Die Enkelin

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Enkelin' von Bernhard Schlink
4.3
4.3 von 5 (21 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Enkelin"

Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land – und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Großvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:368
Verlag:
EAN:9783257071818

Rezensionen zu "Die Enkelin"

  1. Die Enkelin

    Erst nach dem Tod seiner Frau Birgit erfährt Kaspar aus ihren Unterlagen, dass Birgit eine Tochter hat. Sie hatte sie weggeben und wollte eigentlich nach ihr suchen. Doch dazu ist es nie gekommen. So macht sich Kaspar auf die Suche, um den Wunsch seiner Frau zu erfüllen. Er findet die Tochter. Sie lebt in einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land und hat auch eine Tochter. Kaspar mag das Mädchen von Anfang an und sie betrachtet ihn als Großvater. Doch ihre Welten könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber Kaspar gibt nicht auf und versucht eine Annährung zu finden.
    Mich hat die Geschichte vom ersten Moment an gepackt. Birgit hat für Kaspar einiges aufgegeben, was sie nicht thematisiert hatte und wovon Kaspar keine Ahnung hatte. Doch nach dem Tod von Birgit lernt er seine Frau erst richtig kennen. Dazu trägt natürlich die Suche bei, die ihn in ein Umfeld führt, das ihm fremd ist, welches seiner Weltanschauung nicht entspricht und dem er sich Sigruns willen doch annähern muss. Immer wieder stößt Kaspar dabei an Grenzen, doch er gibt nicht auf.
    Die Charaktere wurden gut dargestellt, so dass ich mich hineinversetzen konnte. Der Schreibstil des Autors lässt sich leicht und flüssig lesen.
    Es ist eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt und dazu, sich mehr mit der Geschichte zu beschäftigen. Die Vereinigung hat für viele Brüche gesorgt und nicht jeder ist damit zurechtgekommen. Birgits Tochter hat ihren Weg bei den Rechten gesucht und ihrem Kind daher keine Wahl gelassen. Sigrun kennt es nicht anders und verteidigt ihr Leben und ihre Auffassung. Werden Kaspar und Sigrun eine gemeinsame Basis finden?
    Es war für mich manchmal sehr schwer, die Aussagen von Sigrun zu ertragen. Aber Kaspar findet einen Weg, ihr Informationen zu geben, ohne das Mädchen zu bedrängen.
    Es ist ein beeindruckender und intensiver Roman.

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  1. Die Abnabelung aus der alten Welt

    In Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ geht es zunächst um einen Todesfall. Birgit, die Ehefrau des Buchhändlers Kaspar, stirbt plötzlich und unerwartet. Möglicherweise hat sie auch nachgeholfen, diese genauere Interpretation wird dem Leser überlassen. Der Fund der toten Ehefrau gestaltet sich schon ein wenig gruselig, so möchte wohl niemand seine bessere Hälfte vorfinden.

    Auch unerwartet sind die Inhalte von Birgits hinterlassenen Aufzeichnungen, die eigentlich zum Roman anwachsen sollten. Es gab sogar schon einen interessierten Verleger. Kaspar entdeckt also seit Birgits Tod täglich Neues und Unerwartetes und muss sich erst einmal damit arrangieren. Aus Birgits Notizen geht hervor, dass sie zur Zeit ihres Kennenlernens sogar schwanger war und später eine Tochter geboren hat. Der Freundin und Geburtshelferin wurde von Birgit auferlegt, das frisch geborene Mädchen gleich wegzugeben. Kaspar hatte von alledem nichts bemerkt und auch keinen Verdacht in irgendeiner Beziehung. Kaspar erzählt später von Birgit: „Sie hat ihren Ort in der Welt nicht gefunden.“ Seite 229.

    Kaspar geht nun auf die Suche und findet die Tochter, Svenja, deren Ehemann und die „Enkelin“. Mit vielen Demütigungen, auch derben finanziellen Zugeständnissen erreicht der nun einsame Mann gelegentliche Besuche von Sigrun, der Enkelin.

    Svenja, Birgits Tochter, die ihre Mutter nie kennenlernen durfte, sagt zu Kaspar: „Wir werden die neue Welt nicht erleben. Wir können nur für sie kämpfen. Aber sie wird kommen.“ (Seite 256) Das mutet fast so an, als spräche sie über unsere Gegenwart.

    Sigrun, die Heranwachsende, geht in diesem Roman auf ihre ganz persönliche Heldenreise. Und Kaspar, der Stiefgroßvater, gibt Sigrun Hilfestellung dabei. Wie man vielleicht merkt, beschäftigt mich gerade sehr das Thema „Herr der Ringe“. Und ähnlich wie Frodo oder zuvor Bilbo verlässt unsere Sigrun hier das Auenland, sprich die völkische (rechte) Siedlung. Kaspar, der Stiefgroßvater wirkt hier als Verstärker, indem er der Enkelin andere Möglichkeiten aufzeigt. Der Gartenzaun wird also gleichermaßen eingerissen und die Protagonistin erweitert ihr Erlebnisfeld. Die ihr aufgezwungenen Begrenzungen funktionieren nicht mehr. Neue Erlebniswelten werden entdeckt und je nach Möglichkeit tiefergehend erkundet. Es geht hier um wenige Jahre vom Teenager zum jungen Erwachsenen.

    Fazit: Welche politische Richtung wir auch vertreten, wir müssen lernen, die andere Seite zu akzeptieren, uns nach Möglichkeit kooperativ zu verhalten. Also in etwa so, wie sich Kaspar Sigrun gegenüber verhält. Vielleicht ist es das, was wir aus dieser Lektüre mitnehmen können. 5 Sterne, verdiente Sterne.

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  1. Hat mich leider nicht ganz überzeugt

    Kaspar verliert seine Ehefrau Birgit, die Mitte der 1960er Jahre zu ihm in den Westen geflohen ist. Er fängt an, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen und findet heraus, dass sie eine Tochter namens Svenja hatte. Er macht sich auf, sie zu finden. Sie lebt mit ihrer Familie in einem völkischen Dorf und hat selbst eine Tochter Sigrun, zu der Kaspar eine besondere Beziehung aufbaut.

    Da ich bisher noch kein Buch dieses Autors gelesen hatte, war ich wahnsinnig gespannt auf das Buch. Zudem klang die Beschreibung sehr interessant.
    Der Schreibstil hat mir gut gefallen, denn das Buch ließ sich schnell und flüssig lesen.
    Kaspar hat mir sehr gut gefallen, ein interessanter Charakter, der trotz Verluste nach vorne schaute. Bei Birgit konnte ich zwar nicht alle Entscheidungen verstehen, was sie mir manchmal nicht sehr sympathisch machte, was aber realistisch wirkte.
    Die Idee zur Geschichte hat mir gut gefallen, ebenso die Rückblicke in Birgits Vergangenheit sowie die Einblicke in die völkische Gemeinschaft. Im mittleren Teil des Buches hat mich die Geschichte dann jedoch verloren. Ich fand die Charaktere nicht wirklich authentisch und auch ihre Handlungen konnte ich nicht nachvollziehen. Das Ende war wiederum passend und hat mir gut gefallen. Dieses Buch regt zum Nachdenken an.

    Mich hat dieses Buch leider nicht ganz überzeugt, deshalb vergebe ich 3 von 5 Sternen.

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  1. Wie gewonnen, so zerronnen...

    Bernhard Schlink hat mich schon mit diversen Geschichten begeistern können und auch auf diese war ich sehr gespannt und ich bekam wie immer mehr als ich erwartet hatte.

    In der Geschichte geht es um Kaspar, der seine Frau verliert. In ihren Unterlagen deckt er ein Geheimnis auf, denn sie hat eine Tochter. Er begibt sich auf die Suche. Was wird er finden? Wird er sie finden und wird sie überhaupt Kontakt haben wollen?

    Der Roman startet direkt mit einem Paukenschlag, denn Ehefrau Birgit stirbt. Da musste ich schlucken und dachte mir: das wird wohl eine Achterbahnfahrt der Gefühle und so kommt es dann auch.

    Der Roman ist in drei Teile gegliedert. Wir erleben die Vergangenheit, in der sich Birgit und Kaspar kennenlernen, sowie die Gegenwart in der Tochter und Enkelin auf den vermeintlichen Großvater treffen. Jeder Part ist für sich spannend und berührend.

    Schlink hat mich vor allem ergriffen mit dem nüchtern beschriebenen Rechtsextremismus. Hier hätte ich gern die betroffenen Protagonisten geschüttelt und ihnen die Augen geöffnet. Es kam sehr gut rüber wie verblendet man sein kann, wenn man nichts anderes kennt und dies als Wahrheit ansieht.

    Dem Autor gelingt es zudem darzustellen, dass das Leben eben selten eitel Sonnenschein ist und dass eben auch Partner vor einander Geheimnisse haben können.

    Für mich eine intensive Geschichte, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Gute Unterhaltung, die auch zum Nachdenken anregt.

    Fazit: Ein berührender Roman über die Wege von Familienbanden, den ich nur wärmstens empfehlen kann. Klasse!

