Der Papierpalast

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Papierpalast' von Miranda Cowley Heller
4.5
4.5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Papierpalast"

Es ist früh am Morgen, alle schlafen noch, als Elle Bishop an einem perfekten Augusttag zum See läuft. Im Sommerhaus der Familie ist etwas passiert: Während Elles Ehemann am vorherigen Abend mit den Gästen lachte, haben Elle und ihre Jugendliebe Jonas sich geliebt. Elle taucht ein ins Wasser, sie weiß, an diesem Tag läuft alles auf eine Entscheidung hinaus. Ein großer Roman über die Sommer unseres Lebens ― und darüber, was es heute bedeutet, eine Frau zu sein.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:448
EAN:9783550201370

Rezensionen zu "Der Papierpalast"

  1. Die Vergangenheit formt die Gegenwart

    Ich habe einen Tag und eine ganze Vergangenheit im „Papierpalast“ verbracht, habe mit der Protagonistin Elle Fehler gemacht, gelitten, gehadert, mich über die Familie geärgert, eine Faust in der Tasche gemacht, geliebt und eine Entscheidung getroffen. Miranda Cowley Hellers Roman und ich haben es einander nicht leicht gemacht. Es gibt Aspekte dieses Romans, die mir schlichtweg einfach nicht gefallen, aber am Ende des langen Sommertages und der darauffolgenden Nacht hat er mich doch eingefangen mit seinen schönen Naturbeschreibungen, seiner mit Grausamkeit und Widerwillen durchzogenen Nostalgie und seiner Geschichte einer Frau, die aus Unerfahrenheit, fehlgeleiteten Schutzwünschen und Vernachlässigung durch die Mutter Wege einschlug, die sie nun anzweifelt. Miranda Cowley Heller ist ein mitreißender Unterhaltungsroman gelungen, der es fast immer schafft, seichte Gewässer zu umschiffen und den Staub der Vergangenheit umfassend aufzuwirbeln.

    Schwierig an dem Roman ist die Protagonistin, der man in den Vergangenheitsteilen emotional sehr viel näherkommt als in den Gegenwartsepisoden, in denen man von ihr konsequent – aus Gründen des Spannungsaufbaus - auf Distanz gehalten wird. Die reife Elle entzieht sich immer wieder einer Bindung an den Leser: ihr Verhalten, ihre Gefühlslage und ihre Entscheidungen bleiben seltsam opak und unvorhersehbar. Zum Glück ist dies in den Rückblicken, die inhaltlich ein weibliches coming-of-age nachzeichnen, nicht der Fall, sonst wäre dieser Roman sicherlich nicht so fesselnd gewesen.

    Die Autorin widmet Elles Heranwachsen sehr viel Zeit, schlaglichtartig verfolgt man wesentliche Einschläge und herausstechende Aspekte des Älterwerdens, das aber sehr unvermittelt mit dem Jahr 1999 endet und dann in die nahe Vergangenheit springt – als ob nichts in den vergangenen knapp zwanzig Jahren noch der Rede wert gewesen wäre. Allerdings ist das nicht störend oder problematisch, sondern erscheint im Gegenteil recht schlüssig. Problematisch sind eher die nicht umfassend genug gezeichneten Männerfiguren, die sich zwischen Monster, Schwächling und Prince Charming bewegen, da aber der Roman von starken Frauen bevölkert wird, ist auch das verzeihlich.

    Was mir aber in der Tat Kopfschmerzen und Ärger bereitet hat, ist die vulgäre Ausdrucksweise. Wenn die Protagonistin wiederholt davon spricht, dass sie mit ihrem Kindheitsfreund nun endlich mal „gefi..“ hat, dann wünsche ich mir nicht nur einen über dieses Wort gelegten Piepston, sondern stelle sowohl die Wortwahl der Autorin als auch die Übersetzung infrage. Wenn es sich bei dem Kindheitsfreund doch um die große, wahre Liebe des Lebens handelt, empfinde ich das mit so anhaltender Freude verwendete Wort „Fi…“ als ungenügend, die ganze Erfüllung, die damit einhergehen soll, wird so doch auf einen rein körperlichen Vorgang reduziert – das ist unpassend, gewöhnlich und überflüssig. Darüber hinaus stelle ich mir insgesamt die Frage, warum Sexualität, Vergewaltigung, Missbrauch, Masturbation, Menstruation etc. eine so raumgreifende Rolle im Heranwachsen von Elle (und ihrer Mutter) spielen müssen. Für mich hätte es die Hälfte der erwähnten Episoden auch getan. Selbst wenn ich analytisch mich darauf einlassen wollen würde und die schönen Naturbeschreibungen als Konstrastfolie zu den vulgären, mehrheitlich Missempfinden erzeugenden Episoden von Sexualität lesen wollen würde, erschließt sich mir in diesem Umfang der Stellenwert dieses Themas nicht. Coming-of-Age besteht nicht nur aus der Entdeckung und der Angst vor Sexualität – das ist mir thematisch einfach viel zu simpel.

