Der nasse Fisch

Rezensionen zu "Der nasse Fisch"

  1. Die Goldenen Zwanziger

    1 Portrait des Autors
    Volker Kutscher wurde am 26. Dezember 1962 in Lindlar geboren und ist in Wipperfürth aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Wuppertal und Köln. Nach seinem Studium war er als Lokalredakteur in Wipperfürth tätig. Seit 2004 lebt er als freier Autor und Journalist in Köln. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1995 mit dem Titel Bullenmord. 2008 erschien als Auftakt der erste von acht Bänden Der nasse Fisch, ein historischer Kriminal Roman um den Kölner Kriminalkommissar Gereon Rath. Volker Kutscher hat als Schauplatz Berlin gewählt und lässt seine Figuren zeitlich in der späten Weimarer Republik und des Nationalsozialismus spielen.

    • Finden sich im Buch Anknüpfungspunkte an das Leben des Autors?
    Volker Kutscher hat sich schon immer für die Zeit der späten Weimarer Republik interessiert.
    Schon als Kind las er sämtliche Bücher von Erich Kästner. In den 80er-Jahren, Kutscher war in dieser Zeit als Germanistik-und Geschichtsstudent in Berlin und suchte die Plätze von Erichs Kästners Bücher auf. Den Nollendorfplatz in Schöneberg, an dem „Emil und die Detektive“ den Mann mit dem steifen Hut verfolgen, die Weidendammer Brücke in Mitte, auf der Pünktchen aus „Pünktchen und Anton“ Streichhölzer verkauft.
    Schon bald hatte er die Idee für seinen ersten Roman um Gereon Rath der aus Köln nach Berlin verschlagen wurde.

    2 Handlung
    Berlin im Jahr 1929: eine Weltstadt im Rausch und voller sozialer und politischer Spannungen. Kriminalkommissar Gereon Rath hat es aus seiner Heimatstadt Köln in die deutsche Metropole verschlagen. Nach einem tödlichen Zwischenfall am Rhein versucht er im Sittendezernat der Reichshauptstadt einen Neuanfang. Fasziniert von der vibrierenden Atmosphäre der amerikanischsten Stadt Europas, entnervt von den Razzien in Nachtclubs und Bordellen, zieht es Rath in die Mordinspektion unter dem legendären Kriminalisten Ernst Gennat, genannt Buddha, die angesehenste Inspektion im Polizeipräsidium am Alexanderplatz, deren Ermittler von der Presse wie Stars behandelt werden. Und so nutzt der Neue aus Köln die erste sich bietende Gelegenheit, um wieder als Mordermittler tätig zu werden.
    Im Landwehrkanal wird eine Leiche gefunden, ein Toter ohne Identität, der Spuren bestialischer Folterung trägt. Die Mordkommission soll dem unter politischem Druck stehenden Polizeipräsidenten Ergebnisse liefern, doch sie kommt nicht voran. Ungefragt schaltet Rath sich ein und ermittelt auf eigene Faust, entdeckt eine Verbindung zu einem Kreis oppositioneller Exilrussen, die mit geschmuggeltem Gold Waffen kaufen wollen, um einen Putsch vorzubereiten. Auch andere Gruppen sind hinter dem Gold und den Waffen her. Rath bekommt es mit Paramilitärs und dem organisierten Verbrechen zu tun. Er verliebt sich in Charly, eine Stenotypistin in der Mordkommission, und missbraucht ihr Insiderwissen für seine einsamen Ermittlungen. Dabei verstrickt er sich immer tiefer in den Fall — bis er schließlich selbst ins Visier der Ermittler gerät. Rath muss sich entscheiden: Will er Karriere machen? Oder will er die Wahrheit ans Licht bringen?

