Der Panzer des Hummers

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Panzer des Hummers' von Caroline Albertine Minor
3.15
3.2 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Panzer des Hummers"

Nach dem Tod der Eltern haben sich die drei Geschwister der Familie Gabel auseinandergelebt. Während die alleinerziehende Sidsel als Restauratorin in einem Kopenhagener Museum arbeitet, schlägt sich Niels als Plakatierer ohne festen Wohnsitz durch. Ea, die älteste der drei, lebt seit Jahren in San Francisco und versucht, mit einer Seherin Kontakt zur verstorbenen Mutter aufzunehmen. Doch dann müssen die Geschwister auf einmal Stellung zueinander und ihrer Vergangenheit beziehen. Ein beglückendes und zärtliches Buch über das Wagnis, alte Hüllen abzustreifen und Veränderung zuzulassen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:336
Verlag:
EAN:9783257071788

Rezensionen zu "Der Panzer des Hummers"

  1. Irgendetwas fehlt

    Caroline Albertine Minor hat einen Roman der leisen Töne geschrieben. Die für mich faszinierendste, poetischste und stärkste Szene findet sich gleich zu Beginn als die bereits verstorbene Charlotte (die Mutter) ihre Umgebung irgendwo „In einer anderen Welt“ erkundet. Charlottes Tod liegt Jahre zurück, ihre Tochter Ea lebt in San Francisco, eine weitere Tochter (Sidsel) und ein Sohn (Niels) in Kopenhagen. Es gibt wenig Berührungspunkte der Geschwister, obgleich Sidsel und Niels in Notlagen aufeinander zählen können. Neben einigen Nebenfiguren sind vor allem noch eine Tante im Pflegeheim sowie Beatrice (ein Medium, das Kontakt zu Verstorbenen aufnehmen kann) und ihre Tochter zentral für den Roman.

    Die einzelnen kurzen Kapitel gleichen einer Kamerafahrt, deren Zoom abwechselnd die aktuelle Lebenssituation, das gegenwärtige Alltagsleben der Protagonist:innen in den Blick nimmt und diese durch ihren Tag begleitet. Dadurch erfahren wir sowohl von gegenwärtigen Wohnsituationen, Problemen, Gemütszuständen sowie Verlusten und Belastungen, die aus der Vergangenheit resultieren. Auch die verstorbene Charlotte und ihr ebenfalls toter Ex-Ehemann Troels melden sich aus dem Jenseits zu Wort bzw. interagieren dort miteinander.

    Das alles liest sich flüssig. Die Sprache ist bildlich treffend auf den Punkt, ohne abgehoben und überladen zu sein. Zuweilen blitzt eine distanzierte Komik durch, unterschwellig ist eine Melancholie bei fast allen Beteiligten spürbar. Caroline Albertine Minor sagt selbst über ihren Roman: „Der Panzer des Hummers ist ein Gefäß, das ich mit allem gefüllt habe, was mich interessiert: Elternsein, Gleichzeitigkeit, die Vorstellungen über den Tod und das Leben danach. Der Wunsch nach einer Beziehung.“

    Beim Lesen habe ich immer gewartet, dass etwas passiert, dass die Kamerafahrten auf einen Höhepunkt zusteuern, die Verbindungen der Protagonist:innen deutlicher werden (auch wenn gezeigt werden soll, dass sich die Geschwister auseinandergelebt haben), ich erfahre, warum mir die Autorin ausgerechnet diese Szenen und keine anderen zeigt. Die angesprochenen Themen haben alle Eingang gefunden und trotzdem dominiert am Ende für mich ein Gefühl der Leere und der Roman lässt mich irgendwie unzufrieden zurück.

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  1. Familie kann man sich nicht aussuchen...

    Da ich Familiengeschichten sehr mag, war meine Neugier direkt gepackt. Der sommerliche Touch des Covers hat mich ebenfalls angesprochen.

    In der Geschichte geht es um die Geschwister Ea, Sidsel und Niels, die seit dem Tod ihrer Eltern kaum mehr etwas miteinander zu tun haben. Was hat zu diesem Bruch geführt? Werden sie wieder zu sich finden oder auf ewig getrennt bleiben?