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  1. Kaspar bringt zu Ende was Birgit nicht konnte

    Kaspar bringt zu Ende was Birgit nicht konnte

    Kaspar muss nach dem Tod seiner Frau Birgit erkennen, dass diese einige Dinge vor ihm geheim gehalten hat. Sie war seine große Liebe und auch in den letzten Jahren, die durch Birgits Alkoholsucht nicht mehr erfüllend waren, war er immer für sie da.
    Als er von der Tochter und ihrem Wunsch sie zu finden erfährt, will er ihren Plan an ihrer Stelle umsetzen.
    Als er Birgits Tochter endlich gefunden hat, muss er feststellen, dass Svenja mit ihrem Mann Björn in einer völkischen Gemeinschaft lebt. Deren Tochter Sigrun wächst unter Umständen auf, die Kaspar ganz und gar nicht behagen, aber er weiß, dass er vorsichtig sein muss, ansonsten wird er keinen Kontakt zu Svenja und Sigrun halten dürfen.
    Das bringt ihn auf eine Idee, die ihn zwar um einiges an Geld erleichtert, ihm aber Zeit mit seiner Enkelin, wie er Sigrun sieht, ermöglicht.
    Als Sigrun in den Ferien zu ihm kommt, unternehmen die zwei vier gemeinsam. Kaspar weckt ihre Lust an der klassischen Musik und dem Klavierspiel, fördert sie wo er nun kann. Ebenso versucht er, ihr Informationen über die deutsche Geschichte zu vermitteln, die ihr ein anderes Denken ermöglichen. Hierbei muss er sehr umsichtig vorgehen, damit Sigrun sich nicht bevormundet fühlt, und ihr Vater keine Angst bekommt, dass er seine Tochter auf den falschen Weg führt.
    Doch kann man einen jungen Menschen umformen, der bisher immer nur solche Doktrin gehört hat? Will Sigrun überhaupt die andere Seite kennenlernen?

    Dieser Roman hat mich längst nicht so mitgenommen wie andere Romane des Autors. Ich habe ihn zwar sehr gern gelesen, allerdings habe ich nicht mitgefiebert wie sonst meistens. Kaspar als Charakter schaffte es nicht, dass ich mit ihm um die Zukunft der Enkelin gehofft habe. Die Beschreibung der Flucht Birgits, um ein Leben mit Kaspar zu führen, war mir leider viel zu ausufernd.
    Der Grundgedanke hinter allem, die Ehe, die Geheimnisse birgt, der Wunsch, das weiterzuführen, was der Partner begonnen hat, das Bedürfnis der Enkelin den rechten Weg aufzuzeigen, war interessant, es erschien mir allerdings manchmal ein wenig erzwungen.

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  1. Birgits Geheimnis

    Für Kaspar Wettner ist es ein Schock. Als der 71-Jährige eines Abends nach der Arbeit in der Buchhandlung nach Hause kommt, findet er seine Frau Birgit tot in der Badewanne. Nun muss der Witwer nicht nur mit seiner Trauer zurechtkommen, sondern auch erfahren, dass die Tote ein großes Geheimnis vor ihm verborgen hat. Er trifft eine folgenschwere Entscheidung…

    „Die Enkelin“ ist ein Roman von Bernhard Schlink.

    Meine Meinung:
    Der Roman beinhaltet drei Teile, die wiederum etliche, zumeist kurze Kapitel beinhalten. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge vorwiegend aus der Sicht von Kaspar. Es gibt allerdings eine längeren Text im Roman, der in der Ich-Perspektive formuliert ist. Die Handlung spielt sowohl in Berlin als auch in Sachsen. Sie ist in der jüngeren Vergangenheit angesiedelt, umfasst aber auch längere Rückblicke.

    In sprachlicher Hinsicht habe ich den Roman als durchwachsen und verschiedenartig empfunden. Auffällig ist ein Nebeneinander von atmosphärisch starken Passagen wie in den ersten Kapiteln, von wunderbar ausgedrückten Gedanken, von schwerfälligen Beschreibungen und von hölzernen Dialogen. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Bandwurmsätze. Phasenweise hat mich der Schreibstil begeistert, bisweilen aber auch etwas befremdet.

    Die Charaktere blieben mir leider bis zum Schluss etwas fremd. Im Vordergrund steht besonders Kaspar, eine Figur, die über weite Strecken als schwach und feige dargestellt wird. Seine glaubwürdige Entwicklung habe ich daher gerne verfolgt. Alle Personen, darunter die titelgebende Enkelin, haben zudem die Gemeinsamkeit, dass sie mit psychologischer Tiefe und Grautönen gezeichnet werden.

    Inhaltlich habe ich dagegen oft die Realitätsnähe vermisst. So manche Vorgänge, Zusammenhänge und Erlebnisse erscheinen überzogen, stark vereinfacht oder zu unrealistisch. Dabei haben mich die gewichtigen Themen des Romans durchaus angesprochen. Die Parallelwelt der Völkischen bringt Schlink seinen Leserinnen und Lesern näher. Der Geschichte ist die fundierte Recherche immer wieder anzumerken. Auch andere politische Aspekte sowie zwischenmenschliche Konflikte bieten interessanten Stoff zum Diskutieren und Nachdenken.

    Am besten gelungen sind der erste und der dritte Teil. Im Mittelteil des rund 350 Seiten umfassenden Romans sind mehrere Längen vorhanden. Alles in allem habe ich die Geschichte trotzdem gerne gelesen.

    Das verlagstypische Cover gefällt mir gut. Es passt im Großen und Ganzen zur Geschichte. Der prägnante Titel ist treffend.

    Mein Fazit:
    Mit „Die Enkelin“ hat Bernhard Schlink einen komplexen, unterhaltsamen und interessanten Roman geschrieben. Dennoch bleibt der Autor mit seinem neuen Buch leider hinter seinen Möglichkeiten zurück.

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  1. Ein folgenschweres Geheimnis

    Im Mai 1964 beginnt beim Pfingsttreffen der deutschen Jugend in Ostberlin eine Liebe, die es aus Sicht der DDR-Funktionäre nicht hätte geben dürfen. Kaspar Wettner, Geschichts- und Germanistikstudent aus Westberlin, verliebt sich in Birgit, eine ostdeutsche Ökonomiestudentin. Während Kaspar Birgits Flucht in den Westen plant, ahnt er nichts von ihrem Geheimnis, das wie ein Schatten auf ihrer etwa 50 Jahre währenden, keineswegs unglücklichen Ehe lasten wird:

    "Es hatte zwischen ihnen bei aller Nähe eine tiefe Distanz gegeben, er hatte sie mehr geliebt als sie ihn, sie hatte sich finden wollen und war ohne ihn auf die Suche gegangen, sie hatte Geheimnisse vor ihm gehabt, hatte mit anderen Männern geschlafen, hatte vieles angefangen und wenig vollendet – na und? Tiefdrinnen und tiefdrunten hatte er nicht alles gewusst, aber doch, dass sie sich nie ganz geben konnte und dass er sie nie ganz hatte." (S. 132) 

    Erster Teil: Ein deutsch-deutscher Eheroman
    Der Roman "Die Enkelin" von Bernhard Schlink beginnt mit dem Abend, an dem der 71-jährige Berliner Buchhändler Kaspar seine alkoholkranke, depressive Frau Birgit tot in der Badewanne findet. Von einem Verleger nach Birgits Romanmanuskript gefragt, macht er sich auf die Suche und findet wenige Seiten, die ihm, der immer weggesehen hat, um seine Frau nicht zu verlieren, den Grund für Birgits Ruhe- und "Ortslosigkeit" enthüllen. Um seine Trauer zu betäuben, will er vollenden, wozu sie nicht den Mut hatte: die Suche nach ihrer in der DDR zurückgelassenen Tochter Svenja.

    Zweiter und dritter Teil: Die neue Rechte
    Nach erstaunlich glatt verlaufenden Recherchen findet Kaspar nicht nur die mit einem Neo-Nazi in einem völkischen Dorf in Mecklenburg lebende Svenja und erfährt deren dramatisch verlaufene Lebensgeschichte, sondern auch die von der rechtsnationalen Ideologie durchdrungene Enkelin Sigrun. Mit schier endlosem Verständnis und voller Vertrauen in die heilende Kraft von Kunst, Literatur und besonders Musik beginnt Kaspar, Sigrun behutsam Alternativen zur völkischen Gesinnung nahezubringen.

    Wenn die Latte zu hoch hängt
    Auf neue Romane von Bernhard Schlink freue ich mich vor allem wegen des immer gut gewählten und recherchierten historischen Bezugs. Entsprechend waren meine Erwartungen groß, erfüllten sich jedoch dieses Mal nur teilweise, obwohl der zeitgeschichtliche Hintergrund wieder ausgesprochen erhellend ist, sowohl hinsichtlich der deutsch-deutschen Frage als auch der mir bisher unbekannten, kurios anmutenden völkischen Gemeinschaften. Bedauerlicherweise ist jedoch der Brückenschlag zwischen beiden Themen zu konstruiert und die schablonenhaften, seltsam emotionslos agierenden Figuren wurden vor meinen Augen nie lebendig, seien es der bis zur Unglaubwürdigkeit gutmütige, duldsame Schöngeist Kaspar, die in ihrer Rastlosigkeit überzeichnete Birgit, Sigruns klischeehafte Nazieltern, die ihre Tochter aus finanziellen Erwägungen bedenkenlos wochenweise einem Wildfremden mit völlig konträren Ansichten überlassen oder Sigrun selbst, die zwar in ihrer rechten Verblendung, nicht jedoch als Teenagerin an einer normalen Schule glaubhaft ist. Sowohl die steifen Dialoge mit einem Hang ins Didaktische als auch Kaspars mit rhetorischen Fragen gespickte innere Monologe gingen mir auf die Nerven. Positiv überrascht hat mich dagegen das Ende, das glücklicherweise ohne Rührseligkeit auskommt.

