Die Arena: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Arena: Roman' von Négar Djavadi
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4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Arena: Roman"

Benjamin Grossman hat es geschafft, so glaubt er: Einst in einem Pariser Problemviertel aufgewachsen, ist er als Europachef des amerikanischen Streaming-Anbieters BeCurrent, vergleichbar mit Netflix, in die Stadt zurückgekehrt. Ein kleiner, banaler Fehler zieht aberwitzige Folgen nach sich: Er verliert sein kostbares Handy - mit George Clooneys Privatnummer! - oder wurde es ihm gestohlen? Der Junge, den er als Dieb verdächtigt und gegen einen Eisenzaun geschubst hatte, wird am nächsten Morgen tot aufgefunden. War er Schuld daran? Eine junge, türkischstämmige Polizistin tritt dem Toten, den sie für betrunken hält, in die Seite. Ein zusammengeschnittenes Video davon geht viral: Ganz Paris, die dauererregte Stadt der sozialen Gegensätze, der Reichen und Geflüchteten, der Migranten und Medienmogule, ist in Aufruhr – und die sozialen Medien wirken als Brandbeschleuniger. In einer Art Victor Hugo-Roman 2.0 über Paris als eine Weltstadt des radikalen Wandels erzählt Négar Djavadi in dieser rasanten Geschichte von Menschen unter Druck, von Siegern und Besiegten, von einer Jugend, die keinen Schutz mehr zu genießen scheint, und von einem Erfolgszwang, der immer neue Opfer fordert. Ein faszinierendes Panorama unterschiedlichster Milieus, ein großer Gesellschaftsroman über eine Stadt, in der ein kleiner Funke riesige Brände entfachen kann.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:463
Verlag: C.H.Beck
EAN:9783406791260

Rezensionen zu "Die Arena: Roman"

  1. Ein besonderes Buch

    Klappentext:

    „Benjamin Grossman hat es geschafft, so glaubt er: Einst in einem Pariser Problemviertel aufgewachsen, ist er als Europachef des amerikanischen Streaming-Anbieters BeCurrent, vergleichbar mit Netflix, in die Stadt zurückgekehrt. Ein kleiner, banaler Fehler zieht aberwitzige Folgen nach sich: Er verliert sein kostbares Handy - mit George Clooneys Privatnummer! - oder wurde es ihm gestohlen? Der Junge, den er als Dieb verdächtigt und gegen einen Eisenzaun geschubst hatte, wird am nächsten Morgen tot aufgefunden. War er Schuld daran?

    Eine junge, türkischstämmige Polizistin tritt dem Toten, den sie für betrunken hält, in die Seite. Ein zusammengeschnittenes Video davon geht viral: Ganz Paris, die dauererregte Stadt der sozialen Gegensätze, der Reichen und Geflüchteten, der Migranten und Medienmogule, ist in Aufruhr – und die sozialen Medien wirken als Brandbeschleuniger. In einer Art Victor Hugo-Roman 2.0 über Paris als eine Weltstadt des radikalen Wandels erzählt Négar Djavadi in dieser rasanten Geschichte von Menschen unter Druck, von Siegern und Besiegten, von einer Jugend, die keinen Schutz mehr zu genießen scheint, und von einem Erfolgszwang, der immer neue Opfer fordert. Ein faszinierendes Panorama unterschiedlichster Milieus, ein großer Gesellschaftsroman über eine Stadt, in der ein kleiner Funke riesige Brände entfachen kann.“

