Die Bagage

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Bagage' von Monika Helfer
4.35
4.4 von 5 (9 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Bagage"

Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin. Mit großer Wucht erzählt Monika Helfer die Geschichte ihrer eigenen Herkunft.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
EAN:9783446265622

Rezensionen zu "Die Bagage"

  1. Die Bagage

    Klappentext:
    „Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin. Mit großer Wucht erzählt Monika Helfer die Geschichte ihrer eigenen Herkunft.“

    Autorin Monika Helfer hat sich selbst mit diesem Buch verewigt, denn sie erzählt die Geschichte ihrer Mutter und ihrer Großeltern. An sich eigentlich spannend und faszinierend, aber Helfer schafft es für mich so gut wie nie emotional oder feinfühlig ihre Geschichte rüberzubringen. Man merkt schnell das Liebe und Romantik in der Familie Moosbrugger nicht an oberster Stelle stehen, denn sie sind die Aussätzigen, die Bagage des Dorfes. Ich kann Helfer da schon mit ihrem Schreib-Stil verstehen aber es wirkte für mich als Leser stumpf und tröge. Es ist ein biografischer Roman ihrer Mutter und nicht ihrer, dennoch fehlt das Gefühl was Monikas Mutter Grete gut getan hätte. Es wird schnell klar das die Fänge des Ersten Weltkrieges mehr fordern als Soldaten....hier gehen auch Lieben auseinander, auch wenn beide Partner noch leben. Die Liebe und das Gefühl von Sehnsucht ist groß, man stumpft ab, wenn man diese nicht erhält und da taucht dann ein Fremder auf, der die schöne Maria besucht. Helfer lässt dann zum Teil Realität und zum Teil ihre eigenem Gedanken zusammen verschmelzen. Gut, das ist machbar, aber bitte nicht so harsch und emotionslos erzählt. Es wirkt alles wie das herunterrasseln eines Einkaufszettels oder einer abschätzigen Aufzählung. Helfers Schreibstil ist dabei ja ganz passend aber traf nicht meinen Geschmack. 2 von 5 Sterne.

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  1. 4
    23. Mai 2020 

    Ein Dorfleben abseits der Idylle...

    Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin. Mit großer Wucht erzählt Monika Helfer die Geschichte ihrer eigenen Herkunft.

    Das Buch bekam ich geschenkt, das Hörbuch hatte ich mir kurz zuvor gekauft. Daher habe ich beschlossen, hier parallel zu fahren, d.h. erst zu lesen und die Erzählung anschließend auch noch zu hören, falls es mir gefallen sollte. Es gefiel...

    Ein Puzzle breitet Monika Helfer hier aus, das Ergebnis der Spurensuche nach ihren eigenen Familienwurzeln. Die Autorin hat hierfür mit den zahlreichen Geschwistern ihrer Mutter gesprochen, um das Bild zusammensetzen zu können, die verschiedenen Versionen abgeglichen und eingefügt. Und man erhält hier ein sprödes, unprätentiöses Bild von dem Leben der armen Familie am Rande eines kleinen Bergdorfes.

    Die Erzählung beginnt zeitlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Eltern Maria und Josef werden ebenso skizziert wie ihre einzelnen Kinder mit ihren verschiedenen Eigenschaften. Der Leser erhält einen Eindruck, wie es war, in bitterer Armut abseits der Dorfgemeinschaft zu leben, jedes Familienmitglied mit einer eigenen Aufgabe betraut, als Gesamtgefüge eine funktionierende Gemeinschaft, wenig spürbare Herzlichkeit, aber eine unbedingte Zugehörigkeit.

    Schwierig wird es, als Josef zum Kriegsdienst verpflichtet wird und Maria mit den Kindern alleine zurückbleibt. Dem befreundeten Bürgermeister trägt Josef daher auf, auf seine Familie zu achten und vor allem Maria gut im Auge zu behalten, damit mögliche Gefahren abgewendet werden können. An einem Markttag lernt Maria dann einen jungen Mann aus Hannover kennen, der sie einige Tage später auch auf ihrem Hof besucht.

