Der Revolver

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Revolver' von Fuminori Nakamura
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4 von 5 (9 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Revolver"

In einer Regennacht findet ein junger Mann in den Straßen von Tokio eine Leiche – und neben ihr einen Revolver. Nishikawa nimmt die Waffe an sich und entwickelt schon nach kurzer Zeit eine unheimliche Obsession. All seine Gedanken, sein ganzes Leben kreisen um das perfekte kleine Wunderwerk. Und um die vier Kugeln, die sich noch immer in der Trommel befinden. Irgendwann ist es nicht mehr genug, die Waffe zu besitzen. Er muss sie abfeuern.

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:179
EAN:

Rezensionen zu "Der Revolver"

  1. Obsession

    Der Debütroman von Fuminori Nakamura „Der Revolver“ aus 2003 vermischt Krimielemente mit einem Schimmer Noir-Roman und ist eine höchst spannende Studie der Obsession eines jungen Mannes.

    Ein junger Mann findet einen Revolver neben einem Toten. Er ist fasziniert, gefangen, lässt sich zu Fantasien von Gewalt und Mord hinreißen und erwacht aus seinem langweiligen und eintönigen Lebenstrott als Student. Der Autor interessiert sich nicht für den Toten und die kriminalistische Ermittlungsarbeit, wie sonst in der Kriminalliteratur üblich. Er verfolgt vielmehr den Sog, den die Waffe auf den jungen Mann ausübt, begleitet seine neu erwachte Sucht nach dem Revolver und den asozialen verbotenen Handlungen, die damit verbunden sind.

    „Der Revolver war ein Teil von mir geworden, hatte mein ganzes Denken und Handeln durchdrungen. Zu schießen war die eigentliche Bestimmung eines Revolvers, und so war es nur logisch, dass auch ich das wollte. Mich dagegenzustellen hätte bedeutet, zu meinem früheren Ich, meinem früheren Leben zurückzukehren – ein nicht nur sonnloser, sondern auch trostloser Gedanke.“

    Der Student Nishikawa hat sich vor dem Fund nicht für Schusswaffen interessiert, auch zeigte er bisher keine gewalttätige Neigung. Aber in dem Moment, als er die Waffe vom Tatort nimmt und mit dem Revolver einfach wieder im Regen verschwindet ist eine innere Spannung und Unruhe geweckt, die den melancholischen Einzelgänger zu einem Getriebenen macht. Obsessiv entfaltet sich sein Verhältnis zu „seinem“ Revolver, er streichelt und poliert ihn, versichert sich der Vertrautheit und der Dauerhaftigkeit der Beziehung zwischen ihm und der Waffe. Nishikawa strudelt immer tiefer in seine Abhängigkeit, seine Handlungen sind die eines getriebenen asozialen Menschen, gleichgültig anderen gegenüber, unfähig zur Empathie oder gar Liebe. Seine Situation ist ausweglos, und auch wenn er erkennt, dass er Gefangener dieser Abhängigkeit ist, tut er nichts um dagegenzuhalten.

    Grandios und trostlos, Großstadtanonym und bereit zur Gewalt zeichnet Nakamura seinen Plot und den darin gefangenen Nishikawa. Der Ich-Erzähler wirkt willenlos, lässt sich oft treiben, was ihn für seine Abhängigkeit prädestiniert. Auf schmalem Raum, vergleichbar mit den winzigen Wohnungen in Tokio, wo der Roman spielt, entwickelt der Autor die Geschichte, gespickt mit einigen Backgroundinformationen, die jedoch nicht wirklich zum Verständnis führen und das auch gar nicht sollen. Der Bewegungsradius von Nishikawa ist ebenso gering, begrenzt auf wenige Kontakte und Orte. Er wirkt von Beginn an versehrt, aber man vermag es nicht richtig zu greifen, was mit ihm nicht stimmt, sondern wird sofort auf seine Obsession fokussiert, dann auf die schrittweise Annäherung an die Tat, die Zweck der Schusswaffe ist.
    Es geht nicht um ein bestimmtes Verbrechen oder die Erforschung des Grundes dafür, sondern um eine abstrakte Annäherung an den Mord, um die Macht, die der Revolver auf seinen Besitzer ausübt. Die Auswahl der Opfers ist nebensächlich, es geht um den Tötungsakt mit der Waffe an sich, aus der Obsession heraus. Und das ist fast dämonisch, völlig asozial und eiskalt.
    Dennoch schafft es Nakamura erstaunlicherweise, den Protagonisten nicht mit Camus-haftem Abscheu und Verachtung darzustellen, sondern er erscheint für mich als Gefangener der Situation, ohne Macht, für sich einen Ausweg zu finden.

