Hermann in jeder Lebenslage den Rücken freihält. Sie unterstützt ihn, holt ihn aber auch zurück, wenn er mit seinen Raketenträumen abzuheben droht.

    Der Roman hat mir eine Persönlichkeit nahegebracht, von der ich bisher nichts gehört hatte. Hermann Oberth wird als genialer Wissenschaftler gezeichnet, der jedoch große Defizite im zwischenmenschlichen Bereich hat. Zahlreiche Szenen zeigen ihn als Scheiternden. Es ist klar, dass man auf knapp 300 Seiten eine Biografie nicht auserzählen kann. Manche Entwicklungen gingen mir zu schnell, immer standen der Traum von und die Forschungen an der Rakete im Mittelpunkt, was Wiederholungen mit sich brachte, die mir persönlich die Lesefreude trübten. Ein wissenschaftlich interessierterer Leser wird das wahrscheinlich anders empfinden. Oberth blieb mir weitgehend fremd. Als Visionär arbeitete er unermüdlich der Durchbruch blieb ihm jedoch verwehrt. Ich konnte seine Weltfremdheit, seine fehlende Bodenhaftung, die teilweise skurrile Formen annahmen, nicht nachvollziehen und frage mich, ob die Fiktion hier der realen Persönlichkeit gerecht wird. Hermann Oberth war seiner Zeit weit voraus, heute würde man ihn wohl als „Nerd“ bezeichnen. Umso stärker ist mir seine kluge Frau Tilla ins Bewusstsein gerückt, die in der Lage ist, mit allen Situationen, die das Leben mit sich bringt, fertig zu werden. Tilla gibt dem Roman die persönliche Note, sie wurde sehr sympathisch dargestellt.

    Auf gut lesbare Weise hat mir der Roman den Entrepreneur Hermann Oberth, seine Geschichte, seine Ziele und seine Ambivalenzen näher gebracht. Für mich wurde er in vielen Situationen zur tragischen Figur, über die ich bei aller Tölpelhaftigkeit nicht lachen konnte. Beachtlich finde ich den konsequent durchgehenden locker-leichten Schreibstil des Autors, dem es gelingt, die technischen Probleme Leser- und Laien-tauglich zu kolportieren.

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  1. Zwischen Jules Verne und Wernher von Braun

    Es mag an meiner Ferne zur Physik und zur Raketentechnik liegen, dass ich den Name Hermann Oberth bisher nicht kannte. Dank der Romanbiografie "Die Erfindung des Countdowns" von Daniel Mellem und sich daraus ergebender eigener Recherchen weiß ich nun um einiges mehr über diesen Raketenpionier, der sich als Jugendlicher von Jules Verne inspirieren ließ und zum Lehrmeister von Wernher von Braun wurde.

    Ein Leben für die Raketenforschung
    1894 in Siebenbürgen und damit im Kaiserreich Österreich-Ungarn geboren, begeisterte sich Hermann Oberth bereits als Schüler für Raketen, zum Ärger seines Vaters, eines renommierten Mediziners, der den Sohn in seiner Nachfolge sah. Dieser jedoch träumte von einer Expedition zum Mond, skizzierte und berechnete, experimentierte mit Flüssigbrennstoff, steckte Rückschläge weg und ersann schließlich, als er trotz aller Vorbehalte gegen Volksdeutsche endlich in Göttingen Physik studieren durfte, das zweistufige Konstruktionsprinzip. Seiner Zeit voraus fand er weder in Göttingen noch in Heidelberg einen Doktorvater und konnte seinen Ideen nur mit einer Veröffentlichung auf eigene Kosten Gehör verschaffen. Den Traum einer Reise zum Mond tauschte er früh gegen Pläne für eine Raketenwaffe. Eine Zwischenstation 1928/29 als Berater bei Fritz Langs Film "Die Frau im Mond" führte ihn mit dem Studenten Wernher von Braun zusammen, der seinen alten Lehrer 1941 zum Bau der Aggregat 4 (später V2 genannt) in die Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom und 1955 zur Vorgängerorganisation der NASA nach Huntsville/Alabama holte.

    Struktur und Stil
    In elf Kapitel packt Daniel Mellem fast hundert Jahre und zählt von zehn (Kindheit) rückwärts bis null (Start der Apollo 11 vor Oberths Augen). Sachlich und ohne mich als Laien zu überfordern schildert der promovierte Physiker Mellem ein Leben mit weit mehr Tiefen als Höhen, gleichermaßen im privaten wie im beruflichen oder politischen Feld, in dem Oberth nie der Bau der Rakete gelang.

    Umgang mit biografischen Fakten
    Trotz Oberths unzweifelhafter Bedeutung für die Raketenforschung gibt es bis heute keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biografie, was Spielräume für die Romanbiografie bot. Auf knapp 300 Seiten erzählt Mellem Oberths Leben in Episoden. Auch wenn mir diese Beschränkung prinzipiell gut gefiel, störten mich zwei Fehlstellen sehr: Die Studiensemester der Medizin vor und nach dem Ersten Weltkrieg und das Staatsexamen an der rumänischen Universität Klausenburg mit der abgelehnten Dissertation als Diplomarbeit wären für mich zum Verständnis von Bedeutung gewesen.

