Der Zopf meiner Großmutter

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Zopf meiner Großmutter' von Alina Bronsky
3.75
3.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Zopf meiner Großmutter"

Gebundenes Buch
Meine Großmutter, mein Großvater, seine Geliebte und ich.
"Ich kann mich genau an den Moment erinnern, als mein Großvater sich verliebte. Es war klar, dass die Großmutter nichts davon mitkriegen sollte. Sie hatte schon bei geringeren Anlässen gedroht, ihn umzubringen, zum Beispiel, wenn er beim Abendessen das Brot zerkrümelte."
Kaum jemand kann so böse, so witzig und rasant von eigenwilligen und doch so liebenswerten Charakteren erzählen wie Alina Bronsky: Max' Großmutter soll früher einmal eine gefeierte Tänzerin gewesen sein. Jahrzehnte später hat sie im Flüchtlingswohnheim ein hart-herzliches Terrorregime errichtet. Wenn sie nicht gerade gegen das deutsche Schulsystem, die deutschen Süßigkeiten oder ihre Mitmenschen und deren Religionen wettert, beschützt sie ihren einzigen Enkel vor dem schädlichen Einfluss der neuen Welt. So bekommt sie erst als Letzte mit, dass ihr Mann sich verliebt hat. Was für andere Familien das Ende wäre, ist für Max und seine Großeltern jedoch erst der Anfang.
Ein Roman über eine Frau, die versucht, in einer Gesellschaft Fuß zu fassen, die ihr entgleitet. Über einen Mann, der alles kontrollieren kann außer seine Gefühle. Über einen Jungen, der durch den Wahnsinn der Erwachsenen navigiert und zwischen den Welten vermittelt. Und darüber, wie Patchwork gelingen kann, selbst wenn die Protagonisten von so einem seltsamen Wort noch nie gehört haben.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783462051452

Rezensionen zu "Der Zopf meiner Großmutter"

  1. 4
    29. Jun 2019 

    Oma Rita

    Maxim ist beinahe sechs, seine Großeltern sind mit ihm von Russland nach Deutschland gekommen. Sie wohnen noch im Übergangsheim. Die Großmutter betüdelt Max zum einen von hinten und vorn, zum anderen jedoch führt sie auch ein strenges Regiment. Es gibt einfach zu viele Dinge, die Max nicht darf. So vieles ist verboten, weil es gefährlich sein könnte. Max’ Opa ist dagegen die Ruhe selbst, kaum je sagt er etwas, immer wirkt er zuverlässig. Und doch ist er es, der sich in der Fremde neu verliebt. Und Max ist der, der mit der Tochter der neuen Liebe zur Schule geht.

    Wo sind denn seine Eltern? Schließlich ist Max mit den Großeltern da. Und die Großmutter, die die Bekanntschaft ihres Mannes mit Nina eher noch bestärkt. Merkt sie nichts oder macht sie es absichtlich. Man kann sie nicht durchschauen, allerdings traut man ihr so einiges zu. Schließlich wird vermutet, dass sie mal eine gefeierte Tänzerin war. Indessen quält sich Max mit seiner Nicht-Schwester Vera, die schon in jungen Jahren geschäftstüchtig ist. Doch auch Max entledigt sich findig der vielen Einschränkungen, die ihm die Großmutter auferlegt. Man stelle sich nur das erste Eis spendiert vom Großvater vor, das er kaum zu essen wagt.

    Sie sind schon sehr skurril die Mitglieder dieser ungewöhnlichen Patchwork-Familie. Aus Sicht des erwachsenen Lesers wirken die Kinder noch am normalsten, obwohl das bei den Eltern nicht so einfach ist. Die Großmutter scheint so ein russisches Urgestein zu sein, die eigentlich an Deutschland am liebsten kein gutes Haar lassen würde. Man fragt sich, wieso sie überhaupt eingewandert sind. Das hat dann aber wohl etwas mit Max zu tun, der, obwohl er in den Augen der Großmutter nicht viel taugt, doch eine bessere Zukunft haben soll. Man kann sich richtig vorstellen, wie Oma Rita mit nur wenigen deutschen Worten alle einschüchtert und sich nur mit ihrem Tonfall auch auf russisch verständlich machen kann. Und so schmunzelt man mit ihnen, leidet manchmal und schüttelt auch mal den Kopf, über die etwas gewöhnungsbedürftige Auffassung der Einwanderer. Mit Leichtigkeit schafft es die Autorin uns deren Lebenswelt nahe zu bringen, einfach im Sinne, so sind sie eben. Diese erfrischende Familiengeschichte hat Tiefgang, zum Glück ohne Schwermut auszulösen.

