Die dritte Quelle: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die dritte Quelle: Roman' von Werner Köhler
3.9
3.9 von 5 (8 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die dritte Quelle: Roman"

Harald Steen ist vierundsechzig Jahre alt, als er sein altes Leben hinter sich lässt. In Rotterdam besteigt der knorrige Einzelgänger ein Containerschiff und nimmt Kurs auf die legendäre Galapagosinsel Floreana, um endlich seiner rätselhaften Familiengeschichte auf die Spur zu kommen. Der Start auf der Insel gestaltet sich schwierig. Aufmerksam verfolgen die Bewohner jeden Schritt des »dürren Deutschen«, der sich allzu sehr für die dunkle Inselhistorie interessiert und damit für Unruhe sorgt. Doch nicht nur im Dorf stößt Steen auf Widerstände. Auch auf seinen Expeditionen in die faszinierende wie tückische Wildnis Floreanas gerät er an seine Grenzen. Bald aber scheinen sich die Strapazen zu lohnen. Denn mit jedem weiteren Tag auf der Insel nähert sich Steen nicht nur der tragischen Geschichte seiner Familie, die Anfang der Dreißigerjahre in die mysteriöse Galapagos-Affäre verstrickt war. Allmählich entwickelt er auch ein Gespür für das Wesen dieses unwirklichen Ortes. Und dann ist da noch Mayra und die plötzliche Ahnung von Glück … In »Die dritte Quelle« erzählt Werner Köhler von einem Mann, der zum Ende seines Lebens noch einmal alles aufs Spiel setzt und sich fernab der Heimat auf die Suche nach sich selbst begibt. Ein raffinierter Roman über den Mythos der eigenen Erinnerung und zugleich eine moderne Abenteuergeschichte, inszeniert vor magischer Kulisse.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:432
EAN:9783462001143

Rezensionen zu "Die dritte Quelle: Roman"

  1. Aussteigerdrama mit kafkaesken Tendenzen

    „Warum verlangten Menschen überhaupt immerzu Antworten, warum ließ man die Dinge nicht einfach geschehen?“ (S. 358)

    Viele träumen davon, manche machen einfach: auswandern. Etliche brauchen Kameras dabei, um die Voyeurismus-Gier der Gesellschaft zu befriedigen. Okay, anderes Thema – belassen wir es dabei.

    Werner Köhler hat mit „Die dritte Quelle“ (erschienen 2022 im Verlag Kiepenheuer & Witsch) einen Aussteigerroman vorgelegt, der aber weit mehr ist, als er sein will. Sein Protagonist Harald Steen ist Mitte 60, lässt sein Bankerleben hinter sich, mietet sich auf einem Containerschiff ein und reist nach Floreana – eine kleine Insel, die zum Galapagos-Archipel gehört. Dort ereignete sich in den 1930er Jahren die sog. „Galapagos-Affäre“, bei der unter mysteriösen und bis heute nicht eindeutig geklärten Umständen einige Menschen spurlos verschwanden.
    Soweit zum historischen Aufhänger des Romans. Mir sagte die genannte Affäre bis dato nichts – wie gut, dass das Allgemeinwissen durch Bücher wie dieses aufgefrischt wird ha ha ha.

    Von Anfang an hat Herr Köhler mich mit seiner bildhaften und atmosphärischen Sprache begeistert. Bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in Guayaquil (vor der Weiterfahrt nach Floreana) spaziert Harald Steen durch die Stadt und man ist als Leser mittendrin statt nur dabei – man spürt die Hitze, sieht den Staub, die Müllberge, sieht die Ratten huschen…

    Auf Floreana angekommen arbeitet Harald Steen kontinuierlich an der Umsetzung seiner Pläne…
    Ab hier beginnt die Geschichte mystisch-nebulöse Tendenzen mit kafkaesken Zutaten zu entwickeln, die die geneigte Leserschaft (teilweise) herausfordern, aber der grundsätzlichen Qualität dieses Romans keinen Abbruch tun. Soll heißen: die Grenzen zwischen Realität, Wahnsinn und Wunschdenken verschwimmen immer mehr, so dass man als Leser unweigerlich anfängt, den (personalen) Erzähler als unzuverlässig wahrzunehmen.

    Letztlich bleibt die (wahre) Intention des Protagonisten genauso mysteriös wie es die Galapagos-Affäre war, ist und wohl auch für immer bleibt.

    Wer eine Mischung aus (moderner) Robinsonade, Aussteigerdrama und kafkaeskem Surrealismus mit butterweichen Grenzen zwischen Realität und Traum sucht, sollte hier unbedingt ein (lesendes) Auge riskieren!

    4* und eine Leseempfehlung!

    ©kingofmusic

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  1. 4
    08. Mär 2022 

    Ein Abenteuerroman zwischen Realität und Wahnsinn

    Mit 64 Jahren geht der Bankangestellte Harald Steen in den Vorruhestand. Den Eigenbrötler hält nichts mehr in Deutschland. Seine Eltern sind verstorben, eine Partnerin gibt es nicht, Verwandtschaft existiert nicht.
    Seit Jahren faszinieren ihn die Auswanderergeschichten derer, die auf die Galapagos Inseln ausgewandert sind. Insbesondere die Geschichten der Familie Wittmer sowie dem Paar Friedrich Adolf Ritter und Dore Strauch, die Ende der 1920er Jahre auf die Insel Floreana gesiedelt sind, haben es ihm angetan.
    Dieser Personenkreis war seinerzeit maßgeblich an der sogenannten Galapagos-Affäre beteiligt. Diese berühmt berüchtigte Geschichte über den bis heute ungeklärten Tod dreier Menschen und dem spurlosen Verschwinden dreier Weiterer, sorgte damals weltweit für Aufsehen.