    Das ist schließlich das Startsignal für das soziale Aus. Eh schon eher toleriert denn geachtet, gehen nun im Dorf Gerüchte über den liederlichen Lebenswandel der Maria um. Schwanger ist sie außerdem, doch dass dieses ungeborene Kind - die spätere Mutter der Autorin - von Josef stammen könnte, der immerhin einige Tage auf Heimaturlaub da war, schließen die bösen Zungen aus.

    Tatsächlich muss sich Maria gegen Übergriffe wehren - allerdings gegen die des Bürgermeisters, der immer zudringlich zu werden beginnt. Schließlich wendet er sich ab, unterstützt die Familie aber auch nicht länger mit Lebensmitteln und anderen dringend benötigten Dingen. Der Pfarrer wettert von der Kanzel und gießt damit Gallonen von Öl ins Feuer - die Familie steht im Abseits. Bittere Not erfordert schließlich besondere Maßnahmen, und einer der Söhne nimmt das Heft schließlich in die Hand...

    Nach Kriegsende kehrt Josef heim, und die Gerüchte ereilen ihn schon bevor er das Dorf betritt. Das Mädchen, Grete, ist inzwischen geboren - und sie wird erleben, dass der Vater (denn tatsächlich kommt niemand anderer in Frage als Josef) Zeit seines Lebens nicht ein einziges Mal das Wort an sie richtet...

    Die Familiengeschichte wird nicht linear erzählt, sie springt in den Zeiten, beleuchtet das damalige Geschehen, aber auch die Spurensuche der Autorin selbst und die Gesprächen mit den noch lebenden Geschwistern der Mutter. Spröde ist der Schreibstil, wenig emotional wie das damalige Dorfleben, und wirkt darum unglaublich authentisch. Dabei klagt die Autorin nicht an, sie scheint sich als Chronistin der Ereignisse zu sehen, was zuweilen zwar ein wenig Melancholie durchschimmern lässt, ansonsten aber eher distanziert wirkt.

    Eine leise, ruhige Erzählung, ein Teppich gewebt aus vielen Fäden der Vergangenheit, auf dem die Mitglieder der Familie bis heute schreiten. Deutlich wird hier eben auch, dass die Erlebnisse voriger Generationen ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart zeitigen. Und dies ist vielleicht das Allgemeingültige an dieser Erzählung.

    Mir hat der Einblick in diese sehr persönliche Familiengeschichte jedenfalls gefallen...

    © Parden

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  1. Herkunft

    Der Roman beginnt fast idyllisch mit einer Frau, die Wäsche zwischen zwei Kirschbäumen aufhängt, wäre da nicht der Schatten, der auf das Haus fällt. Die Frau ist Maria Moosburger, Großmutter der österreichischen Autorin Monika Helfer, das Haus liegt im hintersten Bregenzerwald und die Familie mit vier Kindern lebt ganz hinten im Tal, abgeschieden und bitterarm:

    "Sie wohnten dort, weil ihre Vorfahren später gekommen waren als die anderen und der Boden am billigsten war, und am billigsten war der Boden, weil die Arbeit auf ihm so hart war. Am letzten Ende hinten oben wohnten Maria und Josef mit ihrer Familie. Man nannte sie „die Bagage“. Das stand damals noch lange Zeit für „das Aufgeladene“, weil der Vater und der Großvater von Josef Träger gewesen waren, […] und im Sommer übermannshohe Heuballen in die Scheunen der Bauern trugen, das war der unterste aller Berufe, unter dem des Knechts."