    3 Personen und Beziehungen

    • Gereon Rath
    „Kriminalkommissar Gereon Rath muss nach einem tödlichen Schusswechsel aus seiner Dienstwaffe Köln verlassen. „(vgl. DnF, S. 39) Raths einflussreicher Vater verschafft ihm eine Anstellung in die Reichshauptstadt zur dortigen Kriminalpolizei. Zunächst fällt es ihm schwer sich in Berlin einzuleben. Aber nach und nach gewöhnt er sich daran und möchte gar nicht mehr weg. Seine Beziehung zu seinem Vater ist schlecht. „Erst zweimal hatte sein Vater ihn in Berlin angerufen, beide Male im Präsidium, und sich nur kurz erkundigt, wie sein Sohn sich so eingelebt habe.“ (DnF, S. 150) Er war froh seinen Vater nun nicht mehr allzu oft zu sehen

    • Charlotte Ritter
    Charlotte Ritter, genannt „Charly“, arbeitet als Stenotypistin in der Inspektion A und wird dort auch bei Ermittlungen eingesetzt. Sie lernt Geron Rath kennen und beginnt eine Liebesbeziehung mit ihm.

    • Wilhelm Böhm
    Oberkommissar. Spitzname: „Bulldogge“ Seit Gründung der Zentralen Mordinspektion im Jahre 1925 arbeitet er dort und ist einer der wichtigsten Mitarbeiter Ernst Gennats. Böhm pflegt einen sehr bärbeißigen Stil, nicht nur im Umgang mit Verdächtigen und Zeugen, sondern auch mit Kollegen und Untergebenen. Diese Art macht ihn im Kollegenkreis — und vor allen Dingen bei Gereon Rath — nicht gerade beliebt; im Grunde aber ist Böhm kein schlechter Kerl.
    „Dieses Oberarschloch! Wenn alle Kollegen in der Inspektion A solche Bulldoggen waren, wie Oberkommissar Böhm, dann fragte er sich, ob es wirklich so erstrebenswert war, dort zu arbeiten.“ (DnF, S. 91)

    • Ernst Gennat
    Ernst Gennat ist Kriminalrat und Leiter der Inspektion A, wegen seiner Leibesfülle „Buddah“ oder auch „der volle Ernst“ genannt. (Vgl. DnF, S. 278) Er ist eine historische Figur im Roman. Gennat hat die Mordinspektion aufgebaut und moderne Ermittlungsmethoden eingeführt, was ihn schon zu Lebzeiten zur „Legende“ (DnF, S.278) gemacht hat. Die Presse berichtet über ihn und seine Mitarbeiter wie über Filmstars.
    „Natürlich. Gennats Truppe. Die Truppe der Presse, die Lieblinge der feinen Gesellschaft. Raub und Mord das bringt mehr Anerkennung als Schmutz und Schund.“ (DnF, S.34)

    • Bruno Wolter
    Bruno Wolter ist Oberkommissar bei der Inspektion E, der Sittenpolizei. Sein Spitzname: „Onkel“.
    „Oberkommissar Bruno Wolter, wegen seiner gemütlichen Art von den meisten Kollegen Onkel genannt, [...].“ (DnF, S. 18)
    Wolter ist Raths erster Chef in Berlin und so etwas wie ein väterlicher Freund bis Gereon Rath das Sittendezernat verlässt und zu Ernst Gennat in die Inspektion A wechselt. Wolter nimmt es nicht immer ganz so genau mit den Dienstvorschriften, „Sie hatten Krajewski laufen lassen, das war gegen jede Dienstvorschrift und gegen jedes Gesetz.“ (DnF, S. 32)
    Bruno Wolter besitzt aus früheren Zeiten einen weiteren Spitznamen: Parabellum-Wolter.
    Diese zufällige Information bekommt Rath von Charlotte bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken.
    „»Nun, wenn jemand freiwillig mit Parabellum-Wolter auf den Gang steht, « sagte sie, […]
    »Na, der Knabe war doch früher Ausbilder am Schießstand. Einer der besten Schützen der Berliner Polizei. «“ (DnF, S. 148)

    • Johann Marlow
    Johann Marlow ist Geschäftsmann. Hinter seinem Rücken wird er auch respektvoll „Doktor Mabuse“ oder einfach nur „Doktor M.“ genannt. Marlow musste wegen des Krieges sein gerade begonnenes Medizinstudium abbrechen und war dann an der Ostfront als Sanitäter im Einsatz.
    „Dann sind sie also wirklich Doktor?“ „Formulieren wir es lieber so: Ich verfüge über einige medizinische Fertigkeiten. „(DnF, S. 456)
    Nach dem Krieg baute er dann zusammen mit seinem Weltkriegskameraden Hugo Lenz und dessen Ringverein Berolina sein Imperium auf, das von illegalen Geschäften aller Art lebt, in der Hauptsache Rauschgift, illegale Nachtlokale und Spielhöllen.

