Der Sänger

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Sänger' von Lukas Hartmann
4.2
4.2 von 5 (9 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Sänger"

Seine Stimme füllte Konzertsäle, betörte die Damenwelt, eroberte in Deutschland, Europa, Amerika ein Millionenpublikum. Joseph Schmidt, Sohn orthodoxer Juden aus Czernowitz, hat es weit gebracht. 1942 aber gelten Kunst und Ruhm nichts mehr. Auf der Flucht vor den Nazis strandet der berühmte Tenor, krank, erschöpft, als einer unter Tausenden an der Schweizer Grenze. Wird er es sicher auf die andere Seite schaffen?

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: Diogenes
EAN:9783257070521

Rezensionen zu "Der Sänger"

  1. Berühmter Flüchtling

    Der Schweizer Autor Lukas Hartmann hat in seinem Roman „Der Sänger“ ein Buch über den Tenor Joseph Schmidt geschrieben, das hervorragend recherchiert ist und ebenso spannend wie unterhaltsam von Leben des weltberühmten talentierten Mannes erzählt. Eine Fülle von Informationen und höchst interessante Blicke und Sichtweisen auf Flüchtlinge mit dem Verlust an Menschlichkeit und Identität machen das Buch zu weit mehr als einem guten historisch-biografischem Roman.

    Der lyrische Tenor Joseph Schmidt vermag Konzertsäle zu füllen, ist Liebling bei den Damen und weit über Deutschland hinaus bekannt. Seine Kleinwüchsigkeit verhindert eine Bühnenkarriere, daher sang er mit großem Erfolg Rundfunkopern. Als Sohn orthodoxer Juden in Czernowitz geboren verließ er Berlin 1933, gab nur noch vereinzelt Konzerte in Deutschland, bis er 1938 endgültig versuchte, als Flüchtling in Belgien und Frankreich durchzukommen. Der Roman setzt 1942 ein, als es Schmidt nach Südfrankreich verschlagen hatte und er von dort aus versucht, in die Schweiz zu gelangen. Nach mehrmaligen und vergeblichen Versuchen, offiziell in die Schweiz einzureisen, gelingt ihm schließlich im Oktober 1942 der illegale Grenzübertritt. Er wird wie viele andere Juden, die auf diese Art einreisten, im Lager Girenbad bei Zürich interniert unter verheerenden Zuständen. Nicht nur Kälte, harte Arbeit und Nahrungsmittelmangel machen den Häftlingen das Leben schwer, sondern auch die Verachtung des Personals gegenüber jüdischen Insassen.
    Die Verantwortlichen Schweizer Behörden legen ein menschenverachtendes Vorgehen an den Tag, rauben den Menschen ihre Identität und behandeln sie wie nutzlose und überflüssige Gegenstände statt wie hilflose und verfolgte Menschen, die mit nichts als dem Leben aus der damaligen Deutschen Hölle entkommen konnten. Hier räumt Lukas Hartmann mit der Großzügigkeit der Schweiz als neutrales Land während des Zweiten Weltkrieges auf, und der Antisemitismus ist hier weit verbreitet. Schmidt wird die dringend nötige medizinische Versorgung für die Behandlung seiner Herzkrankheit nach einer Kehlkopfentzündung im Hospital verweigert, und der Sänger stirbt schließlich an Herzversagen.
    Seine Stimme, die einst Konzertsäle füllte und die Damenwelt betörte, konnte er da schon nicht mehr benutzen.

    Lukas Hartmann erzählt dien letzten Abschnitt aus Schmidts Leben mit vielen Rückblicken ganz nahe an der Hauptfigur. Seine traurige Geschichte steht hier stellvertretend für das Schicksal vieler Juden, die nach der Grenzschließung im August 1942 keine Möglichkeit hatten, in die Schweiz auf legalem Weg zu fliehen, ihre Identität aufgeben mussten und als illegale Flüchtlinge interniert wurden. Gesundheitlich und psychisch zerrüttet, alles andere als ein Kämpfer, passiv und ergeben in sein Schicksal, verliert Schmidt alles, was ihn ausmacht, seine Stimme, seine Lebensgewissheiten und zuletzt seinen Status als Mensch.

    Obwohl Lukas Hartmann sich sehr um emotionalen Zugang für seine Leser bemüht bleibt mit der Sänger Joseph Schmidt fern, trotz der bewegenden Bilder, die der Autor zeichnet. Vielleicht liegt es daran, dass der Autor versucht, seine Emotionalität besonders zu betonen, möchte den Leser Mitleid heischend unbedingt ganz nahe am traurigen Schicksal und am körperlichen und seelischen Verfall teilhaben lassen. Dabei schießt er in meinen Augen etwas über das Ziel hinaus, breitgetretene rührselige Situationen, insbesondere im letzten Teil des Romans, sind mir zu viel.

    Lukas Hartmann benutzt als äußerst wirkungsvolles Stilmittel für die behördliche Kälte eingeschobene Passagen eines ranghohen Mitarbeiters der Eidgenössischen Fremdenpolizei, die das Erzählte unterstreichen und deutlich machen, wie wenig ein Menschenleben in der damaligen Zeit wert gewesen ist, wie unwichtig Menschlichkeit und Wärme im Umgang mit Flüchtlingen waren. Erschütternd, dass die Behörde und die Zeit austauschbar sind, wodurch diese Passagen auch aus dem Jahr 2019 stammen könnten, aus irgendeinem reichen Land mit Flüchtlingen.

    Joseph Schmidt als Figur ist für mich schlecht greifbar. Er liebt seine Mutter, ist seiner Familie zugetan, andererseits fokussiert er seine Sängerkarriere und lebt ein Leben vollkommen losgelöst von seiner Familie. Die Mutter kommt zu einigen Konzerten - das macht ihn glücklich, aber er besucht sie nicht und schickt den Geschwistern Geld, dass sie sich kümmern.
    Mag sein, dass die Musik sein Leben war, aber für mich wird das im Roman in keiner Weise deutlichen, in den Erinnerungen nicht und auch in der gegenwärtigen Situation nicht. Für mich stolpert Schmidt durchs Leben, in seiner guten Zeit geführt von seinem Agenten und den Frauen, die er liebte, während der Flucht hilflos und unterwürfig, und in beiden Fällen äußerst realitätsfern.
    Ich weiß nicht, ob genau das gewollt ist, ob er einfach so gewesen ist und ob das in der Situation als Flüchtling normal gewesen ist.