    Der Roman hat es mir wirklich nicht leicht gemacht, da die Fülle an Figuren und die Wechsel zwischen Gegenwart und Rückblenden teils sehr überraschend kamen. Da half es sehr, dass es zu Beginn des Buches ein Personenregister gibt, in das ich auch öfter schauen musste.

    Die große Kunst der Autorin ist das nüchterne, teils traurige Leben der Figuren in einer bildgewaltigen Sprache zu schildern, die dem Roman ein Funkeln verleiht.

    Meine persönliche Lieblingsfigur war Fifi, da sie so ein positiv denkender Mensch ist, auch wenn ihre vaterlose Kindheit alles andere als leicht war. Ihre Arbeit hat mich total fasziniert, denn von ASMR hatte ich vorher noch nie etwas gehört.

    Etwas verwirrt haben mich die mysteriösen Passagen, wo die Toten zu Wort kommen. Ich tue mich sehr schwer an Übernatürliches zu glauben.

    Was mit jeder Zeile sehr deutlich wird ist, dass Familie ein enormes Gut ist und dass trotz diverser Umstände man versuchen sollte zusammenzuhalten und das Beste draus zu machen, denn eine andere oder gar neue Familie bekommt man nicht. Hier kann man nicht mal eben auf Apps gehen und sich eine vermeintlich bessere aussuchen.

    Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, dass die Handlung ohne Höhen und Tiefen dahin plätschert, doch mittlerweile denke ich, dass die düstere Stimmung nur den Eindruck vermittelt, wenn man nicht hinter die Fassade blickt.

    Da ist die alleinerziehende Mutter, die zusehen muss wo sie mal ihr Kind lassen kann, um ihren Job zu machen. Da ist der arme Schlucker, der im Billiglohnsektor arbeitet und keine Perspektive für ein vermeintlich normales Leben hat. All diese Probleme, die dem realen Leben entnommen sind, drücken enorm die Stimmung. Das muss man als Leser erstmal aushalten können.

    Fazit: Keine leichte Kost, die sehr aufmerksames Lesen vom Rezipienten erfordert. Mich hat die Geschichte nur teilweise abholen können, weshalb ich nur bedingt eine Empfehlung aussprechen kann. Man sollte jedenfalls in guter Stimmung sein, wenn man damit startet, sonst zieht einen das Geschilderte emotional zu sehr runter.

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  1. Familie ist kompliziert

    Die Geschwister Sidsel, Ea und Niels haben sich nach dem Tod der Eltern auseinandergelebt und führen ihre eigenen Leben. Der Klappentext ließ mich glauben, dass etwas passiert, was die Geschwister sich wieder annähern lässt. Doch da wurde ich enttäuscht, denn deren Leben plätschern nebeneinander her.
    Der Schreibstil lässt sich angenehm und flüssig lesen. Die Kapitel sind aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben und wir begleiten die Geschwister nur wenige Tage, in denen wir deren Alltag erleben.
    Sidsel ist alleinerziehend und arbeitet als Restauratorin in einem Museum in Kopenhagen. Niels überbrückt sie Zeit als Plakatierer und Ea versucht in San Francisco und durch eine Seherin Kontakt zur verstorbenen Mutter aufzunehmen. Sie alle haben den Verlust der Eltern noch nicht verwunden. Jeder für sich versucht sein Leben zu leben. Mit den Charakteren wurde ich nicht warm.
    Eigentlich hatte ich Probleme oder größere Konflikte erwartet, die zu Auseinandersetzungen und damit zur Klärung der Situation führen. Doch dem war nicht so. Daher fehlte mir die Tiefe in der Geschichte.
    Schade, mich konnte dieser Roman nicht überzeugen

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  1. Kein Plan: der moderne Roman

    Kurzmeinung: Eintönig.

    Alles, was die Autorin interessiert, alles hinein, sagt sie im Interview am Ende des Buches, sie habe nämlich nach der Carrier-Bag-Theorie geschrieben, alles in einen Topf - und dann umgerührt. Man kann kaum erwarten, dass diese Methode zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt.