    Ein gescheitertes Leben
    Verbaute die siebenbürgische Herkunft Oberth viele Wege, die einem Reichsdeutschen offen gestanden hätten? War er schlicht seiner Zeit voraus? Scheiterte er an seiner Unfähigkeit, sich und seine Ideen zu vermarkten? Lag es an seiner Sturheit, seiner Rechthaberei, seiner Alltagsuntauglichkeit, seiner mangelnden Teamfähigkeit, die auch seine lebenskluge Frau Tilla und die vier Kindern belasteten? Mellem bietet all diese Gründe an, überlässt jedoch die Einschätzung - genau wie die Beurteilung seiner NS-Verstrickungen - uns. Mein Mitgefühl mit dieser eigentlich tragischen Figur schlug spätestens mit seiner persönlichen Anbiederung an Hitler um. Mag der Pakt mit den Nazis aus seiner Besessenheit für die Raketentechnik und dem Beharren auf seinem Deutschtum noch erklärlich sein, so ist seine zeitweilige Mitgliedschaft in der NPD in den 1960er-Jahren aus Opposition gegen die Vergangenheitsbewältigung Adenauers und seine Unterstützung der „Stillen Hilfe“, von der auch NS-Täter profitierten, für mich unverzeihlich. Seinem späten Ruhm mit Auszeichnungen und Ehrungen tat das keinen Abbruch, bei mir bleibt ein bitterer Nachgeschmack.

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    07. Okt 2020 

    Ein Wissenschaftlerleben im Lichte von Enthusiasmus und Moral

    Daniel Mellem erzählt in seinem Roman „Die Erfindung des Countdowns“ die Geschichte eines weitgehend vergessenen deutschen Wissenschaftlers im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Wahrheit und realem Leben. Das reale Leben ist dabei in vielfacher Hinsicht der Feind von Hermann Oberth, es verwehrt ihm weitestgehend die Realisierung seiner wissenschaftlichen Theorien und den sowohl publizistischen als auch finanziellen Erfolg seiner bahnbrechenden Ideen.
    Es geht in dem Buch um die Lebensgeschichte des Hermann Oberth, der schon von früher Jugend an von der Entwicklung einer Rakete träumt, die den Menschen in den Weltraum bringen kann. Diese frühe Jugend verbringt Hermann in Siebenbürgen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Siebenbürgen Teil von Österreich-Ungarn war und seine Familie als Volksdeutsche eine angesehene Stellung in der Gesellschaft einnehmen konnte. Alle Entwicklungsmöglichkeiten des jungen Hermann scheinen ihm damit offen zu stehen. Er träumt von einem Studium in Deutschland an der Seite der damals angesehensten Wissenschaftler im Bereich der Physik. Doch dieser Weg wird plötzlich sehr steinig, nachdem der Erste Weltkrieg Österreich-Ungarn den Todesstoß versetzt hat und Hermann sich nun in einem Land befindet – Rumänien –, in dem die Deutschen gegenüber den Rumänen deutliche Nachteile zu spüren bekommen. Die „angeborene“ Eliteposition wird mit einem Mal zu einem Hindernis. Und auch die Grenzen zu Deutschland spielen auf einmal eine entscheidende Rolle. Als „Rumäne“ sind sie ihm für ein Studium erst einmal verschlossen.
    Doch Hermann ist hartnäckig und ergattert schließlich doch einen Studienplatz im geliebten Göttingen. Hier beginnt er nicht nur ein Studium, sondern gleich parallel die Arbeit an einer wissenschaftlichen Studie über die Entwicklung und die Möglichkeiten einer Rakete. Doch was macht man mit einer Doktorarbeit, die in kein bekanntes und an der Universität vertretenes Fachgebiet passt? Man kann sie wohl einzig und allein in die Schublade legen. Zu einem wissenschaftlichen Grad jedenfalls führt sie bei Hermann nicht.
    Und doch ist das Thema – der Raketenflug – ein Thema, das die Welt in dieser Zeit bewegt. Es ist eine Zeit des technischen Aufbruchs in vielen Bereichen. Die Gesellschaft ist technikbegeistert und erwartet von ihr einen Aufbruch in neue Sphären und Möglichkeiten. Doch Hermann mit seiner wissenschaftlichen Akribie, fehlenden Verbindungen und unbeholfenem Agieren ist keiner der Vertreter der Gruppe, der die technikbegeisterte Bevölkerung folgt. Das sind eher die „publikumswirksameren“ Max Valier und der smarte und anpassungsfähige Wernher von Braun. Beide sind Hermann wohl wissensmäßig unterlegen, nur sind sie in der Lage, ihr Wissen und ihre daraus erwachsenden Projekte den Mächtigen und/oder der Masse zu „verkaufen“. Valier mit Sensationsaufführungen, von Braun mit politischer Raffinesse und Einflussnahme.
    Und so wird Hermann von beiden mehrfach überholt in Sachen Ergebnissen der Forschung und deren Wirkung. Hermann bleibt eine Schattengestalt in dieser Gesellschaft der Raketenbauer. Was nichts ändert an seinem Engagement und seinem Enthusiasmus für die Sache. Darunter hat vor allem seine Familie zu leiden. Tilla, seine Frau, und die Kinder, hecheln ihm ständig entweder hinterher bei seinem Getrieben-Sein vom Raketenbau oder verlassen ihn einfach, um sich bewusst ein anderes Leben aufzubauen.
    Hinter all dem Treiben um die Entwicklung eine Rakete schildert Mellem auch den damit verbundenen moralischen Konflikt. Ist eine Rakete, die nicht in den Weltraum abgeschossen wird, sondern auf der Erde ihr Ziel finden soll, ein friedensstiftendes Instrument? Oder eher das Gegenteil? Lange ist Hermann von ersterem überzeugt und dient sich und seine Rakete selbst Hitler an, in der Hoffnung, damit den Krieg und das Leiden der Menschen zumindest verkürzen zu können.
    Am Ende des Buches kann Hermann dann miterleben, wie sein Beitrag zur Entwicklung der Rakete von den wissenschaftlichen Kreisen endlich anerkannt wird und auch dass Raketen, wie von ihm entworfen, den Menschen tatsächlich zum Mond bringen, aber aufgelöst ist das Dilemma seines Lebens trotzdem nicht. Das da wohl heißt: Was, wenn Wissenschaft an die Grenzen der Moral gerät?
    Daniel Mellem hat zur Gestaltung dieser Fragestellung einen Roman mit dem wirklich treffend passenden Personal geschrieben. Er hat die Lebensgeschichte eines vergessenen Großen der Wissenschaft ausgegraben und diese sprachlich und strukturell sehr überzeugend in einen Roman verarbeitet. Die Figuren sind stimmig gestaltet, der historische Hintergrund bleibt Hintergrund, aber einer der die Geschichte glaubhaft unterlegt. Die Figur des Hermann Oberth ist für mich so eine Entdeckung, die es wert war, sie ans Licht der Öffentlichkeit zu holen. Ich gebe dem Roman deshalb ganz dicke 4 Sterne.