    Fast 65 Jahre später lässt sich also Harald Steen auf ein Containerschiff einschiffen – stilecht in Anlehnung an die damaligen Auswanderer - und reist nach Floreana, wo er sich auf Spurensuche begibt. Die Familie Wittmer betreibt in 2. Generation ein Touristenhotel für Reisende, die an diesem abgelegenen Ort der Welt ihren Urlaub verbringen wollen. Zunächst quartiert sich Steen bei den Wittmers ein. Doch schnell wird klar, dass er andere Ziele verfolgt, als hier nur seine Ferien zu verbringen. Scheinbar beabsichtigt der Frührentner den damaligen Auswanderern nachzueifern und auf Floreana ein neues und völlig anderes Leben zu leben, als er es bisher geführt hat.

    Zunächst hört sich „Die dritte Quelle“ nach einem Auswandereroman an, in dem der Protagonist bei dem Start in ein neues Leben begleitet wird, verbunden mit den zu erwartenden Schwierigkeiten, in einer fremden Kultur zurechtzukommen. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit, und das liegt an dem Protagonisten Harald Steen.
    Anfangs ist er für den Leser ein netter älterer Herr, der sich auf eine aufregende Reise begibt. Endlich hat Steen die nötige Zeit im Leben, sich mit seinem persönlichen Abenteuer zu befassen. Nach und nach stellt sich jedoch heraus, dass der Protagonist psychische Probleme hat. Scheinbar war er schon immer ein Eigenbrötler war, der von seinem Umfeld als komischer Kauz angesehen wurde. Doch mit jedem Tag, den Steen auf Floreana verbringt, verliert er sich immer mehr in seinen psychischen Problemen. Er ist besessen von der Idee, ein Leben wie die deutschen Pioniere in ihren Anfängen auf der Insel zu führen und sucht die Einsamkeit. Neben seiner Obsession hat Steen Wahnvorstellungen. Er sieht Menschen und gerät in Situationen, die nur in seiner Fantasie stattfinden.
    So entwickelt sich sein persönliches Abenteuer scheinbar zu seiner persönlichen Tragödie.

    Zu Beginn des Romans fallen seine merkwürdigen Verhaltensweisen nicht ins Gewicht, man wundert sich eher über seine Eigenarten. Doch je mehr sich der Protagonist in seine Irrungen und Wirrungen hineinsteigert, umso merkwürdiger wird dieser Roman. Zum Ende ist für mich nicht mehr zu erkennen, was der Realität entspricht und was in Steens Fantasie stattfindet. Da der Roman aus Steens Perspektive erzählt wird, könnte man dieses Durcheinander zum Ende des Romans als stimmig bezeichnen. Doch mir war das Verschwimmen und Hinterfragen von Wahrheiten bzw. Fantasien zu viel des Guten.

    Mein Fazit:
    Ich wollte einen Auswandererroman lesen, meinetwegen einen Selbstfindungsroman. Stattdessen habe ich einen Roman über den seelischen Absturz seines geistig kranken Protagonisten gelesen.
    Positiv bleibt dennoch die Grundidee dieses Romans: Man nimmt ein reales Ereignis, bringt dies in Beziehung zu einem fiktiven Charakter und entwickelt daraus eine faszinierende Geschichte an einem faszinierenden Schauplatz.
    Insbesondere am Anfang des Romans schafft Autor Werner Köhler ein stimmungsvolles Bild dieses einzigartigen Schauplatzes.
    In großen Teilen hat mir der Roman daher gefallen, wenn sich die Handlung auch zum Ende irgendwo zwischen Realität und Wahnvorstellungen eines seelisch kranken Menschen verliert.