    Verhängnisvolle Schönheit
    Nur um eines wird Maria beneidet: ihre legendäre Schönheit. Doch genau die wird ihr zum Verhängnis, als ihr Mann Josef, mit seinen zweifelhaften Geschäften Ernährer der Familie, im September 1914 eingezogen wird. Angesichts der gierigen Blicke der Männer bittet er seinen Geschäftspartner und Bürgermeister, auf Maria aufzupassen, macht damit jedoch den Bock zum Gärtner. Tatsächlich verliebt sich Maria bei einem Jahrmarktsbesuch in Georg aus Hannover, der sie und die Kinder auf dem Hof sogar besucht, aber mehr als ein Kuss ist nicht überliefert. Der Bürgermeister jedoch sieht spätestens jetzt seine Chance gekommen und Maria muss ihre Kinder als Schutzschilde einsetzen. Wer der Vater der kleinen Grete ist, die einige Monate später zur Welt kommt, wird nie geklärt: Georg, der Bürgermeister oder doch Josef, der zweimal im Fronturlaub zuhause war? Das Dorf, allen voran der Pfarrer und der Lehrer, ist sich jedenfalls sicher: Maria ist eine Hure, die „Bagage“ Abschaum. Auch Josef zweifelt trotz Marias Schwüren. Nie richtet er das Wort an Grete, vor der er sich ekelt, nie verprügelt er sie, um sie nicht zu berühren. Seinen anderen sechs Kindern dagegen, zwei davon nach dem Krieg geboren, ist er ein liebevoller Vater.

    Eine große Erzählerin
    Maria Moosburger starb mit 32 Jahren, Josef nur ein Jahr später, und auch Monika Helfers zeitlebens ein wenig seltsame und zurückgezogene Mutter Grete verstarb jung. Fortan kümmerte sich die strenge Tante Kathe, die älteste Schwester Gretes, um ihre drei verwaisten Nichten. Im hohen Alter erzählte sie von der „Bagage“ und die 1947 in Au im Bregenzerwald geborene Monika Helfer brachte die Geschichte ihrer Familie nun in Romanform zu Papier. Kaum 160 Seiten umfasst dieser zwischen vier Generationen pendelnde Roman, unglaublich bei der Fülle an Figuren und Schicksalen. Wie Skizzen wirken die Figurenzeichnungen, ohne Wertung, sprachlich äußerst knapp und doch ungeheuer lebendig. Wie jede und jeder von ihnen mit der Last seiner Herkunft auf eigene Art und Weise durchs Leben ging und geht, erzählt Monika Helfer ohne Dramatik und vor allem ohne Pathos und Kitsch. Eine ganz große Erzählerin und ein Highlight in diesem Literaturfrühling 2020.

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  1. Die Familie vom Ende der Straße...

    Ehrlich gesagt hat mich der sonderbare Titel auf das Buch aufmerksam gemacht, denn von der Autorin hatte ich bisher noch nichts gelesen.

    In der Geschichte geht es um Maria und Josef, die in den Bergen weit ab vom Schuss leben. Im Haus haben sie weder Strom noch Wasser und dennoch klappt es ganz gut mit den Kindern und allem. Doch dann muss der Vater in den Krieg ziehen, was das Leben der Familie enorm ändert. Wird er den Krieg überleben? Wird sich etwas verändern?

    Das Besondere an dem Buch ist, dass die Autorin als Ich- Erzählerin agiert und uns an ihrer Familiengeschichte teilhaben lässt, in der sie noch nicht lebte und ihre Mutter teils ebenfalls noch nicht auf der Welt war. So etwas hatte ich bis dato noch nicht in den Händen und man bekam beim Lesen direkt Lust selbst Nachforschungen bezüglich der eigenen Familie anzustellen.

    Für meinen Geschmack zeichnet die Autorin die Zeit des ersten Weltkrieges sehr authentisch und es liest sich so als würde man der Freundin der eigenen Großmutter lauschen.

    Ich mochte vor allem wie sehr die Familie auch in Krisenzeiten zusammenhält und sich für den anderen einsetzt. Vor allem sind gerade die Kinder ohne den Vater über sich hinausgewachsen.