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    05. Okt 2020 

    Ein Roman, der unterhaltsam Wissenslücken schließt...

    Die Handlung des Romans „Die Erfindung des Countdowns“ von Daniel Mellem erstreckt sich über 7 Jahrzehnte, von 1899, als der Protagonist Hermann Oberth fünf Jahre als war, bis zum 16. Juli 1969, als die USA mit dem Start von Apollo 11 Raumfahrt-Geschichte schrieb.

    Originell und passend zu Titel und Inhalt, sind die von 10 aus rückläufigen Zahlen, die als Kapitelüberschriften gewählt wurden.

    Das vorangestellte Interview mit dem Autor verrät nicht zu viel, ist äußerst interessant und stimmt auf das Folgende ein:
    Der Leser bekommt einen kleinen Einblick in die, m. E. sehr gründliche Recherchearbeit des Autors und promovierten Physikers Daniel Mellem und erfährt einige seiner Gedanken zum Thema Wissenschaft.
    Dieses Intro vermittelt auch bereits ein erstes Bild vom Protagonisten Hermann Oberth, einem in entsprechenden Kreisen weltberühmten Pionier der Raketentechnik, dessen Konterfei Briefmarken schmückt, dem diverse Denkmäler gesetzt wurden und dessen Name seit 1999 ein Asteroid trägt.
    Mir selbst war dieser Physiker bislang kein Begriff und schon deshalb war es für mich bereichernd, diesen Roman zu lesen, der auf unterhaltsame Art eine meiner Wissenslücken schloß.
    Die Beschäftigung mit der Geschichte Siebenbürgens war aus dem gleichen Grund für mich auch äußerst interessant und förderlich.

    Nach dem Interview reisen wir zurück ins Jahr 1899 und begeben uns nach Schäßburg an der Kokel, damals eine kleine siebenbürgische Stadt, die innerhalb der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie zu Ungarn gehörte, heute eine der bedeutendsten Städte im Kreis Mures in Siebenbürgen, Rumänien, deren historisches Zentrum 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.

    Der Roman beginnt mit einer dramatischen und erschütternden Szene:
    Hermann und sein kleiner Bruder Adolf entdecken nach einem Wettrennen einen Büffel im Fluss und Hermann fällt doch tatsächlich nichts Besseres und Klügeres ein, als dem Büffel ins Auge zu fassen.
    Natürlich bleibt das nicht ohne Konsequenzen.
    Rippenbruch und Krankenhausaufenthalt folgen.
    Diese Szene beschäftigte mich sehr und ich fragte mich, ob sie verschlüsselt schon die Frage aufwerfen soll, wo die Grenzen von Neugierde, Forschung und Wissenschaft sind, die m. E. hinter den Kulissen des Romans lauert.

    Wie unangenehm für den kleinen Tierquäler, dass der Krankenhausdirektor auch noch sein Vater, ein angesehener, ehrgeiziger, tüchtiger und pflichtbewusster Arzt ist, dem es gar nicht gefällt, dass sein Sohn ihm mit so einem flegelhaften Verhalten die Zeit stiehlt.

    So dramatisch wie das Buch begonnen hat, geht es weiter, als in einer Szene geschildert wird, wie eisern und abgebrüht eben dieser o. g. Vater ist, von dem man auf den nächsten Seiten auch noch den Eindruck bekommt, dass er eine äußerst gnadenlose und unerbittliche Seite hat.

    Im weiteren Verlauf lernen wir Hermann als klugen, wissbegierigen, experimentierfreudigen, impulsiven, aber wenig redegewandten und motorisch etwas ungeschickten Grundschüler kennen, der gern Grenzen überschreitet und oft in Phantasien und Tagträumen versinkt.