    „»Nein, Dr. M. gehört zu keinem Ringverein, dazu ist er viel zu schlau.
    Die Berolina wird immer noch vom roten Hugo geleitet. Nur dass der rote Hugo das tut, was Dr. M. ihm sagt […].«“ (DnF, S. 129)
    „»Herr Kommissar, ich sorge nur dafür, dass die Leute das bekommen, das was sie wollen. Und in diesen Zeiten ist das nun mal Kokain. Unter anderem.«“ (DnF, S.209)

    Der Geschäftsmann und organisierter Verbrecherboss Johann Marlow, auch „Dr. M“ genannt, hat ein besonderes Verhältnis zu dem Mordermittler. Er versorgt Rath mit Informationen sowie mit Kokain

    • Karl Friedrich Zörgiebel
    Karl Friedrich Zörgiebel ist Polizeipräsident. Sein Spitzname: „Dörrzwiebel“. Von den Beamten in der Burg wird Zörgiebel nicht sehr ernst genommen.

    „Den Spitznamen hatten Sie ihm angehängt als Karl Zörgiebel noch Polizeipräsident in Köln war. „(DnF, S. 147)

    Der Berliner Polizeipräsident Zörgiebel ist ebenfalls eine historische Figur im Roman.
    Durch das von ihm erlassene Demonstrationsverbot und die Autorisierung des rigorosen Vorgehens der Polizei gegen die kommunistischen Maidemonstranten ist er mitverantwortlich für den sogenannten „Blutmai“, bei dem „Unbeteiligte“ (DnF., S.107) von der Polizei getötet wurden.

    „Der Einsatz war unverhältnismäßig brutal und Zörgiebel würde Schwierigkeiten bekommen.“ (Vgl. DnF, S. 107)

    Die Duzfreunde Zörgiebel und Raths Vater haben stillschweigend die Versetzung seines Sohnes nach Berlin organisiert.
    • Engelbert Rath
    Der Vater, Englbert Rath, ist Kriminaldirektor im Polizeipräsidium Köln, der von Sohn, Gereon Rath, aus übersteigertem Ehrgeiz erwartet, dass er es ihm gleichtut.
    Sein Verhältnis zu Gereon Rath ist angespannt. Er ist „Duzfreund“ (DnF, S.107) von Karl Friedrich Zörgiebel.

    4 Aufbau des Romans
    Der Roman ist in drei große Teile mit insgesamt fortlaufende 35 Kapiteln aufgeteilt. Volker Kutscher verzichtet auf einen Prolog und webt stattdessen die Vorgeschichte gekonnt in die Handlung ein.

    Teil I Der Tote im Landwehrkanal 28. April bis 10. Mai 1929
    Teil II Inspektion A 11. bis 21. Mai 1929
    Teil III Die ganz Wahrheit 21. Mai bis 21. Juni 1929

    Es ist ein Roman über ein fiktives Verbrechen in einem historischen Hintergrund, der auch historisch realexistierende Personen mit einbezogen hat: Ernst Gennat genannt „Buddha“ und
    Karl Friedrich Zörgiebel. Die Passagen um den nicht immer sympathischen, oftmals arroganten Kriminalkommissar Gereon Rath sind hochspannend und interessant. „Hardboiler“ steht auf dem Buchrücken und das trifft den Krimi genau.

    5 Ort und Zeit
    Der Schauplatz ist Berlin. Der Roman gleicht einem Stadtplan Berlins in den 20er Jahren. Volker Kutscher beschreibt detailgenau Lage von Straßen, Mietshäusern, Gebäude, Nachtclubs, Bars Restaurants etc. Selbst die Aufteilung Berlins in der damaligen Zeit wird aufgenommen, Charlottenburg das Viertel der Russen, „Tiergarten die gute Adresse. Links das Grün des Parks, rechts Häuser mit protzigen Fassaden.“ (DnF, S.138) Jede Ecke, jede Straße, jede Bahn wird genau beschrieben. Kutscher fügt geschickt wichtige Handlungsmomente mehr oder weniger beiläufig ein und schildert Verfolgungsjagden durch alte Berliner Stadtansichten.
    Die erzählte Zeit umfasst die Monate 28.April bis 21. Juni 1929. Der Autor beschreibt diesen Zeitraum vielschichtig und an der zeit orientiert. Es entsteht eine spannende Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund der Berliner Maiunruhen, politischen Kämpfen, Polizeiwillkür während der Maidemonstrationen.