    „Die Arena“ - treffender könnte dieser Roman eigentlich nicht heißen, denn das Leben ist wahrlich eine Arena und Autorin Négar Djavadi zeigt das hier mehr als treffend. Jeder kämpft für sich allein ums blanke Überleben. Es gibt Reich, es gibt Arm, es gibt die Gebildeten und es gibt die, die nur einen „einfachen“ Schulabschluss haben, es gibt die eine Religion und es gibt die andere - kurzum: der Mensch denkt mittlerweile nur noch in Schubladen. Djavadi beschreibt dies in ihrer Geschichte anhand verschiedenster Figuren. Ihr Sprachstil hat es mir beim lesen dennoch nicht einfach gemacht konstant an der Geschichte zu bleiben. Djavadi schweift aus und zwar wirklich großzügig, sie beschreibt die Umgebungen so detailliert, dass man zwar meint, man stehe in Paris, aber weiß irgendwann nicht mehr warum und in welcher Straße. Der rote Faden der Geschichte geht durch diese extremen Beschreibungen immer etwas verloren und man muss sich schon konzentrieren um hier bei der Sache zu bleiben und nicht zu meinen man mache hier eine Stadtführung. Ihre Geschichten sind real aufgebaut und ja, wenn wir ehrlich sind, könnten solche Storys Realität werden bzw. sind es schon. Sie zeigt Milleus auf und die damit resultierende Meinung dazu und sie zeigt auch den Fehler auf, wenn man diese Milleus alle in einen Topf steckt. Jeder Mensch ist individuell! Djavadi verzettelt sich nach meiner Meinung zu sehr in ihren Wortspielereien und Beschreibungen. Der Tenor der Geschichte kommt schon irgendwie heraus aber er liegt auch oft im Nebel der Arena selbst.

    Fazit: interessante Geschichte die der Realität in nichts nachsteht aber ihre Umsetzung war mir einfach zu anstrengend und zu speziell. 3 von 5 Sterne.

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  1. 4
    20. Jul 2022 

    Paradies

    Nicht gerade im besten Viertel von Paris ist Benjamin Grossmann aufgewachsen, nachdem sein Vater abgehauen ist. Doch endlich hat er es geschafft, er ist zum Europachef eines amerikanischen Streaming-Anbieters aufgestiegen. Mit seiner Lebensgefährtin läuft es bestens. Ein neues Projekt ist ebenfalls am Start. Doch dann verliert er aus Unachtsamkeit - oder wurde es gestohlen? - sein teures Smartphone. Er darf nicht daran denken, wenn der Code geknackt wird. Er muss es schaffen, das Teil zurückzubekommen. Benjamin ahnt nicht, was er mit seiner Suche auslöst, die bei einem vermeintlichen Migranten beginnt und dann eine Kettenreaktion auslöst, die so wirklich nicht vorhersehbar ist.

    Seine einfache Herkunft kann Benjamin Grossmann nicht verleugnen. Als seine Mutter ihm eröffnet, dass sie sein Zimmer an einen jungen unbegleiteten Flüchtlingsjungen vergeben hat und ihn bittet, seine Sachen abzuholen, ist er doch verletzt. Im Job ist auch mehr Schein als Sein, die Unsicherheit, die ihn häufiger überfällt, weis er gut zu überspielen. Der Verlust des Handys wirft ihn schon aus der Bahn, bei dem Gedanken, was alles darauf gespeichert ist, wird ihm sehr unwohl. Richtig mit der Angst zu tun bekommt Grossmann es, als der Junge, den er im Verdacht hat, das Handy zu haben, tot aufgefunden wird.

    Ein auf den ersten Blick eher dummer Vorfall löst in diesem Roman etwas aus, mit dem nicht zu rechnen war. Nach der Beschreibung erhofft man ein turbulentes Chaos, in dem eine aberwitzige Wendung der nächsten folgt. Tatsächlich bekommt man eine Beschreibung einer Wirklichkeit, die wahrscheinlich nicht allzu fern vom heutigen Paris ist. Etwas schaukelt sich durch falsche Deutungen oder Einschätzungen zu einem Finale auf, das möglicherweise unvermeidlich, aber auch als belastend empfunden werden kann. Man wünscht sich, das Schlimmste hätte verhindert werden können. Was die Lektüre etwas erschwert, ist die vergebliche Suche nach einem Sympathieträger und die manchmal ein wenig ausufernden Beschreibungen. Dann aber gibt es diese mitreißenden Szenen, die einen wirklich packen und durch die man einen Eindruck von der Gemengelage im Paris von heute gewinnt. Ein tiefer Einblick in die Seelen derer, die häufig vergessen werden.