    Ich habe die Geschichte selbst mit Spannung verfolgt, habe die vielen Informationen aufgesogen, aber berühren konnte mich das Buch nicht wirklich.

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    03. Jul 2019 

    Joseph Schmidt - vom Promi zum Flüchtling

    Der Ohrwurm "Ein Lied geht um die Welt" ist bereits über 80 Jahre alt. Der damalige Interpret dieses Liedes war ein "kleiner Mann, ganz groß": Joseph Schmidt, ein begnadeter Sänger in den 30er Jahren, der mit seiner Stimme die ganze Welt begeisterte. Und davon nicht nur die Frauenwelt, aber diese besonders.
    Doch Joseph Schmidt hatte für die damalige Zeit einen Makel. Das war nicht seine geringe Körpergröße von 1,54 m - auch wenn dies selbst sein Selbstwertgefühl beeinträchtigte -, sondern Schmidt gehörte der falschen Religion an. Joseph Schmidt war Jude. Und so groß war die anfängliche Begeisterung der Nationalsozialisten für den Sänger dann doch nicht. Denn Joseph Schmidt sollte - Promi-Status hin oder her - wie jeder andere Jude behandelt werden, sprich "Endlösung".
    Es hat lange gedauert, bis Joseph Schmidt erkannt hat, dass seine einzigartige Stimme und seine Berühmtheit keinen Schutz vor Verfolgung boten. Im letzten Moment entschloss er sich zur Flucht aus Deutschland, besser noch aus Europa. Nachdem ihm die Ausreise von Frankreich nach Übersee verwehrt wurde - er hatte mit seiner Entscheidung zur Flucht zu lange gezögert - suchte er Schutz in der neutralen Schweiz.

    "Hitlers Krieg verschlang alles, er hatte auch ihn schon verschlungen, seine Kräfte aufgezehrt, und die Nazis würden nicht ruhen, bis er, der Jude, endlich schwieg."

    Lukas Hartmann erzählt in seinem Roman "Der Sänger" die Geschichte der Odyssee von Joseph Schmidt. Auch wenn er sich dabei auf den Sänger konzentriert und anhand von Josephs Träumen und Erinnerungsfragmenten ein Bild des Tenors zeichnet, steht am Ende doch das Flüchtlingsthema im Fokus. Denn es gibt erschreckende Parallelen zwischen dem Umgang mit Flüchtlingen damals wie heute.

    Der Autor zeichnet dabei kein verklärtes Bild des Ausnahmemusikers. Ganz im Gegenteil. Joseph Schmidt zeigt gerade zu Beginn des Romans viele Facetten, die bei mir auf Ablehnung stießen. Er war ein schwächlicher Mensch, der in anderen Sphären zu leben schien. Er war nicht für die Realität gemacht, schien auch nicht alltagstauglich zu sein. Er benötigte Menschen, die sich um ihn kümmerten und ihm die lästigen Dinge des Alltags abnahmen. Dies waren insbesondere Frauen. Denn sein Ruhm und sein Schmalz in der Stimme machten sexy. Da schaute frau auch großzügig über seine geringe Körpergröße hinweg. Josephs Frauenverschleiß war nicht ohne. Pech, wenn eine von ihm ein Kind bekam. Aber dies war kein Problem, das sich nicht mit Geld lösen ließ. Davon abgesehen, dass Joseph menschlich nicht fähig gewesen wäre, die Vaterrolle zu übernehmen. Denn er war kaum in der Lage, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

    "Er war ja nicht bloß Sänger, sondern, wenn es sein musste, auch Schauspieler. Nicht auf der Bühne, die seine Kleinheit verriet, aber im Film, wo man das Publikum mit Tricks täuschen konnte, und im wirklichen Leben, wo er zu viele Frauen, die an seiner Berühmtheit teilhaben wollten, im Stich gelassen hatte."

    Dieser Roman heißt nicht umsonst "Der Sänger". Denn Joseph Schmidt war Musik und lebte Musik. Sein Denken wurde von Musik bestimmt. Alles andere trat in den Hintergrund. Umso verstörender war es für Joseph, als er in die grausame Realität gezwungen wurde und feststellen musste, dass ihm seine Stimme und seine Musik nicht helfen konnten. Ganz im Gegenteil, der Promi-Status wurde von denjenigen, die über seine Rettung in der Schweiz entscheiden sollten, als Makel betrachtet. Die neutrale Schweiz machte keinen Unterschied zwischen prominentem Juden und "Otto Normal" Juden. Nicht zuletzt wollte die Schweiz sich ein Hintertürchen offenhalten, sollten die Deutschen doch einen Weg über die Alpen finden.
    Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich mit diesem Roman nicht warm geworden. Denn die Charaktereigenschaften, die Joseph Schmidt zugeschrieben werden, sind bei mir auf Ablehnung gestoßen. Doch Lukas Hartmann hat seinen Protagonisten Schmidt eine erstaunliche Entwicklung durchlaufen lassen. Auf einmal wird aus dem Ausnahmesänger ein armer kranker Flüchtling, der in erbärmlichen Verhältnissen in einem Schweizer Übergangslager leben muss.

    "'Ich weiß nicht, ob ich noch an die Musik glauben soll. Sie war mein Leben, ihr habe ich alles untergeordnet. Wer lässt denn all das Üble zu, das uns zu wehrlosen Opfern macht?'"

    Joseph Schmidt verliert im Verlauf der Handlung seine Identität. Nicht nur diejenigen, die über sein Leben und seine Zukunft entscheiden, sprechen ihm diese ab. Nein, auch "Der Sänger" gibt sich auf und sieht sich selbst nur noch als Flüchtling. Zwischendurch blitzen noch kleine Hoffnungsgedanken an eine Rückkehr zu seinem alten Leben auf. Doch Joseph Schmidt scheint zu verlöschen.
    Damit hat Lukas Hartmann einen Nerv bei mir getroffen, der mich zum Innehalten und Nachdenken gebracht hat. Joseph Schmidts Entwicklung vom Individuum zum Flüchtling steht stellvertretend für Menschen, die heutzutage auf der Flucht sind. Sie sind gezwungen ihr altes Leben hinter sich zu lassen, von dem auch kaum jemanden interessiert, wie dieses Leben ausgesehen hat. Stattdessen mutieren sie zu einer fremden Spezies... der Spezies "Flüchtling".

