Der Schlächterbursche

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Schlächterbursche' von Patrick McCabe
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Schlächterbursche"

Bei der Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm fiel es mir zum ersten Mal auf. Inzwischen scheint es eine Mode oder die künstliche Herstellung einer persönlichen Note zu sein. Wörtliche Reden stehen nicht mehr in Apostrophen sondern schmiegen sich dem Fließtext an. Der Leser ist beschäftigt und glaubt, einen schwierigen Text vor sich zu haben. Patrick McCabe geht noch weiter. Ähnlich wie bei Faulkner fehlen Kommata, Sätze sind trennungslos zusammengefügt und die Grammatik stimmt nicht. Nun macht Patrick McCabe dies natürlich nicht aus Jux oder Bosheit. Der Schlächterbursche spielt in irgendeinem tiefen irischen Kaff, Francie Brady (Francis hat er sich verbeten) ist nicht der Hellste und erzählt die Story höchstpersönlich. Sicher hat McCabe -- ähnlich wie Steinbeck in Von Mäusen und Menschen -- den Slang einwandfrei getroffen. Das Lesen im Original wird nicht erleichtert. Aber beim Schreiben dachte McCabe wohl weniger an den, des Englischen eher schmächtigen Leser.

Jedenfalls ist, abgesehen von phantastischen Traumszenen, kein Satz zuviel. Querlesen oder Abschnitte überspringen ist nicht möglich, man würde Wichtiges versäumen. Wer nach Seite 124 nicht zum Vegetarier wird, hat etwas überlesen oder nichts begriffen. Dies ist ein weiterer Grund, daß die Lesegeschwindigkeit für diese 215 Seiten recht niedrig ist. Andersherum: man hat viel vom Text.

Die New York Times sieht Francie Brady aus Huckleberry Finn, Holden Caulfield und Hannibal Lecter zusammengesetzt. Wie oft wird dieser Vergleich, so stimmig er sein mag, dem Roman-Anti-Helden nicht gerecht. Es fehlt jedenfalls noch Lennie aus dem schon oben genannten Von Mäusen und Menschen und vielleicht noch manch andere Romangestalt. Wie Holden Caulfield durchschaut Francie -- ein Schüler, wie jener -- die Fassade der erwachsenen Welt. Seine Mißachtung drückt sich aber nicht in Worten sondern in Taten aus. Er ist, sofern es seinen Zielen dient, auch zur Anpassung bereit. Wie Lennie in George hat er in Joe Purcell einen überwichtigen Blutsbruder, dessen Freundschaft ihm über allem steht. Der Verlust dieser Freundschaft wird zum Angelpunkt der sich zuspitzenden Handlung. --Herbert Huber

Format:Broschiert
Seiten:222
Verlag: Rowohlt Tb.
EAN:9783499137013

Rezensionen zu "Der Schlächterbursche"

  1. Zwischen Fantasie, Realität und Wut

    Eigentlich ist Francie Brady ein ganz normaler Junge aus einer irischen Kleinstadt. Sein Vater säuft lieber, als sich um die Familie zu kümmern und seine Mutter lebt in ihrer eigenen kleinen Welt, in der es mal hoch und mal hinunter geht. Brady vertreibt sich die Zeit mit seinem besten Freund Joe, doch die Spannungen in der Familie und in der Stadt kochen soweit hoch, dass Brady eines Tages von zu Hause ausreißt. Als er wieder zurückkommt, hat seine Mutter sich das Leben genommen.
    Und für Francie wird nichts mehr so sein wie früher. Immer mehr verliert er den Hang zur Realität und wird immer wütender auf die verbohrte Kleinstadt, die wiederum versucht, ihre Kinder von dem kleinen seltsamen Jungen fernzuhalten. Als dann sein bester Freund Joe ihm dann auch noch den Rücken kehrt, brennt eine Leitung in Bradys Gehirn durch.

    In Patrick McCabes Roman lernt der Leser den jungen Brady kennen. Er begleitet ihn von dem Moment an, in dem er ein kleiner fantasievoller Junge ist bis zu dem Moment, in dem er durch die Gesellschaft weggesperrt wird. Vielleicht ist es zum Teil die Veranlagung der Mutter, die selbst suizides Verhalten an den Tag legt, dass sich Brady mehr und mehr in eine Traumwelt zurückzieht. Er betrachtet die Welt aus den Augen eines Kindes, erkennt sehr wohl die Falschheit der Bürger und sehnt sich nach einer gewissen Akzeptanz. Diese wird ihm immer wieder verwehrt und eine immer größere Distanz entsteht zwischen ihm und den Menschen, die noch dadurch gefördert wird, dass er in ein Heim gesteckt wird. Niemand kann so recht etwas mit dem Jungen anfangen. Nur der Schlächter Leddy gibt ihm aus Mitleid eine Anstellung in der Schlachterei.

    Brady lernt nie wirklich, erwachsen zu werden. Das ist oft zu merken, denn der Junge hält an in seiner Kindheit vorgefallenen Sachen und Dingen fest und kommt in seiner Erzählung immer wieder darauf zurück, während sich seine Mitmenschen kaum noch erinnern können. Der Leser verfolgt seinen langsam anwachsenden Wahnsinn und doch ist hier die Figur des Jungen so sympathisch beschrieben, dass man es nicht als abstoßend empfindet, als er schließlich das tut, was getan werden muss. Es ist wie eine Art Erleichterung.
    In diesem Buch fehlt es komplett an wörtlicher Rede und doch ist sie vorhanden. Sie ist lediglich nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet und so ist es manchmal schwierig, zwischen einer Fantasie und der Realität zu unterscheiden. Durch dieses Mittel schafft es der Autor, den Leser in Bradys Welt der Verwirrung und Verzweiflung zu ziehen.

    DER SCHLÄCHTERBURSCHE ist ein wirklich sehr zu empfehlender Roman. Der Wahnsinn ist hierin so gut beschrieben, dass man trotz der Verwirrtheit des Jungen, all seine Motive und Handlungen nachvollziehen kann und so seine eigene Wut auf bornierten Bürger der Kleinstadt entwickelt. Wenn ein Roman sowohl emotional als auch technisch den Leser fesselt, dann kann ich einfach nur sagen: Großartig!

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