    Abzüglich dieses Niveauverlusts bleibt „Der Papierpalast“ aber eine lesenswerte Lektüre, der deutlich macht, dass wir eben doch stets unsere Vergangenheit sind.

  1. 5
    27. Apr 2022 

    Mehr als ein bloßer Sommerroman

    Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch alles, denn Elle schläft mit Jonas, den sie seit ihrer Kindheit kennt und mit dem sie viele schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen teilt. Nun muss sie sich entscheiden, zwischen Ehemann Peter, ihrem Fels in der Brandung und Jonas, der ihr schon ewig so viel bedeutet.

    „Der Papierpalast“ ist der erste Roman von Miranda Cowley Heller, die bisher eher für ihre Mitarbeit an diversen Serien bekannt war. Das merkt man ihrer Handlung auch an, denn diese würde sich ganz wunderbar für ein solches Format eignen. Aber der Reihe nach: Der Roman wird in unterschiedlichen Zeitlinien erzählt. Ausgehend von dem verhängnisvollen Abend erzählt die Autorin einerseits aus der Kindheit und Jugend der Protagonistin Elle, zeichnet aber auch nach, was in den Wochen zuvor geschah und wie sich die heikle Situation am Ende auflöst. Zunächst liegt der Fokus ganz klar auf Elle, danach werden Peter und Jonas näher betrachtet. Die Ich-Perspektive und Gegenwartsform lassen das Geschehen dabei sehr unmittelbar und plastisch erscheinen.

    Es ist auffallend, dass in diesem Buch Naturbeschreibungen und vor allem das Wasser eine große Rolle spielen. Doch was sich zunächst wie ein netter Sommerroman mit einer kleinen Dreiecksgeschichte anhört, entwickelt sich schon nach kurzer Zeit – und sehr überraschend – zu wirklich schwerer Kost. „Der Papierpalast“ ist vor allem ein Roman über Familienkonstellationen und zeigt dabei schonungslos, wie Eltern gegenüber ihren Kindern versagen. Ohne konkreter auf die Themen eingehen zu wollen: vieles ist zutiefst erschütternd, erklärt aber auch, wie die Figuren dorthin gekommen kamen, wo sie heute sind.

    Heute erst wurde verkündet, dass der Roman es leider nicht auf die Shortlist des „Women‘s Prize“ geschafft hat. Schade, denn auch wenn die Handlung sicherlich nicht angenehm zu lesen war, wird das Buch noch lange in mir nachklingen.

  1. Alte oder neue Liebe?

    Der Klappentext des Buches klang so mysteriös, dass ich nur zu gern mehr erfahren wollte. Was ich dann geboten bekam war so viel mehr als ich jemals zu erwarten gewagt habe.

    In der Geschichte geht es um Elle Bishop, die drei Kinder hat und eine glückliche Ehe mit ihrem Mann Peter führt. Jedes Jahr, und das schon seit ihrer Kindheit, verlebt sie ihre Sommer in den Back Wood von Cape Code. Doch in diesem Jahr sieht sie nach langer Zeit ihren Jugendfreund Jonas wieder und alles fühlt sich an wie damals. Was hat das Leben für sie parat?

    Der Roman besticht vor allem durch diesen idyllischen Ort, an dem man nur zu gern selbst Urlaub machen würde und durch starke Charaktere bis in die letzte Nebenfigur hinein.

    Im Großteil des Romans geht es um die schwierigen Familienverhältnisse, in denen Elle groß wird, denn ihre Kindheit ist von den wechselnden Männern der Mutter und ständigen Umzügen geprägt. Und dann schlägt immer wieder das Schicksal zu.