    Eines Nachts darf er, um zur Ruhe zu kommen, durch das Teleskop seines Vaters schauen und eines Tages schenkt seine Mutter ihm den Roman „Reise um den Mond“ von Jules Verne... und da erwacht sein Wunsch, auf den Mond zu gelangen.

    Die Idee von einer Rakete, die Menschen zum Mond bringt, wird schon bald geboren und einige Jahre später auch die Vorstellung und der Plan von eine „Fernrakete, die den Krieg entscheiden kann“.

    Im Laufe seiner Schulzeit entwickelt Hermann sich zu einem Eigenbrötler, der seinen wissenschaftlichen und fortschrittlichen Gedanken nachhängt, nicht annähernd so gesellig ist wie sein kleiner Bruder und der von seinen Mitschülern nicht selten belächelt wird.

    Auf einem Konzert vom Chor der Mädchenschule wird er, inzwischen ein Gymnasiast, auf ein blondes Mädchen mit Zöpfen aufmerksam. Jahre später wird er eben diesem Mädchen, inzwischen eine gewitzte und kesse junge Dame, über eine Räuberleiter Eintritt in ein Lokal verschaffen.
    Noch ein bisschen später wird er sie um einen Tanz bitten und schließlich wird er um ihre Hand anhalten.
    Und das ist, meine ich, eine wunderbare Entscheidung, den Tilla, die Schneiderin, ist eine sympathische, interessierte, offene, anpackende und tüchtige Frau mit Humor, die dem introvertierten Hermann bald vier Kinder schenken und ihm den Rücken freihalten wird.

    Nicht jede Frau hätte so geduldig, gutmütig aber auch resolut ihr Leben im Schatten der Wissenschaft ertragen und noch dazu das Beste daraus gemacht. Tilla beeindruckte mich durchweg. Die Vielschichtigkeit ihres Charakters wurde, genauso wie die Entwicklung und Veränderung ihrer Persönlichkeit wunderbar gezeigt.

    Weit weniger erfreulich als Eheschließung und Familiengründung ist, dass der erste Weltkrieg anklopft.
    Hermann soll 2015 in der Schlacht für die österreichisch-ungarische Donaumonarchie in den Karpaten kämpfen, stellt sich bereits bei den Schießübungen äußerst ungeschickt an, und wird deshalb Sanitätsfeldwebel im Schäßburger Spital, wo er furchtbare Verletzungen und Verstümmelungen sieht und mit Gasbrand konfrontiert wird.

    Auf seines Vaters Wunsch hin soll er Arzt werden, was er jedoch nicht will. Schweren Herzens nimmt er letztlich all seinen Mut zusammen und erklärt dem Vater, dass er Physik studieren wird.
    Und das tut er auch... in Göttingen.

    Seine Leidenschaft für das Studium, v. a. sein Ehrgeiz, eine Rakete, Weltraum- oder Kriegsrakete, zu erfinden und seine Erschöpfung sind geradezu spürbar.
    Er hat den Kopf nur bei seinen Forschungen, so dass man regelrecht erleichtert aufatmet, als seine Frau Tilla mit dem gemeinsamen Söhnchen Julius nachkommt, um gemeinsam mit ihm in Deutschland zu leben.

    Viel mehr möchte ich über den Inhalt nicht verraten, da ich niemandes Lesevergnügen mindern möchte.

    Stichwortartig und grob gesagt: Einfach und langweilig wird Hermanns und Tillas Leben nicht!

    Daniel Mellem zeichnet die Charaktere und ihre Beziehungen in all ihrer Komplexität, Individualität und Vielschichtigkeit, wodurch man es mit Menschen mit Ecken und Kanten zu tun hat.

    Über Tilla habe ich bereits weiter oben so Einiges geschrieben.
    Was Hermann Oberth anbelangt, gilt das Gleiche.
    Er wird derart genau seziert und beschrieben, dass man ein sehr klares Bild von seiner äußerst extremen Persönlichkeit bekommt.
    Er ist einerseits ein hochintelligenter, detailverliebter und konkretistischer Utopist, andererseits ein alltagsuntauglicher Mann mit autistischen Zügen, dem es an emotionaler Intelligenz, zwischenmenschlichen Fähigkeiten und Empathie mangelt.

    Einerseits lebt er, der definitiv kein Sympathieträger ist, in der Zukunft, andererseits fehlt es ihm an Weitsicht.

    Einerseits ist er ausgesprochen selbstbezogen, andererseits treibt er Schindluder mit seinem Körper und seiner Gesundheit.

    Der Roman ist insgesamt ziemlich nüchtern geschrieben, was aber bei einem solch rationalen Protagonisten nur folgerichtig ist. Die recht sachliche Sprache passt zu dem „verkopften“ Wissenschaftler.
    Trotzdem ist die Geschichte überwiegend unterhaltsam, manchmal, v. a. aufgrund von Tillas schlagfertigen Bemerkungen amüsant und ab und zu bewegend und berührend.