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    02. Mär 2022 

    Paradies mit dunklen Schatten

    Floreana ist eine Insel, die sozusagen am Ende der Welt in den 1930er Jahren für einige Zeit Anziehungspunkt für Aussteiger und Brennpunkt einer weltweit beobachteten Klatsch- und Kriminalgeschichte war. Eine Gruppe von Aussteigern, die hier nebeneinander lebten, gerieten so miteinander in Konflikt um Ressourcen und Lebensweisen, dass es zu Toten und Vermissten kam, wobei nie aufgeklärt werden konnte, was wirklich damals geschah. Der deutsche Schriftsteller Werner Köhler hat sich diese jahrzehntealte Geschichte zum Anlass genommen, einem Roman zu schreiben, in dem er die Geschichte versucht, weiterzuerzählen, ohne auch dabei irgendwie Licht in das Dunkel der ursprünglichen Geschichte zu bringen. Im Gegenteil: er ergänzt eher noch weitere Fragen zur Geschichte, als dass er Antworten liefert. Ist das frustrierend? Nein, ganz und gar nicht!
    Harald Steen ist in Deutschland aufgewachsen als Adoptivsohn eines inzwischen verstorbenen Hamburger Paares. Diese hatten Harald aus dem Waisenhaus geholt, wo er nach dem Tod seiner Mutter – die erste der Aussteiger auf Floreana – seine ersten Lebensjahre verbracht hat. Während seines Lebens wächst Steens Interesse an seinem Ursprung und der Geschichte rund um seine Mutter und so beschließt er, ihrem Leben nachzuspüren, nachdem er sich aus seinem Bankenjob lösen kann. Er nimmt den beschwerlichen Weg nach Ecuador und auf die Galapagos-Inseln, wie ihn auch seine Mutter damals beschreiten musste und versucht auch auf Floreana, möglichst nah an deren Erfahrungen seine Zeit zu verbringen. Dabei zeigt er ein durchaus obsessives, besessenes Verhalten, das den Leser immer wieder an Steens mentaler Gesundheit zweifeln lässt und die Grenze von Realität und Fantasie immer wieder verschwimmen lässt. Steen trifft auf die Bewohner der Insel, ohne aber wirklich Neues zum Leben der Mutter und zum Geschehen rund um die sogenannte „Galapagos-Affäre“ der 1930er Jahre zu erfahren. Er bleibt weitestgehend ein Fremdkörper in dieser Gemeinschaft von Individualisten, entzieht sich der Gemeinschaft wann immer möglich, indem er in der Wildnis weit oberhalb des Dorfes in Höhlen lebt und sich an körperliche Grenzen bringt, wenn er Land urbar macht. Aber da ist auch Mayra, die Assistentin des lokalen Doktors, die es ihm angetan hat, und die auch in ihm etwas sieht, was sie anzieht. Und so kommen die beiden überraschenderweise als Paar zusammen. Steen begibt sich, entgegen seinen üblichen Gepflogenheiten in eine soziale, enge Beziehung und plant seine Zukunft mit seiner neuen Familie, zu der nun Mayra und deren Tochter gehören. Bei der Hochzeitsreise – einer Kanutour um die Insel Floreana herum – wird er weiteren menschlichen Lebens auf der Insel gewahr. Nachfahren der ersten Aussteiger, also auch seiner Mutter und damit Verwandte??? Nicht nur diese Frage bleibt unbeantwortet, sondern auch die generelle Frage, ob diese Entdeckung nicht ausschließlich seinen Visionen und mentalen Problemen entsprang.
    Mit „Die dritte Quelle“ hat Werner Köhler einen interessanten, spannenden Roman in guter Erzählmanier geschaffen, der auf einem außergewöhnlichen historisch belegten Ereignis aufbaut und diesem bemerkenswerte Aspekte hinzufügt. Ich vergebe dafür dicke 4 Sterne!

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  1. Abenteuer und Geheimnis

    Inhalt
    Vor dem Hintergrund der Galapagos-Affäre, die sich zwischen März und November 1934 ereignete, lässt Werner Köhler seinen Roman auf der kleinen Insel Floreana der Galapagos-Inselgruppe. spielen.
    Am 31. August 1999 geht der hoch aufgeschossene Deutsche, Harald Steen aus Hamburg, im ecuadorianischen Guayaquil an Bord der „Virgen de Montserrate“. Sein Ziel ist Isla Santa Maria, „wie die Einheimischen Floreana nannten.“ (S. 43)
    Was damals auf der Insel geschah, ist bis heute nicht gänzlich aufgeklärt. Doch noch immer lockt das Leben auf der Inselgruppe mit seiner wilden, einzigartigen Pflanzen- und faszinierenden Tierwelt Besucher und auch Aussteiger an.
    Harald Steen ist Frührentner und auf der Suche nach seiner Vergangenheit. Er sucht nach Spuren seiner rätselhaften Familiengeschichte, die mit der Galapagosinsel in Verbindung steht.
    Doch seine Suche auf der Insel wird zunehmend komplizierter, als er es sich vorgestellt hat. Einerseits verfällt er dem Charme der Insel, anderseits hat er mit dem Mißtrauen der Inselbewohner zu kämpfen. Es scheint, als verirre er sich in ein Labyrinth mystischer Umgebung, in der es für ihn kein Entrinnen gibt.

    Stil und Sprache
    Der Beginn des Romans ist vielversprechend. Der Leser befindet sich nicht auf einem Kreuzfahrtschiff mit jeglichen Luxus, sondern auf einem Containerschiff.

    „Die Tage auf der MS Paita, einem Containerschiff unter panamaischer Flagge, taumelten in erschöpfender Monotonie der Dämmerung entgegen.“ (S. 7)

    Hautnah bekommen die Passagiere das eintönige Leben auf dem Schiff mit. „Nur die Sonnenauf- und Untergänge“ bringen Abwechslung. Schon bei dieser Beschreibung kommen Abenteuergefühle auf. Einige Seiten weiter hören wir Mahlers Fünfte.

    „Mahlers Fünfte geriet zu einem berauschenden Erlebnis. Die Musik entführte Steen in eine andere Welt, absorbierte ihn vollkommen.“ (S. 31)

    Was für ein Auftakt!