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  1. 4
    08. Jun 2019 

    Bitterböse, schwarzhumorig, zwischenmenschlich und skurril...

    Max’ Großmutter soll früher einmal eine gefeierte Tänzerin gewesen sein. Jahrzehnte später hat sie im Flüchtlingswohnheim ein hart-herzliches Terrorregime errichtet. Wenn sie nicht gerade gegen das deutsche Schulsystem, die deutschen Süßigkeiten oder ihre Mitmenschen und deren Religionen wettert, beschützt sie ihren einzigen Enkel vor dem schädlichen Einfluss der neuen Welt. So bekommt sie erst als Letzte mit, dass ihr Mann sich verliebt hat. Was für andere Familien das Ende wäre, ist für Max und seine Großeltern jedoch erst der Anfang. Ein Roman über eine Frau, die versucht, in einer Gesellschaft Fuß zu fassen, die ihr entgleitet. Über einen Mann, der alles kontrollieren kann außer seine Gefühle. Über einen Jungen, der durch den Wahnsinn der Erwachsenen navigiert und zwischen den Welten vermittelt. Und darüber, wie Patchwork gelingen kann, selbst wenn die Protagonisten von so einem seltsamen Wort noch nie gehört haben.

    "Ich kann mich genau an den Moment erinnern, als mein Großvater sich verliebte (...) Bis dahin hatte ich mich für das einzige Problem meiner Großeltern gehalten..." (S. 5)

    Auch wenn hier aus der Ich-Perspektive von Max erzählt wird, der zu Beginn knapp sechs Jahre alt ist und im Laufe des Romans der Pubertät entgegen wächst, gibt es hier unbestritten nur einen Hauptcharakter: die Großmutter. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber das Wort 'Großmutter' impliziert für mich Attribute wie 'weise', 'gütig', 'freundlich', 'großzügig' oder auch 'verwöhnend'. Nun, auf die Großmutter in diesem Roman trifft jedenfalls nichts davon zu.

    Max ist zu Beginn des Romans mit seinen Großeltern gerade aus Russland nach Deutschland gezogen und lebt mit ihnen in einem Wohnheim für Auswanderer. Die Wohnverhältnisse sind äußerst beengt, der Großvater wortkarg, die Großmutter dagegen - nicht. Wortreich schwadroniert sie durch den Tag, hat zu jedem und allem etwas zu sagen - und nichts davon freundlich. Schimpfend und pöbelnd herrscht sie jeden an, vor allem den kleinen Max, der ein Idiot, eine Belastung, ein stets vom Tod bedrohtes Kind sei.

    Tatsächlich behandelt sie ihn zwar barsch, dabei aber übertrieben fürsorglich - Schokolade, Weißmehl, Kuchen: alles zu gefährlich für den kleinen Organismus. Stattdessen gibt es zerkochtes, ungewürztes Gemüse, meist noch zu einem faden Brei gestampft. Was klingt als sei es ein Fall für das Jugendamt, hat mich im Gegenteil köstlich amüsiert. Die Schilderungen sind vor allem am Anfang des Romans gleichzeitig haarsträubend und zum Brüllen komisch.

    "Die Worte glitten an mir vorbei, und ich wollte ihnen nicht einmal hinterherdenken. Doch dann kehrten sie um, wie der Wind manchmal die Richtung wechselt, und bohrten sich in mein Hirn." (S. 119)

    Würde man sich in die Lage von Max versetzen, müsste man schreiend davon laufen. Aber Alina Bronsky hat den Ich-Erzähler nicht weinerlich oder selbstmitleidig veranlagt, sondern eher stoisch wie seinen Großvater, beobachtend und doch seiner Wege gehend. Er findet im Laufe der Zeit 'Lücken im System', die er zu nutzen weiß - und so erfährt auch Max schließlich, wie Schokolade schmeckt oder wie es sich anfühlt, Dinge selbst entscheiden zu können.

    Die kindliche Perspektive verleiht dem Leser zudem gleichzeitig das Gefühl, stets nah dran zu sein am Geschehen, und tatsächlich nur über eine Art Halbwissen zu verfügen. Dadurch bleibt die Neugier auf mögliche Enthüllungen bestehen.