    "Die Enkelin" wird mir nicht so im Gedächtnis bleiben, wie es die zweifellos interessanten Themen verdient hätten. Das ist schade, denn Bernhard Schlink kann es besser.

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  1. Erlöse uns von den Bösen

    In der (näheren) Vergangenheit erfolgreiche Autorinnen und Autoren haben bei der Veröffentlichung eines neuen Romans (meistens) mit einem Problem zu kämpfen: er wird immer mit den vorherigen oder älteren Erfolgen in Kontext gestellt. Und wehe der neue Roman passt (subjektiv gesehen) nicht in die Reihe jener guten Bücher – schon besteht die Gefahr der Polarisierung und Rezensentinnen und Rezensenten finden sich in einem verbitterten Streit.

    Okay, ich gebe zu: hier ist vielleicht der „Übertreib“-Hengst mit mir durchgegangen. Aber ein Fünkchen Wahrheit findet sich auch hier.

    Was hat das alles mit „Die Enkelin“ von Bernhard Schlink zu tun? Nun, die Leserschaft ist hier eindeutig zweigeteilt: die einen werfen Schlink eine Art „Schnellschuss“ vor, die anderen (dazu zähle ich mich) sind einfach nur froh, in Zeiten, in denen Negatives den Alltag beherrscht, ein Buch in Händen halten zu können, was sie für ein paar Stunden aus der bitteren Realität hinein in eine Art „modernes“ Märchen mit unkitschigem und weder offenem noch definitiv abschließendem Ende wirft.

    Natürlich kann man über Sinn und Unsinn klischeebehafteter, stereotypischer Charaktere nachdenken und auch (trefflich) diskutieren. Natürlich ist es fraglich, wie ein 14-jähriges Teenager-Mädchen, dass in völkischer Gemeinschaft aufwächst, den Holocaust bzw. den massenhaften Tod durch Zyklon B in Auschwitz leugnet, durch „Konfrontation“ mit ihrem bis dahin unbekannten Großvater, der sie behutsam in die Welt der Klassik, der Literatur und der Kunst einführt und sie „einlädt“, ihr rechtes Gedankengut zu überdenken, innerhalb kürzester Zeit zu einer sich, ihre Eltern und ihr Tun kritisch hinterfragenden Person werden kann und am Ende ihren eigenen Weg geht.

    Aber hey, Leute – der Großteil von uns (da gehe ich jetzt einfach mal ganz frech von aus *g*) mag „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, „Der kleine Lord“ etc. Ist da immer alles „naturgemäß“? Lieber wir nicht gerade da das märchenhafte, unrealistische? Oder seid ihr schon mal im wahren Leben jemandem begegnet, der auf einmal Earl wird? *g*

    Was ich damit sagen will, ist: es darf auch mal märchenhaft sein. Auch von einem ernstzunehmenden Schriftsteller darf mal ein Roman erscheinen, in dem das Gute (und sei es noch so klischeehaft bzw. unrealistisch) siegt. Zumal das Ganze zwar an der ein oder anderen Stelle „altbacken“, jedoch immer auf den Punkt formuliert ist.

    Mir hat´s gefallen, ich zücke märchenhafte 5* und gebe eine glasklare Leseempfehlung ab.

    ©kingofmusic

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  1. Verschwiegenes

    Intimität in einer Beziehung bedeutet nicht nur Sex, sondern auch der Zustand tiefster Vertrautheit und Verbundenheit. Das erfordert allerdings auch, den anderen Einblick in die innersten Gedanken zu gewähren.

    Birgit hatte diese Kaspar nicht gewährt, sondern ihm von Anfang an ein wichtiges Detail ihres Lebens verschwiegen und dieses Geheimnis jahrzehntelang mit sich herumgetragen. Er entdeckte es erst nach ihrem Tod beim Sichten ihrer Unterlagen und als 71-Jähriger begibt er sich auf die Suche!

    Und ihm begegnen Menschen, die auch der Leser sofort ins Herz schließt, wie z.B. Paula, und Menschen, die es einem sehr schwer machen (wie z.B. Björn von der ‚völkischen Gemeinschaft‘). Kaspar war allerdings meine Lieblingsfigur und ich bewunderte seine Engelsgeduld, ob mit seiner verstorbenen Frau oder später dann mit Sigrun. (Ich bezweifle ganz stark, dass ich diese Geduld gehabt hätte.)

    Das Buch erzählt auch eine Geschichte der Bewohner von zwei Staaten, die 40 Jahre getrennt waren und dann wieder verbunden wurden, was naturgemäß Schwierigkeiten bereitet, denn 40 Jahre prägen! Interessant fand ich Birgits Beobachtungen in ihren Aufzeichnungen, dass ihr nach ihrer Flucht in den Westen 1965 im Kleinen passierte, was nach der Wende im Großen passierte: ‚Zunächst wurden sie beglückt willkommen geheißen. Sie wurden auch interessiert gefragt, wie es im Osten zugegangen war, wie sie im Osten gelebt hatten. Aber sie wurden gefragt, wie man jemanden nach einer Reise fragt, die er gemacht hat. Als sich zeigte, dass sie nicht nur eine Reise gemacht hatten und jetzt wieder da waren, sondern aus einer anderen Welt kamen……….., war’s mit dem Interesse vorbei.‘

    Wer - wie ich seit der Wende – ein großes Interesse an diesem Thema, an den Lebensgeschichten und Charakteren dieser Menschen hat, ist bei diesem Buch richtig! Ich lege es ihm wärmstens ans Herz! Viel Stoff zum Diskutieren bietet es zusätzlich! Schade, dass ich nur fünf Sterne von fünf für dieses großartige Werk vergeben kann!

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  1. 5
    20. Dez 2021 

    Mit Rechten reden!

    Die Abenteuer in Kaspars Leben scheinen in der Vergangenheit zu liegen. Er lebt als Buchhändler ein ruhiges und beschauliches Leben in Berlin, kümmert sich neben seiner Arbeit um seine psychisch eher labile und dem Alkohol vermehrt zusprechende Gattin. Diese hatte er einst, im noch geteilten Deutschland auf der östlichen Seite des eisernen Vorhangs kennen und lieben gelernt, ihre Flucht in die Wege geleitet und sie so in den Westen geholt. Birgit hat seitdem an seiner Seite gelebt und auf unterschiedliche Arten ihren Platz gesucht, nie aber wohl ganz in das Leben, das ihr an Kaspars Seite geboten wird, hereingefunden. Eines Abends, als Kaspar entspannt von der Arbeit nach Hause zurückkehrt, findet er sie leblos in der Badewanne vor und nie wird so ganz klar, ob ein Alkohol- und Tablettenmix vorsätzlich oder eher unbeabsichtigt ihren Tod herbeigeführt hat.
    Mit dem Blick in Birgits Hinterlassenschaften eröffnet sich Kaspar ein Bild auf das Leben seiner Frau, von dem er so gar keine Ahnung hatte. Ihre Flucht aus der DDR hat sie, so erfährt er, aus viel mehr privaten Bindungen herausgerissen als er jemals geahnt hat. Da ist auf dramatische Art und Weise eine Tochter zurückgelassen worden, deren Suche Birgit ihr Leben lang in Gedanken intensiv beschäftigte, die sie aber physisch nie aufgenommen hat. Zu viel Schmerz, zu viel Schwachheiten! Kaspar aber begibt sich auf diese Suche und stürzt sich damit in ein Abenteuer, das an sich seinem Wesen so vollkommen fremd ist.
    Über eine alte Freundin von Birgit findet er tatsächlich auf überraschend einfache und schnelle Weise diese ausgesetzte Tochter. Und er findet sie – Svenja - in einer Umgebung, die ihm fremder nicht sein könnte: sie lebt in einem norddeutschen Dorf in einer Siedlergemeinschaft, die danach strebt, immer mehr Land für gleichgesinnte rechte, völkische Familien zu gewinnen und dabei nationalistische rechte Traditionen und ein Welt- und Gesellschaftsbild pflegt, das das Dritte Reich und den Nationalsozialismus als Grundlage und Vorbild hat. Er versucht, Kontakt zu der Familie seiner überraschend gewonnenen Stieftochter zu bekommen. Dies wird aber von dem Herrn im Hause sehr stark abgeblockt. Doch diesen locken auch dringend benötigte mögliche Geldsummen von Kaspar/Birgit, dringend benötigt, um Land für die völkische Gemeinschaft im Dorf gewinnen zu können. Und so lässt er den Kontakt von Kaspar zur Tochter Sigrun (dessen titelgebende Enkelin) zu.
    Und beschäftigte sich der erste Teil des Romans mit der bisher geschilderten Suche nach der Vergangenheit, geht es im weiteren Verlauf des Romans um den Kontakt und die mögliche Annäherung Kaspars mit und zu Sigrun. Deren Kontakt, deren Dialoge und Aktivitäten finden immer auf einem ungemein schmalen Grad statt, auf einem Grad, auf dem Kaspar um Nähe und Sympathie ringt und gleichzeitig angewidert und abgeschreckt ist von den Lebensanschauungen, die Sigrun ihm präsentiert. Das geht selbst bei einem so herausragenden Autoren wie Schlink nicht immer ohne dumpfe Klischees ab, trifft aber doch ein Grunddilemma unserer gegenwärtigen Gesellschaft, in der sich in unserer Mitte der Gesellschaft der „Nie Wieder“-Gründungsmythos unseres Landes langsam aufzuweichen scheint und wir uns mit Anschauungen und Fragen auseinandersetzen müssen, von denen wir lange Zeit dachten, dass wir sie mit der (einigermaßen gelungenen) Aufarbeitung des Dritten Reiches ein für alle Mal hinter uns gelassen hätten. „Mit Rechten reden“ ist eine Aufgabe, die nur schwer zu bewältigen ist, aber – so zeigt dieser für mich hochaktuelle Roman von Schlink – eine Grundaufgabe unserer Zeit, die unbedingt angegangen werden muss.
    Trotz einiger Klischees und Vereinfachungen in der Romankonstruktion bekommt „Die Enkelin“ deshalb von mir 5 Sterne! Und eine Leseempfehlung noch dazu!

