Der Riss: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Riss: Roman' von Pyun Hye-young
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Riss: Roman"

Kann das Leben einen so tiefen Riss bekommen, dass man durch ihn hinabstürzt und darin verschwindet? Ogi hat Schuld an dem Unfall, durch den seine Frau getötet wurde. Im Haus seiner Schwiegermutter vegetiert er nun schwer verletzt vor sich hin. Seine Welt schrumpft zu dem Bett, in dem er liegt. Im Inneren halten beunruhigende Gedanken an seine Frau ihn gefangen. Draußen verwandelt sich ihr üppiger Garten in einen welken Orten, entstellt von dunklen Löchern, die die Schwiegermutter wie besessen gräbt. Was verbirgt sich hinter der unheimlichen Obsession für den Garten? Ein so kafkaesker wie hypnotisierender Roman von den verstörenden Rissen, die Einsamkeit, Schuld und Entwurzelung im Leben hinterlassen können.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442757718

Rezensionen zu "Der Riss: Roman"

  1. 4
    04. Jan 2022 

    Gefangen im eigenen Körper

    In diesem beklemmenden Werk zieht uns die südkoreanische Autorin Hye-Young Pyun ins Innere ihres Protagonisten Ogi. Durch einen schweren Verkehrsunfall, bei welchem seine Ehefrau stirbt, wird der Geografie-Professor Ogi zum Gefangenen seines eigenen Körpers. Er kann sich nicht mehr bewegen und aufgrund schwerer Verletzungen des Kieferbereichs in keiner Weise mehr artikulieren. Allein durch den Lidschlag kann er Fragen mit Ja oder Nein beantworten. Nach Monaten des Krankenhausaufenthaltes holt ihn seine Schwiegermutter und einzige Verwandte nach Hause, welche selbst noch mit der Trauer um ihre verstorbene Tochter zu kämpfen hat. Auf sich selbst zurückgeworfen beginnt Ogi sein Leben und vor allem seine Ehe Revue passieren zu lassen und eigene Schuldgefühle zu durchleben. Gleichzeitig registriert er das immer merkwürdiger werdende Verhalten seiner Schwiegermutter und ist ihr letztlich vollständig ohnmächtig ausgeliefert.

    Nach einer anfänglichen Anlaufphase entwickelt sich dieses dünne Büchlein von 224 Seiten schnell in einen echten Psychothriller. Gekonnt schafft es Hye-Young Pyun die unglaubliche Hilflosigkeit des Protagonisten zu schildern, von welcher die Lesenden angesteckt werden, und eine fast erdrückende Beklemmung beim Lesen aufkommen zu lassen. Einen meines Erachtens nennenswerten Anteil hat hieran sicherlich auch die hervorragende Übersetzung von Ki-Hyang Lee, welche schon Han Kang oder auch das in 2021 erschienene "Kim Jiyoung, geboren 1982" von Nam-Joo Cho übersetzte. 

    Dass sich aus einem so dezent aber wunderschön gestaltetem Buch eine solche Alptraumgeschichte herausbilden könnte, habe ich nicht erwartet. Allein das Ende des Buches ist dann wenig nachvollziehbar geraten. Obwohl mich Hye-Young Pyun mit in diesen "Riss" hinunter ziehen konnte, hat sie mich ganz zum Schluss noch auf dem Weg nach unten etwas verloren. So verpuffte der mit tatsächlichem Herzrasen begleitete psychologische Effekt des Romans bei mir mit den letzten Sätzen. 

    Trotzdem handelt es sich hierbei um ein definitiv lesenswertes Buch und damit einen Grund, die Autorin weiterhin bezüglich zukünftiger Veröffentlichungen im Blick zu behalten.

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  1. Unter dem Riss!

    Ogi ist ein absolut durchschnittlicher Mann Mitte 40. Nach dem Studium der Geografie hat er eine Fixanstellung an der Universität erhalten. Seine rau wollte eigentlich Journalistin werden, kümmert sich nun aber immer mehr um Haus und Garten. Bei einer Fahrt in den Urlaub, von dem nur Ogis Frau das Ziel kennt, verursacht er einen Unfall, den Ogis Frau nicht überlebt. Er selbst erlitt schwere Verletzungen, wird zum Pflegefall. Ogis Schwiegermutter übernimmt die Betreuung, doch dies nicht ohne Hintergedanken.

    „Wie kann sich ein Leben von einer Sekunde auf die nächste so dramatisch verändern? Wie fällt es auseinander, bekommt einen Riss, wie schrumpft es einfach zusammen, bis es sich im Nichts auflöst?“

    Ogis Leben erleidet einen solchen Riss. Vor dem Unfall war sein Leben nicht spektakulär. Nun als er unfähig ist, sich zu bewegen und zu artikulieren, beginnt er Resümee zu ziehen, über sein Leben, seine Ehe. Dabei ist er seiner Umwelt ausgeliefert. Die Schwiegermutter, die zunächst von der Trauer um ihre Tochter gezeichnet wird, verhält sich immer seltsamer. Die alte Frau wird übergriffig, beschämt den Patienten vor seinen seltenen Besuchern, schottet Ogi immer mehr von der Außenwelt ab. Die meiste Zeit verbringt die Schwiegermutter damit, den nach dem Tod von Ogis Frau verwilderten Garten wieder in Stand zu setzen.
    Die südkoreanische Autorin Pyun Hye-young beschreibt in ihrem Roman „Der Riss“ nicht nur ein aufreibendes Spiel von Macht und Ohnmacht, erzählt nicht nur vom Angriff auf die Selbstbestimmung und Würde eines Kranken, sondern da gibt es noch etwas mehr, etwas Böses und Obsessives in dieser Geschichte.
    Und wie so oft bei asiatischer Literatur, wirkt die Sprache und Haltung gefühlsarm und lapidar. Wie mit einer Teflonschicht bedeckt, an der alles abfließt, wirkt der Stil. Doch wenn man nur ein bisschen an dieser schützenden Oberfläche kratzt, kommt etwas ziemlich Ungesundes zum Vorschein, das ein ganz subtil ungutes, beklemmendes Gefühl hervorruft. Unter dem Riss, der sich in Ogis Leben auftut, birgt ganz viel menschlich Abgründiges, das noch eine Weile nach dem Lesen vor sich hin brodelt.

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