    Man kann diesen Roman natürlich mit viel verklärter Nostalgie-Romantik betrachten. Für viele wird dies wahrscheinlich auch der Grund sein, dieses Buch zu lesen. Joseph Schmidts vergangener Promi-Status zieht immer noch beim Leser. Aber viel wichtiger ist für mich die Entwicklung dieses Romans: von einem biografischen Roman über einen prominenten Sänger hin zu einem zeitkritischen Roman, der die Flüchtlingsthematik in der Schweiz und natürlich Deutschland und sonst wo, eindringlich zur Sprache bringt.
    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. Eine Fluchtbiografie

    Joseph Schmidt war einer der berühmtesten Tenöre seiner Zeit. In den 1930er Jahren konnte man seine Auftritte auf der Bühne und im Film bewundern. Schmidt war den Frauen immer sehr zugetan, ein kleiner Mann, der gerade 1 Meter 54 maß, mit einer großen Stimme. Joseph Schmidt stammte aus der damaligen Bukowina. Joseph Schmidt war Jude. Doch es ist keine Künstlerbiografie, die Lukas Hartmann schreiben wollte. Es ist die Geschichte einer Flucht vor dem wahnsinnigen Naziregime.
    Erschöpft und erkrankt gelingt Schmidt zwar noch illegaler Weise die Einreise in die Schweiz. Doch seine Prominenz hilft ihm nicht, es hat viel eher den Eindruck, dass gerade wegen seiner Berühmtheit an ihm die Schweizer Bürokratie ein Exempel statuieren möchte.
    Es ist gar nicht so sehr, das Schicksal des Sängers, das für mich diesen Roman lesenswert machte. Schmidt macht es einem auch nicht immer leicht, ihn zu mögen. In vielen Dingen wirkt er so theatralisch und lebensfremd, als wäre die Welt noch immer seine Bühne. Es ist viel mehr die zeitlose Fluchtthematik, die Hartmann präsentiert, die Ungerechtigkeit, die geschürten Ängste und Vorurteil vor dem Unbekannten. Der Mensch, der zum Flüchtling degradiert wird, dem man seine Identität nimmt in der Masse der anderen Flüchtlinge. Für Schmidt übrigens ein doppelter Identitätsverlust, musste er nicht nur das Leben, das er kannte aufgeben, seinen Wohlstand, seine Familie. Schmidt verliert auch was in ihm steckt, seine Stimme. Zurück bleibt ein Niemand, entwurzelt, illegal, ringend um Würde und Menschlichkeit.

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  1. 5
    06. Mai 2019 

    Legale unterlassene Hilfeleistung

    Eine gelungene aber eine sehr traurige Biografie zu dem 38-jährigen jüdischen Tenorsänger Joseph Schmidt, der als deutscher Caruso gefeiert wird, hat uns der Autor Lukas Hartmann hinterlegt. Bis zum Schluss hat mich die Thematik gepackt. Sehr gut geschrieben. Diese Lektüre sollte den Buchpreis bekommen.

    Es ist eine so ernste Thematik, die gegenwärtig in unsere politische Zeit passt, dass ich das Bedürfnis verspüre, meine Buchbesprechung ein wenig zu intensivieren. So viele wichtige Zitate möchte ich gerne hier reinstellen, damit ich sie immer wieder nachlesen kann, wenn mich das Thema immer wieder neu beschäftigen wird.

    Die Handlung
    Die Hauptfigur dieser Geschichte ist Joseph Schmidt, der gerademal 1,54 Meter ist. Obwohl Schmidt nur auf dem Papier Jude ist, wird er 1942 trotzdem von den Nazis verfolgt. Einmal Jude immer Jude, das behaupten selbst die gläubigen Juden unter sich. Auch Künstler*innen sind vor den Nazis nicht geschützt.

    Schmidt begibt sich auf die Flucht in die Schweiz. Er hatte sich schon in Frankreich in der Villa Phoebus für mehrere Wochen versteckt. Doch auch dort ist Schmidt nicht mehr sicher und flüchtet mit seiner Begleiterin Selma Wolkenheim in die Schweiz, da die Schweiz im Zweiten Weltkrieg politisch neutral war.

    Schmidt war ein gefeierter Sänger, überall beliebt, auch bei Frauen, aber eine feste Bindung war er nicht in der Lage zu schließen, obwohl er mit einer Frau einen siebenjährigen Sohn besitzt und er selbst sich nur als den Erzeuger betrachtet aber nicht als Vater des Kindes. Sein Herz gehörte allein der Musik und er war nicht bereit, es mit jemand anderem zu teilen. Aber ob dies der alleinige Grund ist? Schmidt hatte einen autoritären Vater namens Wolf Schmidt, der streng seine religiösen Praktiken nachging, an die sich die Kinder anzupassen hatten. Wolf prügelte auch auf die Kinder ein, wenn sie seine Erwartungen nicht erfüllen konnten …

    Zitat:
    "Die Wünsche dieses Manns, der wollte, dass Joseph fehlerlos den Talmud zitierte, konnte er nicht erfüllen. Nein, (den) Vater, der die ganze Familie in autoritärem Bann hielt, hatte (Joseph) nicht geliebt, sich vergeblich nach Zuwendung, nach Lob gesehnt." (2019, 36)

    Die Schweiz ist dicht, die Grenzen werden geschlossen, da sie mit der Masse an Flüchtlingen nicht fertig wird und so gerät dieses Land in eine schwere Prüfung der Mitmenschlichkeit.