    Soghaft getrieben durch den schmalen Roman bin ich gefangen gewesen vom äußerst düsteren Plot, von der Obsession und von der Frage, was eine Waffe aus einem Menschen macht.
    Die passend knappe Menge an Personal und Örtlichkeiten, die knappe Sprache und der Touch eines Krimi Noir haben mir sehr gefallen.

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  1. Kontrovers

    Kontrovers

    Der Revolver von Fuminori Nakamura

    Als Nishikawa in den Straßen Tokios eine Leiche findet ist er eher fasziniert als entsetzt, als er die Waffe, einen Revolver, entdeckt, mit der der Tote sich wahrscheinlich selbst getötet hat. Er steckt den Revolver ein und ist ab diesem Zeitpunkt getrieben von der Waffe. Er kann nur noch an sie denken und geht bald soweit sich vorzustellen sie abzufeuern. Ein Wahn, der ihn ganz und gar vereinnahmt.

    Zu Beginn des Buches war ich fasziniert davon, wie der Autor es schafft die Spannung zu halten, obwohl er dem Leser nur durch Nishikawas Augen von der Obsession zu dieser Waffe erzählt. Im weiteren Verlauf des Romans lernt man ein wenig mehr über den jungen Mann, der auf mich ziellos und emotionslos wirkt, seine Leidenschaft für den Revolver einmal abgesehen. Er hat zu niemandem eine tiefe Bindung, auch zu seinen Adoptiveltern nicht, die sich immer sehr bemüht zu haben scheinen und es immer noch tun. Liebschaften hat er, aber sogar der Sex verliert schnell seinen Reiz, sobald er ihn einmal bei der Frau ausleben durfte.

    Was möchte der Autor mir näher bringen? Will er aufzeigen wie gefährlich Waffen sind, oder geht es ihm einfach darum eine Person darzustellen die völlig leer ist und nun anfällig für diesen besonderen Reiz ist?
    Das Ende verwirrte mich, ich hatte ich etwas anderes erwartet. Zwischendurch bekommt der Roman ein wenig Krimiflair, als Nishikawa befragt wird zu der Leiche und dem Fehlen der Waffe. Der Ermittler machte einige interessante Analysen zu dem Täter, ließ eine Warnung durchblicken, die Nishikawa sich zu Herzen hätte nehmen sollen......

    Der Roman hat mich teilweise fasziniert, abgeschreckt aber mir auch etwas völlig Neues geboten, so dass ich bei Gelegenheit sicher ein weiteres Werk des Autors lesen werde.

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  1. Die unerträgliche Leere des Seins

    Die Handlung:

    Nishikawa lässt sich treiben: Studium hier, bedeutungslose Bettgeschichten da. Koffein in rauen Mengen, obwohl er nichts hat, wofür er wirklich Energie bräuchte. Nirgendwo eine echte Leidenschaft, nicht einmal ein Hobby oder ein Haustier, nichts also, was seinem Leben Bedeutung schenken könnte. Seine Gefühle sind bestenfalls lauwarm, echte Intensität ist ihm fremd.

    Sein Leben ist leer. So unerträglich leer, dass ein Vakuum entsteht – und damit ein unbezähmbarer Zwang, diese Leere zu füllen.

    Der Nährboden für eine Sucht ist gegeben. Diese Sucht könnte die verschiedensten Erscheinungsformen annehmen: eine Sekte, ein Onlinespiel, Alkohol, Drogen, das Deep Web, Pornographie… Aber dann findet er eine Leiche – und daneben den Revolver. Dass er ihn mitnimmt und eine intensive Obsession dafür entwickelt, ist quasi unvermeidlich.

    Der Hauptcharakter:

    Sympathisch ist Nishikawa nicht. So denkt er zum Beispiel mehrmals sehr abfällig über das Aussehen von Frauen, mit denen er dann doch ins Bett geht. (Eine davon bekommt im ganzen Buch keinen Namen, weil er sich nie die Mühe macht, sie danach zu fragen.) Überhaupt zeigt sich auch in seinen negativen Eigenschaften keinerlei Antrieb, es handelt sich vielmehr um eine selbstsüchtige Trägheit. Abgesehen von dieser Trägheit ist er ein Mann ohne Eigenschaften – wenig mehr als eine Projektionsfläche.

    Warum, fragte ich mich mehrmals, will ich das lesen?

