Die Einsamkeit der Seevögel

Rezensionen zu "Die Einsamkeit der Seevögel"

  1. 3
    26. Okt 2019 

    Kühl und nüchtern...

    Eine Wissenschaftlerin reist mitten im Winter nach Finnmark, um dort das Schwinden der Zugvögelpopulation und die Klimaveränderungen zu untersuchen. Fern jeder Zivilisation findet sie Freiheit und Luft zum Atmen, nach der sie sich in ihrer gescheiterten Ehe so gesehnt hatte. Ganz allein, umgeben von endlosem Schnee und tosendem Meer, wartet sie auf die Ankunft der Vögel. Und auf ihren Geliebten, der mit ihr die Einsamkeit teilen will. Doch warum verschiebt er seine Ankunft? Woher kommen die seltsamen Geräusche in ihrer Hütte? Und war es der Wind, der ihr über den Körper strich, oder ist sie doch nicht allein?

    Dieser Klappentext klang für mich ausgesprochen reizvoll - nach eindrucksvollen Naturschilderungen ebenso wie nach einer letztlich doch spannenden bis gruseligen Entwicklung. Deshalb freute ich mich sehr, als ich die Möglichkeit erhielt, die Hörversion des Kurzromans (ungekürzt: 4 Stunden und 46 Minuten) zu hören.

    Das vermeintlich kurzweilige Hörvergnügen entpuppte sich dann für mich jedoch als harte Arbeit. Trotz ausgewiesener Hörbucherfahrung glitt meine Konzentration hier jedesmal nach wenigen Minuten ab, so dass ich manche Passgen etliche Male von Neuem hören musste. Die Handlungsarmut der Erzählung verbunden mit dem zur einsamen Landschaft und der kargen Handlung stimmigen aber dadurch monotonen Vortrag durch Jutta Seifert konnten mich leider über weite Strecken überhaupt nicht fesseln.

    Erzählt wird aus der Ich-Perspektive der bis zum Schluss namenlosen Wissenschaftlerin, die ihr Forschungsauftrag abseits jeder Zivilisation verschlagen hat. Anfangs geht die Autorin dabei durchaus auf die Arbeit der Wissenschaftlerin ein, was für mich nicht immer leicht nachzuvollziehen war, später jedoch gleitet sie immer mehr in die private Gedankenwelt der in die Einsamkeit verschlagenen jungen Frau ab.

    Ein Exmann (S.), ihre Tochter (Lina), ein Freund (Jo) und dessen Tochter (Maria) sowie der Kapitän, der die Wissenschaftlerin alle paar Wochen mit dem Nötigsten versorgt - darum kreisen im Wesentlichen die Gedanken der jungen Frau. Dazu beschäftigt sie das Schicksal einer Familie, die im 18. Jahrhundert in eben dieser Hütte gelebt hat, in der nun die Wissenschaftlerin ihren Unterschlupf gefunden hat.

    Vergangenheit und Gegenwart verweben sich hier ebenso wie Realität und Einbildung - oder gar Wahn? Kühl und nüchtern, ganz im Stil der Wissenschaftlerin, berichtet die Ich-Erzählerin von den Geschehnissen der einsamen Tage in der von Schnee bedeckten Finnmark, den immer gleichen Abläufen, den wenigen Kontakten zur Außenwelt, ihren Beobachtungen, seltsamen Geschehnissen, ihren Erinnerungen und den Einblicken in ihre Seelenwelt.

    Manche Passagen schafften beim Hören ein leichtes Gefühl von Unbehagen, ansonsten wirkte die Erzählung auf mich eher emotionslos. Unangenehm stießen mir hier die wiederholten expliziten sexuellen Schilderungen auf. Nicht dass mir nicht klar wäre, dass sich auch in der größten Einsamkeit gewisse Bedürfnisse nicht unterdrücken lassen, aber zu der ansonsten leisen Erzähung wären mir hier bloße Andeutungen viel passender erschienen.

    Ein langer Aufenthalt in der Einsamkeit - er kann eine reinigende Wirkung haben. Oder aber eine fatale. In diesem Fall verliert die Ich-Erzählerin sich offensichtlich zunehmend selbst, so dass bald nicht mehr klar ist: was ist Realität und was ist Wahn? Welche Aspekte aus ihrer eigenen Biografie projeziert die Wissenschaftlerin auf die vermeintlichen Geschehnisse in der Finnmark in der Vergangenheit? Was kann der Leser noch glauben?

    Das Ende dann: absolut passend. Nämlich offen wie ein Scheunentor. Nichts genaues weiß man nicht, man kann alles erwarten oder auch nichts - und wird es niemals erfahren. Das Ende gestaltet sich im Kopf des Hörers - oder nirgendwo. Unbefriedigend? Klar. Aber in Bezug auf die gesamte Erzählung doch einfach nur stimmig.

    Alles in allem eine Herausforderung, die ich erst nach überraschend langer Zeit gemeistert habe, die mich kaum berühren konnte und deren Ende mich ratlos aber letztlich auch achselzuckend zurückließ. Schade.

    © Parden

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