    Daniel Mellem rast in großen Schritten durch die Geschichte und durch Hermanns Biografie, wodurch sie episodenhaft wirkt, was aber wohl gar nicht anders möglich ist, wenn man sieben Jahrzehnte auf 279 Seiten unterbringen will/muss.
    Die Sprünge hätten wahrscheinlich flacher gestaltet werden können, wenn der Autor die Zeit zwischen den Episoden ausgeschmückt hätte. Aber schmückendes Beiwerk und Hermann Oberth würden sich genauso widersprechen, wie poetische Sprache und Hermann Oberth.
    Insofern ist alles stimmig.

    Trotzdem wurde ich nicht so richtig warm mit dem Buch.
    Das lag am emotionslosen Schreibstil, an der für mich persönlich eher trockenen Materie und tendenziell weniger interessanten Thematik (Physik, Raketentechnik, Raumfahrt) und an den fehlenden weichen und fließenden zeitlichen Übergängen.

    V. a. der Punkt mit der trockenen und weniger interessanten Thematik ist natürlich äußerst subjektiv und anderen Lesern mag es da völlig anders gehen!

    Alles, was ich hier kritisch anmerke stellt also keinen Qualitätsmangel dar, sondern entspringt der Tatsache, dass der Roman und ich nicht so ganz auf der gleichen Wellenlänge schwingen.

    Ich kann und möchte dieses Buch gerne weiterempfehlen.
    Es ist eine fundiert recherchierte und interessante Romanbiographie über einen eher unbekannten aber bedeutenden Wissenschaftler, der, obwohl viele Grundlagen für den Raketenbau von ihm stammen, doch nur eine Randfigur blieb, weil er sich und seine Ideen nicht gut verkaufen konnte.
    Eine tragische Person? Erst belächelt, dann kaltgestellt, dann geehrt...

    Der Roman liest sich flüssig und leicht und hinterher weiß man definitiv mehr als vorher.

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  1. Eine Mondfahrt mit Umwegen

    "Von der Erde zum Mond", mit dieser Science Fiktion pflanzte Jules Verne den Samen für den größten Wunsch des kleinen Hermann, eine Möglichkeit zu finden, den Menschen unbeschadet auf unseren Trabanten zu bringen.
    Hermann, 1894 in Siebenbürgen geboren, verschreibt sich schon früh diesem Thema und enttäuscht damit seinen Vater, Julius Oberth, der ihn gern in seinen Fußstapfen als Chirurg gesehen hätte. Zwar beginnt Hermann noch das Medizinstudium in München, doch 2 Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus und bringt nicht nur Europa in eine andere Ordnung, sondern auch das Leben der Familie Oberth.
    Der Verlust seines Bruders überzeugt Hermann von der Idee, dass eine Rakete den Deutschen helfen könnte, einen nächsten Krieg zu gewinnen. Doch seine Pläne rufen erst einmal nur den Astronomen und Schriftsteller Max Valier, der ein Raketenauto entwickelt und den Regisseur Fritz Lang für seinen Film "Die Frau im Mond" auf den Plan. Für diese schillernden Gestalten ist Hermann nur der Handlanger in technischen Fragen und Ausgestaltung ihrer eigenen Vorstellungen. Ähnlich ergeht es ihm dann auch mit Wernher von Braun, der ihn zwar 1941 in sein Team nach Peenemünde holt, um dort die deutsche Wunderwaffe (V2 Rakete) zu entwickeln. Doch hat es den Anschein, als ob er auch hier nur mit unwichtigen Aufgaben betraut, sein Genie geschätzt wird, aber seine Loyalität als rumänischer Volksdeutscher erst noch unter Beweis zu stellen wäre.
    Auch der Zweite Weltkrieg fordert persönliche Opfer und so verliert Hermann 2 seiner 4 Kinder, die er trotz seiner unbeholfenen Schüchternheit mit seiner kurz nach dem Ersten Weltkrieg geehelichte Frau Mathilde, genannt Tilla, hatte. Tilla ist die starke Frau an Hermanns Seite und erduldet all seine Versuche, die ihn nach dem Krieg über die Schweiz, nach Italien bis in die USA verschlagen, schließlich und endlich aber wieder nach Deutschland bringen, wo er, alt und seltsam geworden, rechtsnationalistischem Gedankengut und Okkultismus nachhängt.

    Ein verkrachtes Genie, dass durch zwei Weltkriege geprägt, jedoch durch seine Eigenbrötelei die politische Lage falsch einschätzte, fernab jeglicher Wahrnehmung der Grausamkeiten des Dritten Reiches, keinen Sinn für das Unrecht entwickelte.

    Mit feinem Gespür für die kleinen, aber ausschlaggebenden Ereignisse in Hermanns Werdegang, beschreibt Daniel Mellem das Leben des Physikers und Raketenpioniers Hermann Oberth. Er zeichnet das Bild eines durchaus umstrittenen Mannes, der ein wichtiges Rad in der Entwicklung von Vernichtungswaffen, aber auch für die Saturn V war, der Rakete, die die ersten Menschen 1969 zum Mond brachte. Die Fixierung auf ein Ziel, führte Oberth durch viele Untiefen des Lebens, letztendlich sogar bis auf die Zuschauertribüne der Startrampe für die "Mondrakete", aber keinesfalls zu mehr Einsicht auf das Weltgeschehen um ihn herum.