    Denn lesen wollte ich es, als würde auch ich aufgesaugt von diesem Vakuum, dieser kaum auszuhaltenden Sinnentleertheit. Ich suchte in den Seiten nach Sinn, wartete auf eine Wandlung Nishikawas zum Besseren – oder zumindest auf ein Erwachen aus der Gedankenlosigkeit. Dass letzteres passieren würde, erschien mir tatsächlich unausweichlich, die Frage war nur, wo es enden würde: in einem neuen, geläuterten Leben oder in der Katastrophe.

    Denn im Revolver sind noch vier Patronen, und Nishikawa ist mehr und mehr besessen von dem Wunsch, ihn zu benutzen.

    Seine Passivität wird aufgebrochen von seinen ständigen Gedanken an den Revolver und die Möglichkeiten, die er eröffnet. Es liest sich zum Teil jedoch fast so, als sei es der Revolver, der denkt und fühlt und nach einer Gewalttat giert, nicht Nishikawa. Wer ist der Ursprung der Gewaltfantasien, Mensch oder Waffe?

    Es bleibt offen, ob Nishikawa sich seine eigenen Abgründe nicht eingestehen will oder schlichtweg nicht die Willensstärke hat, sich dieser Sucht zu widersetzen. So oder so sinkt seine Hemmschwelle, was Gewalt betrifft; mit dem Revolver verbindet er hingegen bis dato ungekannte Glücksgefühle.

    „Der Revolver war unverändert schön. Atemberaubend schön. Das Mädchen, mit dem ich geschlafen hatte, konnte da nicht mithalten. Der Revolver bedeutete mir alles, und so würde es auch in Zukunft bleiben.“
    (Zitat)

    Der Spannungsbogen:

    In manchen Passagen konnte ich mich kaum einmal von den Seiten lösen, andere wirkten auf mich etwas schwach: nicht ganz schlüssig, nicht konsequent konstruiert. Zwischendurch dachte ich mir, dass die Handlung als Kurzgeschichte möglicherweise besser funktionieren würde; alternativ hätte ich mir gewünscht, dass der Autor in manchen Dingen mehr in die Tiefe geht.

    Obwohl es eine Leiche, einen Revolver und einen ermittelnden Kommissar gibt, der den Protagonisten schnell ins Visier nimmt, ist dieses Buch in meinen Augen kein Krimi, sondern eher ein Drama.

    Die Spannung ergibt sich nicht aus der Frage, wer der Mörder war, sondern daraus, dass man Nishikawa dabei beobachtet, wie er immer weiter in den Abgrund steigt und sich fragt, ob und wann er endgültig den Halt verlieren wird.

    Der Kommissar ist übrigens ein großartiger Nebencharakter, der für mich deutlich mehr Persönlichkeit zeigt als Nishikawa – ich habe das Buch im Rahmen einer Leserunde gelesen, und zwei von uns fühlten sich an Inspektor Columbo erinnert.

    Die Bedeutung:

    Sinnsuche in der modernen Welt? Die Entwicklung einer Sucht und der Versuch, sich davon zu befreien? Die Unverzichtbarkeit zwischenmenschlicher Interaktion für die seelische Gesundheit?

    Der Leser kann einiges als Leitmotiv in die Geschichte hineininterpretieren. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass der Autor seinem Antihelden ein etwas klareres Profil gibt, dass er ihn und den Leser nicht ganz so haltlos durch die Geschichte stürzen lässt.

    Der Schreibstil:

    Der Autor schreibt prägnant, knapp, oft beinahe nüchtern, und dennoch beschwören seine Worte sehr eindringlich den Abstieg in den Wahn.

    Fazit:

    Der Student Nishikawa findet einen Toten – vor allem findet er jedoch den Revolver, der für dessen Ableben verantwortlich ist. Er nimmt die Waffe mit und denkt fortan beinahe ausschließlich an sie. Studium, Alkohol, Sex, alles wird bedeutungslos. Immer öfter drehen sich seine Gedanken stattdessen um die vier Patronen, die die noch im Magazin stecken. Wer hätte den Tod verdient?

    Auf nur 192 Seiten beschreibt Fuminori Nakamura die Geschichte einer verheerenden Obsession. Das ist kein Krimi, sondern eher eine psychologische Charakterstudie, die meines Erachtens durchaus Schwächen hat, sich aber dennoch schnell und unterhaltsam liest.