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  1. 5
    15. Dez 2021 

    4,5* für eine selbstlose Liebe

    Im Mai 1964 findet in Ostberlin das Pfingsttreffen statt, bei dem sich die westdeutsche mit der ostdeutschen Jugend trifft. Dort begegnen sich Birgit und Kaspar: sie, die FDJ-Studentin, die die Notwendigkeit eines antifaschistischen Schutzwalls verteidigt; er, ein junger Student, Liebhaber der Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert, ein bisschen aus der Zeit gefallen. Sie verlieben sich ineinander und für ein gemeinsames Leben verhilft Kaspar Birgit zur Flucht.

    Nach vielen gemeinsamen Jahren stirbt Birgit überraschend und Kaspar entdeckt erst da, dass sie eine Tochter hat. Er macht sich auf die Suche nach ihr und findet sich wieder unter völkischen Siedlerinnen und Siedlern, darunter die 14jährige Sigrun, die ihn sofort als Großvater akzeptiert. Es gelingt ihm, sie ein paar Wochen im Jahr bei sich zu haben und ihr seine Welt zu zeigen, eine völlig andere als die ihre und ihrer Eltern.

    Doch es geht nicht nur um Kaspars Versuch, seiner Enkelin eine Alternative zu ihrem völkischen Leben zu bieten, sondern auch die Art wie er sich darum bemüht. Während sich der Durchschnittsmensch (wozu ich mich auch zähle) ausgesprochen schwer tut, Sätze hinzunehmen wie

    Sie lügen über Auschwitz. Mit Zyklon B können Menschen nicht vergast werden, jedenfalls nicht so viele und so schnell, wie es über Auschwitz heißt.

    widerspricht er Sigrun nicht direkt. Er fragt woher sie es wisse, stellt ihr ohne Erwartungen Informationen zur Verfügung, regt sie zum selbständigen Denken an. Es ist eine gemächliche, fast schon quälend langsame Entwicklung, bei der man diesem stets verständnisvollen Kaspar manchmal am liebsten in den Allerwertesten treten würde – aber er lässt die Menschen sein und werden, die sie sind, was für Manche wirken mag, als sei er gleichgültig.

    Vielleicht ist es auch eine Wiedergutmachung an seiner verstorbenen Frau, die damals nach ihrer Flucht in eine neue Welt hineingeworfen wurde, ohne jemals dort richtig anzukommen, was Kaspar erst nach ihrem Tod erkennt. Seiner Enkelin soll dies nicht passieren, ihr will er zur Seite stehen.

    Wunderbar geschrieben, voller Gefühl ohne je kitschig zu werden mit einem in gewisser Weise herrlich altmodischem Protagonisten.

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  1. 3
    11. Dez 2021 

    Zwiespältiger Eindruck

    Bernhard Schlink ist seit seinem „ Vorleser“ ein Autor, dessen Bücher regelmäßig auf den Bestsellerlisten landen. Sein Thema ist immer wieder die Frage nach Schuld und Verantwortung und er zeigt anhand fiktiver Figuren, wie historische Umstände und Zeitgeschichte auf menschliche Schicksale einwirken. So auch in seinem neuesten Roman „ Die Enkelin“.
    Sein Protagonist ist Kaspar, ein Berliner Buchhändler, Anfang 70. Verheiratet ist er mit Birgit. Die beiden haben sich 1964 kennengelernt beim Pfingsttreffen der deutschen Jugend in Ostberlin. Kaspar, der Westberliner Student, verliebt sich gleich in die ostdeutsche Studentin und er wäre bereit gewesen, zu ihr nach Ostberlin zu ziehen. Aber die lebenshungrige Birgit möchte in den Westen. „ Ich wollte nicht das bisschen Land zwischen Erzgebirge und Ostsee. Ich wollte die Welt.“ Kaspar organisiert die Flucht, über Prag nach Westberlin. Die beiden heiraten, bauen gemeinsam eine Buchhandlung auf. Doch Birgit bleibt ruhelos, immer auf der Suche, nie kommt sie wirklich an. Kaspar hat Verständnis für die Umtriebe seiner Frau und liebt sie noch immer. Obwohl sie es ihm nicht leicht macht. Schon lange ist der Alkohol Birgits Begleiter, doch mittlerweile trinkt sie, um ihre Depressionen zu verdrängen. So oft kommt Kaspar von der Arbeit nach Hause und findet seine Frau völlig betrunken vor. Doch dieses Mal ist sie tot, ertrunken in der Badewanne.
    Kaspar ist voller Trauer, trotz der Entfremdung der letzten Jahre. Als er von einem Verleger nach Birgits Manuskript gefragt wird, ist er überrascht. Dass seine Frau geschrieben haben soll, davon wusste er nichts. Er macht sich auf die Suche nach den Aufzeichnungen und als er diese findet, muss er feststellen, dass seine Frau ein weitaus größeres Geheimnis vor ihm verborgen hielt.
    Birgit war vor ihrer Flucht schwanger und hat damals das Neugeborene zur Adoption freigegeben. Dem Kindsvater, ein verheirateter Funktionär, wollte sie die Tochter nicht lassen.
    Kaspar, erschüttert vom Gelesenen, macht sich nun auf die Suche nach der Tochter seiner verstorbenen Frau. Er findet sie in einer völkischen Siedlung in Mecklenburg. Svenja ist verheiratet und hat eine 14jährige Tochter, Sigrun. Kaspar merkt schnell, dass er keinen Zugang findet zu der verbitterten Svenja, aber das junge Mädchen weckt großväterliche Gefühle in ihm. Er möchte Sigrun aus dem Nazi- Milieu herausholen. Gegen Geld bekommt er die Zusage, das Mädchen in den Ferien zu sich zu holen. Unter den Bedingungen „ kein Fernsehen und kein Kino, keine Zigaretten, keine Jeans, keinen Lippenstift, kein Piercing“ darf Sigrun zu ihm nach Berlin.
    Vorsichtig versucht Kaspar sich seiner „ Enkelin“ zu nähern. Er will ihr eine Welt jenseits der Nazi- Ideologie nahebringen, besucht deshalb mit ihr Museen und klassische Konzerte, gibt ihr Bücher zum Lesen. Er entdeckt ihr musikalisches Interesse und bezahlt ihr Klavierstunden. Bei Diskussionen über ihr Weltbild will er behutsam Zweifel säen, ihr die Augen öffnen. „ Er musste Sigrun eine andere Welt erleben und andere Erfahrungen machen lassen, als ihre Eltern sie ihr boten.“ Dabei riskiert er, dass ihm Sigrun wieder entzogen wird.
    Der Roman besteht aus zwei Teilen, wobei jeder für sich genug Stoff für ein Buch geboten hätte. Dabei ist für mich der Anfang der wesentlich gelungenere Teil. Einfühlsam beschreibt Schlink das Leben und die Gefühlslage dieses unterschiedlichen Paares. Kaspar und Birgit sind beide ambivalente Figuren. Kaspar ist der immer Gute, der Verständnisvolle, - „ Ich bin ein bisschen aus der Zeit gefallen.“- , aber auch derjenige, der die offene Konfrontation scheut.
    Mit Birgits Geschichte wechselt Schlink die Perspektive. Ihre Aufzeichnungen sind ein „ Roman im Roman“. Als Nachkriegskind wächst sie auf im Osten Deutschlands auf, mit einem „ Schattenvater“, der zwar im Krieg geblieben ist, für das Kind aber präsent bleibt. „ … er warf seinen Schatten auf es….Den Schatten der alten bösen Zeit. Das Mädchen wollte Teil der guten neuen Zeit sein.“
    Doch das Leben im neuen Staat wird ihr bald zu eng. Aber im Westen fühlt sie sich auch nicht heimisch. „ Mir passierte im Kleinen, was ich den Ostdeutschen nach der Wende im Großen passieren sah.“
    Auch was es bedeutet, lebenslang ein Geheimnis mit sich zu tragen, schildert der Autor einfühlsam und nachvollziehbar. „ Ich wusste nicht, was Verschweigen langfristig anrichtet.“ lässt er Birgit aufschreiben.
    Schlink hätte hier die Geschichte von Kaspar und Birgit erzählen können , von Ost - und Westdeutschland, die unterschiedliche Sozialisation und damit einhergehend die verschiedene Wahrnehmung.
    Doch dem Autor war ein weiteres Thema wichtig, nämlich die der wieder erstarkenden Nazi- Ideologie. In den ewig Unzufriedenen, in den Verlierern der Wende fällt das völkische Denken auf einen guten Nährboden. Gerade im Osten gibt es etliche völkische Siedlungen auf dem Land. Erschreckend ist deren Gedankengut und deren Vorhaben, mehr Einfluss zu gewinnen. Darauf aufmerksam zu machen ist ein Verdienst dieses Romans.
    Allerdings wirkt dieser zweite Teil, Kaspars Unternehmungen, Sigrun von ihrer Nazi- Ideologie zu befreien, sehr unrealistisch. Es ist naiv zu glauben, mit ein bisschen humanistischer Bildung könnte man dem entgegensteuern. Die Dialoge zwischen Kaspar und Sigrun sind dementsprechend hölzern und wirken auf den Leser reichlich didaktisch. Auch das Figurenpersonal im zweiten Teil wirkt nicht mehr glaubwürdig. Hier greift Schlink auf bekannte Klischees zurück. Und Sigrun entspricht so garnicht dem Bild einer Vierzehnjährigen, auch wenn man berücksichtigt, wie sie aufgewachsen ist.
    Um seine Geschichte voranzutreiben, muss der Autor einige Unwahrscheinlichkeiten einbauen. Vieles geht zu glatt und zu schnell.
    Dafür entschädigt wieder der Schluss des Romans. Hier vermeidet Schlink zum Glück ein allzu gefälliges Happy- End.
    Der Roman hinterlässt bei mir ein zwiespältiges Gefühl. Reichlich konstruiert, eine zum Teil altbackene Sprache, dazu wenig lebendige Figuren, das sind die Negativpunkte. Andererseits gibt der Roman tiefe Einblicke in das völkische Leben und zeigt, wie schwierig ein Gespräch mit Menschen aus diesem Umfeld ist. Die leisen Töne im ersten Teil des Buchs lohnen ebenfalls die Lektüre.