    Mellem ergreift weder Partei, noch wirbt er um Verständnis, aber er schafft es, ein weiteres Puzzleteilchen der Geschichte an seinen Platz zu legen, in einem Roman, der mich begeistert und auf allen Ebenen mitgenommen hat. Der Countdown in diesm Buch bekommt einen Ehrenplatz in der Kapitelgestaltung und bietet einen genialen Anknüpfungspunkt zur Story.

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  1. Der vergessene Physiker...

    Ich lese gern etwas zu echten Persönlichkeiten, von denen ich zuvor noch nie etwas gehört habe und so tauchte ich in diesen Roman ein.

    In der Geschichte geht es um Hermann Oberth, der als Pionier in der Raumfahrt gilt. Was brachte ihn zu seinen Ideen und was half ihm diese umzusetzen? Und was hat das Schicksal für ihn parat?

    Die einzelnen Kapitelüberschriften sind wie ein Countdown aufgebaut, denn es wird rückwärts von zehn heruntergezählt. Und das Ende des Romans bietet dann den Abschluss des Countdowns, sofern man es so deuten möchte.

    Auch wenn es sich bei Herrn Oberth um eine real existierende Persönlichkeit handelt, so mochte ich ihn einfach nicht. Er lebt komplett in seiner Forscherwelt und vergisst alles um sich herum. Seine Familie muss funktionieren und bekommt wenig bis keine Aufmerksamkeit von ihm. Stets ist er mit seiner Rakete und seinen persönlichen Befindlichkeiten beschäftigt, weshalb ich ihn als unangenehm empfunden habe.

    Seine Ehefrau Tilla hat mich da deutlich mehr berührt, denn sie sorgt dafür, dass nicht nur das Leben der Familie funktioniert, sondern dass Hermann alles hat was er braucht um seiner Arbeit nachzugehen. Ihr Verständnis war auf weiter Strecke einfach Aufopferung ihrer selbst. Da gehört schon einiges dazu so viel für einen Menschen zu tun, was mich sehr an ihr beeindruckt hat.

    Am Roman haben mir die familiären Zwiste gefallen, denn sie zeigten auf, dass auch enorm intelligente Menschen so ihre Alltagsprobleme haben und nicht über den Dingen schweben.

    Weniger begeistern konnte ich mich für die physikalischen und mathematischen Erklärungen zur Raketentechnik und ähnlichem. Hier bin ich gedanklich des Öfteren leider ausgestiegen.

    Mir ist bewusst, dass der Autor sicher die Persönlichkeit Oberths beleuchten wollte, der aus der heutigen gesellschaftlichen Wahrnehmung gänzlich verschwunden zu sein scheint, zumindest bei einer Vielzahl von Menschen, die sich nicht gerade mit Raumfahrt und Co befassen. Dennoch ist mir absolut unklar, was Herr Mellem uns mit diesem Roman sagen wollte.

    Fazit: Das Leben einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, welches mich nur bedingt gefesselt hat. Für Physikliebhaber ein Muss, für viele andere nur bedingt empfehlenswert. Kann man lesen, muss man jedoch nicht.

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  1. Zwischen Hingabe und Besessenheit

    Kurzmeinung: Wer liest, bleibt nicht dumm!

    Daniel Mellem ist es mit seinem Roman „Die Erfindung des Countdown“ gelungen, Hermann Oberth, einen Raketenforscher, der Vergessenheit zu entreißen. Denn obwohl 1999 ein Asteroid und (hoffentlich längere Zeit vorher) ein Krater auf der Rückseite des Mondes nach ihm benannt sind, dürfte er der breiten Öffentlichkeit unbekannt sein.

    Seine Lebensdaten: 1894 in Siebenbürgen, Rumänien bis Dezember 1989 in Nürnberg. Hermann Oberth hat die Errichtung der Mauer und ihren Fall gerade noch so miterlebt. Aber davon steht (leider) nichts im Buch. Politik war Oberth nicht wichtig. Obwohl er immer ein Kind seiner Zeit geblieben ist, was sich zum Beispiel in seiner weitgehend unkritischen Haltung zum Nationalsozialismus widerspiegelt. Dennoch, Politik war immer nur ein Mittel zum Zweck.

    Hermann Oberth lebte dennoch in Zeiten historischer Umbrüche. Er erlebte den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Er erlitt Verluste.

    Oberth kämpfte mit seiner nationalen Identität. Eigentlich von Haus aus Volksdeutscher im österreichisch-ungarischen Großreich wurde er staatsbürgerrechtlich nach dem Ersten Weltkrieg Rumäne, fühlte sich aber als Deutscher. In Deutschland, wo er unter anderem studierte und arbeitete, wurde er als Rumäne betrachtet. Ein Dilemma für Hermann. Als er sich entschließt im Wettlauf des Raketenrüstens ausschließlich für die Deutschen zu arbeiten, bekommt er auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine wissenschaftliche Karriere, eigentlich seine aufopferungsvolle Hingabe an seine Arbeit ließ ihn unstet werden, zum Leide seiner Familie.

    Hermann hatte von klein auf einen Traum. Er wollte zum Mond. Er wollte die Menschheit zum Mond bringen. Und wie ein Besessener arbeitete er für diesen Traum, mit dem er seiner Zeit weit voraus war. Er war ein Vollblutwissenschaftler. Er sah nicht nach links und nicht nach rechts. Er war stur, hatte Biss, er war ausdauernd, dickköpfig, leidenschaftlich und leidensfähig. Leider litt er unter manchen Handicaps, zum Beispiel diesem, dass er kein Geld hatte. Geld für seine Forschungsarbeiten aufzutreiben war sein ständiger Antrieb und er musste manche Umwege gehen, um auch nur ein Stückchen weiterzukommen. Dann musste er sogar erleben, wie er ausgebotet wurde. Ein Gescheiterter auf ganzer Linie.

