Der perfekte Schuss: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der perfekte Schuss: Roman' von Mathias Enard
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Inhaltsangabe zu "Der perfekte Schuss: Roman"

Der Goncourt-Preisträger Mathias Enard erzählt aus der Perspektive eines Scharfschützen über den Krieg und die Realität von Kriegsgewalt – eine mutige und radikale Geschichte. Auf Konzentration kommt es an, auf Geduld und Atemkontrolle. An einem guten Tag reicht ihm ein einziger perfekter Schuss. Er ist zwanzig, der beste Scharfschütze der belagerten Stadt. Wenn er von seinem Posten auf dem Dach heruntersteigt, genießt er die Angst, die er verbreitet. Furchtlos ist nur Myrna, das Mädchen, das für seine demente Mutter sorgt – das er beschützen und besitzen will. Dies ist ein Roman über den Krieg aus der Perspektive eines Mörders, der sein Selbstwertgefühl aus der Eleganz seiner Treffer zieht. Kalt spricht der Erzähler von seinem Handwerk, dem Töten, und offenbart eine Wahrnehmung, in der die Verbindung zwischen gelungenem Schuss und ausgelöschtem Leben gekappt ist. Ein erbarmungsloser Text über die sich verselbständigende Realität von Kriegsgewalt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:192
Verlag: Hanser Berlin
EAN:9783446276390

Rezensionen zu "Der perfekte Schuss: Roman"

  1. Wie der Krieg Seelen verwüstet

    Zum Autor (Quelle: Verlag)

    Mathias Enard, 1972 geboren, lebt in Barcelona und Niort. Sein literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt. Für den Roman Kompass erhielt er zuletzt den Prix Goncourt 2015, 2017 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. 2019 erschien sein Gedichtband Letzte Mitteilung an die Proust-Gesellschaft von Barcelona, 2021 sein Roman Das Jahresbankett der Totengräber und zuletzt sein erstmals ins Deutsche übersetzte Debüt Der perfekte Schuss (2023, frz. 2003).

    Mein Lese-Eindruck:

    Gleich vorneweg: das ist kein Buch für ein zartes Gemüt, und wer damit geschlagen ist, kann dieses Buch nur in kleinen Dosen lesen. Ein provozierendes Buch, und ein lesenswertes Buch.

    Der Ich-Erzähler ist ein junger Mensch, der gerade dem Gymnasium entwachsen ist. Er wird Soldat und lernt hier seine Begabung für das Schießen kennen, sodass er überwiegend als Scharfschütze eingesetzt wird. Er liegt auf einem Dach, späht die feindlichen Wohnungen aus und wartet geduldig auf den Moment, in dem er den perfekten Schuss abgeben kann.

    Ort und Zeit dieses Krieges, offenbar eines Bürgerkrieges, bleiben offen. Wir lesen zwar vom Blick aufs Meer und von Düften nach Thymian, Salbei und anderen mediterranen Kräutern, es ist am Nachmittag unerträglich heiß, das Gestein ist weiß und blendet in der Sonne – wir sind also in Südeuropa, aber der Autor lässt sich nicht genauer festlegen und erreicht damit eine beklemmende Präsenz der Ereignisse.
    Der Krieg selber wird wie ein Automatismus geschildert oder wie ein Naturereignis, das sich wie ein Unwetter über den Menschen entlädt; manche Stellen lassen einen daher an Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ denken.

    Der Ich-Erzähler ist kein Sympathieträger, ganz im Gegenteil: er ist monströs. Er hat den Ehrgeiz, nur perfekte Schüsse abzugeben und räsoniert darüber, dass das blendungsfreie Licht des Morgens dafür am besten geeignet sei. Zu dieser Tageszeit gelingen ihm die besten Abschüsse, und ein perfekter Schuss ist ein Kopfschuss. Das Töten ist für ihn ein sportlich-ästhetisches Ereignis, auf das er stolz ist, und er verschwendet keinen einzigen Gedanken daran, dass er eine junge Frau getötet hat oder ein Schulmädchen. Einige der erzählten Szenen sind schwer auszuhalten; wir nehmen durch die Augen des Ich-Erzählers teil an Massakern an der Zivilbevölkerung, an Übergriffen auf Flüchtlinge, an Folterungen und anderen Gräueltaten, bei denen der Ich-Erzähler einmal auch mäßigend einschreitet.

    Der Ich-Erzähler ist aber nicht nur ein Monstrum, sondern zeigt sich zugleich als ein reflektierender und zutiefst unglücklicher Mensch, der den Krieg als Schicksal sieht, als „Göttin mit Schlangenhaar“, die Gewalt über ihn bekommen hat und ihn und alle anderen verändert. Durch den Krieg wird Gewalt der bestimmende Faktor in seinem Leben. Wie sehr Gewalt sein Leben auch im Privaten bestimmt, wird besonders deutlich an seinem Verhältnis zu Myrna, einer jungen Waise, die sich um seine demente Mutter kümmern soll. Er begehrt sie, beobachtet sie heimlich, sorgt für sie, versucht sich ihr zu nähern – und hier zeigt sich die subtile Sprachgewalt des Autors: auch in der Ich-Perspektive erlebt man als Leser die wachsende Angst des jungen Mädchens und ihr Gefühl der Bedrohung mit. Die Zurückweisung durch Myrna lässt ihn jedoch leiden – und dieses Leiden entlädt sich wiederum in neuen soldatischen „Heldentaten“.

    Es geht in dem Buch nicht eigentlich um den Krieg, sondern es geht darum, was der Krieg in der Seele eines Menschen anrichtet: wie er die Seele verroht.

    Ein beklemmendes und aufwühlendes Buch!!

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