    Musik im Urwald ist keine neue Erfindung in der Literaturwelt. Erinnerungen an den Film „Fitzcarraldo“ (1982) von Werner Herzog werden damit in Verbindung gebracht. Im weiteren Verlauf des Romans erscheint der Protagonist auch äusserlich wie aus dem Film entsprungen. Steen trägt einen weißen Anzug in den Tropen. Sein Verhalten erweist sich als „Eigenbrötler, Einzelgänger“, auch wenn er nicht mitten in der Wildnis ein eigenes Opernhaus errichten will.

    „[…] Ein Wahnsinniger, der ein Opernhaus im Dschungel bauen wollte und mal eben ein Schiff über die Hügel im Regenwald schleppen läßt.“ (S. 271)

    Steen hatte schon als Kind gewusst, dass er einmal auf die Suche nach seiner Vergangenheit gehen wird. „Sein Interesse an der eigenen Vergangenheit wurde zur Obsession.“ (vgl. S. 229)

    Das Leben auf der Insel wird für Steen nicht einfach. Er stellt viele Fragen, die nicht immer gerne von den Inselbewohnern beantwortet werden, weil sie die Vergangenheit aufwühlen.
    Er dringt in die Wildnis der Insel ein und gerät immer mehr an seine Grenzen. Begleitet wird er von einem ihm zugelaufenen Hund, den er „Herr Hund“ nennt.
    Köhler bedient sich eines weiteren Stilmittels, welches an Robinson Crusoe erinnert. Er hatte Freitag zum Reden, auch wenn dieser ihn zunächst nicht verstand, nun ist es "Herr Hund".

    Geschickt hat Köhler den Hund in der Erzählung eingebunden, denn durch ihn erfahren wir sehr viel über Steens innere Seelenverfassung. Später teilt er der Inselbewohnerin Mayra seine inneren Eindrücke und Gedanken mit.

    Ein weiterer Schachzug, damit ein wichtiger Teil der Geschichte, ist der Tanz.

    „Er gab sich ganz der Musik hin“ (S. 233)

    Es ist, als ob er wie in Trance tanzt. Er sucht einen sicheren Ort und den findet er während des Tanzes symbolisiert durch seine geschlossenen Augen in seinen „Träumen“. Er lässt sich auf seine eigene Gefühlswelt ein, nur auf sich bezogen, sich einfach nur gehen lassen“. Alles wird leichter. Das zeigt, wie sehr er in sich selbst verstrickt ist, er verleiht seinen unterdrückten Gefühlen Ausdruck. Denn als die Musik zu Ende ist, „schämt“ er sich und will in seine „Höhle“ zurück. Die Höhle, die für ihn die Sicherheit bedeutet.
    Mit diesen Stilmitteln bekommt der Protagonist Steen Kontur, die zwischen ängstlich, naiv,
    linkisch, unsicher und aggressiv erscheint. Im Gegensatz werden seine Aktivitäten, sein humorvolles Wesen, sein Gefühl für Musik und auch seine Verletzlichkeit herausgestellt.
    Sein ambivalenter Charakter passt zu seiner Suche nach seiner Herkunft, die gleichzeitig, eine innere Zerrissenheit zeigt, was besonders deutlich hervortritt bei seinem emotionalen Ausbruch am Grab von Friedrich Ritter. (S. 180)

    Fitzcarraldo war besessen davon, Berge zu versetzen. Harald Steen ist besessen, seine Vergangenheit aufzuspüren. Er stürzt sich in ein Abenteuer, wobei Illusion und Wirklichkeit sich vermischen und dicht beieinander liegen.

    Als er Mayra kennenlernt, beginnt er zu ahnen, was Glück bedeutet.

    Der Schluss bleibt vage. Es hat den Anschein, als würde er in der Ferne sich selbst sehen. Er weiß, dass er endlich angekommen ist, sich selbst gefunden hat. Sein altes Leben hinter ihm verblasst. Am Ende wirkt Steen sanft und heiter, als ob er die Vergangenheit bewältigt hat.

    Der Roman ist in vier Teile gegliedert:
    Die Reise
    Die Insel
    Mayra
    Die dritte Quelle

    Wir erleben den Abenteuerroman aus der personalen Erzählperspektive. Zusätzlich verzichtet der Autor bei wörtlicher Rede auf Anführungszeichen. Die fehlenden Anführungszeichen erzeugen einen nahtlosen Übergang zwischen gesprochenem und gedachten Textteil und verdeutlichen im Rahmen der ganzen Geschichte einen komplexen Text ohne Unterbrechung.

    Die Sprache besticht durch einen parataktischen Aufbau, von einer klaren, einfachen und direkten Sprache. Dadurch liest sich der Roman leicht und reibungslos und trotzdem spannend. Die beiden Erzählstränge, aktuelle Ereignisse und die ungelöste Galapagos-Affäre, werden gut zusammengeführt. Dazu lockern die Naturbeschreibungen den Text auf.

    Das Cover zeigt eine Insel im Meer, von leichtem Nebel umhüllt.

    Fazit
    Vor dem Hintergrund der Galapagos-Affäre hat Köhler einen modernen Abenteuerroman geschrieben, der das Thema Auswandern behandelt.