    Zitat;
    "Dabei bemühen wir uns intensiv, das Wohl der Einzelnen, zunächst der Einheimischen, der hier Aufgewachsenen, im Auge zu behalten, und ebenso das Gesamtwohl des Vaterlandes. Und dennoch dürfen wir gegenüber dem wachsenden Flüchtlingselend, das uns aus den Akten entgegenschreit, nicht unempfindlich werden. Je mehr bei uns (…) über die Greueltaten (sic) in Konzentrationslagern bekannt wird, zu desto harscheren Reaktionen führen unsere Rückweisungen in einem Teil der Bevölkerung, zu immer deutlicheren Protesten in der linken Presse und bei den jüdischen Organisationen, während die andere Seite unsere Entscheidungen, die an die Gesetze und an die Beschlüsse des Bundesrats gebunden sind, durchaus billigt. (…) Gegenwärtig halten sich mindestens neuntausend Flüchtlinge in der Schweiz auf, und eine Weiterreise des europäischen Kontinents (…) ist angesichts der Kriegslage und der fortdauernden Dominanz, nicht mehr möglich. Sie werden bei uns bleiben und die Bundeskasse mit Millionenkosten belasten, so lange, bis der Krieg irgendwann zu Ende ist." (64)

    Schmidt wurde mithilfe eines Schleppers über die Schweizer Grenzen geschleust und wurde in Girenbad in ein Internierungslager zugewiesen und begegnet hier jede Menge Schicksalsgenossen. Hier sind die Flüchtlinge einem repressiven Machtapparat ausgesetzt. Dadurch werden die Menschen hier wie Sträflinge behandelt. Liegen gab es hier im Lager nicht, die Flüchtlinge wurden auf Stroh gebettet. Zu essen gab es nur Brühe und altes Brot. Schmidt erkrankt an einer schweren Infektion im Rachen und im Kehlkopfbereich und wurde erst nach langem Hin- und Her ins Kantonsspital gefahren. Auch in dem Hospital wird er mit den billigsten Mitteln behandelt, obwohl seine Erkrankung mittlerweile auch auf sein Herz überschlägt. Schmidt wird von dem Chefarzt der Klinik schlecht behandelt, der ihm vorwirft, sich seine Beschwerden am Herzen einzubilden, auch, um nicht zurück ins Lager zu müssen. Er stellt dem Kranken viele kritische Fragen, nimmt seine Beschwerden nicht ernst ...

    Zitat:
    "Schmidt schaute den Professor bestürzt an. >>Sie glauben mir nicht? Sie meinen, dass ich Schmerzen erfinde?<<
    >> Simulanten gibt es viele. Aber ich sage nichts dergleichen. Es ist einfach meine Pflicht, solche unangenehmen Fragen zu stellen. Das sollten Sie, als vernünftiger Mann, bei der großen Zahl von Internierten in unserem Land, verstehen. Es gibt ja auch sehr viele Ihres Glaubens darunter, die in Anspruch nehmen, verfolgt zu werden, und annehmen, deshalb ein Recht auf Asyl zu haben. << (202)

    Es waren viele herzensgute Schweizer zugange, aber viele waren, vor allem Autoritäten, sehr rassistisch eingestellt.

    Zitat:
    "Dabei geht es uns abzuwägen zwischen den Erfordernissen des Landesschutzes und der Humanität; wir können und dürfen die schweizerische Bevölkerung (…) einer zunehmenden Überfremdung durch Heerscharen hauptsächlich jüdischer Flüchtlinge nur mit gebührender Vorsicht aussetzen." (64f)

    In Anbetracht unserer eigenen politischen Lage, dass sich die europäischen Länder so schwertun, Flüchtlinge in ihr Land aufzunehmen, möchte ich zum Abschluss ein letztes Zitat einbringen.

    Zitat:
    "Die Flüchtlinge tun uns die Ehre an, in unserem Land einen letzten Ort des Rechts und des Erbarmens zu sehen … Wir sehen an den Flüchtlingen, was uns bis jetzt wie durch ein Wunder erspart geblieben ist." (194)

    Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

    Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
    Die Szene im Krankenhaus. Der Professor hat Schmidt nicht gut behandelt, und man hätte ihn bei anderen Umständen wegen unterlassener Hilfeleistung anzeigen können.
    Die Szenen im Internierungslager fand ich grausam, dass ich mit dem Lesen für eine Weile aussetzen musste.

    Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
    Dass es auch gute Menschen gab, die sich für Schmidt eingesetzt haben, vor allem die Wirtin eines Gasthauses.

    Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
    Die Wirtin und das Pflegepersonal des Hospitals. Auch Selma Wolkenheim war mir sympathisch.

    Welche Figur war mir antipathisch?
    Professor Brunner, Chefarzt der Klinik.

    Meine Identifikationsfigur
    Keine.

    Cover und Buchtitel
    Joseph Schmidt sieht hier zu ausgelassen aus, zu freundlich, obwohl er Angst hatte, im Zug von der Gestapo aufgegriffen zu werden. Deshalb meine Frage; darf Traurigkeit auf einem Titelblatt nicht sein? Muss sie retuschiert werden?

    Zum Schreibkonzept
    In dem Buch gibt es mehrere Perspektiven, die sich über das Schicksal des Künstlers und über das Verhalten der Schweizer auslassen. Es gibt einen objektiven Erzähler, und im Wechsel wird die Perspektive verschiedener anderer Figuren in Kursivschrift dargestellt, die sich zum Sachverhalt beziehen, was ich spannend fand. Der Schreibstil ist flüssig und sehr gut verständlich. Auf den letzten Seiten gibt es einen Hinweis und eine Danksagung.

    Meine Meinung
    Vielerorts unter der Leserschaft liest man, dass der Sänger Joseph Schmidt kein Sympathieträger sei, da er Frauen benutzt und sein Kind im Stich gelassen hätte. Ich sehe es ein wenig anders, da viele Künstler*innen Probleme haben, sich eine beständige partnerschaftliche Beziehung aufzubauen. Andere dagegen, die in einer Beziehung lebten, ließen sich von ihr wieder lösen, weil sie darin ihren Lebenssinn nicht fanden. Man hat schon viel gelesen über Künstler*innen, die, weil sie mit dem Leben nicht klarkamen, sich das Leben genommen haben, andere waren dem Alkoholkonsum ausgesetzt, um ihre Probleme zu betäuben, etc. Viele Künstler*innen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind einem permanenten seelischen Druck ausgesetzt, da ihr Auftritt mehr als gut sein musste. Außerdem haben viele gar keine Zeit, sich dem viel zu trivialen Alltag hinzugeben. Viel zu hoch sind deren Lebensideale. Sogar viele Schriftsteller*innen haben es schwer und denke dabei auch an Hermann Hesse, der Probleme mit Frauen hatte und war dadurch mehrfach verheiratet und mehrfach geschieden …