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  1. 4
    04. Nov 2019 

    Es kommt der Tag, da muss die Säge sägen

    Die „Säge“ ist hier zwar ein Revolver, aber getreu dem von mir vorangestellten Motto, ist dem Leser dieses kleinen Romans von Fuminori Nakamura sehr schnell klar, dass der Fund eines Revolvers nicht ohne Folgen bleiben wird für ihren Finder Nishikawa. Diese Gewissheit zieht sich beim Leser durch den gesamten Roman und ist für die Erzeugung von Spannung und Leseeifer Quelle und Ursprung.
    Aber nun von vorn:
    Auf einem nächtlichen Spaziergang findet der Student Nishikawa auf einer Böschung nicht nur eine Leiche, sondern auch den Revolver, mit dem das Opfer sich vermutlich selbst getötet hat. Einem inneren Drang gehorchend steckt Nishikawa die Waffe ein. Er vernichtet damit wichtige Spuren zur Aufklärung des Rätsels um den Tod der gefundenen Leiche. Und nimmt einen Gegenstand in sein Leben auf, der ihn alles andere als unberührt lässt. In der Folge entwickelt er eine regelrechte Obsession für den Revolver, hegt und pflegt ihn und lässt ihn vor allem immer mehr seine Gedanken bestimmen. Sein Interesse an den Mitmenschen und seinem studentischen Leben nimmt rapide ab und er fokussiert sich immer mehr auf sein Leben mit der Waffe. Wie von selbst gerät er in einen Strudel des Handels, an dessen Ende wohl nur noch eins stehen kann: der Gebrauch des Revolvers für seine originäre Bestimmung: zu töten. Die Frage ist eigentlich nur noch: wer wird das Opfer?
    „Den Revolver jederzeit benutzen zu können führte wie von selbst dazu, dass die Wahrscheinlichkeit mit jedem Tag wuchs“
    Dabei ist Nishikawa ganz bestimmt nicht der Typ Waffennarr oder gar gewalttätiger Verbrecher. Und so ist es eher ein Trotzdem, Denn ein Deshalb. Selbst ein introvertierter, eher langweiliger Typ, als der uns Nishikawa insgesamt präsentiert wird, wird von der Ausstrahlung der Waffe in seinen Händen bzw. in seinem Besitz ungemein stark ergriffen und verändert. Er selbst erkennt die Veränderung durchaus, sieht in ihr aber nicht etwa etwas Negativen und Gefährliches, sondern spürt eine ganz neue Lebendigkeit und Freude in sich aufkeimen:
    „Denn das Wichtigste war, dass durch den Revolver meine Lebensgeister wiedererwacht waren. Seit ich ihn besaß, wurden Glück und Erfüllung immer mehr zu etwas Selbstverständlichem, und ich beobachtete diese Verwandlung mit einem Gefühl von Dankbarkeit, das mich in meinem innersten Wesen erschütterte… Ich wollte alles auskosten, was mit dem Revolver zu tun hatte, und ihn nicht abzufeuern, obwohl ich die unmittelbare Möglichkeit hatte, hieße, kurz vor dem Ziel zu kapitulieren. Das aber war schlicht keine Option.“
    Von dieser Obsession ergriffen, verläuft sein Leben weiterhin in normalen, unaufgeregten Bahnen: Studium, unbedeutende sexuelle Erlebnisse, lose Freundschaften, ein Besuch beim todkranken leiblichen Vater. Wirkliche Spannung kommt bei ihm und auch beim Leser nur auf, wenn es um den Revolver geht: wenn er einen möglichen Einsatz und ein mögliches Opfer identifiziert oder wenn er einen Kommissar der Polizei trifft, der merkwürdigerweise tatsächlich eine Verbindung zwischen Nishikawa und der verschwundenen Waffe erkannt haben will. Dieser Kommissar hat hellseherische Kräfte oder ist einfach nur mit ungemein gutem psychologischen Gespür ausgestattet, denn er erkennt sehr genau, dass 1. Nishikawa den Revolver besitzt, und dass 2. er ihn auch einsetzen wird. Sein Versuch, ein zukünftiges Verbrechen abzuwenden, schlägt aber fehl und der Roman endet, wie er enden muss:
    Es kommt der Tag, da muss der Revolver schießen!
    Mein Fazit:
    Der Roman (oder der Form nach eher die Novelle) zieht den Leser hinein in einen Sog des Unausweichlichen. Der Revolver wird zwar nicht vermenschlicht, erscheint aber als ein Gegenstand mit eigenem Willen und Drang.
    „Nicht ICH benutze den Revolver, dachte ich, der Revolver benutzt MICH.“
    Und so ist der Text für mich ein großer Warnruf gegen jeglichen leichtfertigen Umgang mit Waffen und ihren Verwendungsmöglichkeiten. Waffengesetze müssen rigide ausgestaltet werden, um deren Faszination nicht wirksam werden zu lassen. Nakamura gestaltet diesen Warnruf mit einer eher konventionellen Handlung und mit größtenteils sprachlich sehr guten Ausdrucksmitteln. Er hat mich damit genau angesprochen und ich vergebe für diesen Roman gern 4 Sterne.

