Der Tanz auf dem Vulkan
Die haitianische Schriftstellerin Marie Vieux-Chauvet (1916-1973) konnte mich bereits im letzten Jahr mit ihrem in der Reihe „Mehr Klassikerinnen“ im Manesse Verlag veröffentlichten Debüt-Roman „Töchter Haitis“ begeistern. Jetzt wurde dieser Reihe ein weiterer Roman von ihr hinzugefügt. Wie schon der Vorgänger wurde auch „Der Tanz auf dem Vulkan“ von Nathalie Lemmens aus dem Französischen übersetzt; ebenso gibt es wieder ein sehr lesenswertes, informatives und den Roman in den historischen Kontext und in das Werk Vieux-Chauvet einbindendes Nachwort von Kaiama L. Glover. Soviel zu den nüchternen Fakten *g*.
Lassen wir zu Beginn die Autorin selbst zu Wort kommen:
„Dieses Buch entstand auf der Grundlage historischen Materials. Die beiden Protagonistinnen und alle weiteren Hauptfiguren haben wirklich gelebt und treten unter ihren tatsächlichen Namen auf. Die wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben sowie die geschilderten historischen Begebenheiten entsprechen den Tatsachen.“ (S. 5)
Die hier genannten Protagonistinnen sind zwei Schwestern und hören auf die Namen Minette und Lise. Als Töchter einer ehemaligen Sklavin sind sie dem in der französischen Kolonie Haiti vorherrschenden Rassismus gnadenlos ausgesetzt. Und trotzdem schaffen sie dank ihres ungewöhnlich hohen Talents (die Schwestern sind Sängerinnen) Grenzen zu sprengen, die ihnen die Türen zu dem örtlichen Theater in Port-au-Prince öffnen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Rassismus und die Unterdrückung der weißen Besatzer an der Theatertür endet, denn auch hier sind sie der Willkür der Franzosen ausgesetzt, was sich z. B. im nicht ausgezahlten Gehalt etc. widerspiegelt. Doch Minette ist eine Kämpferin und schließt sich einer Untergrundorganisation an, um die Rechte der Schwarzen zu stärken und den Rassismus zu bekämpfen. Zeitlich gesehen hat sich das Ganze also vor der haitianischen Revolution (dem titelgebenden Vulkan) 1802 abgespielt.
Marie Vieux-Chauvet führt die Leser:innen teils im Zeitraffer durch Minette`s und das Leben ihrer Familie und Freunde und die Zeit im Theater. Einiges wiederholt sich dabei relativ oft und das (teils) divenhafte Gebahren Minette´s lässt den Leser (mich) mit den Augen rollen. Doch warum sollte die Autorin ihre Heldin nur mit guten Seiten ausstatten? Also liest man drüber hinweg und freut sich mit Minette über ihre Erfolge, nimmt einen kleinen Anteil an ihrem Liebesleben und beobachtet (nicht nur) sie dabei, wie die Lava im Inneren des Vulkans Haiti immer weiter ansteigt und letztendlich ausbricht.
Bis zu diesem Punkt der Geschichte brauchen die Leser:innen einen langen Atem und dann geht alles Knall auf Fall. Das ist eine Sache, die mich persönlich etwas an dem Roman gestört hat. Überhaupt merke ich seit geraumer Zeit, dass meine Aufmerksamkeitsspanne bei Romanen jenseits der 300 Seiten nachgelassen hat – das soll potenzielle Leser:innen aber nicht davon abschrecken, diesen mit fast 500 Seiten (inklusive knapp 200 teils sehr ausführlichen Anmerkungen und dem wie oben bereits erwähnten Nachwort) recht umfangreichen mit historisch belegtem Material und hier und da das Privileg der künstlerische Freiheit ausnutzendem Roman die absolut verdiente Chance zu geben, einen Klassiker der (haitianischen) Literatur für sich zu entdecken.
Da mir „Töchter Haitis“ im direkten Vergleich etwas besser gefallen hat, vergebe ich hier dieses Mal „nur“ 4* und spreche eine Leseempfehlung aus.
©kingofmusic
m 1. Januar 1804 machte eine Revolution Haiti unabhängig von seiner Kolonialmacht Frankreich. Dies war die erste erfolgreiche Sklavenrevolution überhaupt und führte zur ersten schwarzen Republik des amerikanischen Kontinents.