    Etwas traurig gemacht hat mich, dass der Tratsch dazu geführt hat, dass Josef seiner Frau misstraut, obwohl er es eigentlich besser hätte wissen müssen. Da sorgte wohl eher der Neid der Bewohner dafür, dass man Maria etwas angedichtet hat, was nie stattgefunden hat und zum tiefen Schnitt in der Familie führte. Ich kann mir nur schwer vorstellen wie sehr es schmerzen muss, wenn der eigene Vater einen komplett ignoriert.

    Ich habe mich beim Lesen sehr wohl gefühlt und hätte die Mitglieder der Bagage gern selbst kennengelernt.

    Fazit: Berührende Familiengeschichte, die mich nicht kalt gelassen hat und die ich gern empfehle. Die ideale Lektüre für Zwischendurch.

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  1. Die Feinheit liegt in der Kleinheit

    1914. Es ist der Beginn des Ersten Weltkrieges, als Josef Moosbrugger einberufen wird. Seine Frau Maria bleibt mit den vier Kindern zurück, am Rande des kleinen Vorarlberger Bergdorfes. Die Familie lebt für sich, es sind die Abseitigen, die „Bagage“, wie die Moosbruggers verächtlich von den Dorfbewohnern genannt werden. Abhängig vom Schutz und der Mildtätigkeit des Bürgermeisters meistert Maria den schweren und entbehrungsreichen Alltag. Bis sie auf Georg, einen jungen Deutschen trifft und sie sich für sehr kurze ein anderes Leben erträumt. Und auch wenn Josef zweimal Urlaub von der Front bei Frau und Familie verbringt, als Marias Bauch wächst, kommt sie umso mehr ins Gerede.
    Das Kind, mit dem Maria schwanger ist, ist Grete, die Mutter der Autorin. Monika Helfer erzählt die Geschichte ihrer Familie, ihrer Herkunft. Maria und Josef, das ist keine „heilige Familie“. Monika Helfer erzählt vom Großvater, der nie ein Wort mit Grete gesprochen hat, weil er sich seiner Vaterschaft nie sicher war. Sie erzählt vom Bürgermeister, der aufpassen sollte, und nicht Mann genug war, auf sich selbst aufzupassen, sie erzählt von den Onkeln Hermann, Lorenz, Walter und Sepp. Der aufrechten und aufrichtigen Tante Kathe, dem Leben und Sterben der Mutter. Von den eigenen Kindern, dem Sohn dem Maler und der Tochter, die viel zu früh ihr Leben verlor.
    Und von der Großmutter erzählt Monika Helfer. Von der schönen Maria, von deren Träumen, die Autorin und Enkeltochter nicht kennt und aufgrund ihrer „Nachforschungen“ wie ein Mosaik zusammensetzt. Es sind eigene Erinnerungen an die Verwandten, erzählte Erinnerungen an die Großmutter und das Leben abseits am Rande des Dorfes. Wie es so ist wenn, man nachdenkt, die Gedanken zu springen vom „Heute“ zum „Damals“ und „Wie es gewesen sein könnte“. So viele Menschen, so viele Jahre. Monika Helfer fasst und erfasst so viel Leben in diesen Roman. Die Feinheit dieses Buches liegt in seiner Kleinheit.

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  1. Klein, aber sehr fein

    Ja, genau so geht das. So, und nicht anders, sollte man Familiengeschichten schreiben. Monika Helfer erzählt von ihrer Familie, der Bagage oben auf dem Berg, die nichts zu essen aber viele Kinder hatte. Über die man gerne tratschte, weil die Maria zu schön war und alle Männer von ihr träumten.

    Die schöne Maria Moosbrugger war die Großmutter der Autorin und musste daheim die Stellung halten, als Josef, ihr Mann, in den Ersten Weltkrieg zog.