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  1. Nasty Obsession

    „Gelangweilte Menschen, wenn sie sich finden, erzeugen nur noch mehr Langeweile, dachte ich plötzlich, und der Gedanke gefiel mir so gut, dass ich ihn aufschreiben wollte.“ (S. 56)

    Stellt euch folgende Situation vor: ihr geht spazieren, folgt einer inneren Stimme an einen einsamen Ort, der perfekt zu einem Verbrechen passt und findet – eine Leiche. Statt vor Angst wegzurennen und die Polizei zu rufen, bleibt ihr cool, inspiziert den „Tatort“ und entdeckt die Tatwaffe (wie z. B. einen Revolver), den ihr kurzerhand einsteckt und der von nun an euer Leben bestimmt. Ihr hegt und pflegt ihn wie ein rohes Ei, fühlt euch stark (gleichzeitig schwach) und anderen Menschen gegenüber überlegen. Irgendwann könnt ihr gar nicht mehr anders und die Katastrophe nimmt ihren Lauf…

    Klingt wie ein Krimi- bzw. Romanplot? Okay, ihr habt mich erwischt :-) Das ist nämlich (ohne euch als Hauptdarsteller natürlich *g*) der Kern von „Der Revolver“, dem Debüt von Fuminori Nakamura aus dem Jahr 2003 (hier aber erst in diesem Jahr bei Diogenes erschienen). Da das Buch nur 185 Seiten hat, würde ich es in die Kategorie „Novelle“ einordnen.

    Darin begleiten wir den gleichgültigen Studenten Nishikawa auf seinem Weg in die (unabwendbare) Katastrophe. Durch den Ich-Stil kommt man dem Protagonisten sehr nahe, auch wenn man viele Handlungen von ihm nicht oder nur sehr schwer nachvollziehen kann. Aber auch die anderen Charaktere in dieser Erzählung verhalten sich oft so, wie es womöglich keiner von uns tun würde. Von Anfang an beherrscht eine dunkle, ja fast depressive, Stimmung die Atmosphäre der Erzählung und es läuft einem das ein oder andere Mal ein dicker Schauer über den Rücken – sei es der geschilderten Szene oder dem nicht nachvollziehbaren Verhalten des Protagonisten geschuldet.

    Und doch hat mich diese Novelle in gewisser Weise fasziniert zurückgelassen und je länger und öfter ich darüber nachdenke, umso nachhaltiger wirkt sie auf mich. Zeigt es doch ganz deutlich, was für eine (ohne Zweifel fragwürdige) Faszination von Waffen ausgeht und was (gelangweilte) Menschen anfangen, wenn sie mit sich, ihrem Leben und allem was dazu gehört, nicht oder nur unzureichend zufrieden sind.
    Die Einblicke in die oft von Nishikawa praktizierte japanische (Kaffee-)Kultur (Kaffee aus (Straßen)-Automaten *schüttel*) waren ebenfalls ein interessanter, wenn auch kulinarisch äußerst fragwürdiger Blick hinter die Kulissen des uns weitestgehend unbekannten Landes.

    Alles in Allem hat mir das Debüt von Fuminori Nakamura also gut gefallen und entgegen meines ersten Eindruckes bin ich nun doch neugierig auf die weiteren Bücher von Herrn Nakamura.

    4* und eine (fast) uneingeschränkte Leseempfehlung!

    ©kingofmusic

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  1. Die Geschichte einer Obsession