Wie es dazu kam, kann man in dem äußerst lesenswerten Roman von Marie Vieux- Chauvet „ Der Tanz auf dem Vulkan“ nachlesen. Die Autorin wurde 1916 in Port-au-Prince in Haiti geboren und emigrierte aus Angst vor Repressionen durch das diktatorische Regime unter dem Präsidenten Duvalier ( „ Papa Doc“ ) in die USA, wo sie fünf Jahre später, 1973, starb. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen haitianischer Literatur und kann nun auch endlich in Deutschland gelesen werden. Ein Lob deshalb an den Manesse - Verlag, der nach „ Töchter Haitis“ nun einen zweiten Roman von ihr veröffentlicht hat.
Die Handlung setzt ein im Jahr 1792 in Port-au-Prince, als Haiti noch Sainte Domingue heißt und französische Kolonie ist. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Ethnien treffen hier aufeinander. Eine kleine weiße Oberschicht, die „ grands blancs“, bestehend aus reichen Plantagenbesitzern und Händlern sowie Kolonialbeamten regieren und beherrschen das Land mit brutaler Härte. Ihnen folgen in der Hierarchie die sog. „ petit blancs“, also Plantagenverwalter und - aufseher, Händler und Handwerker. Die unterste Schicht der freien Bürger sind die „ affranchis“, häufig freigelassene Sklaven und deren Nachkommen, meist Kinder von Franzosen und schwarzen Sklavinnen. Obwohl sie rein rechtlich den Franzosen gleichgestellt sind, gelten für sie weitgehende Restriktionen, wie z.B. Einschränkungen in der Berufswahl, Verbot des Kleidungsstil der weißen Oberschicht und manches mehr. Ganz unten in der gesellschaftlichen Rangordnung steht das Heer der schwarzen Sklaven, die einen Großteil der Bevölkerung ausmachen. Diese Gemengelage führt zu extremen Spannungen innerhalb der Gesellschaft.
Hierin wächst Minette auf, Hauptfigur des Romans. Als Tochter einer freigelassenen Sklavin unterliegt sie vielen Zwängen, doch Minette hat, mehr noch als ihre jüngere Schwester Lise, ein außergewöhnliches Talent, das sie aus der Masse heraushebt. Beide sind begabte Sängerinnen und bald wird eine weiße Nachbarin, eine Schauspielerin am Theater, auf die Mädchen aufmerksam und gibt ihnen heimlich Gesangsunterricht. Sie schafft es dann sogar, obwohl Schwarze am Theater nicht auftreten dürfen, Minette als Überraschungsgast zu präsentieren . Der Auftritt wird zu einer Sensation; Minette gegen einige Widerstände zum gefeierten Star des Theaters. Doch obwohl das junge Mädchen auf der Bühne Triumphe erlebt, gelten für sie nicht die gleichen Rechte und Privilegien. Der Eintritt in den Ballsaal für Weiße bleibt ihr untersagt, eine feste Gage bekommt sie nicht. Beständig muss sie für alles kämpfen, was sie sich wünscht und was ihr eigentlich zusteht.
Doch nicht nur ihre Gesangskunst und ihre Schönheit machen Minette zu einer ungewöhnlichen Frau. Sie hat schon früh ein starkes Unrechtsgefühl und ist bereit, für Schwächere einzustehen. Darin wird sie unterstützt von Joseph, einem jungen Schwarzen, der die Mädchen unterrichtet und mit den Schriften von Jean Jaques Rousseau vertraut macht und in Kontakt bringt mit Leuten, die im Untergrund für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Auch das Schicksal ihrer Mutter als ehemalige Sklavin, das Brandmal und die Narben auf deren Körper, machen sie zutiefst betroffen. Sie beginnt sich aufzulehnen gegen das Unrechtssystem in ihrem Land, stellt sich an die Seite der Freiheitskämpfer, die geflohene Sklaven in den Bergen verstecken.
Doch die Autorin zeichnet ihre Figur nicht nur als kämpfende Heldin, sondern auch als liebende Frau. Dabei ist das Objekt ihrer Liebe ein äußerst zwiespältiger Typ. Jean-Baptiste Lapointe ist ein wohlhabender „ affranchi“, der selbst Sklaven hält auf seiner Plantage und die äußerst brutal behandelt. Immer wieder wird Minette ihn von sich stoßen, weil sie sein Verhalten missbilligt und wieder zu ihm zurückkehren.
