Die Aufdrängung: Roman (edition suhrkamp)

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Aufdrängung: Roman (edition suhrkamp)' von Ariane Koch
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2 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Aufdrängung: Roman (edition suhrkamp)"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:179
EAN:9783518127841

Rezensionen zu "Die Aufdrängung: Roman (edition suhrkamp)"

  1. Wer drängt sich hier wem auf?

    “Die Sprache kann mich überhaupt nicht abholen.” Das habe ich mir nach den ersten gelesenen Seiten schon ins Lesetagebuch notiert.

    Immer wieder und wieder die gleiche simple Satzstruktur, so schien es mir. Inhaltlich mal banal, dann wieder bemüht tiefgründig und dennoch bedeutungsleer. Aber da stutzte ich auch zum ersten Mal. ‚Bemüht tiefgründig‘? Wer will denn hier tiefgründig sein, die Protagonistin oder die Autorin? Oder ich, als Leserin, die gefälligst Bedeutung serviert bekommen will?

    »Es gibt Menschen, bei denen es so aussieht, als hätten sie schon immer genau dort hingehört, wo sie sich gerade befinden, obwohl sie eben erst gekommen sind. Es gibt Menschen, denen sieht man gar nicht an, dass sie eigentlich nicht dort hingehören, wo sie sich gerade befinden, beziehungsweise scheinen sie überall hinzugehören.«
    (Zitat)

    Wie dem auch sei – die Sprache zeichnet ein Bild, das sich nicht nur anfangs meiner Interpretation entzog. Sätze häufen sich an, die immer aufs Neue immer wieder das Gleiche aussagen, nur… Nur leicht umformuliert? Komplett umgedreht? Oder – gänzlich auf den Kopf gestellt? Denn die Erzählerin ist unzuverlässig par excellence, widerspricht sich mit Gusto und ohne jede kritische Selbstwahrnehmung.

    Möglicherweise will die Autorin mit alldem zeigen, wie bedeutungsleer das Leben der Protagonistin ist, wie festgefahren im immer gleichen Trott? Das liest sich wie eine gekonnte Komposition der scheinbaren Nichtigkeiten. Zu gezielt, um nicht unter der Hand mit gezinkten Karten zu spielen. Da steckt doch mehr dahinter! Da muss doch! Und tatsächlich, wenn man zu lange in den Abgrund starrt, starren mögliche Bedeutungsebenen zurück. Oder sowas in der Art. Da verdreht die Rezensentin vor Schreck die Metaphern.

    In der Tat erlaubt gerade die oberflächlich wahrgenommene Beliebigkeit eine Vielzahl an möglichen Interpretationen. Wer ist die Protagonistin? Wer ist der Gast? Was verkörpern sie?

    »Dort, wo der Gast hergekommen ist, ist er jetzt nicht mehr. Dort, wo er war, ist jetzt nur noch ein Nicht-Gast. Dort, wo der Gast nicht mehr ist, hat es jemand mit einer Leere zu tun, vielleicht einer pulsierenden Leere. Jemand sieht sich mit der Abwesenheit des Gastes konfrontiert. Jemand ist vielleicht verwundert, vielleicht traurig, vielleicht froh darüber. Alles, was der Gast hier zu viel sein könnte, ist er vielleicht irgendwo zu wenig. Hier hat nichts gefehlt. Hier hat niemand auf einen Gast gewartet.«
    (Zitat)

    Bei mir entstand der Eindruck, man könne das Buch eindampfen auf 50 Seiten und es würde der Geschichte guttun. Die krankt in meinen Augen allzu sehr daran, dass sie mit Bedeutungslosigkeit kokettiert und jeden Interpretationsansatz darunter erstickt. Dabei ist die Grundsituation an sich sehr interessant; nur die Art und Weise, wie sie präsentiert wird, fällt bei mir flach. Als Theaterstück wäre die Geschichte sicher großartig!

    Wie schon gesagt, die Erzählerin widerspricht sich. Mal beherrscht der Gast ihre Sprache überhaupt nicht, und es drängt sich der Gedanke auf, es gehe im Grunde um Migration und/oder Fremdenhass. Dann wieder ist der Gast der Sprache anscheinend durchaus mächtig; eine Annäherung von Gastgeberin und Gast also. Steckt dahinter eine Sehnsucht nach Weite? Nach einer Erweiterung des eigenen Horizonts?

    Mal liebt sie den Gast, dann hasst sie ihn. Mal drängt sie sich ihm auf, dann fühlt sie sich von ihm bedrängt. Eine Beziehungsparabel also? Oder eine Geschichte der weiblichen Selbstbehauptung gegen die Geschlechternorm? Spätestens bei diesem Gedanken fragte ich mich, ob ich gerade krampfhaft versuche, irgendetwas im sprichwörtlichen Tintenklecks zu sehen – egal was!

    Oder vielleicht gibt es den Gast ja gar nicht! Der Gedanke beschlich mich, weil sie immer wieder Eigenschaften an ihm kritisiert, die sie ganz offensichtlich selber an den Tag legt. Sie liebt sich. Sie hasst sich. Was würde das dann bedeuten? Auf jeden Fall würde es von einem sehr zwiespältigen Selbstbild zeugen. Das wiederum wird auch deutlich im nebenher angedeuteten Verhältnis zur Familie. Die Eltern haben sich schon lange aus dem familiären Heim davongemacht und die Erzählerin zurückgelassen – der natürliche Prozess der kindlichen Abnabelung mal umgekehrt. Vielleicht wirkt sie daher wie ein ewiges Kind, das zwar seit Jahren vorhat, den Absprung zu wagen, aber nie wirklich springt?

    Fazit

    Eine Frau nimmt einen Gast auf. Alles andere ist Ansichtssache.

    Alle, alle drängen sich der Erzählerin auf; so könnte man zumindest meinen. Bar jeder Selbstreflexion verdammt sie sich indes in ihren eigenen Worten (denen man übrigens nicht glauben darf) als diejenige, die sich aufdrängt. Ob das Ganze eine Parabel ist, ein Schelmenstück oder eine bitterböse Satire – das ist eine gute Frage, die ich mir nicht beantworten kann. Eine fortlaufende Handlung gibt es auf jeden Fall nicht, nur Episoden, die vielleicht etwas bedeuten, vielleicht auch nicht.

    Die Sprache erschien mir über weite Strecken als zu gewollt. Seht her, Tiefgang! Dann wieder rezitiert die Erzählerin gebetsmühlenartig Sätze, die penetrant an der Oberfläche bleiben; das ist so widersprüchlich wie alles an dieser Geschichte. Ich biss mir die Zähne daran aus, und dennoch haderte ich mit mir und meiner Meinung. Denn es gibt Passagen, die schlagen ein wie Granaten – so grandios, dass mir der Atem stockt. Bitte mehr davon! Auch von dem ironischen Humor, der immer mal wieder aufblitzt, hätte ich gerne mehr gesehen.

    Aber leider bleibt mir am Schluss nur die Einsicht: Du kannst nicht alle Bücher lieben, und das muss nicht mal die Schuld der Bücher sein.

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