    Steen besucht eine Oper im Urwald, wie bei „Fitzcarraldo“. Er tanzt wie in Trance. Er rettet einen Menschen vor Haien. Ähnlich wie bei der Galapagos Affäre die Vermutung besteht, „die Galapagos-Baronin und ihr Geliebter Phillipson sind vollständig verschwunden ohne Spur“, wahrscheinlich durch Haie angegriffen, da gab es keine Rettung mehr.
    Der Autor greift auf bekannte Romane zurück, wie zum Beispiel Robinson Crusoe, der Freitag als Gesprächspartner hat. Steen hat „Herr Hund“.

    Mich hat der Roman in den Bann gezogen, gerade vor dem Hintergrund der Galapagos-Affäre.

    Ein moderner Abenteuerroman mit unvorhersehbaren Wendungen.

    Ein groteskes, ein verrücktes, ein wunderbares Schlussbild:

    „Er blickte über die Schulter in die Richtung, aus der sie kamen. Niemand war hinter ihnen. Sie waren noch immer mutterseelenallein. Der Mann meinte ihn, kein Zweifel.“ (S. 426)

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  1. Moderne Aussteigergeschichte mit surrealen Zügen

    „Die Tage auf der MS Paita, einem Containerschiff unter panamaischer Flagge, taumelten in erschöpfender Monotonie der Dämmerung entgegen." (Erster Satz)
    Fünf Passagiere sind im Frühsommer des Jahres 1999 an Bord, die Passage ist alles andere als komfortabel. Unter ihnen befindet sich der 64-jährige Rentner Harald Steen aus Hamburg, der die Brücken hinter sich abgebrochen hat, um ein neues Leben auf der kleinen Galapagos-Insel Floreana zu beginnen. Warum muss es dieses Eiland sein? Im Zuge der Erzählung verdichten sich die Hinweise, dass Steens leibliche Eltern einst einen Lebensabschnitt dort verbrachten. Steen zeichnet deren Reise akribisch nach. Er will zurück zu seinen Wurzeln, will am eigenen Leib nachempfinden, was seine Eltern vor Jahrzehnten erlebt haben. Dementsprechend wählt er auch die unkonventionelle Reiseroute. „Der Kahn stank nach Schiffsdiesel, hatte Schlagseite und deutlich bessere Tage gesehen. Aber es war sein Schiff in die Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen.“ (S. 43)

    Ein nicht unerhebliche Rolle spielt hier die Galapagos-Affäre, die sich auf historische Ereignisse zwischen März und November 1934 bezieht. Damals lebten nur wenige überwiegend deutschstämmige Aussteiger auf der Insel. Mit der Ankunft einer vermeintlichen Baronin war es mit der Harmonie vorbei. Konflikte eskalierten, in deren Folge sechs Menschen unter zum Teil ungeklärten Umständen starben oder verschwanden. Zu den ersten Siedlern gehörte auch Familie Wittmer aus Köln, die dort noch heute ein kleines Hotel betreibt, das Gäste anlockt. „In jedem Fall lag Floreanas Reiz für die Touristen eher in den mysteriösen Vorfällen der Vergangenheit als in der Schönheit der Gegenwart.“ (S.53)

    Harald Steen hat alles gelesen, was es über diese Affäre zu lesen gibt. Auf der Insel mietet er sich im Hotel Wittmer ein, gibt sich dort als Schriftsteller aus, der „auf der Suche nach dem Ende der Dinge“ ans Ende der Welt gelangt ist. Obwohl er darauf brennt, die letzte Überlebende der Galapagos-Affäre, die 96-jährige Margret Wittmer, zu treffen, tut er so, als hätte er keinerlei Interesse an den alten Geschichten. Er will inkognito bleiben.
    Mit Harald hat der Autor eine überaus interessante, vielschichtige Figur geschaffen. In der Heimat war Steen eher ein Außenseiter, auf der Insel ragt er schon alleine durch seine Größe und die roten Haare aus dem Gewöhnlichen heraus. Er ist besessen von der Idee so zu leben, wie es seine (vermeintlichen) Eltern damals taten. Er entwickelt unmenschliche Kräfte, ignoriert eigene Grenzen und Gefahren. „Die Ermahnungen von Rolf Wittmer interessierten ihn nicht. Niemandes Meinung interessierte ihn. Einzig die gemachten Erfahrungen.“ (S. 137) Harald empfindet seit Kindertagen eine symbiotische Nähe zu Hunden. Er sucht sich nicht nur einen herrenlosen Vierbeiner zum Gefährten, sondern rastet auch aus, wenn einem solchen ein Leid widerfährt. Mit Menschen tut sich der Hamburger schwer. Wochenlang zieht er sich in seine Höhlen zurück und bearbeitet seinen Garten. Dabei benimmt er sich immer rücksichtsloser, indem er die Gemeinschaft bestiehlt oder die lebenswichtige Süßwasserquelle missbraucht.