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  1. Vielschichtig

    Mitte der 60ger Jahre lernt der Westberliner Student Kaspar bei einem Pfingstjugendtreffen die Ostberliner Studentin Birgit kennen und verliebt sich in sie. Er ist bereit für sie in den Osten zu gehen, doch Birgit will die Freiheit des Westens erleben und so verhilft Kaspar ihr zur Flucht.

    Sie leben ein gemeinsames, nicht immer einfaches Leben, geprägt durch Birgits Alkoholsucht und Unstetigkeit, das durch Birgits Tod, vielleicht sogar ein Suizid, endet. Erst jetzt erfährt Kaspar aus Birgits Aufzeichnungen, dass sie damals ein Kind in der DDR zurückgelassen hatte und nicht mehr die Energie aufbrachte, nach der Tochter zu suchen. Auch spürt er, dass es viele Leerstellen in ihrem gemeinsamen Leben gab, vielleicht ahnte er es und wollte es doch nicht wahrhaben.

    Kaspar beginnt nach der Tochter zu suchen und macht sie und gleich auch noch eine Enkelin ausfindig. Aber Svenja und ihre Tochter Sigrun leben in einer völkischen Gemeinschaft, am tiefbraunen, rechten Rand unserer Gesellschaft. Unter dem Deckmantel von dörflichen Gemeinschaften, die ökologisch und auf althergebrachte Weise Landbau betreiben wollen, breitet sich diese Szene vor allem in den von Landflucht betroffenen Dörfern der ehemaligen DDR aus.

    Wie kann Kaspar eine Verbindung zu seiner Stiefenkelin aufbauen ohne seine Werte zu verraten?

    Es ist eigentlich ein Generationenroman um die drei Frauen, gleichzeitig auch eine Geschichte der unterschiedlichen deutschen Staaten und umfasst auch ganz aktuell die rechten Strömungen.

    Schlink hat sich in seinem Buch schwierigen Themen auf eine sensible Weise angenähert. Auch wenn mir seine Figuren nicht immer realistisch erschienen – Kaspar blieb mir in seinen Gedanken und Handlungen weitgehend unverständlich – hat mich sein Roman immer wieder mitgenommen. Die Dialoge scheinen nicht unbedingt die Stärke des Autors zu sein. Sie wirken hölzern und besonders die Gespräche Kaspars mit Enkelin Sigrun geraten schon mal unfreiwillig komisch. Außerdem greift Schlink häufig zu Zufällen um seine Geschichte voranzutreiben.

    War mir der erste Teil im Erzählton noch sehr kühl erschienen, hat mir der weitere Verlauf besser gefallen. Dennoch hat mich das neue Buch des Autors nicht völlig überzeugen können.

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  1. Vom Suchen, Finden, Loslassen und Verschwinden

    Bernhard Schlink, Jahrgang 1944, ist einer der renommiertesten deutschen Autoren. In seinen Romanen greift er mit Vorliebe Themen der Deutschen Geschichte auf, bislang häufig Motive und Spannungsfelder rund um die Ära des Nationalsozialismus. In diesem, seinem neuen Werk, wendet sich Schlink der jüngeren deutschen Geschichte zu.

    Protagonist Kaspar wird mit 71 Jahren plötzlich unter tragischen Umständen zum Witwer. Obwohl er mit seiner alkoholabhängigen Frau Birgit in letzter Zeit nicht mehr viele Gemeinsamkeiten pflegte, trifft ihn deren Tod hart. In ihrem Nachlass findet er Aufzeichnungen, von deren Inhalt er nichts wusste. Der erste Teil des Romans beschäftigt sich mit dieser Hinterlassenschaft, in der Birgit über ihre Vergangenheit in der DDR berichtet, bevor sie das Land 1965 mit falschen Papieren und auf Nimmerwiedersehen verließ. Sehr einfühlsam nähert sich Schlink dieser sprunghaften, zerrissenen Frau, die nicht nur unter dem Verlust von Heimat und Wurzeln zu zerbrechen drohte, sondern auch an der Ungewissheit, was mit ihrer unehelichen Tochter passierte, die kurz vor ihrer Flucht geboren wurde. Das Portrait Birgits, die sich äußerlich mit Kaspar eine bürgerliche Existenz in Berlin aufgebaut hat, innerlich aber von schlechtem Gewissen und Zweifeln zerrissen wurde, ist aus meiner Sicht wunderbar gelungen und zählt zu den Stärken des Romans. Ebenso ansprechend wird die west- und ostdeutsche Lebensrealität während der 1960er Jahre beschrieben, als es jungen Westberlinern noch möglich war, sich unkompliziert im Ostteil der Stadt mit Altersgenossen zu treffen.

    Kaspar ist ein Mann, der seiner Frau immer Freiräume ließ, sie auch nicht wegen ihrer Sucht bedrängte. Für ihn war das ein Zeichen seiner innigen Liebe. Birgit hat indessen offenbar nicht nur an der Ungewissheit rund um ihre Tochter gelitten. Man liest auch starke Sätze wie: „Aber wenn ich eine Ostperspektive einbrachte oder eine Ostwendung gebrauchte, irritierte ich; es wurde erwartet, dass ich mit der Flucht alles Östliche, weil sowjetisch und kommunistisch, abgestreift hatte und jetzt war wie sie. Mir passierte im Kleinen, was ich den Ostdeutschen nach der Wende im Großen passieren sah.“ (S.112) Nicht nur das Ost-/West- Spannungsfeld wird abgebildet, man erkennt darin auch aktuelle Bezüge auf Herkunft, Wurzeln, Identität und Flucht.

    Für Kaspar sind Birgits Aufzeichnungen ein Vermächtnis. Der zweite Teil des Romans beschäftigt sich mit Kaspars Suche nach der verlorenen Tochter, die seine Frau niemals wirklich eingeleitet hat. Hier verlässt Schlink meines Erachtens die dichte, authentische Erzählweise, die man von ihm kennt. Er findet Stieftochter Svenja erstaunlich schnell. Sie hat ein bewegtes Leben hinter sich und lebt heute in einer rechtsradikalen völkischen Gemeinschaft im ostdeutschen Niemandsland. Ihr Mann Björn ist ein despotischer, geldgieriger Neonazi, dem sie sich unterordnet. Es gibt die 14-jährige (Stief-) Enkelin Sigrun, die eher wie ein Kind denn wie ein Teenager beschrieben wird und sich mit der volksdeutschen Ideologie identifiziert. Auf sie projiziert Kaspar seinen Wunsch nach Wiedergutmachung. Sigruns Eltern lassen sich auf einen Handel ein, der es ihm ermöglicht, seine Enkeltochter kennenzulernen. Kaspars Ziel wird es sein, ihr die Welt mit ihren vielseitigen Möglichkeiten jenseits von Rassenlehre und Dogmatismus zu zeigen, damit sie in die Lage versetzt wird, einen eigenen neuen und selbstbestimmten Weg zu finden.

    In diesem Abschnitt fühlte ich mich nahezu in ein Märchen versetzt, in dem sich Kaspar massiv der Mittel seines Bildungsbürgertums bedient, um die Enkeltochter zu erreichen. Wie eigentlich bei einem Teenager nicht zu erwarten, rennt er bei Sigrun mit Musik, Kunst und Literatur offene Türen ein. Die beiden unternehmen viel miteinander. Kaspar versucht behutsam, ihre nationale Glaubenslehre und die bestehenden Vorurteile gegenüber allem Undeutschen zu hinterfragen. Bewusst vermeidet er dabei den offenen Diskurs, zu groß ist seine Angst, das Mädchen zu verlieren. Hier wirken der Verlauf der Handlung sowie zahlreiche Annahmen und Entwicklungen konstruiert, unrealistisch und klischeebeladen auf mich. Zudem erscheinen mir viele Dialoge schlicht und scherenschnittartig, die Figuren eindimensional. Gut ist gut, böse ist böse – daher auch der Vergleich zum Märchen. Doch man liest ein Buch von Bernhard Schlink, der auch eingeschlagene Pfade wieder verlassen kann und letztlich doch zu überraschen weiß. Das beweist der Autor eindrücklich im dritten Teil, in dem er weitgehend zu seiner Klasse zurückfindet. Erneut gibt es Entwicklungen, die große Dramatik beinhalten, vieles hätte für mich eine Nummer kleiner ausfallen dürfen. Doch mit dem Ende hat er mich wieder einigermaßen versöhnt. Man darf in diesem Roman nicht alles hinterfragen und auf Glaubwürdigkeit prüfen wollen.