    Mein Fazit
    Insgesamt eine sehr nachdenklich stimmende, eine sehr differenzierte und authentisch geschriebene Biografie, deren Thematik, wie ich oben schon geschrieben habe, politisch in unsere Zeit passt. Auch hier hört man in der Bevölkerung immer wieder, dass Deutschland zu viele Flüchtlinge aufnehmen würde. Viele darunter wählen dadurch sogar die AfD. Mir stellt sich die Frage, ob der Mensch nicht fähig ist, aus der Geschichte zu lernen? Ich finde keine Antwort darauf ... Ich selbst kannte Joseph Schmidt nicht, auch nicht seine Arie Ein Lied geht um die Welt. Hier ein Filmausschnitt auf YouTube zu Joseph Schmidts Leben und zu seinem Lied. Er hat tatsächlich die Stimme eines Enrico Caruso.

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    04. Mai 2019 

    Ein Leben für die Musik...

    Seine Stimme füllte Konzertsäle, betörte die Damenwelt, eroberte in Deutschland, Europa, Amerika ein Millionenpublikum. Joseph Schmidt, Sohn orthodoxer Juden aus Czernowitz, hat es weit gebracht. 1942 aber gelten Kunst und Ruhm nichts mehr. Auf der Flucht vor den Nazis strandet der berühmte Tenor, krank, erschöpft, als einer unter Tausenden an der Schweizer Grenze. Wird er es sicher auf die andere Seite schaffen?

    Ein weltberühmter Tenor war Joseph Schmidt in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch mit der Herrschaft der Nazis begann sein Stern zu sinken - denn Joseph Schmidt war Jude. Er floh von Land zu Land, bis ihm 1942 nur noch die Schweiz blieb. Doch die war zu der Zeit den jüdischen Flüchtlingen längst nicht mehr wohlgesonnen. Es war schwierig, überhaupt über die Grenze zu gelangen, und einmal geschafft, wurden die meist ohnehin geschwächten Flüchtlinge in Auffanglager gesteckt - bis zur Entscheidung, ob sie im Land verbleiben konnten oder nicht.

    Lukas Hartmann beschränkt sich in seinen Schilderungen im Wesentlichen auf die letzten Monate im Leben Joseph Schmidts (1904-1942). Er zeichnet die aus der Biografie bekannten Stationen seiner Flucht nach, die Begegnungen, die Krankheit, die Ereignisse. Dabei gewährt er jedoch durch eingewobene Erinnerungen des Tenors auch Einblicke in dessen Vergangenheit - seine Kindheit, die Jugend, die Zeit seiner Berühmtheit.

    So entsteht sukzessive das Bild eines Sängers, der im Grunde nur für seine Musik gelebt hat - abseits der Bühne wirkt er in den letzten Monaten seines Lebens wie ein Verlorener. In der Vergangenheit genoss er den Ruhm, die Frauen, das Beisammensein - aber er blieb stets ein Reisender, der für seine Handlungen nie die Verantwortung übernahm. Auf der Bühne jedoch war er trotz seiner geringen Körpergröße von 1,54 m ein stimmgewaltiger Star, von den Massen bejubelt.

    In der Vergangenheit stets nur die Musik im Sinn, fügt sich Schmidt den Gegebenheiten als Flüchtling, auch in seine Krankheit, setzt dem jedoch kein neues Ziel entgegen. Er versinkt in Krankheit, Melancholie und Erinnerungen, hat dabei nur anfangs noch die leise Hoffnung, dass sich für ihn einmal wieder alles zu einem kleinen Stückchen Glück fügen möge. Die Welt, für die der Sänger geboren war, die gibt es einfach nicht mehr - er hat seinen Platz in der Welt verloren.

    Bei all den bekannten Fakten aus der Biografie bleibt doch viel Spielraum, den der Autor mit seinem Bild von dem weltberühmten Tenor gefüllt hat. Hartmanns Vorstellungen der Gedanken- und Gefühlswelt des Sängers finden hier ebenso ihren Platz wie erdachte Gespräche und Begegnungen. Vor allem die Schlussszene geriet dadurch in meinen Augen arg konstruiert und nicht durchweg vorstellbar. Allerdings war sie auch sehr atmosphärisch und passte in ihrer Filmreife dann doch wieder zu der Bühnenfigur Joseph Schmidt.

    "Die Flüchtlinge tun uns die Ehre an, in unserem Land einen letzten Ort des Rechts und des Erbarmens zu sehen..." (S. 194)

    Die Schweiz. Vorschriften und Erlasse zum Wohle des Volkes. Grenzschließung. Abweisung der Flüchtlinge. Heimlicher und weniger heimlicher Antisemitismus. Auch dies ist Inhalt des Romans von Lukas Hartmann. Während Joseph Schmidt immer wieder Menschen begegnet, die erkennen, wie schlecht es ihm geht, und Gesten der Hilfsbereitschaft folgen lassen, egal wie hart ihr eigenes Los gerade ist, macht der Tenor die Erfahrung, dass diejenigen, die ihm wirklich helfen könnten - Politiker, Ärzte - genau diese Hilfeleistung unterlassen. Lukas Hartmann gelingt es subtil, diese Gegensätze kristallklar herauszuarbeiten und damit die verzweifelte Lage des Sängers unmissverständlich zu verdeutlichen.

    Wem bei der Lektüre Parallelen zur aktuellen Flüchtlingsproblematik in den Sinn kommen - der mag damit auch richtig liegen. Tatsächlich erinnern viele der vorgebrachten Argumente der Schweizer Politiker an die heutige Diskussion hinsichtlich des Umgangs mit der Flüchtlingsschwemme. Und auch das Schließen von Grenzen scheint sich nicht auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs zu beschränken. Insofern nicht nur ein historischer Roman, sondern auch einer, der an hochaktuellen Themen kratzt...

    Alles in allem ein leiser aber unbequemer Roman, der neugierig werden lässt auf die Biografie Joseph Schmidts und seine Kunst, der aber auch daran gemahnt, dass Vergangenes aktueller sein kann als einem lieb ist...