    Der Roman ist in vier unterschiedlich lange Abschnitte unterteilt. In klaren Sätzen wird die beschwerliche Anreise über mehrere Stationen beschrieben. Die Atmosphäre wird spürbar, man kann den dreckigen Hafen, die Armut der Kinder vor dem inneren Auge sehen. Die Landschaftsbeschreibungen auf der Insel suchen ihresgleichen, man bekommt Lust, sie sich in natura anzuschauen. Der Schreibstil fesselt, hat die richtige Mischung aus äußeren Betrachtungen und Innensicht des Protagonisten. Durch den personalen Erzählstil kommt man Harald Steen immer näher. Man partizipiert an seinen verqueren Überzeugungen. Durch Kenntnis seiner Gedankenwelt kann man sein völlig überzogenes, unlogisches Verhalten nachvollziehen. Er wirkt borniert und auf unheilvolle Weise an die Vergangenheit gebunden. Man darf trefflich darüber spekulieren, ob sich der Protagonist in vollkommener geistiger Gesundheit befindet. Zuweilen scheint er Halluzinationen zu haben oder Personen zu sehen, die gar nicht da sind. Wunsch und Wahrheit sind für den Leser nicht immer klar unterscheidbar – eine Tatsache, die für mich aber auch den Reiz des Romans über weite Strecken ausmacht.

    Das Leben auf der Insel gleicht einem Mikrokosmos, es leben 1999 nur etwas über 100 Menschen dort. Harald lernt nach und nach einige von ihnen kennen. Wie nebenbei erfahren wir, wie die Postverteilung, die ärztliche Betreuung oder die Versorgung mit externen Gütern funktioniert. Köhler versteht es, den Aussteiger Steen in spannende Situationen mit unvorhersehbaren Wendungen zu verwickeln. Die Unberechenbarkeit des Protagonisten hat man dabei immer vor Augen, sympathisch kann er einem zu keinem Zeitpunkt sein.

    Die Konstruktion des Romans mit fiktiven Figuren rund um eine Affäre, die tatsächlich so stattgefunden hat (und von der ich noch nichts wusste), halte ich für überaus gelungen. Die Charakterzeichnungen, die Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit des komplexen Protagonisten, die Beschreibungen von Schönheit und Tücke der weitgehend naturbelassenen Landschaft – wunderbar. Nun bringt der Autor diesen Roman allerdings auf eine Weise zu Ende, die mir nicht schlüssig erscheint. Aus meiner Sicht nimmt Harald Steen eine unglaubwürdige Entwicklung, in die weitere Figuren mit einbezogen werden. Mehr als zuvor stellt sich die Frage, was ist Wahrheit, was ist Projektion? Ich bin ein Leser, der mit offenen Enden gut umgehen kann. Warum hat man hier beschlossen, auf ein solches zu verzichten und den widerspenstigen Egomanen Harald in ein Fahrwasser zu führen, das so gar nicht zu ihm passen will? Gefragt nach den Fortschritten seines Romans antwortet Steen: „Ich versuche, einen Verlag dafür zu finden. Ist nicht leicht. Es ist ein kompliziertes Buch geworden. Vielleicht ein paar Wendungen zuviel.“ (S. 415) Ist das ein Twist, der auch auf diesen realen, uns vorliegenden Roman passt? Ich finde schon.

    Das Ende kostet den Roman, den ich zu zwei Dritteln sehr genossen habe, seinen fünften Stern. Ich werde die weitere Diskussion über dieses Buch höchst interessiert verfolgen und kann mir vorstellen, dass eine Mehrheit der Leser den vorgeschlagenen Ausgang des Romans durchaus gutheißt, auch wenn er mich nicht überzeugt.

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  1. Der "dürre Deutsche" im Naturparadies ...

    Kurz vor der Jahrtausendwende: Ein Frachtschiff steuert durch den Panamakanal, an Bord fünf Privatpassagiere. Unter ihnen Harald Steen, Anfang sechzig, aus Hamburg. Eine ungewöhnliche Figur: zwei Meter groß, rothaarig, ein Eigenbrötler, "der für soziale Interaktion keinerlei Kompass besaß". Auf dem Weg nach Ecuador, zum Galapagos-Archipel: zur Insel Floreana.

    Die sogenannte Galapagos-Affäre, ein Drama, das sich in den dreißiger Jahren auf Floreana abgespielt hat, ist der historische Hintergrund des Romans um Harald Steen.
    Mit einer Outdoor-Ausrüstung und Nietzsches Werken im Gepäck reist er auf die Insel. Genaue Pläne hat er noch nicht - aber er will bleiben. Während er sich auf der Insel einrichtet, sich mit den Einheimischen bekannt macht, darunter den letzten Überlebenden des sechzig Jahre zurückliegenden Dramas, wird jene Galapagos-Affäre innerhalb des Romans nach und nach miterzählt. Es ist die Geschichte dreier Aussteigergruppen, die ab 1912 auf Floreana ins "naturnahe Leben" auswanderten, aber bald untereinander in Streit gerieten bis zur Gewalttätigkeit. Es gab einige Todesfälle, die bis heute nicht vollständig geklärt sind. (Die Fakten, soweit bekannt, waren Stoff für mehrere Bücher und Filme und können auch im Internet nachgelesen werden.) Steen hat persönliche Gründe, sich mit diesem Drama zu beschäftigen, die sich kapitelweise erschließen. Auch dass Steen, der als kauziger Einzelgänger eingeführt wird, ein gebrochener Charakter ist, mit einer ganz persönlichen Weltsicht -, wird dem Leser nach und nach klar.