    Im Kern geht es in „Die Enkelin“ also um Suchen und Finden, um Herkunft und Wurzeln, um aktuelle gesellschaftspolitische Strömungen, denen sich die Demokratie und jeder Einzelne entgegenstellen muss. Es geht aber auch die Entwicklungsgeschichte eines jungen Mädchens, das sich zwischen verschiedenen Interessen behaupten und ihren eigenen Weg finden muss.

    Ich bin sicher, dass dieser Roman eine breite Leserschaft begeistern wird. Er ist aus meiner Sicht weit konventioneller geschrieben als die bisherigen Werke, die ich von Bernhard Schlink kenne. Das Gros der Handlung kann man leicht verfolgen, die Spannungsfelder werden offensichtlich und leicht verständlich dargelegt. Trotzdem regt „Die Enkelin“ zum Nachdenken an, zumal Schlink mit dem Ende überrascht und nicht alles auserzählt.

    Ein Roman, den ich gerne gelesen habe, der gewiss nicht langweilig ist. Man sollte nur nicht zu kritisch hinterfragen, dann wird man, wie zahlreiche uneingeschränkt positive Rezensionen beweisen, das Buch mit großer Befriedigung zuklappen.

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  1. Gesucht und Gefunden

    Kaspar, aus dessen personaler Sicht der Roman vorwiegend erzählt wird, ist Bibliothekar und mit Birgit verheiratet.

    "Es war ein Abend wie viele andere. An manchen Abenden, wenn Birgit schon früh mit dem Trinken angefangen hatte, war mehr als zwei Taschen und ein Weinglas umgefallen und lag mehr als eine Vase in Scherben. An anderen Abenden, wenn sie erst kurz bevor er nach Hause kam, das erste Glas getrunken hatte, war sie fröhlich, gesprächig, zärtlich, und wenn's nicht Wein, sondern Champagner war, von einer Lebendigkeit, die ihn glücklich machte und wehmütig wie alles Gute, von dem man weiß, dass es nicht stimmt." (7)

    Doch an diesem Abend findet er seine Frau tot in der Badewanne vor, betrunken eingeschlafen und ertrunken. Kaspar ist erschüttert, denn trotz ihrer Alkoholprobleme, trotz ihres Geheimnisses, das sie um das Schreiben ihres Roman gemacht hat, trotz ihrer Unstetigkeit liebt er sie bedingungslos.
    Das Verständnis, das Kaspar für Birgit aufgebracht hat, und seine Liebe bringt sie selbst wunderbar zum Ausdruck:
    "Du liebst mich immer noch, ich weiß. Es ist der große Trost in meinem Leben: was immer ich in meinem Leben nicht bin, was immer ich dir nicht bin - ich bin genug, dass ich bis jetzt von dir geliebt werde." (129)

    Im Rückblick wird erzählt, wie die beiden sich im Mai 1964 im Osten Berlin kennengelernt haben und wie Birgit sich entscheidet, zu Kaspar in den Westen zu fliehen, was ihr auch gelingt. Sie haben sich ein gemeinsames Leben aufgebaut und doch gibt es ein Geheimnis, das Kaspar in Birgits Schreibzimmer entdeckt. Ein Dokument "Ein strenger Gott", das er nach langem Ringen liest und das Birgits Lebensgeschichte erzählt, davon wie die beiden sich kennengelernt haben, aber auch davon, dass sie eine Tochter zurückgelassen hat (das verrät auch schon der Klappentext!), die sie nie gewagt hat zu suchen.
    Um das wieder gutzumachen, was Birgit nicht gelungen ist, begibt sich Kaspar im 2.Teil des Romans auf die Suche nach jener Tochter und findet sie - gemeinsam mit Birgits Enkelin ist sie Teil einer völkischen Siedlungsbewegung, die fest an die Ideale des Nationalsozialismus glauben, den Holocaust leugnen und die deutsche Demokratie unterwandern möchten, dabei aber unauffällig agieren. Eine Welt, die Kaspar völlig fremd ist, und doch möchte er einen Kontakt mit Sigrun, der Enkelin aufbauen.
    In der Leserunde gab es viele Diskussionen darüber, wie Kaspar in dieser Situation agiert. Wie hätte man selbst reagiert? Sofort vehement widersprochen, versucht alle Lügen sofort und gleich argumentativ zu widerlegen? Kaspar wählt einen anderen Weg, einen behutsameren und indem wir gemeinsam mit Kaspar diesen Weg beschreiten, ermöglicht uns Schlink einerseits einen Blick auf diese völkische Welt, andererseits entlarvt er ihre falschen Werte und ihren Lügen, so dass der pädagogische Anspruch des Romans nicht verborgen bleibt. Das hat mich jedoch beim Lesen nicht gestört. Im Gegenteil, interessant ist eben die Frage: Wie gehe ich mit einem jungen Mädchen um, das bisher in einer Blase aus nationalsozialistischen Ideen und Bräuchen gelebt hat? Schlink vermeidet auch eine Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren, z.B. kann man Svenjas, Birgits Tochter, Motivation sich den Rechten anzuschließen, verstehen, wenn man es auch definitiv nicht gutheißen kann. Lediglich die Darstellung der 14-jährigen Sigrun gerät teilweise etwas zu naiv und kindlich für ein Mädchen dieses Alters, aber sie entwickelt sich und der 3.Teil des Romans ist auch gleichzeitig der stärkste.
    Ein Roman, der zum Diskutieren und Nachdenken einlädt, und den ich uneingeschränkt weiter empfehlen kann.

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  1. 4
    05. Dez 2021 

    Geerbte Familie

    Birgit ist tot. Nach langen Ehejahren merkt ihr Mann, dass der Charakter seiner Frau facettenreicher war als geahnt. Nicht nur hat sie ihre Gedanken niedergeschrieben, Gedanken, die durchaus einer Veröffentlichung wert gewesen wären, sie hatte auch eine Tochter, die sie vor Kaspar geheim gehalten hat. Kaspar und Birgit lernten sich in der DDR kennen, er aus dem Westen, sie aus dem Osten. Und sie wollte leben und frei sein, deshalb ist sie ohne das Kind in den Westen gegangen. Vor ihrem Tod hatte Birgit begonnen, nach ihrer Tochter zu suchen. Kaspar sieht es als Vermächtnis und beginnt ebenfalls mit der Suche.

    Wer ist die unbekannte Tochter? Die Familie ist auch nach der Wende im Osten geblieben. Kaspar findet nicht nur seine Stieftochter, auch eine Enkelin kann er kennenlernen. Er möchte sich auf seine neue Familie einlassen, sich aber nicht aufdrängen. Schnell muss Kaspar feststellen, dass die sich am politisch rechten Rand tummelnde neue Familie keinesfalls auf ihn gewartet hat. Soll er den Kontakt aufgeben oder soll er besonders seiner Enkelin von der Welt erzählen, die sie so augenscheinlich ablehnt. Und immer noch erscheint seine verstorbene Frau in einem anderen Licht.

    In seinem neuen Roman über die Entdeckung einer dem Stiefvater unbekannten Tochter und Enkelin, wendet sich der Autor einem Thema zu, dass wohl zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Wie soll man Menschen in seinem Umfeld begegnen, die sich in eine Parallelwelt zurückgezogen haben. Eine Frage, die sich nicht nur Kaspar stellt, eine Frage, die man sich auch selbst stellt. Es gibt Momente, da möchte man einfach die Tür zuschlagen. Es gibt aber auch Moment, in denen man es weiter versuchen möchte, Möglichkeiten aufzuzeigen. Welchen Umgang wird Kaspar schließlich wählen und hat er überhaupt eine Wahl? Um eine Wahl zu haben, muss sich ja auch die neue Verwandtschaft bewegen, was ihr nicht leicht fallen dürfte. Wird wenigstens die Enkelin ihren eigenen Weg finden? Dieser unaufgeregte Roman zeugt davon, dass sich der Autor eingehend mit dem Thema beschäftigt hat, dass er zwar keine leichten Lösungen anbieten kann, aber sehr zum Nachdenken anregt.

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  1. Drei Frauen, drei Generationen und Zeitgeschichte

    „Ich will keines dieser nicht gelebten Leben. Aber ich kann sie nicht von mir abtun. Meine nicht gelebten Leben sind mein wie mein gelebtes.“ (Zitat Seite 58)

    Inhalt
    Am 17. Mai 1964 lernen sie einander in Ostberlin kennen, Birgit aus dem Osten und Kaspar aus dem Westen, der für dieses Sommersemester nach Berlin gezogen ist. Sie verlieben sich, Kaspar ist bereit, nach Ostberlin zu ziehen, doch Birgit will in den Westen. Am 16. Januar 1965 landet sie in Tempelhof. Nun, nach fünfzig Jahren Ehe, ist Birgit tot und in ihren Entwürfen für einen Roman über ihr Leben entdeckt Kaspar eine völlig andere Frau, als er gekannt hat. Bei ihrer Flucht hat sie ihre kleine Tochter zurückgelassen, wollte sie suchen, hat es immer wieder hinausgeschoben. Kaspar begibt sich auf diese Reise in die Vergangenheit und findet die vierzehnjährige Sigrun, Birgits Enkelin. Können eine Vierzehnjährige, die in einem Dorf nach der Ideologie einer völkischen Gemeinschaft aufgewachsen ist und der ruhige, introvertierte Buchhändler eine gemeinsame Basis finden, einander kennenzulernen?