    Bei „Der Revolver“ handelt es sich um das Debüt des japanischen Schriftstellers Fuminori Nakamura. In Japan bereits erstmals im Jahre 2003 erschienen, brachte der Diogenes-Verlag dieses knapp 200-seitige Werk im September 2019 heraus.
    Als der Student Nishikawa an einem regnerischen Abend niedergeschlagen und lustlos durch die dunklen Gassen Tokios spaziert, macht er einen zufälligen Fund: Neben einer männlichen Leiche entdeckt er einen Revolver. Von der Schönheit dieser Waffe fasziniert, nimmt er sie an sich. Schon bald kreisen seine Gedanken einzig um dieses Objekt, und es reicht ihm nicht mehr nur, die Waffe in seinem Besitz zu wissen: Nein, er hat das Gefühl, sie auch gebrauchen zu müssen.
    Mit „Der Revolver“ ist Nakamura ein über weite Strecken spannendes und düsteres Erstlingswerk gelungen. Von Anfang an sind Leserinnen und Leser in einer melancholischen Stimmung gefangen, der Spannungsbogen steigt von Seite zu Seite, um dann in einem aufwühlenden Finale zu enden. Außerdem stellt sich die Frage: Wie wird es mit diesem jungen Studenten, dem die Welt durchaus offenstand, weitergehen? Wird er auch noch seinem letzten Begehren folgen?
    In diesem Roman stehen der Revolver und die Macht, die er auf entsprechend disponierte Menschen ausüben kann, im Mittelpunkt. Dennoch ist diese Waffe m.E. lediglich ein aus dramaturgischer Sicht geschickt gewähltes Symbol: Nach und nach entwickelt der ursprünglich einsame Student, dem jeder Sinn im Leben abhandengekommen ist, eine wahre Obsession für die Waffe. Gibt es nicht im Leben eines jeden Menschen Objekte der Begierde, die über Durststrecken hinwegtrösten sollen und sich ins Zentrum der Gedanken stellen? Meiner Meinung nach ja. Geschickt gewählt ist der Revolver dennoch, da er als Tötungswerkzeug eine für alle ersichtliche Katastrophe förmlich heraufbeschwört.
    Nishikawa ist ein junger Mensch, der sich selbst noch nicht so richtig gefunden hat, der sich eher treiben lässt, durch sexuelle Eskapaden, die teils auszuarten drohen, versucht, seinem ansonsten eintönigen und sinnlosen Leben etwas Glanz zu verleihen. Glücklich wird er dadurch nicht. Im Alter von sechs Jahren adoptiert, verlief sein Leben trotz schwieriger Voraussetzungen in durchaus geordneten Bahnen. Und dennoch scheint ihm etwas zu fehlen: Immer wieder wird deutlich, wie gleichgültig ihm alles ist – bis eben der Revolver in sein Leben tritt. Zum einen kann man beim Lesen durchaus Mitleid empfinden, zum anderen präsentiert sich der junge Mann jedoch auch passiv und antriebslos, was ihn mir gerade im Zusammenhang mit seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion eher unsympathisch macht. Auch fiel es mir an manchen Stellen, z.B. als er die Waffe erstmals auf einen Menschen richtet, schwer, seinen Gedanken zu folgen. Jedenfalls ist es gerade diese Sinnlosigkeit gepaart mit fehlender Initiative, die diesen jungen Mann ins Verderben führen könnte.
    Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschildert, was den Leser/innen hilft, sich in den Protagonisten hineinzuversetzen, und Betroffenheit hervorruft. Die Sätze sind prägnant und zum größten Teil recht kurz, was die Konzentration auf das Wesentliche, nämlich die innere Entwicklung des Protagonisten, lenkt. An einigen Stellen wird jedoch die düstere, ergreifende Stimmung unterbrochen, was mir persönlich ein wenig von der Intensität des Lesens nahm.
    Insgesamt ist „Der Revolver“ ein verstörendes Debüt, das die Verlorenheit eines jungen Menschen treffend darstellt und die Lesenden in seinen Bann zieht. Mich selbst hat das Buch neugierig gemacht auf weitere Werke dieses Autors, und ich empfehle es gerne zur Lektüre weiter.

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  1. Die gefährliche Faszination einer Schusswaffe

    Der Student Nishikawa läuft in einer regnerischen Nacht ziellos durch die Straßen Tokios. Nahe einer Brücke, am Fluss Arakawa, entdeckt er per Zufall die Leiche eines Mannes. Für Nishikawa deutet die Szene auf einen Selbstmord hin, denn neben dem Toten liegt ein Revolver. Nach dem ersten Schock nimmt der junge Mann aus einem Impuls heraus die fremde Waffe an sich und verschwindet mit ihr unauffällig. Schnell findet er Gefallen an dem Revolver, der eine unheimliche und gefährliche Faszination auf ihn ausübt. Schon nach wenigen Tagen ist er geradezu besessen von der Waffe, in der noch vier Kugeln stecken. All seine Gedanken kreisen um sie. Er poliert sie immer wieder. Doch bald schon treibt ihn die Fantasie um, den Revolver abzufeuern. Wird er dem Drang nachgeben?

    „Der Revolver“ ist der Debütroman von Fuminori Nakamura.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus 17 eher kurzen Kapiteln. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Nishikawa in chronologischer Reihenfolge. Vorangestellt ist ein ebenso informatives wie sympathisches Vorwort des japanischen Autors.

    Geprägt ist der Roman von einer klaren, recht prägnanten Sprache. Der Schreibstil wirkt zunächst ziemlich nüchtern, hat aber immer wieder eindringliche Sprachbilder und Vergleiche zu bieten. Dadurch wird eine dichte Atmosphäre erzeugt. Von den ersten Seiten an versteht es der Autor, mit seinen Worten zu fesseln. Besonders grandios finde ich den Einstieg.