    Davon, und von noch viel mehr, erfährt man hier in kleinen Portionen, ein Schnipsel hier und einer da, dann noch ein Schlenker, durch drei Generationen.
    Der Erzählstil ist so eigen wie genial. Hier spricht eine Österreicherin beinahe so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, nach der Schrift natürlich, trotzdem mit einem lokalen Einschlag, viel Intuition, Einfühlungsvermögen und Sinn für Poesie. Man muss sich daran gewöhnen, aber hat man sich eingelebt, fegt es einen weg.

    Dieses Buch ist klein, aber sein fein, unterhaltsam und mitreißend, aufwühlend. Es lässt uns mitfühlen, wie es ist mitten im Krieg zu leben, zu überleben, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.

    Ich bin sehr beeindruckt und erwarte, diesen Titel auf der nächsten Buchpreisliste zu sehen.

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  1. Ein sehr persönliches Buch

    Die Geschichte ihrer Familie erzählt Monika Helfer in ihrem knapp 160-seitigen Roman „Die Bagage“, erschienen im Februar 2020 im Carl Hanser Verlag.
    Sie lebt abgeschieden, die Familie Moosbrugger – am Rande eines kleinen Dorfes, am Rande der Gesellschaft. Weitgehend Selbstversorger, hat sie kaum genug, um über die Runden zu kommen. Als dann der Erste Weltkrieg ausbricht, wird Josef, der Ernährer, eingezogen. Zurück lässt er seine schöne Frau Maria und seine Kinder, die von nun an mehr oder weniger auf sich gestellt sind – unterstützt allein vom Bürgermeister des Dorfes, der sich allerdings immer wieder an Maria heranmacht. Und dann ist da noch der hübsche Hannoveraner Kaufmann Georg, der ebenfalls seinen Weg zu Maria findet. Kurze Fronturlaube entfremden die Familie eher, als dass sie sie zusammenschweißen. Als Maria schwanger wird und Grete gebiert, keimt in Josef der Verdacht, dass seine Frau ihm ein Kuckuckskind ins Nest gesetzt hat … und er wird zeitlebens nie ein Wort mit diesem Mädchen, der Mutter der Autorin, wechseln.
    Ich muss gestehen, dass ich mit anderen Erwartungen an das Buch herangegangen bin, als das Buch schließlich erfüllte. Ich dachte, mehr über Gretes Leben und Entwicklung zu lesen – wie schrecklich muss es sein, vom eigenen Vater ignoriert zu werden. Stattdessen erzählt Helfer die Geschichte sämtlicher Familienmitglieder, von 1914 bis hinein in die Gegenwart. Grete spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle, im Zentrum stehen Josef und Maria Moosbrugger.
    Das Buch beginnt mit einem Idyll: Ein Bild soll gemalt werden, von einem kleinen Haus in einer heilen Welt. Leserinnen und Leser werden dabei direkt von der Autorin angesprochen, zum Stift zu greifen und loszulegen. Doch dann ein Bruch: „Die Wirklichkeit weht hinein in das Bild, kalt und ohne Erbarmen.“ (S. 7) Der Vater zieht in den Krieg, die Familie kämpft ums Überleben. Durch Vorgriffe in die spätere Geschichte zeigt Monika Helfer immer wieder auf, wie insbesondere die Kriegsjahre mit ihren Folgen das weitere Schicksal ihrer Familie geprägt haben. Besonders beeindruckt hat mich dabei, wie treffend sie am Beispiel ihres Großvaters Josef aufzeigt, wie der Krieg den einst selbstbewussten Mann und seine Beziehung zu seinen Lieben verändert hat.
    Aber auch die Schwierigkeiten, die ihre Großmutter als schönste Frau des Dorfes, von Männern begehrt, von Frauen verachtet, hatte, wird plastisch insbesondere anhand des Bürgermeisters beschrieben. Dieser wankt immer wieder zwischen seinem Versprechen, sich um Maria zu kümmern, und seinem Begehren nach ihr. Wie geächtet die Familie Moosbrugger in ihrer Gemeinde ist, wird sehr anschaulich, wenn sie in der Kirche in der hintersten Bank knien und beten muss – auch hier, wo die Gemeinde sich am nächsten sein sollte, ist also kein Platz für die „Bagage“.
    Vieles bleibt in diesem Buch unklar, die Familiengeschichte ist, wie wohl jede, von Legenden umwoben: Ist die im Krieg geborene Grete Josefs Tochter? Er bezweifelt es, die Familie glaubt es. Doch, wie oben schon beschrieben, hätte mich gerade Gretes Schicksal noch mehr interessiert, als es in diesem Buch erörtert wird.
    Monika Helfers Sprache ist eher einfach, dem Inhalt der Geschichte dadurch jedoch umso angemessener. Auch hatte ich während des Lesens oftmals das Gefühl, mit der Autorin zusammen über das Leben ihrer Familie zu philosophieren, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass sie immer wieder Stichpunkte aufgreift, um auf spätere Schicksale zu schreiben zu kommen. Dieses hilft beim Lesen, tief in die Geschichte einzutauchen sowie mit der Familie mitzuleben und mitzuleiden.
    Auch wenn das Buch nicht die Geschichte erzählt, die ich im Vorfeld erwartete, habe ich es nicht bereut, es zu lesen. Eindrücklich und mitreißend erzählt Monika Helfer hier eine, nämlich ihre (Familien-)Geschichte des 20. Jahrhunderts – jenseits von Ruhm und Geld, sondern eine Geschichte einer einfachen Familie fast am Rande der Gesellschaft, die zu lesen sich auf jeden Fall lohnt.