    Thema und Genre
    In diesem Generationenroman, Coming-of-Age-Roman, Beziehungsroman, geht es um drei Frauen aus drei Generationen, prägende Entscheidungen, die das Leben eines Menschen beeinflussen, zeitgeschichtliche und politische Themen wie Ostdeutschland-Westdeutschland, nationalistische, völkische Lebensformen in Deutschland heute. Auch die unterschiedlichen Ideen, beinahe verlassene ländliche Gebiete und Dörfer wieder mit Leben und Zukunftsperspektiven zu füllen, ist ein Thema.

    Charaktere
    Im Mittelpunkt dieses Romans stehen die Menschen. Birgit, die eine Entscheidung getroffen hat, ihr Leben mit immer präsenten Schuldgefühlen, ihr Schweigen darüber. Kaspar, der ruhige, intellektuelle Buchhändler, dessen ganzes Leben nach dem Tod seiner Frau Birgit durch ihre Aufzeichnungen plötzlich zu einem „Vielleicht“ wird. Auf der anderen Seite Birgits Tochter Svenja und deren Tochter Sigrun, die Kinder und Enkel der ehemaligen DDR-Bürger, ihre Träume, ihre Werte, manchmal ihr Scheitern.

    Handlung und Schreibstil
    Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Im ersten Teil wird die Beziehung zwischen Kaspar und Birgit kurz personal mit Kaspar als Mittelpunkt geschildert, daran anschließend wird Birgits Leben ausführlich erzählt, in Ich-Form, da es sich um ihre persönlichen Aufzeichnungen und Unterlagen zu ihrem geplanten Roman handelt. Der zweite Teil ist zugleich der Hauptteil. Kaspar begibt sich auf die Spurensuche, trifft unterschiedliche Personen aus Birgits früherem Leben und schließlich Sigrun, Birgits Enkelin, die auch für ihn zur Enkelin wird. Vorsichtig nähern sich die beiden so unterschiedlichen Personen und Generationen einander an. Der dritte, abschließende Teil spielt zwei Jahre später. Die Sprache erzählt leise und schildert eindrücklich.

    Fazit
    Ein facettenreicher Roman mit zeitlos aktuellen Themen. Die Konflikte und Suche nach Lösungen und Wendungen der einfühlsam geschilderten Figuren geben der Geschichte Intensität und Spannung und regen zum Nachdenken an.

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  1. Einfühlsame Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte

    Als Birgit stirbt, hinterlässt sie ihrem Mann Kaspar nicht nur den Schmerz, sondern auch ausführliche Aufzeichnungen, in denen er erkennt, dass seine Frau einst eine Tochter gebar, die sie nie kennengelernt hat. Auf der Suche nach dem Geheimnis seiner Frau, aber auch nach sich selbst, findet Kaspar schließlich Svenja, die sich der völkischen Bewegung angeschlossen hat. Doch während sich die Beziehung zu seiner Stieftochter und deren Mann schwierig gestaltet, findet er unvermittelt Zugang zu Sigrun - seiner Enkelin...

    "Die Enkelin" von Bernhard Schlink ist ein dreiteiliger Roman, dessen erster Teil sich vornehmlich um die Beziehung zwischen Kaspar und seiner Frau dreht, während ab Teil zwei daraus eine Art Entwicklungsroman mit dem Fokus auf das Verhältnis zwischen Kaspar und Sigrun wird.

    Schlink agiert dabei äußerst einfühlsam und möchte die deutsch-deutsche Geschichte in verschiedenen Aspekten aufarbeiten. Die Unterschiede zwischen der BRD und der DDR inklusive der Flucht Birgits aus dem Osten, später dann der Blick auf Wendeverlierer und -gewinner und das Abdriften in die deutsch-nationale Szene. Es ist ein wohlgemeinter Blick Schlinks, dessen Ansinnen ich für ehrenwert und absolut nachvollziehbar halte. Dennoch trifft er dabei nicht immer den richtigen Ton.

    Im ersten Teil des Romans störten mich die kurzen, schmucklosen Sätze, die inklusive zahlreicher "Danns" und "Abers" einen negativen Eindruck hinterließen. Zudem konnte ich die aus Kaspars Perspektive geschilderte Faszination beim ersten Kennenlernen mit Birgit überhaupt nicht nachvollziehen. Überraschend und gelungen hingegen ist der plötzliche Perspektivwechsel hin zu Birgit, der auch zu einem formalen Bruch des Romans führt. Liest man zunächst zehn kurze Kapitel auf 50 Seiten, folgt mit den Aufzeichnungen Birgits mal eben ein einziges Kapitel, bestehend aus 80 Seiten. Anstrengend, aber überraschend und mutig. Zudem wird die Geschichte Kaspars und Birgits deutlicher, macht aber einen größeren Teil der ersten 50 Seiten durchaus redundant.

    Ab dem zweiten Teil des Romans sorgte Schlink mit den detaillierten und kuriosen Einblicken in das Leben völkischer Siedler und der warmherzig geschilderten, sich langsam anbahnenden Freundschaft zwischen Kaspar und seiner (Stief-)Enkelin Sigrun bei mir für grundsätzlich mehr Interesse. Doch auch hier konnte mich der Roman nur teilweise überzeugen. Zu holzschnittartig geraten ihm die Figuren, zu unglaubwürdig ist deren Verhalten, zu zufällig die erfolgreiche Suche nach Birgits Tochter Svenja. Die zahlreichen Dialoge wirken recht künstlich, Sigrun verhält sich manchmal wie ein Kleinkind, manchmal wie eine frustrierte Erwachsene - aber eigentlich nie wie die 14-jährige Jugendliche, die sie ist. Wenn Kaspar bei der Suche nach der richtigen Literatur für Sigrun über Begriffe wie "Kondome" oder das Auftauchen von Haschisch stolpert und stattdessen nach "lieben Hunden" im Wald oder "Spielgefährten" für Sigrun sucht, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Hier wird deutlich, dass Schlink verständlicherweise von der Lebenswelt einer 14-Jährigen weit entfernt ist - ob völkisch oder nicht.

    Kaspar selbst ist hingegen eine Figur, die für mich nicht greifbar war, deren Ambivalenz Schlink aber ganz offensichtlich auch beabsichtigte. Wenn Birgits ehemaliger Geliebter Kaspars verstorbene Ehefrau unwidersprochen als "Flittchen" bezeichnet, oder wenn Kaspar singend und johlend an den Feierlichkeiten der Völkischen teilnimmt, konnte ich nur den Kopf schütteln - und es dennoch nicht verhindern, dass dieser gut 70-Jährige Mann mir in anderen Situationen sehr sympathisch war.

    Als passend, überraschend und berührend habe ich das Finale empfunden. Ohne inhaltlich näher darauf eingehen zu wollen, gelingt es Schlink jedenfalls, ein drohendes kitschiges Ende zu umgehen und stattdessen mit einem offenen, aber hoffnungsvollen Satz für eine Gänsehaut bei mir zu sorgen.

    Insgesamt ist "Die Enkelin" ein Roman, der mich trotz der vorhandenen Schwächen immer wieder auch mitnehmen und mich in nicht wenigen Szenen wegen seiner Warmherzigkeit auch berühren konnte.

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  1. deutsch-deutsche Geschichte Ost-West

    Autor
    Bernhard Schlink
    Bernhard Schlink wurde 1944 geboren, er wuchs in Heidelberg auf. Neben seiner Karriere als Jurist, feierte er als Schriftsteller Welterfolg. Sein Buch „Der Vorleser“ (1995) wurde fürs Kino verfilmt.

    Inhalt
    Als der Buchhändler Kaspar abends nach Hause kommt, wird er mit dem Selbstmord seiner depressiven und alkoholkranken Frau Birgit konfrontiert.

    „Birgit im Badezimmer. Sie lag in der Wanne, den Kopf unter der Wasseroberfläche, das dunkle Haar auf dem Wannenrand, Er hob den Kopf an, das Wasser war kalt, sie musste schon seit Stunden in der Wanne liegen. (S. 10)

    Wochen später öffnet er ihren Schreibtisch, um ihre Unterlagen zu sichten. Dabei findet er ein Manuskript ihrer Lebensgeschichte und muss erkennen, dass ihm über seine Frau vieles verborgen geblieben war. Was er erfährt, bringt seine bisherige Welt ins Wanken.
    Als er Birgit kennen und lieben lernte, war sie bereits schwanger von Leo Weise, einem verheirateten Parteigenossen. Kurz bevor sie floh, gebar sie ein Mädchen, das sie Svenja nannte. Er wusste es nicht.
    Am 16. Januar 1965 war Birgit in Tempelhof gelandet und bei ihm angekommen. Ihr gemeinsames Leben begann.

    „Oder hatte es schon am 17. Mai 1964 begonnen?" (S. 27)

    Er begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit seiner Frau. Er reist zurück nach Ostdeutschland, um die Spuren von Birgit zu verfolgen. Er trifft auf Svenjas 15-jährige Tochter Sigrun, die er sofort als seine Enkelin ansieht.

