Der Silberfuchs meiner Mutter: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Silberfuchs meiner Mutter: Roman' von Alois Hotschnig
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4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Silberfuchs meiner Mutter: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783462002133

Rezensionen zu "Der Silberfuchs meiner Mutter: Roman"

  1. Auf den Spuren verlorener Jahre

    Alois Hotschnig verdankt die Inspiration zu dieser Geschichte dem Schauspieler Heinz Fitz, wie er in seiner Danksagung erwähnt. Die dargelegten Ereignisse haben also einen realen Hintergrund, was sie um so bedrückender macht. Der gesamte Roman wird aus einer Ich-Perspektive erzählt. Heinz Fritz, wie der Ich-Erzähler heißt, wurde 1942 geboren. Seine Mutter Gerd stammt aus Norwegen, wo sein Vater Anton damals als Wehrmachtssoldat stationiert war. Die Beziehung zum Feind macht die Mutter zur Verräterin, ihre Familie bricht mit ihr. Anton und eine Organisation namens Lebensborn sorgen dafür, dass die als arisch geltende Frau nach Deutschland übersiedeln darf. Dort soll das Kind zu Welt kommen und Antons Familie soll sich um Mutter und Kind kümmern, bis der Soldat wieder nach Hause kommt.

    Tatsache ist jedoch, dass Heinz seine ersten vier Lebensjahre im Kinderheim beziehungsweise bei einem Bauern verbringt, der ihn mitunter misshandelt. Erst 1946 taucht Gerd wieder auf, um Heinz mitzunehmen. Anschließend heiratet sie den Stiefvater Reinhard und bekommt weitere Kinder. Reinhard ist ein grobschlächtiger Charakter, der „Tiere tötet rund um die Uhr“. Auch die Mutter ist unzuverlässig. Sie leidet an Epilepsie, zieht sich immer wieder mit schweren Depressionen zurück. „Sie wollte ja auch sterben, sie kniete vor mir, hatte ein Messer in der Hand und sagte, stoß zu. Immer wieder sagte sie das über Jahre hinweg.“ (S.26)  Heinz ist viel sich selbst überlassen, stromert im Wald herum, beobachtet den den Fluss mit der Grenze zur Schweiz, die früher Juden Schutz gewährte. Durch einen Freund kommt er zum Lesen und lernt, „sich aus dem Leben heraus und in seine Rollen hinein zu träumen“. Diese Fähigkeit sowie die Liebe zum Film, die er nach Reinhards Tod mit seiner Mutter teilt, dürften die die Grundlage für seine spätere Schauspielkarriere gewesen sein.

    Als Erwachsener arbeitet Heinz nun seine Vergangenheit und die seiner Mutter auf. Was hieß es, in diesen Kriegszeiten ein Kind zu bekommen, welche Ziele hatte die Lebensborn Gesellschaft? Wer ist sein leiblicher Vater? Warum hat der eine Lüge über die Vaterschaft gestreut und sich nicht um ihn gekümmert? Während sich Heinz an diese grundlegenden Antworten heranpirscht, erzählt er vieles rund um seine einsame Kindheit und Jugend im Vorarlberger Lustenau.

    Hotschnig beschreibt in eindringlichen, intensiven Szenen die Jugenderinnerungen des Ich-Erzählers. Die gesamte Kulisse erscheint überwiegend freud- und trostlos mit nur kurzen erhellenden Lichtblicken gespickt. Es fließt viel Zeitkolorit mit ein. Der Ich-Erzähler reflektiert zahlreiche Erlebnisse und Aussagen, die ihm während seiner Nachforschungen begegnen. Er versucht, die Ursache für das Schweigen und die Krankheit seiner Mutter zu finden. Dabei muss er auch mit Hypothesen arbeiten, um bei seiner Spurensuche vorwärts zu kommen.

    Der Roman nimmt den Leser emotional mit, ist dabei aber fernab von jeglicher Sentimentalität. Puzzlesteinchen für Puzzlesteinchen tastet sich der Erzähler voran, sucht nach seinen Wurzeln, der Wahrheit und seiner Identität. Auch Rückschläge müssen verarbeitet werden, bis sich zum Ende hin eine Lösung abzeichnet und er weitere Teile seiner Familie kennenlernt.

    Bei einem solchen Roman ist kein Happy End zu erwarten. Alois Hotschnig erzählt mit beispielhafter Virtuosität. Sehr sachlich im Ton wartet er immer wieder mit beeindruckenden Textstellen auf, die große Empathie für den Protagonisten wecken. Das Fiktionale tritt hinter dem realen Bezug zurück, man hat nicht den Eindruck, etwas Erfundenes zu lesen. Dabei handelt es sich um einen Erzählstrom, es gibt keinerlei Einteilungen.