    Erst allzu spät erfuhr seine Lebensarbeit die ihm gebührende Anerkennung.

    Daniel Mellem gelingt es, diese doch recht trockene Materie, die Berechnungen eines Mathematikers, die Visionen des Physikers in eine spannende Geschichte umzusetzen. Dabei wählt er das Genre der biographischen Fiktion, was ihm angesichts der dünnen Quellenlage erlaubt, ein wenig zu fantasieren und zu fabulieren. Die Diskrepanz zwischen der historischen und der literarischen Figur führt manchmal zu ungewollt komischen Brüchen. Die Sprache des eigentlich eloquenten Romans kommt hier und dort ein wenig naiv daher.

    Und die Figur des Hermann selbst lädt zu Diskussionen ein. Das Familienleben eines verkannten Genies war im Roman nicht easygoing und dürfte auch in Wirklichkeit anstrengend gewesen sein.

    Gut gelungen ist es, die Story im Verlauf eines schmalen Romans durch eine Zeitenspanne von fast hundert Jahren zu bringen. Das Ganze wirkt organisch. Der Roman fokussiert sich, so wie Hermann Oberth sich fokussiert hat, ganz auf den Wissenschaftler und sein Leben, doch die wenigen Sätze, die der Historie gewidmet sind, reichen völlig aus, um im geschichtlichen Bild zu bleiben. Dabei wechseln plakative Beschreibungen mit originellen Einsprengseln.

    Fazit: "Die Erfindung des Countdown" bildet in unterhaltsamer Form ein Wissenschaftlerleben ab. Mit Up and Downs.

    Kategorie: Gute Unterhaltung
    Verlag: dtv

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  1. Erhellung über einen Unbekannten

    Daniel Mellem bringt einem in diesem Buch den eher unbekannten Physiker Hermann Oberth nahe.
    Hermann wächst in Siebenbürgen auf. Sein Vater ist Arzt und möchte ihn in dem gleichen Beruf sehen. Um Hermann zur Ruhe zu bringen, stellt sein Vater ihn an sein Teleskop und die Mutter gibt ihm "Die Reise zum Mond" von Jules Vernes zu lesen. Das löst in ihm seine Leidenschaft aus.
    Der 1. Weltkrieg macht allen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Während Hermann zu schlecht schießt und als Sanitäter eingesetzt wird, muss sein Bruder an die Front und fällt dort später. Im Lazarett lässt er sich bald in die Nachtschicht versetzen, um das Elend nicht mehr zu nahe zu haben. Anstatt sich der Medizin zu widmen, beschäftigt er sich lieber mit der Forschung an der Rakete. Sein Gedanke ist, eine Rakete zu entwickeln, um den Krieg zu beenden und seinen Bruder wieder zu sehen.
    Zum Studium geht er nach Deutschland. Er versucht seine Forschungsarbeit zu veröffentlichen und trifft immer wieder auf Widerstände. Leider schlägt er sich immer mehr auf die falsche Seite und wird immer nur ausgenutzt und erreicht sein Ziel nie.
    Olberth heiratet und hat am Ende 4 Kinder. Einer der Söhne wird an der Ostfront vermisst, eine seiner Töchter stirbt bei einer Explosion bei der Forschng an der Rakete für Hitler.

    In diesem Buch wird eine Person geschildert, die kaum bekannt ist und die vieles in ihrem Leben falsch gemacht hat. Obwohl Olberth Sehr viel zur Weltraumforschung beigetragen hat, hat er die Ethik und die Weltgeschichte mißachtet. Ich denke das war der Grund für sein wissenschaftliches und privates Scheitern.

    Daniel Mellem verwendet wunderbare Stilmittel um die Figur des Hermann Oberth zu beleuchten. Er versteht es mit einer wunderbaren Sprache durch das Leben des Wissenschaftlers zu gehen und seine Beziehungen und seine Scheuklappen gut darzustellen.

    Ganz herausragend ist das Cover. Man sieht einen Mann im Nirgendwo mit einem langen Schatten. Hinter ihm ein weiterer Schatten eines unbekannten Menschen (sein Vater, seine Frau, sein Bruder, sein Sohn?) und über allem sieht man den Mond, der aber für den Mann nicht das Anschauungsobjekt ist. Das trifft genau den Inhalt des Romans.

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  1. Ein Schnupperkurs

    Ich hatte bislang noch nie von Hermann Oberth gehört und wundere mich. Der Mann ist weltberühmt, es gibt Briefmarken mit seinem Konterfei und es wurden ihm Denkmäler gesetzt. Gerade wäre sein 125. Geburtstag gewesen, da ist es schön, noch einmal auf ihn aufmerksam zu machen.