    „Die Maiunruhen hielten am auch am dritten Tag an. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen Kommunisten und Schupos, immer wieder fielen Schüsse. Auf den Straßen im Wedding und in Neukölln herrschte Krieg […] Jugendbanden nutzten die Dunkelheit und plünderten Geschäfte. „(DnF, S. 67)

    Gleichzeitig gibt er einen Einblick in die Innenansicht des Polizeiapparates in der Umbruchzeit zwischen Kaiserreich und Nazizeit. und der berühmten Mordkommission der Inspektion A unter Oberkommissar Böhm. Volker Kutscher nutzt in seinem Roman historisch verbürgte Figuren wie Raths Vorgesetzten Ernst Gennat und auch Zörgibel.

    6 Erzählperspektive
    Die Erzählperspektive in „Der Nasse Fisch“ wird durch den auktorialen Erzähler bestimmt. Zu Beginn der Handlung berichtet dieser genau von dem „Toten im Landwehrkanal“ wie er zu Tode kam. Erst später wird er aufgefunden und zu einem Ermittlungsfall der Mordkommission und Geron Raths.
    Der Roman ist in einen größeren, historischen Zusammenhang gestellt und sehr komplex an der damaligen Zeit orientiert. Im Laufe des Romans wechselt die Erzählperspektive immer wieder. Die Hauptperspektive bleibt aber innerhalb der Geschichte auf der auktorialen Ebene.

    „Die Meute ließ nicht locker. Der Polizeipräsident wirkte wie ein Stier, der mitten in einem Wolfsrudel geraten war: Groß und kräftig, aber ohne Chance. Ein Blitzlicht flammte auf, Zörgiebel hielt eine Hand schützend vor sein geblendetes Gesicht. Rath konnte es nicht mehr mit ansehen.“ (DnF, S.309

    Beim Wechsel in eine personale Erzählperspektive bleiben die Figuren nicht anonym, sondern werden sichtbar. Der Leser erhält einen Einblick in die gerade agierenden Hauptpersonen, deren Gedanken und Gefühle sehr ausführlich beschrieben werden. Bei Rath werden seine Vergangenheit in Köln und auch seine innersten Gefühle deutlich.

    „Nur ein Mann schickte ihm solche Platten, ein Mann, den es in der Welt seines Vaters nicht mehr gab. Severin Rath, im Frühjahr 1914 mit einem Postschiff nach Amerika gefahren und seither nicht mehr zurückgekehrt. Nicht, als im August der Krieg ausbrach und das Vaterland zu den Fahnen rief. Auch nicht, als der Krieg viereinhalb Jahre später vorbei war. (DnF, S: 197)

    Im Wechsel zu einer neutralen Erzählperspektive wird die damalige Berliner Stadtlandschaft genau beschrieben und auch politisch, historische Ereignisse werden detailliert dargestellt.

    „Das Restaurant Bellevue lag direkt am Tegeler See. Sie saßen auf der Terrasse und schauten der Sonne bei Sonnenuntergang zu. „(DnF, S. 273)
    „Da Haus in der Nürnberger Straße lag dunkel da, als Rath nach Hause kam. (DnF, S. 276

    „Zweiundzwanzig Tote hatte die Statistik bislang erfasst, und viele Verletzte schwebten noch in Lebensgefahr. Die Polizei hatte große Mengen an Munition verbraucht: 7885 Schuss waren aus Polizeipistolen abgefeuert worden, weitere 3096 Schuss aus Karabinern und Maschinengewehren. Die Befürchtung der Berliner Polizei war auch in dieser Hinsicht preußisch.“ (DnF, S.158)

    7 Handlungsstränge
    Volker Kutscher nutzt den Wechsel der Erzählperspektiven für einen spannenden Aufbau in der Geschichte und nutzt die Erzählperspektiven für seine Handlungsstränge.
    Die Haupthandlung betrifft die Hauptfigur Kriminalkommissar Geron Rath und seine polizeilichen Ermittlungen in der Inspektion A. In Rückblenden wird seine Vergangenheit aus Köln erzählt.
    Der zweite Handlungsstrang thematisiert die politische, historische Vergangenheit. Soziale Spannungen, Straßenkämpfe mit den Kommunisten, das Aufkommen des Nationalsozialismus und insbesondere die Maiunruhen.
    Der dritte Handlungsstrang schildert die Liebesbeziehung zwischen Geron Rath und Charlotte Richter.