Das ist die große Stärke der Autorin. Ihre Protagonisten sind keine Typen, die stellvertretend stehen für ihre Klasse, sondern lebendige Menschen mit ihren Schwächen und Widersprüchen. Es gibt auch keine Schwarz- Weiß- Zeichnungen, nicht die Guten auf der einen Seite und die Bösen auf der anderen, sondern viele Abstufungen und Grautöne. Es dauert auch seine Zeit, bis Minette den sublimen Rassismus bei manchen Weißen erkennt, die ihre Sklaven vordergründig besser behandeln, aber nur, weil sie dann mehr Leistung bekommen und sie keinen Aufstand fürchten müssen.
Als dann in Frankreich die Revolution ausbricht, hat das Auswirkungen auf die Kolonie. Die weißen Plantagenbesitzer sehen hier ihre Chance auf Unabhängigkeit gekommen und versprechen den „ affranchis“ die tatsächliche Gleichberechtigung. Der französische Gouverneur nutzt den Hass der armen Weißen auf die reichen Plantagenbesitzer und zieht sie auf seine Seite. Die sozialen Spannungen nehmen zu, die geflohenen Sklaven kommen aus ihren Verstecken in den Bergen.
„ Der Vulkan, vor dessen Existenz die Kolonisten lange Jahre die Augen verschlossen hatten, war ausgebrochen. Seine Lava, seine Asche bildete die unüberschaubare Masse der Sklaven, die die Berghänge herabrann,…Und ihre bewaffneten Hände schlugen zu, schlugen endlich zurück, ohne Erbarmen…“
Ein schreckliches Gemetzel beginnt.
Fast unerträglich sind die geschilderten Szenen, auch schon zuvor die Beschreibungen von Folterungen und Misshandlungen an Sklaven. Dabei schreibt die Autorin nüchtern und sachlich darüber, doch umso stärker ist ihre Wirkung.
„ Tanz auf dem Vulkan“ ist ein unglaublich packender Roman über ein Ereignis der Geschichte, von dem ich bisher fast nichts wusste. Die Autorin entwirft ein differenziertes und plastisches Bild der bunten Gesellschaft Haitis am Vorabend der Revolution. Dabei gelingen ihr authentische Charaktere , auch die Nebenfiguren sind vielschichtig gezeichnet. ( Ein Personenverzeichnis habe ich vermisst.) Dabei stehen vor allem starke Frauen im Zentrum der Geschichte. Es wird gezeigt, wie sie mit unterschiedlichen Mitteln um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen. Manchen bleibt dabei nur der Einsatz ihrer weiblichen
Reize , mehr haben sie nicht. Sie sind auch ständig der Willkür und den Übergriffen der Männern ausgesetzt.
So ist der Roman nicht nur eine Anklage gegen Rassismus, Kolonialismus und Klassismus, sondern auch gegen Sexismus.
Nicht uninteressant ist, das es die beiden Schwestern tatsächlich gab. Aber auch manch andere historische Figur tritt im Roman auf.
Mehr als dreißig Seiten Anmerkungen helfen beim Verständnis; ob man jede Fußnote nachschlagen möchte, bleibt dem Einzelnen überlassen. Lesenswert ist auf jeden Fall das informative Nachwort, das die literarische Bedeutung von Marie Vieux - Chauvet hervorhebt und auf den Inhalt und die gesellschaftlichen Bedingungen des Landes zu jener Zeit eingeht.
Mit „ Tanz auf dem Vulkan“ gilt es eine bedeutende Autorin kennenzulernen, von der ich gerne mehr lesen möchte.
Marie Vieux-Chauvet (1916-1973) war eine haitianische Schriftstellerin, die in ihren Büchern und Theaterstücken den Rassismus und die Ungerechtigkeit gegenüber den People of Colour und dabei vor allem gegenüber den Frauen anprangerte. Da sie dabei auch immer wieder die herrschende Regierung angriff, musste sie 1968 das Land verlassen und lebte bis zu ihrem Tod 1973 im Exil in New York.