    Er gilt als Pionier der Raketentechnik, ein Visionär, der fachlich ein Genie, menschlich aber eher unbeholfen war. Heute würde man sagen: Er konnte sich nicht verkaufen und stand immer im Schatten seines Schülers Wernher von Braun (der mir in letzter Zeit dauernd in Büchern begegnet, komisch.)
    Hier lernt man ihn ein klein wenig kennen. Eine Kindheit in Siebenbürgen, ein Vater, der Erwartungen an ihn hat, denen er nicht gerecht werden kann, Krieg, zweifelhafter Erfolg in deutschen Forschungsstätten während der Nazizeit und schließlich Amerika. Immer dabei seine Frau Tilla, die man gar nicht genug bewundern kann. Das Leben an der Seite eines Genies ist kein Spaß.

    Dieses Buch ist schön geschrieben und liest sich leicht. Es stellt Oberths ganzes Leben dar, interpretiert dabei wenig. Sein zwiespältiger Charakter kommt gut heraus, er war kein einfacher Mensch, kontaktscheu, eigenbrötlerisch, weltfremd einerseits, andererseits aber auch verbissen, despotisch uns sogar arrogant in manchen Belangen. Und auch Tilla wird lebendig, eine warmherzige, originelle Frau, die ihn unterstützt hat, aber auch auf den Boden der Tatsachen zurückholen konnte, wenn er sich zu weit davon entfernte.

    „Die Erfindung des Countdowns“ ist eine schöne Romanbiografie, vielleicht etwas knapp gehalten, ab und zu auch lückenhaft, aber die Lücken schließt Wikipedia leicht. Auf jeden Fall hat sie leicht und unterhaltsam meine Wissenslücke geschlossen. Eigentlich ist dieses Buch ein Schnupperkurs zu einem größeren Thema, das man noch gut vertiefen könnte, oder eben nicht. Ich bin jetzt schon klüger als vorher.

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  1. Vom Visionär zum Raumfahrtpionier

    „Bei allem Respekt, Professor, aber das nimmt niemand ernst. Sie sind der beste Theoretiker, den ich kenne, und wir haben ihnen viel zu verdanken – aber wir wussten auch, mit Ihnen wird es schwierig, ein so großes Unternehmen zu leiten.“ (Zitat Seite 201)

    Inhalt
    Hermann Oberth wächst in Schäßburg, Siebenbürgen, als ältester Sohn eines angesehenen Arztes auf. Er ist ein begabtes, technisch sehr interessiertes Kind, liest begeistert Jules Verne und sieht seine Zukunft buchstäblich in der Zukunft, er wird eine Rakete entwickeln, die bis zum Mond fliegt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs heiratet er Tilla und beginnt gleichzeitig in Göttingen zu studieren. Als seine fertige Dissertation abgelehnt wird, bringt diese erfolgreich als Buch heraus. Ein Angebot der Sowjetunion lehnt er ab, doch 1941 holt ihn Wernher von Braun nach Peenemünde und aus der erträumten Rakete zum Mond wird eine moderne Waffe.

    Thema und Genre
    In diesem Roman mit biografisch-historischem Hintergrund geht es um die Pioniere der modernen Astronautik und Raketentechnik, um Wissenschaft und Forschung. Damit verbunden sind die Problematik der Entwicklung von Raketenwaffen in der NS-Zeit und die Frage nach Verantwortung und Forschungsethik.

    Charaktere
    Hermann Oberth ist ein Visionär und arbeitet intensiv an seinen Berechnungen, Konzepten und Konstruktionsentwürfen, bis er sicher sein kann, dass sie auch funktionieren. Für seine Ehefrau Tilla und seine vier Kinder bleibt kaum Zeit und so wiederholt er, ohne dass es ihm bewusst ist, die Fehler seines Vaters, seine Kinder bleiben ihm fremd. Als Siebenbürger Deutscher fühlt er sich Zeit seines Lebens als Deutscher und niemals als Rumäne.

    Handlung und Schreibstil
    Der Autor schildert das Leben des Raketenforschers und Menschen Hermann Oberth chronologisch, von seiner Kindheit in Schäßburg, Siebenbürgen, bis zum Start von Apollo 11 am 16. Juli 1969. Die nummerierten Kapitel entsprechen einem Countdown und beginnen bei Zehn, um mit dem Kapitel Null zu enden. Dies erinnert an eine Episode im Leben von Hermann Oberth, als Fritz Lang ihn 1929 als technischen Berater für seinen Stummfilm „Frau im Mond“ ins Team holt und wo der Regisseur tatsächlich die Idee mit dem Rückwärtszählen hat, um Spannung zu erzeugen. Dem Physiker und Raketenpionier Hermann Oberth und seinen visionären Entwicklungen stellt der Autor literarisch den Menschen gegenüber, den meistens abwesenden Familienvater, dessen Gedanken seine Ehefrau Tilla immer mit Formeln und Berechnungen teilen muss. Auch die Frage nach der eigenen Verantwortung in den Jahren seiner Tätigkeit für die Nationalsozialisten fließt in die Ereignisse in diesem Roman ein, jedoch nicht anklagend, sondern berichtend, fragend. Die Sprache erzählt und schildert eindrücklich und spannend.

    Fazit
    Ein Roman, der sich in literarischer Form mit der wenig bekannten Biografie des Visionärs und Wegbereiters der modernen Raumfahrt, Hermann Oberth, beschäftigt und sowohl den Wissenschaftler, als auch den Menschen als Resultat seiner Träume und seines Schicksals in einer bewegten Zeit zeigt.

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