    "Warum wehrst du dich eigentlich nie? Gegen niemanden?" - "Ich käme dann zu nichts anderem mehr." (S. 133)

    Umstände und Charaktere verändern sich im Laufe der Zeit, und die Großmutter hat ihre ganz eigene Art, darauf zu reagieren. Auch wenn die alte Frau alle Menschen in ihrem Umfeld immer wieder vor den Kopf stößt und versucht, alles und alle zu kontrollieren, mochte ich sie irgendwie auch in ihrer schrulligen Art. Ganz allmählich kommen auch andere Facetten zutage, Ereignisse aus ihrer Vergangenheit, die zum Teil erklären können, weshalb sie sich so verhält wie sie es nun einmal tut. Dennoch ist sie keine Figur, die einem leid tut, sondern eine, die das Leben - wenn auch auf ihre sehr spezielle Art - immer wieder bei den Hörnern packt.

    Im letzten Drittel des Romans lässt sich Alina Bronsky weniger Zeit für die Erzählung, springt in den Zeiten oft unvermittelt vor, um an markanten Wendepunkten haltzumachen. Dies mag auf manche Leser verstörend wirken, mir aber reichte es, da keine wichtige Information fehlte und schlussendlich - oft auch zwischen den Zeilen - alles gesagt war.

    Die Tragikomödie namens Leben hat Alina Bronsky in diesem Roman gelungen zur Schau gestellt - bitterböse, schwarzhumorig, zwischenmenschlich und skurril. Für mich ein unterhaltsames Leseerlebnis...

    © Parden

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  1. Großmutter

    Ein Roman über eine Frau, die versucht, in einer Gesellschaft Fuß zu fassen, die ihr entgleitet. Über einen Mann, der alles kontrollieren kann außer seine Gefühle. Über einen Jungen, der durch den Wahnsinn der Erwachsenen navigiert und zwischen den Welten vermittelt. Und darüber, wie Patchwork gelingen kann, selbst wenn die Protagonisten von so einem seltsamen Wort noch nie gehört haben.

    Fazit:
    Ich mochte das Buch kaum aus der Hand legen - bis zum Ende sind mir die Figuren sehr ans Herz gewachsen. Der Roman bietet kurzweilige Unterhaltung mit Tiefgang - auch etwas Humor ist im Buch zu finden, was dem Buch noch einen gewissen "Touch" verleiht.
    Zum Schluss überschlagt sich alles etwas - die Geschichte wird mir eine Spur zu rasant - hier hätten einige zusätzliche Seiten zur genaueren Ausführung nicht geschadet - daher gibt es hierfür einen Stern Abzug.
    Im Großen und Ganzen gibt es aber von meiner Seite eine Leseempfehlung für diese doch recht innovative Geschichte.

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  1. Der Teufel im Oma- Gewand...

    Da ich "Baba Dunjas letzte Liebe" mit großer Begeisterung gelesen habe, wollte ich mehr Stoff von der Autorin lesen und begann interessiert mit diesem sehr ungewöhnlichen Roman.

    In der Geschichte geht es um Max und seine Großeltern, die Russland verlassen haben, um in Deutschland ein besseres Leben zu führen. Doch das neue Land ist so anders als gedacht und das Heimweh schmerzt tief in der Brust. Wird diese ungleiche Familie dennoch ihr Glück finden?

    Auch wenn das Buch recht dünn ist, so kommt es doch mit sehr viel Geschichte und Emotionen um die Ecke, die sich nicht immer leicht verdaulich haben lesen lassen. Während der ganzen Lektüre fühlte ich mich sehr bedrückt, da die recht düstere Stimmung mich komplett gefangen genommen hat.

    Max als Figur hat mir gut gefallen, auch wenn ich mehr Mitleid hatte als dass ich mich mit ihm hätte identifizieren können. Er erträgt sein Leid mit einer gewissen Ruhe.

    Das Verhalten der Großmutter konnte ich erst auf den letzten Seiten so richtig nachvollziehen. Vorher ging sie mir ehrlich gesagt regelrecht auf die Nerven mit ihren Übertreibungen und ihrer derben Sprache. Mit ihr würde ich es keine fünf Minuten in einem Raum aushalten, weil sie mich wahnsinnig machen würde.

    Die im Roman eingeflochtene Liebesgeschichte läuft nur im Hintergrund ab und ist dennoch die ganze Zeit spürbar.

    Frau Bronsky ist zudem sehr gut gelungen, dass egal was auch passiert man mit Liebe und für einander da sein alles ertragen kann.

    Fazit: Keine leichte Kost, die aber dennoch berührt. Bedingt spreche ich eine Empfehlung aus!

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