    Der zunächst mit konventionellen Mitteln, spannend und mit viel Lokalkolorit erzählte Roman schlägt, nachdem Steen sich niedergelassen hat, eine ungewöhnliche Richtung ein. Erzählt wird zwar in der dritten Person, aber aus streng subjektiver Sicht Steens. Er erkundet den Urwald, der die Insel bedeckt, schließt Freundschaften (u.a. mit einem alten Hund, der sein bester Freund wird) und definiert seine persönlichen Ziele - die dem Leser anfangs vielleicht etwas spleenig, im weiteren Verlauf immer wirrer und teilweise asozial vorkommen müssen. Nicht nur Steens Denken, auch sein Erleben, seine Wahrnehmungen erscheinen zunehmend irrational. Parallel dazu verändert sich auch die Stilebene des Romans, der Ausdruck wird fiebrig, manchmal pathetisch und mit Klischees durchsetzt.

    Dabei sind die Schilderungen des Urwalds, des Meeres, der Wetterphänomene rund um die dünn besiedelte Insel eigentlich sehr ausdrucksvoll und steigern die Lesefreude enorm. Für Steens Entwicklung, zu der einige bedrohliche Abenteuer gehören, macht sich aber der Eindruck breit, dass sein Weltbild ähnlich ins Kraut schießt wie der Baumbestand im Regenwald. Zusätzliche Verwirrung beim Leser stiftet eine völlig neben dem Leben stehende Liebesgeschichte mit einer dreißig Jahre jüngeren Einheimischen. Und schließlich kommen wir zu einem Ende, das auf vielerlei Weise gedeutet werden kann.

    Fazit: Steen ist eine rätselhafte, nicht gerade sympathische Hauptfigur. Die Kulisse, vor der der Roman spielt, ist grandios und wird sehr farbig geschildert - gleiches gilt übrigens auch für das Eingangskapitel, in dem seine Anreise beschrieben wird. Die miterzählte Galapagos-Affäre klingt geheimnisumwittert und dürfte vielen Lesern noch nicht bekannt sein (ich kannte sie auch noch nicht). Steens Entwicklung vom steifleinenen Exbeamten zum Galapagos-Insulaner ist teilweise überzogen, nicht immer glaubwürdig und in der Schilderung zunehmend platt und klischeehaft. Der Geschichte bin ich anfangs sehr gerne, streckenweise sogar begeistert gefolgt, im weiteren Verlauf immer distanzierter und am Ende mit ungläubigem Kopfschütteln. Überzeugen konnte mich das Buch nicht - gar nicht so sehr wegen der offenen Fragen, die am Ende bleiben (damit habe ich nicht unbedingt ein Problem), sondern wegen der steil abfallenden erzählerischen Mittel.

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  1. Ein moderner Abenteuerroman

    „Er hatte eine Idee, einen Wunsch, das Gefühl, etwas zu Ende bringen zu müssen. Er fühlte sich prächtig.“ (Zitat Seite 12)

    Inhalt
    Das Leben des Bankangestellten Harald Steen aus Hamburg verlief bisher in ruhigen, sehr geordneten Bahnen. Jetzt ist er vierundsechzig Jahre alt und in Frühpension. Die Galapagosinsel Floreana und die geheimnisvollen Ereignisse der 1930er Jahre lassen ihn nicht mehr los, seit er weiß, dass diese auch seine eigene Geschichte betreffen. Doch was damals wirklich passiert ist, kann er nur vor Ort recherchieren. So beginnt seine Reise in die Vergangenheit und gleichzeitig in neue, unbekannte Abenteuer. Bei den misstrauischen Bewohnern von Puerto Velasco Ibarra, der einzigen Ansiedlung auf der kleinen Insel, gibt er sich als Schriftsteller aus und erklärt damit auch seine längeren Ausflüge in die einsame, unwegsame Natur von Floreana. Auf sich allein gestellt, wächst er mit den täglich neuen Herausforderungen, doch wird er auch Antworten auf seine Fragen finden?

    Thema und Genre
    In diesem Abenteuerroman, in dessen Hintergrund die bekannte „Galapagos-Affäre“ steht, geht es um eine kleine Insel der Galapagos-Inselgruppe, um ungeklärte Ereignisse in der Vergangenheit, um das Leben mit der wilden, einzigartigen Natur, über Auswanderer und die Sehnsucht nach einem Neubeginn.

    Charaktere
    Harald Steen ist ein Eigenbrötler und Einzelgänger, sein geordnetes Arbeitsleben hat er als Bankangestellter verbracht. Doch die neuen Herausforderungen in der Wildnis von Floreana verändern ihn, er stellt sich den Strapazen und Abenteuern und irgendwo zwischen Kreativität und Traum wird er zu einem anderen Menschen. „Wer von den Kollegen in der Bank hätte ein solches Abenteuer gewagt? Niemand von denen hätte gerade ihm eine solch einschneidende Änderung der Lebensführung zugetraut.“ (Zitat Seite 121)

    Handlung und Schreibstil
    Im Mittelpunkt der Geschichte steht Harald Steen, seine Reise auf die Insel Floreana Ende der 1990er Jahre und sein neues Leben auf der kleinen, nur wenig besiedelten Insel. Seine eigenen Erinnerungen und Gedanken teilt er mit einem Hund und später mit Mayra, einer Inselbewohnerin. So erfahren wir beim Lesen abwechselnd zum Erzählstrang der aktuellen Ereignisse auch seine Version der immer noch nicht vollständig aufgeklärten Vorkommnisse im Zusammenhang mit den ersten deutschen Siedlern auf Floreana und der „Galapagos-Affäre“. Eindrückliche Naturschilderungen ergänzen die Handlung.