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  1. 5
    16. Jul 2022 

    Hautnah am Puls der Zeit

    Djavadis zweiter Roman spielt in Paris und lenkt unseren Blick auf die Viertel, in denen Arbeiter und Migranten wohnen – übel beleumundet, von der Politik vergessen, aber, so wie im Fall Belleville, das absurd nah an den Glamourvierteln der Seinestadt liegt, einem langsamen Prozess der Gentrifizierung unterworfen. Benjamin Grossmann, die Hauptfigur des Romans, stammt aus Belleville, wo seine Mutter immer noch lebt. Er selbst hat es ganz nach oben geschafft – er leitet die französische Niederlassung von BeCurrent, einem Konkurrenten von Netflix. Da kommt ihm nach einem Besuch bei seiner Mutter sein Handy abhanden. Seine Versuche, es wiederzubekommen, lösen (analog zum Schmetterling, dessen Flügelschlag einen Sturm auslöst) eine Kette von Ereignissen aus, an deren Ende Belleville brennt und Menschen sterben.

    Der Roman punktet durch filmische Taktung und ein Tempo, das einen unweigerlich mitzieht. Die Handlung wird getragen von einem Strauß Figuren, die alle subtil miteinander verflochten sind, ohne sich je kennenzulernen. Jede Figur besitzt Tiefe und wirkt authentisch; Djavadi kennt ihr Personal. Alle machen sich die Ereignisse zunutze, um ihre Interessen voranzutreiben. Von der rebellischen Teenagerin, die sich auf Twitter profilieren will, bis zum opportunistischen Gründer eines muslimischen Fernsehsenders – alle haben ein Ziel, für das sie bedenkenlos Regeln brechen. Djavadi wirft einen scharfen Blick auf die französische Gesellschaft, in der die Migranten es am schwersten haben. Dabei zoomt sie auf die Macht der Bilder. Nicht nur auf den Bilderstrom der BeCurrent-Serien, der anstelle des eigenen Lebens konsumiert wird. Sondern vor allem auf die Bilder, die aus dem Zusammenhang gerissen, geschnitten und neu zusammengesetzt eine Fiktion bilden, die im Augenblick des Postens zur Wahrheit wird. Schon eine Woche später ist diese Wahrheit vergessen, hat aber eine Spur der Verheerung nach sich gezogen. Fiktion und Realität sind keine Gegensätze für die großen Medienkonzerne Twitter, Facebook und Co. Djavadi denkt dieses Prinzip zu Ende und zeigt, wohin es in letzter Konsequenz führen kann.

    Weitere Themen des Romans sind: Der gnadenlose Leistungsdruck in den Medienkonzernen. Der Zwang zur (chemischen) Selbstoptimierung, wenn man im Arbeitsmarkt nicht abgehängt werden will. Rassismus, Sexismus und Rechtsextremismus – auch bei der Polizei. Das Problem der fehlenden Väter. Und die Solidarität der Mütter - die der Täter und die der Opfer. Das alles ist so gut in die Handlung eingebunden, dass keine Überfrachtung entsteht. Ein Fresko der modernen Gesellschaft.

    Bei aller Action gibt es auch ruhige Passagen im Roman – wenn Djavadi philosophische Reflexionen einschiebt, zum Beispiel über die Aussicht von BeCurrents Panoramaterrasse, die dem Betrachter „ein grandioses Gefühl von Fülle und Macht“ verleiht, „vor allem aber das, privilegiert zu sein, über dieser herrlichen Stadt zu schweben, …“ Das erzeugt Atmosphäre und erlaubt kleine Verschnaufpausen in der Story, die ansonsten atemlos vorangetrieben wird. Moderato – crescendo – furioso – so heißen (völlig zu Recht) die drei Teile des Romans. Am Ende hat sich für alle Protagonisten etwas – teilweise dramatisch – verändert. Nur Paris, die Arena, in der alle darum kämpfen, ein kleines bisschen weiter nach oben zu kommen, erfindet sich täglich neu und bleibt doch gleich. Djavadis Paris schillert - und fasziniert wie eh und je.

    „Sam läuft langsamer. Vor ihr erstreckt sich, soweit das Auge reicht, das funkelnde Wasser des Canal Saint Martin. […] Zwar kennt sie in diesem Viertel jeden Winkel wie ihre Hosentasche, doch dieser Anblick erfüllt Sam mit einem intensiven und innigen Gefühl. Der Eindruck, dass all diese Schönheit sie von einer ungeahnten Last befreit, indem sie sie mit einem Teil von ihr verbindet, der so sanft pochend und weich ist wie der Schädel eines Neugeborenen.“

    Ein großartiger Roman. Hart, klarsichtig, hautnah am Puls der Zeit. Lesen!

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