In ihrem Buch Danse sur le volcan (Der Tanz auf dem Vulkan), das 1957 erschien, beschreibt sie die Ereignisse am Vorabend der haitianischen Revolution, der ersten erfolgreichen Sklavenrevolution. Der Titel ist sehr gut gewählt, denn es brodelt mächtig in Sainte-Domingue, dem früheren Namen von Haiti, Ende des 18. Jahrhunderts. Eine Minderheit von weißen Plantagenbesitzern und Abgesandten der französischen Kolonialregierung herrscht über das Land. Der Rassismus gegenüber den People of Colour ist stark ausgeprägt und schlägt sich oft in brutalen und grausamen Aktionen nieder. Auch dürfen die People of Colour keine Schulen besuchen und ihnen sind viele Berufe verwehrt. Die Gemeinschaft der People of Colour besteht aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen; freie Sklaven und deren Nachkommen, den affranchis und den Sklaven, die zumeist aus Afrika stammen. Innerhalb dieser Gruppen wird oft noch nach dem „Weißheitsgrad“ der Haut abgestuft und stark hierarchisch eingeteilt. Die handelnden Personen dieses Romans sind meist historische Persönlichkeiten und „die wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben sowie die geschilderten historischen Begebenheiten entsprechen den Tatsachen“, wie die Autorin selbst in ihrer Vorbemerkung schreibt.
Die junge Minette und ihre Schwester Lise wachsen bei ihrer Mutter, einer freigelassenen Sklavin, auf. Durch ihr außergewöhnliches Gesangstalent erwecken sie die Aufmerksamkeit der Schauspielerin Madame Acquaire, die ihnen fortan heimlich Gesangs- und Schauspielunterricht erteilt. Das Theater spielt zu dieser Zeit eine sehr große Rolle in Sainte-Domingue, aber farbige Schauspieler oder Sänger gibt es nicht, bzw. sind nicht erlaubt. Madame Acquaire nimmt das Wagnis auf sich und präsentiert Minette auf der Bühne. Aufgrund ihres einzigartigen Talents steigt sie zum Star des Theaters auf. Aber Minette lernt auch die Kehrseite kennen, trotz ihres Ruhms und der Begeisterungsstürme des meist weißen Publikums, ist ihr, aufgrund ihrer Hautfarbe, zum Beispiel nicht erlaubt, den obligatorischen Ball nach der Aufführung zu besuchen. Auch die Bezahlung für ihre gefeierten Auftritte bleibt zunächst aus. Die rassistischen Vorfälle in ihrer Umgebung nehmen immer mehr zu. Entlaufene Sklaven, die versteckt in den Bergen leben, rufen zum Kampf gegen die weiße Herrschaft auf und diese reagiert mit immer größerer Härte und Brutalität auf die Vorkommnisse.
Marie Vieux-Chauvet schreibt sehr lebendig und lässt diese vergangene Zeit bildhaft und in leuchtenden Farben auferstehen. Die Figurenentwicklung der Minette ist komplex, aber sehr gut dargestellt, überhaupt stehen in diesem Roman hauptsächlich die Frauen im Vordergrund, die sich oft den, meist sexuellen, Übergriffen der Männer erwehren mussten. Die grausamen und brutalen Angriffe auf die nicht-weiße Bevölkerung sind sehr detailliert geschildert und manchmal kaum zu ertragen. Gerade zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse und leider geht hier die erzählerische Note etwas verloren. Es handelt sich fast nur noch um eine Aneinanderreihung furchtbarster Gräuel, so dass es mir schwer fiel, das Buch zu beenden. Auch kam es zu einem namedropping, was mich zunehmend verwirrte und ermüdete. Es gibt einen großen Anhang mit ausführlichen und informativen Informationen und Anmerkungen , aber das ständige Nachschlagen erschwerte dadurch etwas den Lesefluss. Über die haitianische Revolution war mir vorher nichts bekannt, wieder einmal hat mir ein Roman geholfen eine Wissenslücke zu schließen.
Mir hat das Buch, bis auf das Ende sehr gut gefallen, weshalb ich 4 sehr gute Sterne vergebe.
Marie Vieux-Chauvet ist eine französischsprachige Autorin aus Haiti, die in ihrem Roman „Der Tanz auf dem Vulkan“ die Geschichte ihrer Heimat im 18. Jahrhundert – geprägt durch gesellschaftliche Rassenunterschiede und das Aufkommen einer Revolte dagegen – in einer figuren- und charakterreichen Geschichte erzählt.
Der Roman erschien bereits im Jahr 1958 und wurde nun im Manesse-Verlag neu aufgelegt.