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  1. Muss man eigentlich gelesen haben.

    Kurzmeinung: Auf wenigen Seiten viel Familiengeschichte. Unsentimental, tiefgehend.

    Der Erste Weltkrieg reißt den Ernährer der Kleinfamilie Moosbrugger weg. Das ist eine Katastrophe, denn sie haben sowie so schon wenig und wie sollen sie ohne Josef über die Runden kommen? Moosburgers Frau Maria ist die schönste Frau in der bäuerlichen Umgebung. Doch Schönheit ist ein Fluch in diesen Zeiten. Die einfachen Mannsleute haben sie immer schon begehrt. Josef, ihr Mann, weiß das und beauftragt einen Aufpasser.

    Maria, die Mutter, kämpft während der Abwesenheit des Mannes zusammen mit ihren heranwachsenden Kindern ums Überleben und gegen die Nachstellungen des Bürgermeisters, der eigentlich geschworen hat, sie zu beschützen. Auch nach dem Ersten Weltkrieg ist die Familie von mancherlei Kalamitäten verfolgt. Denn wenn der Krieg vorbei ist, ist er nicht vorbei. Es dauert einige Generationen bis er ausgewaschen ist. Die psychischen Schäden betreffen noch die nachfolgenden Kinder und deren Kinder.

    Die vorliegende, ziemlich düstere, Familiengeschichte ist über den Zweiten Weltkrieg hinaus geschrieben und aus Sicht der erwachsenen Enkelin erzählt, die ebenfalls einige Schicksalsschläge hinnehmen musste. Dadurch ist man manchmal ganz nah dran, aber manchmal auch ganz weit weg und muss gut aufpassen, um mitzukriegen, von wem in jeder Zeile die Rede ist. Denn der Roman ist kurz.

    Monika Helfer schreibt in gewohnter fesselnder und natürlicher Weise. Man ist sofort drin in der Geschichte und weiß, so war das. Ja. So war das wirklich, früher. So wenig hat man seine Onkel und seine Tanten gekannt, nur einen Bruchteil ihres Lebens gewusst. Es waren andere Zeiten. Schlimme Zeiten. Und es brauchte einige Generationen, daraus herauszuwachsen. Manches war schön, manches war hart, die Menschen, die diese Zeiten erlebt haben, sind spröde geworden und schweigsam geblieben. Vor allem die Männer. Unter den Spätfolgen leiden allerdings alle.