    Im Mittelpunkt der Geschichte steht zweifelsohne Nishikawa, der im Alter von sechs Jahren seine leibliche Familie verlassen musste, bei der er noch Tōru hieß. Nach einer Zeit im Kinderheim wurde er von Adoptiveltern aufgenommen. Die Gefühle von Einsamkeit, Gleichgültigkeit und der eigenen Bedeutungslosigkeit dominieren sein Leben, in das der Revolver Abwechslung bringt. Nicht immer konnte ich das Verhalten des sonderbaren Protagonisten in Gänze nachvollziehen. Zudem fiel es mir schwer, trotz seiner nicht leichten Kindheit Sympathie für ihn zu entwickeln, doch seine Gedanken- und Gefühlswelt wird sehr gut deutlich. Auch die übrigen Figuren im Roman kommen keineswegs klischeehaft daher.

    Mit der Handlung rund um den Revolver greift der Autor eine interessante Thematik auf: den Umgang mit Schusswaffen. Inhaltlich ist der Roman auch ansonsten recht düster angehaucht. Der Tod nimmt viel Raum ein, wobei es darum nicht nur im Zusammenhang mit der Waffe geht. Auch Krankheit, Tierquälerei, Missbrauch und andere Themen spielen in der Geschichte eine Rolle. Darüber hinaus gibt es weitere gesellschaftskritische Komponenten. So schafft es das Buch an mehreren Stellen, zum Nachdenken anzuregen.

    Auf knapp 200 Seiten bleibt die Spannung konstant von Anfang bis Ende erhalten: Wird der Protagonist der Versuchung der Waffe nachgeben? Besonders intensiv sind die Kapitel zu Beginn und zum Schluss. Im Mittelteil fällt der Roman ein wenig ab, wobei auch dort keine Langeweile beim Lesen aufkommt.

    Das Cover mit der Illustration von Andy Warhol passt sehr gut zur Geschichte. Auch der knackige, schnörkellose Titel gefällt mir.

    Mein Fazit:
    Mit „Der Revolver“ ist Fuminori Nakamura ein lesenswertes Debüt gelungen, das mich fesseln konnte. Eine besondere Lektüre, die neugierig auf das übrige Werk des Autors macht.

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  1. 4
    26. Okt 2019 

    Besessen

    Der Student Nishikawa entdeckt eines Abends einen Toten, neben dem ein Revolver liegt. Fasziniert steckt er die Waffe ein, kümmert sich jedoch nicht um den Verstorbenen. Ein paar Tage später wird auch in der Tageszeitung von dem Toten berichtet. Nishikawa verändert sich nach dem Auffinden der Waffe. Er tritt selbstbewusster, aber auch rücksichtsloser auf. Einzig und allein der Revolver ist es, um den er sich fast zärtlich kümmert. Mehr und mehr durchdringt das seelenlose Ding seine Gedanken. Kaum noch etwas anderes ist wichtig.

    Kann man sich vorstellen, wie es ist, eine Waffe neben einem Toten zu finden und nicht die Polizei zu informieren? Schwer. Umso interessanter, aber auch befremdlicher ist das Gedankenspiel dieses im Original bereits im Jahr 2002 erschienene Roman. Nishikawa erscheint als eigenartiger Charakter, dem man wenig Verständnis entgegen bringen kann. Seine Fixierung auf die Waffe, seine Abgewandtheit von seinen Freunden, Mitstudenten und Nachbarn. Er selbst hatte keine ganz leichte Kindheit, was vielleicht seine Distanziertheit erklären könnte. Doch kann ein Revolver die Rolle von Freunden und Familie übernehmen. Und was ist mit dem Reiz, der von der Waffe ausgeht, sie auch abzufeuern? Sollte man diesem tatsächlich nachgeben oder wäre es vielleicht doch besser, das Corpus Delicti abzugeben?

    Eine ähnliche Faszination wie die Waffe auf Nishikawa übt dieses Buch auf den Leser aus. In Teilen möchte man nicht weiterlesen, weil man einfach Schlimmes erwartet. In Teilen rauben einem die Schilderungen den Atem, entweder weil sie so krass sind oder an Spannung kaum überboten werden können. Nishikawa kann trotz seines schwierigen Hintergrundes nicht sympathisch wirken, aber seine eigenartige Beziehung zu dem Revolver fesselt und löst Gedanken aus. Könnte man einem Objekt ebenso verfallen? Wie würde man in einer ähnlichen Situation handeln? Hätte Nishikawa es verhindern können, so von der Schusswaffe eingenommen zu werden? Eine etwas böse Geschichte, deren Lektüre einen gleichzeitig abstößt und in den Bann zieht. Gewiss ungewöhnlich und schauerlich.