    Fazit
    Ein moderner Abenteuerroman voller Geheimnisse, in dem die Grenzen zwischen realer Welt und Scheinwelten teilweise verschwimmen und dessen Handlung daher viel Spielraum für eigene Interpretationen lässt. „Aber denkt man erst einmal über das Ende der Welt nach, stößt man auf das Ende der Dinge und da fängt alles Erzählen an. Das Erzählen endet nie.“ (Zitat Seite 415)

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  1. Eigenwilliges Aussteigerdrama

    Kurzmeinung: Abenteuer mag ich - aber nicht alle.

    Der Autor schickt seine Figur, den ältlichen Harald Steen, nach Floreana, um die sogenannte „Galapagos-Affäre“, neu zu erzählen. Die Kenntnis dieser Story, tragische Umstände, die sich um 1934 tatsächlich zugetragen haben, sind heute nicht mehr allen präsent.

    Dore Strauch, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Friedrich Ritter sowohl eine mystische, tragische und ideologisch geprägte Person gewesen sein muss und die eine der ersten Siedler auf Floreana war, schrieb 1934/35 das Buch mit dem vielsagenden Titel „Satan came to Eden“, das vielfach als Vorlage für Film und Bücher genutzt wurde.

    Der von Werner Köhler nach Floreana geschickte Steen ist ein später Aussteiger, schon vierundsechzig Jahre alt. Er verwandelt sich alsbald von einem braven, konservativen Angestellten in einen Naturburschen, der versucht, in der Wildnis zu überleben. Dabei segelt er unter dem Radar der Behörden und entwickelt sich immer mehr zum Sonderling. Plötzlich werden seine Handlungen irrational, der Stil des Romans ändert sich, wird fast hektisch, sehr einfacher Schreibstil, obwohl Köhler anfangs bewies, dass er es besser kann, eine Action folgt nun auf die nächste, es fällt schwer, sie alle zu kaufen. Aber so sieht Steen die Inselwelt. Er nimmt sich, was er braucht und wirft alle ethischen Grundsätze über Bord. Man darf annehmen, dass die veränderte Farbe der Erzählung, die fortschreitende psychische Veränderung Steens aufnimmt und die folgenden Geschehnisse die Lesart Steens darstellen. Dichtung und Wahrheit. Mehr Dichtung.

    Der Kommentar:
    Werner Köhler verschränkt zu Anfang recht geschickt die Stränge der beiden so unterschiedlichen Aussteigergeschichten miteinander und ineinander.

    Einerseits ist da der Mythos um die ersten Siedler: Sind sie ermordet worden, was für Dramen haben sich auf Floreana abgespielt, was hat die Leute damals angetrieben, was waren es für Menschen - andererseits, gilt es für die Leser, das Aussteigermotiv Harald Steens, das nicht offen zutage liegt, allmählich zu entschlüsseln.

    Haben wir zu Anfang wunderschöne Naturbetrachtungen und eine gemächliche Gangart des Romans, eine schöne Sprache mit detailreichen Beobachtungen, wird der Roman zusehends schwammiger, denn wir folgen nun der eigenwilligen Wahrnehmung des Protagonisten. Wir wissen bald nicht mehr, was wir ihm glauben können und was nicht. Seine Handlungen sind sprunghaft, unlogisch und unethisch. Oder gar nicht passiert. Hat er noch die Kontrolle über sein Leben?

    Die Story an sich wäre eigentlich recht interessant. Die erzählerischen Mittel, sie an die Leser zu bringen, sind allerdings nicht allzu üppig vorhanden, show don’t tell wird kaum oder gar nicht berücksichtigt. Informationen werden über Gespräche mit Herrn Hund oder in langatmigen Gesprächen mit Inselbewohnern (das alte Spiel: Frager/Antworter) transportiert. Die Dialoge sind leider auch ziemlich hölzern.

    Der Autor gefällt sich darin, die Leser zu verwirren. Was passiert wirklich? Ist Steen eine Figur, die psychisch verfällt; sind seine Motive auf die Insel zu kommen, fragwürdig, einer Obsession entsprungen? Oder ist alles real?

    Da der Autor natürlich auch nicht weiß, was damals wirklich passiert ist, und über die Mysterien von damals nur mutmaßen kann, muss er am Ende ebenso nebulös bleiben wie alle anderen, die das Thema vor ihm literarisch ausgebeutet haben.

    Der Roman steht und fällt damit, wie man die Charakterisierung Harald Steens beurteilt. Meines Erachtens ist mit dem Verzicht auf dessen Eindeutigkeit der Roman hintenüber gefallen. Dabei fing er so gut an.

    Das Ende des Romans bedarf eingehender Interpretation. (Es gab keinen Pfeil mehr im Köcher?)

    Fazit: Die Idee ist gut, die Ausführung lässt durchaus Luft nach oben! Das Ende ist wichtig, man darf es nicht in den luftleeren Raum stellen. Sonst purzeln die Sterne.

    Verlag: Kiepenheuer und Witsch, 2022
    Kategorie: Gute Unterhaltung

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