    © Parden

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  1. Ein begnadeter Sänger auf der Flucht vor den Nazis

    Joseph Schmidt gehörte 1930 zu den bekanntesten Sängern in Deutschland. Er war weltweit erfolgreich und nahm zahlreiche Rundfunkopern auf, bis er 1933 als Jude von Deutschland nach Frankreich fliehen musste. Als es 1942 auch dort zu gefährlich wurde, wollte er zunächst legal, und als das scheiterte, illegal mit Schleppern über die Grenze in die Schweiz einwandern. An dieser Stelle setzt der Roman ein. Es wird ein durchgehend personaler Erzählstil verwendet, der dem Leser vielfältige Innensichten des Sängers offenbart, so dass man einen guten Eindruck seines Charakters, seiner Vorlieben und Eigenschaften gewinnt. In gedanklichen Rückblenden erschließen sich auch Kindheit, Beziehungen und Erlebnisse, oft gepaart mit nachträglichen Einsichten oder Emotionen, seien es Freude, Schmerz oder Bedauern. Diese Rückblenden durchbrechen die Handlung kontinuierlich.

    Schon als Kind war Schmidt aufgrund seiner kleinen Größe (als Erwachsener erreichte er nur 1,54 m) ein Außenseiter. Schon früh erkannte er seine Liebe zur Musik: „Am schönsten war es, wenn ein Chor sang, diese Klänge umschlossen das Kind und bargen es, fast so schön wie die Arme der Mutter, die sich um ihn schlangen.“ (S. 20)

    Während der Vater die Singerei als dem Glauben entgegengesetzt betrachtet, fördert die Mutter die Musikalität des Sohnes. Joseph entwickelt sich zum vergeistigten Sänger, der für die Bühne und den Applaus lebt und vieles daneben vergessen kann. Der geldgierige Onkel Leo übernimmt seine Vermarktung, führt ihn zum Erfolg. Während Schmidt ein ausuferndes Leben mit zahlreichen Beziehungen zu Frauen führte (aus einer entstand auch sein unehelicher Sohn Otto), hielt er seiner in Czernowitz gebliebenen Mutter immer die Treue. Er lud sie ein, unterstützte sie finanziell: „ Die Mutter hätte er zu sich genommen, wenn es gegangen wäre. (…) aber er hatte zu viele Verpflichtungen, er musste reisen, sie konnte nicht an seiner Seite bleiben, war dann wieder zurückgefahren zu den Töchtern, die sie, dank der Zuschüsse des Sohns, willig betreuten.“ (S. 37)

    Auf der Flucht nun erkrankt Schmidt schwer. Er bekommt Fieber, ist sehr schwach und vor allem sind Hals und Kehlkopf entzündet, so dass er nicht mehr singen kann und seine Einnahmequelle vollends zu verlieren droht, was ihm zunehmend wirtschaftliche Sorgen beschert, ist er doch auf Almosen angewiesen. In der Schweiz angekommen wohnt er für eine kurze Zeit in einer Pension, wird dann aber in das Internierungslager Girenbad eingewiesen.

    Durch kursiv gedruckte, authentisch wirkende Kapitel erhalten wir Einblicke in die Gedankenwelt von zwei Bewunderinnen, von amtlichen Entscheidungsträgern und von Ärzten, die mit „dem Fall Joseph Schmitt“ befasst sind und über ihn zu entscheiden haben. Man stellt fest, dass die damaligen Standpunkte zur Flüchtlingsfrage erstaunliche Parallelen zur aktuellen Diskussion haben. Auf der einen Seite geht es um Menschlichkeit und moralische Verpflichtung den Flüchtlingen gegenüber, die bei einer Ausweisung der sichere Tod erwarten würde. Auf der anderen Seite sehen die Behörden das Gemeinwohl der einheimischen Bevölkerung in Gefahr und sehen sich an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit gebracht.
    Mir gefällt dabei außerordentlich, dass Hartmann sich stark mit Wertungen und Stereotypen zurückhält. Er beschreibt die Menschen, ihre Werte und Emotionen sehr persönlich, nie auf eine ganze Gruppe bezogen: Es gibt Internierte, die anderen beistehen, es gibt diejenigen, die dem anderen das Brot aus der Hand nehmen. Es gibt den kalten Oberleutnant, der auf Einhaltung der Regeln pocht und den Korporal, der den Geflohenen eine Hilfe und Stütze ist.
    „Dann kam er ins Lager Girenbad, fand dort überraschend Freunde, Zuspruch, es war nie nur der Schrecken, der ihn bedrängte, es gab in finsteren Momenten auch stets die hellere Seite, und darum lag er jetzt hier,…“. (S. 260)

    Auch Schmidt als Jude ist kein Unschuldslamm: er hat menschliche Fehler, er ist schwach, flüchtet mitunter vor der Realität. Er versucht ein guter Flüchtling zu sein. Er passt sich an, gehorcht und will auch schwere Arbeit leisten. Hier macht ihm aber seine Krankheit einen Strich durch die Rechnung, er kann oder soll nicht mehr wie ein normaler Flüchtling behandelt werden, es beginnt ein Spießrutenlaufen vor den verschiedenen Instanzen und Entscheidungsträgern, an dessen Ende Joseph Schmidt seiner Krankheit am 16. November 1942 erliegt. Der biografische Roman legt nahe, dass sein früher Tod bei besserer ärztlicher Behandlung des Patienten hätte vermieden werden können.

    Lukas Hartmann hat einen Roman gegen das Vergessen geschrieben, der absolute Aktualität genießt. Er hat mir eine furchtbare Zeit wieder ins Bewusstsein gebracht, die nie vergessen werden darf und aus der die Menschheit lernen muss. Die Geschichte öffnet den Blick darauf, was es heißt, auf der Flucht zu sein und seine Identität in der Masse zu verlieren. Darüber hinaus habe ich einen Ausnahme-Musiker kennengelernt, über den ich bislang noch nichts wusste, obgleich die von ihm intonierten Lieder Ohrwürmer sind.

    Der Schreibstil mit seinen Rückblenden und Einschüben ist nicht schwer zu erfassen. Der Roman liest sich spannend, lässt aber auch Raum für eigene Gedanken und Wertungen. In der zweiten Hälfte gerieten mir die persönlichen Innensichten und Krankheitsphantasien des Sängers etwas zu ausschweifend.
    Insgesamt ist „Der Sänger“ aber ein interessant konzipierter biografischer Roman, für den ich gerne eine Lese-Empfehlung ausspreche.