    8 Sprache
    Einfach und bildhaft
    Volker Kutscher erzählt seinen Roman in einer überwiegend einfachen, knappen und gut verständlichen Sprache. In kurzen Sätzen wird das Geschehen in Hauptsätzen mit oder ohne Nebensätze geschrieben. Um das Geschehen noch anschauliche zu machen, gebraucht Kutscher zahlreiche Dialoge und Bilder.
    Eine typische Passage sieht so aus: "Die Ampel am Moritzplatz zeigte rotes Licht. Rath überprüfte seine Mauser. Die würde er gebrauchen, wenn der Kerl unangenehm werden sollte. Und das traute er dem Russen ohne weiteres zu." (DnF, S.43)
    Kutscher verwendet zusätzlich häufig Aneinanderreihungen von Haupt-und/oder Nebensätzen, die einer Aufzählung einer Parataxe gleichen. Dieses sprachliche Stilmittel beschleunigt die Handlung und dient dem Spannungsaufbau.

    „Ein lauter Knall. Poltern. Er trat auf den Hof und zog den Kerl nach oben. Der Mann sah etwas benommen aus. Rotz und Blut liefen aus seiner Nase. Langsam kam er wieder zu sich Rath zeigte ihm die Marke. Erschreckter Blick. Wie ein Reh vor einem Autoschweinwerfer. Große, Hektische flackernde Augen. Koks.!“ (DnF, S. 124)

    9 Stilmittel
    9.1 Dialoge
    Volker Kutscher setzt treffsichere Dialoge in der Sprache des Milieus, der Polizei und aus Verbrecherkreisen ein. Er lässt seine Figuren lebendig miteinander kommunizieren.

    „»Na, wenn dat keene Kommunisten sind, fress ick `nen Besen! Der Liebig, der war ooch am ersten Mai auf der Straße. Obwohl`s verboten war. Aber jeschnappt hamse ihn nich. Ihre lieben Kollegen. Frech wie Rotze kam er zurück und spuckte jroße Töne, die rote Fahne noch injerollt untern Arm. Und seine Frau… Na, ick sag Ihnen! « „»Vielen Dank! ich werde Ihre Informationen weiterleiten…« Er glaubte nicht, dass sie seinen Sarkasmus bemerkt hatte. Staunens beobachtete er, wie das Gewicht das Polster des Sofas auf den Boden drückte. »…aber, liebe Frau Schäffner, mit geht es um was anderes…«.“ (DnF, S. 109 -110)

    „»Dir erspar ick überhaupt keen Ärja,« sagte der Mann. Plötzlich hatte er etwas metallisch Glänzendes in der Hand. Na prima dachte Rath, ein Kokser mit Knarre.
    »Steck das Ding lieber wieder weg« Oder gib es mir. Und ich verspreche dir, ich habe keine Pistole in deiner Hand gesehen. Auch nicht, wie du einen Beamten damit bedroht hast. «
    »Märchenstunde zu Ende, Arschloch?« „(DnF, S. 27)

    • Dialog zwischen Polizeipräsidenten und Chef der Mordinspektion (DnF, S.303)
    Polizeipräsident und der Chef der Mordinspektion brüllen sich wegen mangelnder Ermittlungsergebnisse an. Das „Brüllen“ soll erklären, warum Rath jedes Wort versteht, denn es findet hinter gepolsterten Türen statt.