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  1. 4
    26. Okt 2019 

    Obsession...

    Der Student Nishikawa findet an einem regnerischen Abend in Tokio die Leiche eines Mannes. Statt die Polizei zu rufen, nimmt er den Revolver an sich, der neben dem Toten liegt. Es beginnt die Geschichte einer Obsession, die den Leser immer tiefer in die verworrenen und absurden Gedanken Nishikawas hineinführt. Die Waffe weckt etwas Dunkles in ihm und wird mehr und mehr zum Zentrum seines Lebens.

    "Da lag er, der Revolver, als hätte er schon immer dagelegen (...) Es fühlte sich an, als würde der Revolver mir helfen, aus meiner verschlossenen Welt auszubrechen, als würde er mich dahin führen, wo alles möglich war." (S. 20)

    Mit knapp 200 Seiten ist diese Erzählung eher eine Novelle denn ein Roman. Der Student Nishikawa nimmt als Ich-Erzähler den Leser mit in seine Welt, die aus einem engen, kleinen Zimmer besteht, einem unauffälligen Leben als fleißiger Student, oberflächlichen Freundschaften und lockeren Affären. Gleichgültigkeit prägt den jungen Mann, was sich mit dem Fund des Revolvers allerdings zu ändern beginnt.

    Nishikawa musste gar nicht darüber nachdenken, wie er auf den Fund der Leiche reagieren sollte. Der Revolver gab den Ausschlag - der junge Mann nahm ihn an sich und rannte mit ihm davon, bange hoffend, dass ihn niemand gesehen hatte. Seither fühlt er sich von einem Glücksgefühl durchdrungen, das er sich nicht erklären kann, das er aber auch nicht mehr missen möchte. Nishikawa fühlt sich nun stark und unbesiegbar und gibt seine übliche Zurückhaltung zunehmend auf.

    Doch die Veränderungen haben ihren Preis. Bald schon reicht es nicht mehr aus, den Revolver alleine nur zu besitzen und jeden Tag zu polieren - der Ruf der Waffe wird immer lauter. Nishikawa will nicht zurück in ein Leben voller Überdruss und Langeweile. Doch wird er dem zunehmend unwiderstehlichen Drang wirklich nachgeben, den Revolver tatsächlich zu benutzen?

    "...es wurde immer schwieriger, jenes Glücksgefühl nur durch das Bewundern und Befühlen des Revolvers hervorzurufen. Am liebsten hätte ich die Zeit zurückgedreht - zu jenem Abend am Fluss, als der Revolver und ich noch gleichberechtigte Partner gewesen waren. Doch das war nicht mehr möglich. Der Revolver war ein Teil von mir geworden, hatte mein ganzes Denken und Handeln durchdrungen. Zu schießen war die eigentliche Bestimmung eines Revolvers, und so war es nur logisch, dass auch ich das wollte..." (S. 94)

    Eine friedlich beginnende, trostlose Erzählung driftet zunehmend ab ins Wahnhafte und Böse. Der Ich-Erzähler bietet trotz der Einblicke in seine Gedankenwelt sowie einigen Rückblenden in seine Vergangenheit wenig mehr als seine glattgeschliffene Fassade, unter der es jedoch erkennbar immer mehr zu brodeln beginnt. Die Spannung wird durch die Frage aufrecht erhalten, wie sich Nishikawa letztlich entscheiden wird: schafft er es, sich vom Revolver zu trennen, der immer mehr Macht über seine Gedanken gewinnt, oder ist er bereit, dem Ruf der Waffe unter Missachtung jeglicher Konsequenzen zu folgen?

    Der Schreibstil ist durch meist kurze, prägnante Sätze geprägt, passend zu der eher nüchternen Charakterdarstellung. Der Text liest sich dadurch flüssig, auch wenn das Verhalten und die Gedanken des jungen Studenten immer verstörender scheinen. Interessant fand ich hier auch die Einblicke in die japanische Lebenswelt (z.B. heißer Kaffee in Dosen aus Automaten), durchaus durchzogen von einigen gesellschaftskritischen Passagen - auch und gerade bezogen auf den westlichen Einfluss, v.a. die USA.

    Alles in allem ein durchaus lesenswertes Debüt des japanischen Schriftstellers, dessen spätere Werke wie 'Der Dieb' oder 'Die Maske' bereits bei Diogenes erschienen sind. Ich jedenfalls bin neugierig geworden auf diesen Autor.

    © Parden

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