    Es ist ganz klar keine Geschichte, die man in einem Rutsch liest, denn es passiert so viel Dramatisches, teils Verstörendes, dass man die Luft anhält, schlucken muss oder einem die Tränen in die Augen steigen. Daher kann ich nur jedem Leser raten in guter emotionaler Verfassung zu sein, da einen sonst die Geschichte in ihr schwarzes Loch mit hineinzieht.

    Viele Leser mögen Elle als distanzierte Person wahrnehmen, aber ich konnte mich enorm gut mit ihr identifizieren und verstand ihr Handeln zu jedem Zeitpunkt. Sie hat so viel durchmachen müssen und dennoch ist sie so stark und lebensfroh, das habe ich sehr bewundert.

    Die beiden Männer Jonas und Peter in ihrem Leben haben jeder ihr Gutes für sich und man kann nachempfinden wie schwer es ist so enorm zwischen den Stühlen zu stehen und sich nicht entscheiden zu können.

    Die Stimmung im Buch ist teils sehr bedrückend und dennoch schafft es die Autorin mit ihrem Stil den Leser jederzeit mitzureißen und zu fesseln.

    Die unterschiedlichen Zeiten, in denen die Handlung spielt, verdeutlichen sehr intensiv, was die gesamte Familie geprägt hat und warum die Figuren so sind wie sie sich geben.

    Das offene Ende sorgt dafür, dass man als Leser noch lange grübelt, wie es ausgehen könnte, denn alles scheint möglich.

    Fazit: Ich habe diesen Roman mit großer Faszination gelesen und kann nur eine klare Leseempfehlung aussprechen. Ein absoluter Knaller.

  1. Wenn die alte Liebe entflammt

    Klappentext:
    „Es ist früh am Morgen, alle schlafen noch, als Elle Bishop an einem perfekten Augusttag zum See läuft. Im Sommerhaus der Familie ist etwas passiert: Während Elles Ehemann am vorherigen Abend mit den Gästen lachte, haben Elle und ihre Jugendliebe Jonas sich geliebt. Elle taucht ein ins Wasser, sie weiß, an diesem Tag läuft alles auf eine Entscheidung hinaus.“

    Autorin Miranda Cowley Heller hat mit ihrem Buch „Der Papierpalast“ einen außergewöhnlichen Titel gewählt der aber dennoch mehr als treffend ist. Der Papierpalast ist, wenn man so will, die Sommerresidenz der Familie Bishop. Hauptprotagonistin Elle steht mitten im Leben. An diesem einem Tag erleben wir Leser mehr als nur diese eine Sommerparty bei der auch Ellen‘s Jugendliebe Jonas dabei ist. Während die Party läuft, genießen die beiden ihre alte Liebe und dann entsteht der Lauf der Geschichte. Heller hat ein sehr feines Gespür hier bewiesen, denn sie packt nicht nur diesen einen Tag sondern zusätzlich ein halbes Leben in diesen besagten Tag. Wir Leser erleben schöne aber auch sehr traurige und ja, zum Teil, auch verstörende Parts. Wie anderen Lesern ebenfalls aufgefallen ist, ist diese Geschichte nicht so eine leichte Kost wie gedacht. Man muss genau lesen, man muss den Lauf zulassen und man muss auch abschalten können. Die Figuren rücken mit ihren Beschreibungen nicht zu weit an uns als Leserschaft heran aber dafür die Landschaft. Heller beschreibt diese so wunderbar eindringlich, dass das innere Auge herrlich gefordert wird und wir in die Geschichte abtauchen können. Diese Mischung ist sehr gut gewählt und erlaubt uns diesen Abstand auch zu genießen. Die Geschichte von Elle oder auch Wallace oder Anne sind besonders in jeglicher Weise und jeder Leser wird anders mit ihnen umgehen. Heller hat einen sehr passenden Ausdruck für ihre Erzählung gewählt und spannt einen gekonnten Spannungsbogen. Eine einfache Strandlektüre wäre dieses Buch für mich nicht, dafür ist es zum Teil einfach zu heftig, aber es ist eine wahrlich lesenswerte Lektüre. Die Story hat einen besonderen Reiz und der Lesegenuss stimmt von Anfang bis Ende. Der Tenor ist schnell erkannt und wer auch die trüben Dinge gut verträgt, erhält einen sehr gutes Bild vom Papierpalast. Ich vergebe 4 von 5 Sterne.