    Zörgiebel
    „»Dann reicht das Menschenmögliche offensichtlich nicht!« Zörgiebels Mainzer Singsang. Den kannte Rath noch aus Köln. Je wütender der Mann wurde, desto höher klang seine Stimme. Noch ging die Tonlage als Tenor durch, aber wehe, wenn sie sich in Richtung Alt bewegte oder sich gar zum Sopran überschlug! »Die Presse möchte endlich Ergebnisse sehen! Sie müssen ja nicht gleich den ganzen Fall lösen! Aber irgendetwas Neues werden Sie doch haben, Menschenskinder!«
    Böhm
    »Aber nichts, was die Presse zu interessieren hätte, Herr Polizeipräsident. Unzählige kleine Details, vielleicht von Wichtigkeit, vielleicht belanglos. Das kann ich jetzt noch nicht entscheiden. Und der Presse möchte ich diese Entscheidung erst recht nicht überlassen. «(
    Zörgiebel
    »Sie sind aber dazu da, solche Entscheidungen zu treffen, Herr Oberkommissar! Irgend so etwas wie eine heiße Spur sollten Sie mittlerweile wenigstens aufweisen können, Herrgott nochmal! Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie allen Hinweisen nachgehen. In welche Richtung ermitteln Sie denn derzeit? Das reicht doch schon, mehr brauchen wir denen gar nicht zu sagen. Die letzte Pressekonferenz in diesem Fall liegt über eine Woche zurück. Ich kann die Herren Journalisten verstehen, dass sie langsam ungeduldig werden. Und wenn wir ihnen nichts bieten, schießen die Spekulationen ins Kraut. So ist das doch immer.«“
    9.2 Detaillierte Beschreibungen
    Volker Kutscher beschreibt sehr detailliert die historischen Hintergründe, wie zum Beispiel die Maiunruhen.

    „Die Abteilung IA, die Politische Polizei, leitete die Mai-Einsätze. Und die Politischen rechneten offensichtlich mit vielen Verhaftungen. Die Kommunisten wollten das Demonstrationsverbot mit allen Mitteln durchbrechen, seit Tagen schon hatte ihre Presse agiert.“ (DnF, S. 53)

    Die Beschreibung Berlins .in der damaligen Zeit gleicht einem Stadtplan. Jede Ecke, jede Straße, jede Bahn wird genau beschrieben. Kutscher fügt geschickt wichtige Handlungsmomente mehr oder weniger beiläufig ein und schildert Verfolgungsjagden durch alte Berliner Stadtansichten, „Charlottenburg das Zentrum der Russen“ (DnF, S.96),
    „Das Viertel um den Schlesischen Bahnhof gehört[e] zu den verrufensten der Stadt. Es war fest in der Hand des Verbrechens […].“. (vgl. DnF S. 140) „Tiergarten war eine gute Adresse. Links das Grün des Parks, rechts Häuser mit protzigen Fassaden.“ (DnF, S.138
    Das Leben im Berliner Milieu wird treffend als hemmungslos, ein wildes Leben mit Kokain und Drogen, Prostitution und illegalen Nachtklubs beschrieben.

    Manchmal muss Rath Formulierungen, die er verwendet, seinen Zeitgenossen erklären, etwa wenn er einem Journalisten sagt, er könne ihm in Kürze "grünes Licht" für die Veröffentlichung vertraulicher Informationen geben: "Wie am Potsdamer Platz: Du hältst dich bereit, und wenn das Signal auf Grün springt, dann gibst du Gas!" (DnF, S. 350)
    9.3 Ironie und Humor
    Ironie und Humor kommen in den Roman ebenfalls nicht zur kurz. Kutscher nutzt Redewendungen und Kalauer.
    „Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör“ deklamierte er. Na, dann muss die Behnke aber ein sorgenreiches Leben haben. stellte Weinert fest, als er Kaffee in zwei bereitgestellten Tassen goss. (DnF, S. 132)
    9.4 Berliner Polizeijargon
    • Nasser Fisch
    Als ein nasser Fisch wird zu der Zeit ein ungelöster Fall genannt und in dem Roman auch erklärt.