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  1. Informativer biografischer Roman

    Joseph Schmidt – ein mir bis dato unbekannter Tenor. Das hat sich nun dank des biografischen Romans „Der Sänger“ von Lukas Hartmann und einer dazugehörigen Leserunde grundlegend geändert.

    Doch biografisch ist nur ein Teil der Wahrheit. Vielmehr als das ist es nämlich auch ein erschreckend aktuelles Bild der (europäischen) Flüchtlingspolitik – auch wenn es im Roman eher um die schweizerische Rolle zur Zeit des 2. Weltkriegs geht. Die entsprechenden Passagen sind aber von der Wortwahl her so nah an den Argumenten vieler heutiger Aussagen, dass man meinen könnte, der Roman würde im Hier und Jetzt spielen.

    Lukas Hartmann hat meines Erachtens nach mit „Der Sänger“ kein besonders romantisierendes Bild von Joseph Schmidt gezeichnet. Er zeigt ihn in allen Facetten menschlichen Daseins mit Ecken und Kanten. Sein Verhältnis zu Frauen ist nicht (unbedingt) das, was man von einem in der Öffentlichkeit stehenden Menschen oder generell von Menschen „erwartet“. Eine Vaterschaft erkennt er nicht an – was in letzter Konsequenz zu ihm passt, da er kaum Verantwortung für sich selbst übernehmen konnte. Stattdessen wurde er auf Grund seiner geringen Körpergröße von nur 1,54 m schon in der Schule gehänselt und auch das Verhältnis zu seinem Vater ist schwierig. Einzig zu seiner Mutter Sara, die er in Czernowitz zurücklassen musste, hatte er zeitlebens ein gutes Verhältnis. Entsprechend sentimental sind die dazugehörigen Passagen im Roman.

    Solche Dinge erfährt die Leserschaft während des Romans in Rückblenden, Gedankengängen und Erinnerungen von Joseph Schmidt, während er zunächst das verliert, was ihm am wichtigsten ist – nämlich seine Stimme und er im Zuge dessen unausweichlich auf den Tod hinlebt. Hier spielt auch die Rolle der Schweiz im Umgang mit jüdischen Flüchtlingen mit rein – wäre er richtig und konsequent behandelt worden, hätte Joseph Schmidt den Krieg (womöglich) überlebt.

    „Der Sänger“ ist mitnichten ein großer literarischer „Wurf“. Trotzdem lässt der Roman sich gut und schnell lesen und Lukas Hartmann hat es immerhin geschafft, mir den Tenor Joseph Schmidt so interessant vorzustellen, dass ich nun gerne seine „richtige“ Biografie lesen würde.

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  1. Ein Lied geht um die Welt

    Im September 1942 befindet sich der berühmte jüdische Tenor Joseph Schmidt aus Bukowina, Czernowitz, auf der Flucht. Zu Beginn der Handlung versteckt er sich im Haus von Freunden, im Süden Frankreichs.
    Während er am letzten Abend dort die Elegie von Massenet singt, denkt er über seine Situation nach.

    "Geliebte hatte er, der Sänger, viele gehabt und sie immer wieder verlassen, wie er nun auch diesen Ort verlassen würde. Nicht um der Einen die Treue zu halten, der Mutter, die starrsinnig in Czernowitz bleiben wollte, sondern dieses Mal, um der Deportation zu entgehen und sein Leben zu retten. Die Deutschen warne unterwegs in Pétains Rumpf-Frankreich und durchsuchten es nach versteckten Juden, sie würden auch nach La Bourboule kommen." (7)

    Er hadert damit, dass er, den "man als den deutschen Caruso bejubelt hatte, [...] aus den Blättern und Radiosendern verschwunden, aus Filmen herausgeschnitten [war], die Schallplatten gab es nicht mehr in den Läden. [...] Er wusste, worum es ging: um die Ausrottung des Judentums in Europa." (8-9)

    Um den Nationalsozialisten zu entgehen, ist eine Fluchtroute bereits festgelegt, ein Passeur soll ihm gemeinsam mit seiner Geliebten Selma, deren Bruder in der Schweiz lebt, sowie weiteren Flüchtlingen helfen, über die Schweizer Grenze zu gelangen. Schmidts rumänischer Pass ist ungültig, als staatenloser Jude hat er kaum eine Chance legal über die Grenze zu kommen.

    "Die Schweiz hatte in den letzten Monaten ihre Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge rigoros verstärkt, Juden, erkennbar meist am J im Pass, wurden seit August konsequent zurückgewiesen." (12)

    Trotzdem gelingt ihm die Einreise, wenn auch nicht ohne Hindernisse und Umwege. Sein Berühmtheit erleichtert ihm jedoch die Situation nicht - im Gegenteil, es entsteht der Eindruck, dass an ihm eine Art Exempel statuiert werden soll.

    "[E]s sei beschlossene Sache, den Deutschen zu zeigen, dass der berühmte Joseph Schmidt gleich behandelt werde wie ein x-beliebiger jüdischer Viehhändler." (231)

    Neben der personalen Perspektive aus der Sicht des Sängers Joseph Schmidt sind in die Handlung Aussagen eines Schweizer Doktor der Jurisprudenz in der Eidgenössischen Polizeiabteilung eingefügt, in denen dieser den Versuch unternimmt, die strengen Gesetze des Bundesrates zur Begrenzung des Flüchtlingsstroms mit ökonomischen Argumenten sowie der Bemerkung, man dürfe der Bevölkerung keine Überfremdung zumuten, zu rechtfertigen.

    "Die Stimmung gegen Juden hat sich auch bei uns verstärkt. Das war noch anders vor dem Krieg. Nun ducken sich ja alle vor einem möglichen Überraschungsangriff der Wehrmacht." (88)

    So erhält der Einzelfall Joseph Schmidt eine politische, allgemeinere Dimension.
    Einschübe gibt es auch von einem seiner weiblichen Fans aus der Schweiz. Eine alte Dame, die sich daran erinnert, wie Joseph Schmidt in ihrer Nähe in einem Internierungslager untergebracht wurde und wie sie sich bemüht hat, ihn zu treffen. Diese Schilderungen verleihen dem Roman Authentizität und stellen das, was dem Sänger widerfahren ist, aus einer weiteren Perspektive dar.

