Die blaue Amsel

Buchseite und Rezensionen zu 'Die blaue Amsel' von Franz Hohler
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die blaue Amsel"

Einmal, es war ein Abend, und eine Amsel sang auf dem Dach des Rechenzentrums, brach die 47 plötzlich in Tränen aus. Sofort wandten sich die 46 und die 48 ihr zu, trockneten ihre Tränen ab und sprachen ihr gut zu. Danach stand sie wiederschön und sauber in ihrer Zahlenreihen...« Doch damit ist die Welt keineswegs in Ordnung, es kommt ohnehin immer alles ganz anders, und bei Hohler allemal. Sein Gespür für die kleinen Ereignisse, die sich zu Wundern, Abenteuern, Katastrophen auswachsen, ist verblüffend. Das Aufräumen der Wohnung verwandelt sich in eine Schlacht um Leben und Tod, und nach einem schlechten Kinofilm wird ihm plötzlich klar, daß er einen kostbaren Nachmittag herumgebacht, umgebracht hat. Und wie gleichgültig erst die Zeitgenossen sind! Sehen nichts, begreifen wenig: Dienst nach Vorschrift. Da müssen sich schon Jesus und der Teufel zusammentun, um den Papst noch einen Schrecken einzujagen.

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:128
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442736379

Rezensionen zu "Die blaue Amsel"

  1. 4
    19. Aug 2018 

    Klein aber fein...

    Franz Hohler ist als Erzähler ein Virtuose der Überraschung. In seinem Erzählungsband aus dem Jahr 1995, in dem tatsächlich eine blaue Amsel auftritt, allerdings sehr zum Missfallen der meisten schwarzen Amseln, stellt er seine ganz einzigartige Fähigkeit mit viel Witz, Ironie und Lust an grotesken Wendungen und absurden Pointen unter Beweis. Franz Hohler hat ein feines Gespür für die kleinen Ereignisse im Alltag, die alles andere als banal sind. Und so verwandelt sich dabei unter der Hand das Aufräumen der Wohnung bei ihm in eine Schlacht um Leben und Tod, und nach einem schlechten Kinofilm wird ihm plötzlich klar, dass er einen kostbaren Nachmittag herumgebracht, nein: umgebracht hat. Und wie stumpf erst viele Zeitgenossen sind, wie lange es dauert, bis sie etwas empfinden! Da müssen sich schon Jesus und der Teufel zusammentun, um dem Papst einen Schrecken einzujagen...

    Genau beobachten kann er, der Schweizer Autor Franz Hohler. Scheinbar alltägliche Situationen werden durch die akribische und minutiöse Schilderung zu etwas Besonderem. Und so sind die 29 kurzen und manchmal auch etwas längeren Geschichten allesamt kleine Überraschungen mit vollkommen unterschiedlichen Themen. Der Schreibstil ist akkurat, stellenweise nahezu poetisch, oftmals aber auch von unerwartetem Humor durchzogen.

    "Vor dem Eisenbahnfenster wird Dänemark durchgezogen. Der Bühnenbildner hat sich für Bäume, Büsche, Äcker und Wiesen entschieden. Auf zusammenhängende Wälder hat er verzichtet. (...) Die Windknechte stehen gern in der Nähe des Meeres, es sind hohe Masten mit dreiflügligen Propellern, die den Wind einfangen und in die Steckdosen jagen."

    Wie immer bei einer Sammlung von Kurzgeschichten konnte mich auch hier nicht jede einzelne begeistern, doch ich war jedesmal gespannt, wovon die jeweilige Erzählung nun handelte und wurde oftmals angenehm überrrascht. Das Schwizerdütsch tauchte glücklicherweise nur punktuell auf - und überforderte mich dann prompt, wenn keine Übersetzung angeboten wurde. Aber das meiste war gut verständlich, und in der Summe bin ich von dem Büchlein wirklich angetan!

    Ein Überraschungsfund, der sich gelohnt hat!

    © Parden

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