    Fazit: Es ist eine Kunst, so viel Familiengeschichte in nur 160 Seiten zu packen. Da sind natürlich Lücken. Dennoch vermisst man nichts. Das Buch ist anrührend. Aber völlig unpathetisch. Wunderbare Sprache. Einfach gehalten, um nachzuzeichnen, wie die Charaktere gewesen sind. Trotzdem keine leichte Kost. Sehr viel Schicksal.

    Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
    Verlag, Hanser, 2020

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  1. Die Last der Vergangenheit

    Monika Helfer erzählt in ihrem gerade mal 160 Seiten langen Roman „Die Bagage“ von der Last der Vergangenheit über mehrere Generationen hinweg, von der Zähigkeit des dörflichen Lebens, vom Fluch der Schönheit und von der Mühsal des Überlebens.
    Vom Weltkrieg bis in die Gegenwart reicht das schmale Buch, das trotz der Knappheit eine Familiengeschichte dreier Generationen enthält, die die eigene der Schriftstellerin ist.
    Maria und Josef leben am Rand des österreichischen Bergdorfes, haben viele Kinder, aber an allem anderen herrscht Knappheit. Als Josef eingezogen wird als Soldat im Ersten Weltkrieg verschlimmert sich die Situation für die Familie Moosbrugger. Maria ist eine Schönheit, seit langem von den Männern begehrt und von den Frauen verachtet. Der Bürgermeister des Dorfes, den Josef um Schutz für seine Frau bat, macht sich gewaltsam an Maria heran. Die Vorführung männlicher Potenz, die Eifersucht und Missgunst der Frauen treten immer mehr zutage, dazu der Krieg, der auch die abgegrenzte Dorfwelt berührt.
    Maria wird schwanger, und es ist unwahrscheinlich, dass das Kind vom sehr selten gesehenen Josef ist. Fragen kommen auf, ob der Bürgermeister oder Georg, ein Mann aus Hannover, in den sich Maria verliebte, der Vater sein könnten. Das Kind, Grete, ist die Mutter der Autorin, von dem letztlich sogar Josef glaubt, daß ihm ein Kuckucksei ins Nest gelegt wurde. Nach dem Krieg ist die Tochter Grete für ihn nicht existent, er spricht sein ganzes Leben kein Wort mit ihr.
    Die Bagage sind arme Menschen und gleichzeitig Lasten, die man mit sich herumträgt. Zeitlebens gemobbt von Josef, was die Autorin äußerst naturalistisch darzustellen vermag, wächst Grete in armen Verhältnissen und umgeben von Geheimnissen und Missgunst auf, trägt die Last ihrer armen Herkunft und den Makel ihrer Geburt.
    Das Buch „Die Bagage“ ist dicht erzählt, und durch die Nähe zur Familiengeschichte der Autorin ist man beim Lesen ganz nahe am Geschehen, auch wenn große Zeitsprünge und Vielstimmigkeit höchste Konzentration verlangen. Der emotionale Ballast wird weitergereicht von einer Generation zur nächsten, und alle erzählen davon.
    Liebevoll und zugleich schonungslos, ohne Schnörkel, betrachtet Monika Helfer ihre Figuren, die sich auf oft krummen Wegen im Abseits bewegen müssen. Dass es sich dabei um ihre eigene Geschichten handelt, macht das Buch für mich umso eindrucksvoller.
    Stilistisches das Buch nur scheinbar einfach verfasst, entsprechend der dörflich-hinterwäldlerischen Redeweise, denn es steckt voller hintersinnigem Witz. Man merkt dem Text an, dass die österreichische Schriftstellerin schon mehrere Romane veröffentlicht hat, von dem einerseits zwei Jahren für den Deutschen Buchpreis nominiert war.

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