Der Schildkrötenpanzer

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Schildkrötenpanzer' von Mooses Mentula
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2 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Schildkrötenpanzer"

Format:Broschiert
Seiten:256
Verlag: Weidle
EAN:9783949441035

Rezensionen zu "Der Schildkrötenpanzer"

  1. 2
    10. Jan 2023 

    Ohne Substanz

    Tino, 37, lebt von Sozialhilfe, denn er leidet an einer bipolaren Störung mit psychotischen Schüben und hat Probleme, die Wohnung zu verlassen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Auf der Flucht vor der 4jährigen Tuuli, die ihn auf dem Weg zum Supermarkt angesprochen hat, rettet er sich in einen Trödelladen, wo ihm der Verkäufer einen Schildkrötenpanzer und eine Tasche mit Büchern aufschwatzt. Er verbarrikadiert sich damit erneut in seiner Wohnung und beginnt, die Bücher zu lesen.

    Es beginnt ein Spiel mit den Ebenen von Halluzination, Fiktion und Realität, die ineinander übergehen. Der Schildkrötenpanzer dient fortan als wenig subtiles Symbol von Tinos Problematik, während die Autoren der Bücher Tino erscheinen und ihn beim Verfassen (und Verändern) seiner Lebensgeschichte beraten. Zunächst hat das durchaus Witz, zumindest so lange es darum geht, mit welchen Kniffen man eine Geschichte voran bringt. Seltsam fand ich jedoch die Wahl der Autoren, sämtlich Vertreter wenn nicht toxischer, so doch völlig antiquierter Männlichkeit: Bukowski, Genet, London und Kerouac. Inwiefern diese Männer dem phobischen, psychotischen Tino eine Hilfe hätten sein können, hat sich mir nicht erschlossen. Folgerichtig stammt auch das Frauenbild aus dem letzten Jahrhundert, seltsam bei einem Autor des Jahrgangs 1976.

    Sprachlich reicht Mentula nicht an seine Autoren heran. Das fällt besonders auf, weil er seinen Protagonisten Kurzgeschichten in deren Stil verfassen lässt. Aber auch der Kerntext machte mir keinen Spaß: Metaphern werden mit der Brechstange hingebogen, es gibt viel Ungeschicktes und Phrasenhaftes. Es ging schon los im dritten Satz, in dem der Protagonist sich in "Boxershorts gehüllt hatte". Ich versuchte mir vorzustellen, welche Dimensionen eine Boxershorts haben muss, damit das möglich wird… Gelungen, weil sachkundig, fand ich die Darstellung von Tinos Krankheitsbild. Auch manche Ideen gefielen mir, etwa der Live Stream eines Aquariums, den sich Tino zur Beruhigung stundenlang anschaut. Oder Witziges, wie Tinos eigener Blick auf seine Verfassung: „Allgemeinmenschlicher existenzieller Beklemmungszustand.“ Davon hätte es mehr gebraucht.

    In meinem Literaturkreis haben wir ehrlich versucht, in den Text größere Tiefe hinein zu interpretieren. Warum Bukowski? Warum Genet? Es gelang uns nicht. „Der Schildkrötenpanzer“ liest sich leicht und unterhaltsam, aber es mangelt ihm an Substanz.

    Fazit: Eine durchaus originelle Variante vom Topos des sich ins Leben schreibenden und lesenden Menschen – trivialisiert durch mangelnde Tiefe und unbeholfene Sprache. Auch die lieblose Aufmachung der Broschur trägt nicht zur Attraktivität des Buches bei.

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