    Die vorgestellten Personen Ea, Sidsel und Niels, drei Geschwister und dann noch Bea, eine Seherin, deren Rolle in der Story vage ist, bleiben irgendwie in der vorgestellten Geschichte stecken. Ich möchte das Bild gebrauchen vom Bildhauer, der seine Figuren aus dem Stein haut, man kann schon Umrisse und Details erkennen – aber dann läßt der Bildhauer den Meißel sinken. Modern unvollendet. Wer soll das kaufen? Wem kann man es andrehen?

    Die Autorin verlässt sich auf tausend Einzelheiten, die zum Teil unappetitlich sind, um zu interessieren, lässt aber einen roten Faden, einen richtigen Plot vermissen. Fehlender Plot mag zu Buchpreisen führen, nicht zu Lesevergnügen. Geister kommen auch drin vor. Bei Geistern bin ich sowie so raus.

    Zudem wird das Buch falsch beworben. Es handelt sich eben nicht um interagierende Geschwister, die miteinander oder auch gegeneinander um die Deutungshoheit ihrer Kindheit ringen. Die Geschwister leben ein voneinander fast abgetrenntes Leben und nähern sich auch nicht an. Das ganze Gedöns ist fast unerträglich langweilig, weil es keinen Zusammenhang hat.

    "Der Panzer des Hummers" ist also nichts weniger als ein Familienroman, obwohl das Thema Familie natürlich vorkommt. Geschwister und so. Es ist ein Roman über die Einsamkeit des Städters. Oder ein Roman über die Verlorenheit in der Moderne. Alleinerziehende, Seancen mit Geistern, Fluchten, Sex, das alles hat ja Potential. Es reicht aber nicht, wahllos einige merkwürdige, durchaus originelle Details, aneinander zu reihen, um eine Atmosphäre von kalter Tristesse zu erzeugen: wie anders macht das Paul Auster. Mit wie wenig Personal kommt er aus. Ein kurioser Einfall - und der Roman über die Moderne ist fertig.

    Hier: leider Fehlanzeige.

    Fazit: Eine einfache Syntax konkurriert mit einer langweiligen Story. Auch gelegentliche Obszönitäten reißen da nix raus, ganz im Gegenteil.

    Kategorie: Unterhaltung.
    Verlag: Diogenes, 2021

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  1. Ein moderner Familienroman

    „In letzter Zeit hat Ea zunehmend Angst davor, die falschen Entscheidungen zu treffen. Sie läuft mit dem bedrückenden Gefühl umher, die Jahre wären wie ein Trichter angeordnet, und der weiteste, offene Teil des Lebens läge schon hinter ihr.“ (Zitat Pos. 558)

    Inhalt
    Aufgewachsen sind die Geschwister Ea, Sidsel und Niels Gabel mit einem Vater, der meistens irgendwo auf der Erde unterwegs und daher abwesend war, während sich ihre Mutter Charlotte „Lotta“ bis zu ihrer Krankheit und frühem Tod um alles gekümmert hat. Heute lebt Ea in den USA, Sidsel in Kopenhagen und Niels, der jüngste der drei Geschwister, lebt heute überall und nirgends, zurzeit jedoch in der Nähe von Kopenhagen. Die Lebenswege der Geschwister sind unterschiedlich verlaufen und immer noch sind sie, unabhängig voneinander, auf der Suche nach dem Platz im eigenen Leben.

    Thema und Genre
    In diesem modernen Familienroman geht es um unterschiedliche Lebensformen, den Verlust vertrauter Strukturen, Patchwork-Familien und die Frage, wie wir im heutigen Gesellschaftsgefüge unser Leben gestalten wollen. Auch spirituelle und philosophische Elemente spielen eine Rolle.

    Charaktere
    Die einzelnen Figuren des Romans werden am Beginn der Geschichte vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen die Mitglieder der Familie Gabel und der Familie Wallens, wobei sich die Wege einzelner Personen der beiden Familien zufällig kurz kreuzen. Es sind schwierige Charaktere, die Frauen unsicher zwischen ihrer Rolle als Mütter und der eigenen Lebensplanung. Niels ist ein moderner Job- und Wohnungsnomade.