    Immer wieder werden die Ereignisse der Gegenwart von Erinnerungen des Sängers durchzogen. Ein wiederkehrendes Motiv ist dabei seine große Liebe zur Musik.

    "Töne hatten Jossele von klein auf magisch angezogen, auch die Stimmen von Tieren, die er bald nachzuahmen versuchte, so wie er im Bethaus schon mit drei, vier Jahren in die gesungenen Gebete einstimmte, oft zum Verdruss des Vorsängers. Vom Singen ließ er sich nicht abhalten (...) " (19)

    Der Musik ordnet er alles unter, auch seine Rolle als Vater. Er hat einen 7-jährigen Sohn, Otto, Lotte, dessen Mutter reist ihm nach, bittet ihn um Geld und um eine legale Verbindung. Doch er weist sie zurück.

    "Aber die Vaterrolle im Ernst übernehmen, das konnte er nicht, er reiste zu viel herum." (21)

    Zudem liebt er sein unstetes Leben, hat Geliebte, gibt sein Geld freigiebig aus, er ist ein "Bonvivant" (15), dessen Konstante im Leben die Mutter zu sein scheint. An sie, die inzwischen im Ghetto in Czernowitz ist, denkt er besonders oft. Sie, die ihn - im Gegensatz zum Vater - in seiner Liebe zur Musik unterstützt und durchgesetzt hat, dass er Sänger werden konnte.

    Der Roman bringt den Leser*innen die etwas eigensinnige Person Joseph Schmidt näher, der unter seiner Größe (1,54 m) gelitten hat und dessen schwieriges Verhältnis zum Vater eine Ursache dafür sein kann, dass er selbst seine Vaterrolle nicht ausfüllen konnte.

    Gleichzeitig stellt er die in der Schweiz während des 2.Weltkrieges herrschende Flüchtlingspolitik gegenüber den Juden dar. Die Parallelen zur heutigen Zeit scheinen nicht zufällig zu sein, das ist auch der Tenor in der Leserunde.

    Doch Hartmann klagt nicht nur an, sondern erzählt auch von Menschen, die Schmidt geholfen und sich der offiziellen Politik widersetzt haben, und somit als positives Beispiel gelten können.
    Ein lesenswerter Roman gegen das Vergessen!

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    28. Apr 2019 

    Das traurige Schicksal eines begnadeten Sängers

    Das Buch erschien am 24. April dieses Jahres beim Diogenes-Verlag und hat nur 288 Seiten. Ein bisschen wenig, habe ich erst gedacht, aber es scheint wohl hauptsächlich um die letzten traurigen Monate des Lebens des weltberühmten Tenors Joseph Schmidt zu gehen.

    Ich wusste über Joseph Schmidt bis vor Kurzem, dass er ein begnadeter Tenor war. Ein Lied geht um die Welt beschert mir immer wieder eine Gänsehaut. Den Film und die Platte habe ich noch zu DDR-Zeiten gesehen und gehört. Dann war er für Jahrzehnte aus meinem Blickfeld verschwunden.
    Erst sehr viel später habe ich über sein trauriges Ende erfahren. Und nun dieses Buch. Er scheint ein Mann zu sein, der nur für seine Musik lebt. Der ohne ihr nicht lebensfähig ist. Einerseits ist das ja bewunderungswürdig. Andererseits: Ist so ein Mensch fähig, echte Verbindungen mit anderen Menschen einzugehen? Wenn ich da an Lotte und seinen Sohn Otto denke, scheint es mir nicht so. Er ist noch nicht mal fähig, die Verantwortung für sein Kind zu übernehmen. Das kratzt ein wenig an dem positiven Bild, das ich von Joseph Schmidt hatte.

    Doch dann erinnerte ich mich an eine Dokumentation, in der es um richtige Weltstars geht. Dass das zum großen Teil Menschen sind, die sich der Öffentlichkeit präsentieren müssen. Sie können gar nicht anders. Viele von ihnen sind auch nicht in der Lage, ein normales Leben zu führen. Und wenn ihr Stern am Sinken ist, dann fallen sie in ein tiefes Loch und wissen nicht, wie weiter. Unter diesem Gesichtspunkt kann ich Joseph Schmidt dann verstehen. Er war ja ein Mensch, ein Künstler, der nur für seine Musik gelebt hat. Die Frauen lagen ihm zu Füßen und er genoss es.

    Und nun? Es ist das Jahr 1942 - in Deutschland hat er als Jude keine Zukunft mehr. Er floh nach Frankreich und als es auch dort nicht mehr sicher war, fuhr er mit dem Zug in Richtung Schweiz. Doch an der Grenze erkannte man ihn kaum und mit seinem ungültigen Pass kam er auf legalem Weg nicht rüber...

    Aber auf illegalem Weg schaffte er es - und kam in ein Internierungslager - total geschwächt, heiser und mit Herzschmerzen. Vernünftiges Essen gab es nicht, als Schlafstatt standen nur Strohlager und eine Decke zur Verfügung und es wurde nicht geheizt. Die jüdischen Flüchtlinge mussten arbeiten, doch Joseph Schmidt wurde immer schwächer, bis er endlich von einem Arzt untersucht wurde, dessen Frau eine Verehrerin von Schmidt war. So kam er in ein Spital.

    Ich bin Jahrgang 1964, in der Schule wurden der 1. und 2. Weltkrieg thematisiert, wir haben "Anne Frank" gelesen und heute, wo "Gegen das Vergessen" ein Herzensthema von mir ist - muss ich Parallelen ziehen zwischen damals und heute.
    Dieses Buch thematisiert die Flüchtlingsfrage - wie sie sich damals besonders den neutralen Ländern Schweden und der Schweiz stellte. Gestern wie heute sind es dieselben Meinungen und ängstlichen Fragen. Und gestern wie heute gibt es - bisher zum Glück nur eine Minderheit -, die diese Ängste schüren.
    Ich hoffe und wünsche mir sehnlichst, dass Deutschland, Europa eine Lösung finden, wie sie verantwortlich damit umgehen. Fremdenhass, Diskriminierung und Ausgrenzung dürfen bei uns keinen Platz haben.

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