    Stil und Sprache
    Bernhard Schlink ist es gelungen, die einzelnen Charaktere mit all ihren Stärken und Schwächen zu beschreiben. Eine Flut von Emotionen, die zwischen Ärger und Mitgefühl und oftmals wütend uns sprachlos machen.

    "Er war's zufrieden." (S. 80)

    Kaspars innere Zerrissenheit beim Umgang mit der rechten Szene und Svenjas Familie wirkt authentisch.
    Auch Sigruns Konflikte mit sich selbst und der Ideologie, in der sie aufgewachsen ist nachvollziehbar.
    Schlink zeigt die beiden Protagonisten Birgit und Kaspar in getrennten Teilen aus zwei Perspektiven auf: einer ostdeutschen Frau und ein auktorialer Erzähler berichtet von Kaspers Geschichte.

    Fazit
    Bernhard Schlink verarbeitet in seinem Roman „Die Enkelin“ die deutsch-deutsche Geschichte Ost-West. Er zeichnet mit Feingefühl und Präzession die persönlichen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Teilung und Wiedervereinigung auf. Dabei lässt er auch die Thematik rechtsextreme völkische Tendenzen auf dem Land nicht aus.
    Bernhard Schlink hat seit 1990 Verfassungsrecht unterrichtet und außerdem den Runden Tisch für eine neue Verfassung der DDR beraten.

    In einem Interview sagt Schlink:

    Auch eigenes Erleben ist in den Roman eingeflossen

    Steven Geyer:
    Sie beschreiben die Sechzigerjahre in Ost-Berlin sehr plastisch aus der Perspektive eines West-Berliner Studenten und aus Sicht einer ostdeutschen Studentin. Auch Sie haben in West-Berlin studiert.

    Bernhard Schlink:
    In diesem Fall ist tatsächlich sehr viel eigenes Erleben eingeflossen. Das fängt damit an, dass die Hauptfigur Kaspar, wie ich selbst, das Kind einer protestantischen Theologenfamilie ist. Für mich war der Osten Deutschlands immer schon das Deutschland Luthers und Bachs und Zinzendorfs und damit ebenso mein Deutschland wie das katholische Rheinland. Wie Kaspar bin auch ich nach Berlin gegangen, um das ganze Deutschland kennenzulernen.
    Quelle: Steven Geyer, in https://www.rnd.de/kultur/schlink-so-entstand-fremdheit-zwischen-west-und-ostdeutschen-GASE5RRTMFF7LH6AX7YUN5DII4.html, 23.10.2021.

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  1. 5
    11. Nov 2021 

    Annäherungen...

    Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land – und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Großvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie. (Klappentext)

    Kaspar ist zufrieden mit seinem Leben, er hat sich arrangiert. Auch wenn er die Buchhandlung mittlerweile alleine führt, weil seine Frau Birgit sich dem Schreiben zugewandt hat, und auch wenn Birgit deutlich zu viel Alkohol trinkt, liebt er sie immer noch. Der Blick auf seine schlafende Frau bevor er zu Bett geht, versöhnt ihn mit so manchen Unbilden des Alltags. Doch eines Abends findet Kaspar seine Frau tot auf – ein Schock, gefolgt von tiefer Trauer.

    Als Kaspar in der Lage ist, sich den Hinterlassenschaften seiner Frau zu widmen, macht er eine Entdeckung, die ihm erneut den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht. Birgit, die der Liebe wegen aus der DDR zu ihm nach Westberlin geflohen war, hatte zeitlebens ein Geheimnis vor ihm. Sie hat vor ihrer Flucht in aller Verschwiegenheit ein Kind geboren und dieses schließlich weggegeben, nicht wissend, was das Kind erwarten würde. Ein Romanentwurf Birgits entpuppt, dass sie sich mit dem Gedanken getragen hat, nach dem Kind, ihrer Tochter, zu forschen, doch dazu kam es letztlich nicht mehr.

    Kaspar beschließt schließlich, Birgits Plan in die Tat umzusetzen, und beginnt mit der Suche, die ihn schließlich in ein ländliches Gebiet in Ostdeutschland führt – in ein völkisches Dorf. Svenja lebt dort mit ihrem Mann und ihrer 14jährigen Tochter Sigrun, die das nationalistische Gedankengut schon mit der Muttermilch aufgesogen hat. Doch obwohl ihre Welten nicht fremder sein könnten – auf der einen Seite der gutsituierte, weltoffene und liberale Kaspar, auf der anderen Seite das Kind rechtsgerichteter Eltern, das die polemischen Thesen der Dorfbewohner nie gelernt hat in Frage zu stellen – beschließt Kaspar, Sigrun ein Großvater zu sein, wenn diese es möchte...

    „Er las, was er über Rechte, alte und neue Nazis, NPD und AfD, Autonome Nationalisten, Identitäre, Artamanen, Völkische, ihre Siedlungen und national befreite Zonen, ihre Frauen- und Jugendorganisationen fand. Es war eine deprimierende Lektüre, er hatte nicht geahnt, wie weit sie verbreitet waren, wie beweglich sie sich den Zeitströmungen anpassten…“

    Die Rückblicke in die DDR-Vergangenheit Birgits und die Einblicke in das nationalistische Gedankengut des völkischen Dorfes bieten die Reibungspunkte des Romans. Die verschiedenen Ideologien in ihrer jeweiligen Ausprägung, die Auswirkungen der radikalen Einhaltung der gesellschaftlichen Regeln auf den Einzelnen, die drohenden Repressalien bei dem Versuch, sich davon womöglich zu distanzieren – Bernhard Schlink schildert dies auf seine leise aber eindrückliche Art sehr nachvollziehbar.

    Dabei belässt der Autor die Charaktere auf Distanz, auch wenn durchaus Emotionen durchschimmern. Dadurch fällt es beim Lesen leichter, sich mit der eigentlichen Thematik auseinanderzusetzen und damit, wie kompliziert der Versuch sich gestaltet, sich einander annähern zu wollen und dabei ideologisch gleichzeitig abzustoßen. Man könnte Kaspar vorwerfen, sich zu behutsam und oft nur wenig eindeutig der Gedankenwelt Sigruns entgegenzustellen. Doch passt das Verhalten wiederum zu dem leisen Charakter Kaspars und zu dem, was er verkörpert - und die Schwierigkeit, Sigrun nicht gleich wieder zu verprellen und damit jegliche Chance auf eine Annäherung zu vereiteln, sollte dabei auch nicht außer Acht gelassen werden, zumal Vorwurfshaltungen erfahrungsgemäß wenig dazu beitragen, Ansichten und Meinungen zu verändern. Das könnte allenfalls ein langsamer Prozess bewirken, wenn denn überhaupt...

    „Er hatte sie in sein Herz geschlossen – nur unter dem Vorbehalt, dass sie ihrer Welt abschwören und in seine finden würde? Nein, so wollte er nicht lieben…“

    Der behutsame, gesetzte, ruhige Schreibstil passt zur leisen Gedankenwelt Kaspars und hat mich schon auf den ersten Seiten in seinen Bann gezogen. Ein leiser Roman mit Sog, voller wichtiger Themen, sorgfältig komponiert und glaubhaft im Ablauf. Von mir gibt es hier eine klare Leseempfehlung!

    © Parden

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  1. Die Enkelin

    Klappentext:

    „Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land – und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Großvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie.“

    Ich muss gestehen, dass ich nach „Olga“ von Bernhard Schlink etwas müde war, etwas von diesem Autor zu lesen. „Die Enkelin“ aber wiederum lies mich erwachen, denn diese Geschichte hat es so dick und stramm hinter den Worten, dass man gar nicht anders kann, als begeistert zu sein. Die Analyse einerseits der Charaktere aber eben auch der damaligen politischen Lage/Zeit ist Schlink bravourös gelungen. Er spricht aus tiefer Seele zu seinen Lesern, er bleibt offen und direkt, verdreht nichts, fügt nichts sinnloses als Lückenfüller hinzu. Er bleibt immer auf dem Punkt. Die emotionale Geschichte rund um Birgit sitzt beim Leser tief, egal ob wir ihr Handeln nachvollziehen können oder nicht - sie ist eine verfluchte Seele, dank des Alkohols…Teufelszeug. Das Treffen mit ihrer Tochter und Kaspar hat etwas kaltes, etwas unnahbares aber dennoch spannendes mit sich. Hier hatte ich mal wieder so einige Parts zwei Mal gelesen. Das liegt nicht daran weil ich sie nicht verstanden habe, sondern weil mal wieder hier das lesen zwischen den Zeilen Sinn macht. Hier gilt: der aufmerksame Leser wird belohnt. Als dann das Buch auch seinem Titel gerecht wird und die Enkelin ins Spiel kommt, genau wie das Thema Nationalsozialismus, Rassismus…erleben wir Leser eine besondere Wendung . Schlink benutzt nicht immer vieler Worte und lässt einige Parts der Figuren eher an der Oberfläche - ich finde das äußerst gelungen, denn dadurch kann sich jeder selbst durch die eigene Fantasie jagen.

    Nach beenden des Buches tauchen so viele Fragen auf und man fragt sich, warum Kaspar sich so ruhig verhalten hat gegenüber seiner Enkelin….War es das erstaunen darüber? War es Sprachlosigkeit über dieses Bild? War es die Erkenntnis, dass das Thema Nationalsozialismus noch lange nicht ruht?

    Ein äußerst gelungener Roman mit besonderer Tiefe - 5 von 5 Sterne!

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