    Handlung und Schreibstil
    Die Geschichte spielt innerhalb von fünf Tagen im April, die Ereignisse sind Momentaufnahmen, Rückblenden zeigen ergänzende Details der persönlichen Entwicklung der einzelnen Figuren als mögliche Erklärung für die jeweilige aktuelle Situation. Die Chancen auf Veränderungen und Neubeginn klingen im Hintergrund an, bleiben jedoch offen. Der gesamte Handlung wirkt beim Lesen wie ursprünglich unabhängig voneinander geschriebene Erzählungen, die für dieses Buch nachträglich in kurze Kapitel unterteilt und neu zusammengefügt wurden, abwechselnd, mit jeweils einer der Hauptfiguren im Fokus, und ergänzt durch verbindende Elemente. Vorbild der Autorin war, wie in einem Interview bestätigt, die „Carrier Bag Theory of Fiction“ („Tragbeutel-Theorie“) von Ursula K. Le Guin, wonach es im Roman nicht nur einen Helden und einen Konflikt geben soll, sondern viele verschiedene Teile, deren Verhältnis zueinander ebenfalls unterschiedlich, aber möglichst gleich gewichtet sein sollte. Leider nimmt diese bewusste Konstruktion, dieses Schreiben nach Anleitung, der vorliegenden Geschichte die lebensnahe Lebendigkeit.

    Fazit
    Ein moderner Familienroman über die Vielfältigkeit der Strukturen abseits der traditionellen Familiengefüge, mit Figuren in existenziellen und emotionalen Krisensituationen.

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  1. Blut ist dicker als Wasser

    Klappentext:

    „Nach dem Tod der Eltern haben sich die drei Geschwister der Familie Gabel auseinandergelebt. Während die alleinerziehende Sidsel als Restauratorin in einem Kopenhagener Museum arbeitet, schlägt sich Niels als Plakatierer ohne festen Wohnsitz durch. Ea, die älteste der drei, lebt seit Jahren in San Francisco und versucht, mit einer Seherin Kontakt zur verstorbenen Mutter aufzunehmen. Doch dann müssen die Geschwister auf einmal Stellung zueinander und ihrer Vergangenheit beziehen. Ein beglückendes und zärtliches Buch über das Wagnis, alte Hüllen abzustreifen und Veränderung zuzulassen.“

    Zuerst: ein genialer Titel mit einer zweideutigen Message, die sich jeder Mensch auf die eigene Fahne schreiben kann, und einem schönen Cover. Und zum Zweiten: eine höchst interessante Geschichte mit einem herrlichen Wortspiel und einer stimmigen Wortmelodie die sich durch das gesamte Buch zieht. Die Geschichte der drei Geschwister wird bis zum gewissen Punkt beleuchtet, um zu verstehen, was und warum sie sich auseinander gelebt haben. Wie dann die Fäden wieder zusammenlaufen und die Rückblenden in die Vergangenheit verwoben wurden, fand ich sehr spannend und lesenswert. Ja, es ist ein beglückendes und zärtliches Buch zum Thema Veränderung, andere Dinge akzeptieren auch wenn man anders denkt, es laufen lassen, wenn sich der Andere damit wohl fühlt. Jeder hat hier seinen Rucksack zu tragen und das Leben läuft für alle drei anders ab, jeder geht andere Wege und erlebt das Leben anders, aber eines steht felsenfest: Blut ist dicker als Wasser und Geschwister werden sie immer sein, egal was, wer, wo und wie macht auf dieser Welt. Minor hat hier wirklich feine Töne angesprochen und man muss wieder zwischen den Zeilen lesen, mal die bildhaften Beschreibungen in eigene Worte fassen und das Gelesene in Ruhe verarbeiten.

    Ich vergebe 4 sehr gute von 5 Sternen und bin gespannt was von dieser Autorin noch erscheinen wird!

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