In Haiti gärt es. Die zahlenmäßig wenigen Weißen bestimmen das Land und halten die Macht in Händen. Auf dem Papier gleichgestellt sind ihnen die freigelassenen Sklaven und die Nachkommen aus gemischtrassigen „Beziehungen“, die nicht selten eher „gemischtrassige“ sexuelle Übergriffe waren. Doch Papier ist geduldig – die Realität sieht anders aus. In allen Bereichen des Lebens sind diese „affranchis“ benachteiligt und stoßen allüberall an Grenzen, wo ihnen eigentlich Türen offen stehen sollten. Am Ende der gesellschaftlichen Kette stehen die Sklaven, die beginnen, sich gegen ihre menschenverachtende Stellung im Leben zu wehren. Sie fliehen vor ihren „Besitzern“ in die Berge, verstecken sich dort, senden drohende Botschaften in die Städte und künden so unmissverständlich von der Brüchigkeit dieser Gesellschaftsordnung und dem drohenden Ende der Vorherrschaft der kleinen Gruppe der Weißen.
Die Autorin widmet sich sehr ausführlich der Schilderung dieser Gesellschaft ihrer Heimat, führt eine große Zahl von Figuren ein, um möglichst viele Schattierungen der Haltung zu diesen unmenschlichen Gegebenheiten zu illustrieren. Dabei ich nicht jeder Weiße gleich ein Unmensch und nicht jeder Farbige ist ein Gutmensch. Das macht die Geschichte sehr vielschichtig, farbig und lebendig und rechtfertigt auch die Länge des Romans.
All diese Figuren gruppieren sich um den Hauptcharakter des Romans: Minette, eine hochbegabte Sängerin, Kind einer „affranchie“ und eines nie in Erscheinung getretenen übergriffigen Weißen. Mit der Unterstützung von freigeistigen Helfern, die sich nicht von den Rollengrenzen der Gesellschaft entmutigen lassen, kann sie tatsächlich als erste und einzige Farbige nur unter Weißen im städtischen Theater auftreten und dort Karriere machen. Sie entwickelt dabei auch ein politisches Interesse und Verständnis, und versucht, so weit es geht, auch verändernd auf das Schicksal anderer unterdrückter Freunde und Bekannte einzuwirken. Sie geht mit offenen Augen durch ihr Leben und sieht dabei eine Menge Unglück, Gewalt, Ungerechtigkeit und Unheil. Und laviert sich doch immer wieder so durch ihr Leben, dass ihre Karriere sich weiterentwickeln kann und der Erfolg im Theater nicht ausbleibt.
Um sie herum gärt es immer mehr, immer mehr Sklaven entlaufen und immer härter gehen die weißen Herren gegen aufkommenden Widerstand vor. Und dann bricht den Weißen auch die Unterstützung aus der Heimat weg. Die französische Revolution hat auch im Heimatland die Gesellschaftsordnung in Stücke gehauen. Oben und Unten ist auch im Heimatland nicht mehr wohlgeordnet, sondern wurde durch die Revolution mächtig durcheinandergemischt. Kann da noch das brüchige Oben und Unten in dieser Sklavenhaltergesellschaft Bestand haben? Nein! Was passiert, ist die haitiansche Revolution, die zur ersten Unabhängigkeit eines Landes in dieser Region geführt hat.
Marie Vieux-Chauvets Roman gibt einen sehr lebendigen Eindruck in diese ganz besondere Episode der kolonialen Geschichte und ist eine Lektüre, die man nicht so schnell vergisst. Leseempfehlung mit 5 Sternen!
Haitis langer und beschwerlicher Weg in die Unabhängigkeit
Letztes Jahr brachte der Manesse Verlag den Roman "Töchter Haitis" von Marie Vieux-Chauvet heraus. Bis dahin war Haiti eher ein weißer Fleck auf meiner literarisch bereisten Weltkarte. Ich bin sehr dankbar, dass sich dies mit der Lektüre des genannten Romans änderte und ich nun einen weiteren Roman der Autorin entdecken durfte, mithilfe dessen ich meine Wissenslücke weiter füllen durfte. Auch im nun von Natalie Lemmens ins Deutsche übertragenen Roman "Der Tanz auf dem Vulkan" geht es um die koloniale Vergangenheit Haitis, um Rassentrennung und Unterdrückung. Dabei beruht der Roman auf hitorischen Gegebenheiten, über die wir ergänzend zum Roman auch viel im umfangreichen Anmerkungsapparat sowie dem informativen Nachwort von Kaiama L. Glover erfahren.