    Der „Silberfuchs meiner Mutter“ ist ein empfehlenswertes, ruhiges und intensives Buch für die dunkle Jahreszeit, für das man sich Zeit nehmen sollte, um alle Bezüge komplett zu erfassen. Interessant für alle Lesenden, die Interesse an menschlichen Schicksalen im Kriegs- und Nachkriegseuropa haben. Man lernt mit jedem Buch neue Facetten dieser bewegten Zeit kennen.

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  1. Ein Monolog über die Lücken im eigenen Leben

    „Unsere gemeinsame Welt war aus ihrem Koffer gekommen, aus einem Buch und aus einer Geschichte über eine Mutter und ihren verlorenen Sohn. Diese Welt war von nun an unser Versteck, und eine ganze Welt als Versteck, das war schon nicht nichts.“ (Zitat Pos. 220)

    Inhalt
    Gerd Hörvold ist Norwegerin, verlobt mit dem deutschen Soldaten Anton Halbleben. Als sie schwanger wird, ist sie in ihrer Heimat nicht mehr sicher, sie ist die Nazi-Hure und muss Norwegen verlassen. Über Oslo und Berlin kommt sie nach Hohenems, wo sich Antons Familie um sie kümmern soll, so lange er noch im Krieg ist. Doch auch die Menschen hier lehnen sie ab, Anton behauptet, das Kind sein von einem unbekannten Russen und verbietet sich jeden Kontakt. Ende 1942 kommt ihr Sohn Heinz zur Welt, es folgen Kinderheim und Pflegefamilie. 1946 findet die Mutter Heinz durch das Rote Kreuz und sie ziehen nach Lustenau, immer wieder gibt es Unterbrüche durch die Epilepsie seiner Mutter. Die Frage, was damals wirklich geschehen ist, lässt Heinz nicht los, immer wieder begibt er sich auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wer er wirklich ist, während er im Leben immer wieder ein eine neue Rolle gleitet. Als Kind und Jugendlicher flieht er in die Geschichten, die er selbst erfindet, später auf der Theaterbühne und im Film als Schauspieler.

    Thema und Genre
    Dieser Roman erzählt die Suche nach der Wahrheit über die eigenen Wurzeln, über die Geschichte seiner Mutter und die Frage, warum sein Vater und dessen Familie seine Mutter und ihn plötzlich ablehnen. Es geht um das Aufwachsen im ländlichen, engen Vorarlberg nach dem Krieg, um Armut und Vorurteile, um das beharrliche Schweigen einer Generation. Diese Geschichte handelt von den vielen möglichen Varianten von Erinnerung und Wahrheit.

    Charaktere
    Um von den Menschen, die ihn umgeben, Ruhe zu haben, hat Heinz schon früh gelernt, sich selbst als Rolle zu spielen.

    Handlung und Schreibstil
    Dieser Roman ist der Monolog eines nun alten Ich-Erzählers, seine Erinnerung in Verbindung mit den Erinnerungen anderer, die sie ihm erzählt haben. Es ist die Geschichte seiner Mutter und zugleich die Geschichte seines eigenen Lebens. Dies verbindet sich mit seinen Gedanken, Gefühlen, den Fragen, die er sich immer wieder stellt, warum er von seinem Vater und dessen Familie plötzlich verleugnet wurde. Seine Erfahrungen vernetzt er später mit den Rollen, die er im Theater und im Film spielt. Es sind harte, raue Bedingungen, unter denen er aufwächst und so ist es auch ein harter, rauer Text, in dem die schönen Erinnerungen und glücklichen Momente rasch von der Realität des Alltags überdeckt werden. Daran ändert sich für mich auch nichts, als gegen Ende noch ein Schwenk in eine mögliche, zweite Variante auftaucht, denn dies bleibt ein Fragment, lose Enden, offene Fragen zwischen Schein und Wirklichkeit. Auch die Sprache ist eine direkte und raue Umgangssprache, manchmal ausufernd, langatmig, wenn das erzählende Ich in den eigenen Gedanken und Geschichten versinkt.

    Fazit
    Die als Monolog geschilderte Suche nach der Wahrheit im Leben des 1942 geborenen Ich-Erzählers Heinz Fritz und seiner norwegischen Mutter Gerd. Eine tragische, harte Geschichte eines Lebens voller Lücken, die sich von Heinz trotz seiner intensiven Fragen nicht füllen lassen.

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