Gleich zu Beginn werden die haitischen Verhältnisse sehr plastisch beschrieben: Die Menschen in Port-au-Pronce erwarten die Ankunft des neuen Gouverneurs. In der Vergangenheit wussten die Koloniaherren Sorge dafür zu tragen, dass die Einheimischen ihnen nicht zu ähnlich wurden, und so erließen sie unter anderem die Verfügung, dass Einheimische barfuß zu sein hätten. Die Rassentrennung ist klar spürbar, und doch geht von den Einheimischen eine gewisse, exotisch anmutende Verführung aus, denen so mancher Kolonialherr erliegt.
Minette ist eine zentrale FIgur des Romans. Von vornherein hat man das Gefühl, dass dieses junge Mädchen die Benachteiligungen sehr aufmerksam wahrnimmt und innerlich dagegen aufbegehrt. Noch ausgeprägter als ihre Schwester ist ihr besonderes Gesangstalent, das sie aber nicht ohne Weiteres ausleben kann, da die großen Bühnen farbigen Menschen verwehrt bleiben. Doch Minette findet nicht nur in Joseph einen geduldigen Lehrer und Freund, der ihr und ihrer Schwester den Weg zur Bildung bahnt. Minette erfährt auch besondere musikalische Förderung durch die Acquaires. Ihr Plan ist es, sie auf die Theaterbühne zu bringen, was ein sehr gewagtes Vorhaben ist.
Aller Befürchtungen zum Trotze wird Minettes erster Auftritt von Publikum und Presse frenetisch bejubelt und sie wird in die Teatergruppe aufgenommen. Ihre Freude darüber wird allerdings schnell dadurch getrübt, dass sie nicht dafür entlohnt wird. Sie beginnt, für einen Vertrag und ihre gerechte Entlohnung zu kämpfen. Getrieben wird sie von ihrem idealistischen Motiv, mit den Erlösen alle Sklaven freikaufen zu wollen. Zu oft schon hat sie deren Schreie infolge von willkürlichen Folterungen der Sklaven gehört und miterlebt. Sie will dem ein Ende bereiten. Sie mus dabei jedoch selbst die schmerzhafte Erfahrung machen, dass es auch so etwas wie subtilen Rassismus gibt. Ihre erste Liebe schweitert daran, was ihr Aufbegehren gegen erlittene Ungerechtigkeiten - auch und insbesondere in ihrem nahen Umfeld - noch zusätzlich befeuert.
Im Inneren des Vulkans brodelt es zunehmend. Gemetzel nehmen zu. Es ist der Vorabend von Haitis Unabhängigkeit. Die unversöhnlichen Lager tragen ein Gemetzel aus, bei dem es auf beiden Seiten zu vielen Verlusten kommt...
In sprachlicher Hinsicht ist dieser Roman sehr angenehm zu lesen. Ich wurde in das Geschehen förmlich hinein gesogen. Die Schilderungen der Autorin sind sehr plastisch, die Protagonisten mit viel Feingefühl lebendig gezeichnet. Stereotype finden sich insbesondere zu Beginn der Geschichte zuhauf, was jedoch für das Verständnis des Romans durchaus funktional ist, insofern es die Unterschiedlichkeit von Einheimischen und Kolonisatoren, die mit willkürlicher Unterdrückung und Gewalt einhergeht, plastisch vor Augen führt. Dass die Vorgänge am Theater einem ellenlangen Tauziehen gleicht, die Gemetzel kein Ende zu nehmen scheinen, mag zum Teil etwas langatmig erscheinen, jedoch brauchen Revolutionern ihre Zeit, so dass mir dies realistisch erscheint. Minette, insbesondere als gereifte junge Frau, war mir sehr sympathisch und ich hätte mir für sie und ihre Liebsten ein anderes Ende gewünscht. Leider ist das Leben kein Wunschkonzert- auch im Roman nicht.
Alles in allem ein sehr lesenswerter Roman, den ich sehr gerne allen weiter empfehle, die gerne einen verborgenen Klassiker heben und dabei auch gerne Neues über Land und Leute erfahren möchten.