    „Er nickte ernst. »Sie haben recht. Es gibt nichts Schlimmeres, als den Aktendeckel über einen ungelösten Fall schließen müssen.«
    » Ja glücklicherweise haben wir nicht allzu viele nasse Fische.« So nannten sie in der Burg die ungelösten Fälle.« „(DnF, S. 188)

    • Das Mordauto
    „Das schwarze Mordauto war berühmt in Berlin. Der Mercedes war mit allem ausgestattet, was bei einer Mordermittlung am Tatort benötigt wurde: nummerierte Markierungspfähle zur Spurensicherung, ein Fotoapparat, Scheinwerfer Bandmaß und Zollstock, Kartematerial, Handschuhe, Pinzetten, ein mobiles Polizeilabor und alle möglichen Behältnisse zur Beweisaufnahme. Der Wage transportierte sogar ein fahrbares Büro: einen Klapptisch mit mehreren Stühlen, die man am Tatort aufbauen konnte, samt Reiseschreibmaschine.“ ((DnF, S.59)
    Das schwarze Mordauto wurde von Ernst Gennat entwickelt und auch die Spurensicherung wurde von ihm revolutioniert. Kutscher nimmt dieses historische Detail in seinem Roman mit auf. Der Mercedes wird genau beschrieben. Er ist mit allen ausgestattet, was bei einer Mordermittlung wichtig ist. Die systematische Analyse des Tatortes, wie wir es heute als selbstverständlich betrachten, war zur damaligen Zeit absurd. Die Polizei räumte erst einmal den Tatort auf! Das macht die nachfolgende Szene sehr deutlich. Oberkommissar Böhm schnauzt einen Polizisten an, der bereits vor dem Eintreffen der Mordkommission Maßnahmen ergriffen hatte. Ärgerlich lässt er daraufhin den Polizisten stehen.
    „Zwecklos, diesen Hornochsen in Uniform die Methode moderner Polizeiarbeit nahezubringen.
    Diesen Preußen war es immer noch wichtiger am Tatort erst einmal Ordnung zu schaffen statt Spuren zu sichern.“ (DnF, S. 59)

    • Die Burg
    Seinen Spitznamen “Rote Burg” erhielt das Präsidium aufgrund seiner roten Ziegelbauweise. Das Gebäude wurde nicht nur von den Beamten respektvoll als Burg bezeichnet, auch in der Bevölkerung stand das Polizeipräsidium als Synonym für Recht und Ordnung.

    „Das riesige Backsteingebirge des Polizeipräsidiums war bereits zu sehen. Den Namen Rote Burg trug das Gebäude nicht von ungefähr. Der große Eckturm thronte über dem Alexanderplatz wie ein Bergfried. Rath hatte sich erstmal einmal daran gewöhnen müssen, dass auch die Beamten das Präsidium meinten, wenn sie von der Burg sprachen.“ (DnF, S. 35)
    9.5 Vergnügungsleben in Berlin
    Das Nachtleben in Berlin ist ausgelassen und zwielichtig. Kutscher lässt Vergnügungspaläste, Bars, Cafés, Varietees wieder auferstehen. Der Delphi Palast liegt direkt neben dem Theater des Westens, die Kakadu Bar liegt nicht allzu weit vom Kurfürstendamm entfernt. Dort spielt immer eine Jazzband. Im Venuskeller steht Kakao auf der Karte.

    »Sie sehen hier steht Kakao auf der Karte, « sagte er »und zwar sehr guter! Probieren Sie ruhig, lieber Freund. «Rath zögerte. Er hatte noch nie Kokain genommen. Anderseits durfte er jetzt nicht kneifen. »Keine falsche Bescheidenheit, « meinte der Graubärtige. »Nehmen Sie! Wir Charlottenburger sollten in Gegenden wie dieser zusammenhalten. « (DnF, S. 203)
    Rath gab sich einen Ruck und nahm eine kleine Prise aus der Dose. (DnF, S. 203)
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    m Phoebus Palast liegt in der Nähe Europa Pavillon beide waren im 183
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    „Im Café Berlin schien kein Mensch mehr nüchtern zu sein. Wer nicht den massenhaft ausgeschenkten Schaumwein zugesprochen hatte, der hatte sich in den eleganten Waschräumen die Nase mit Kokain gepudert. Die meisten hatten beides getan.“ (DnF, S. 121

    10 Fazit
    Neben der eigentlichen Handlung der Ermittlungen von Geron Rath, vermittelt Kutscher im Hintergrund Schauplätze des lebendigen Berlins in den Goldenen Zwanziger.
    Kutscher zeigt in seinem Roman ein schillerndes Portraits Berlins und der Weimarer Republik.
    Die zahlreichen Details der damaligen Zeit werden genau wiedergegeben durch seine akribische Recherche. Die Ermittlungen finden zwischen politischen und sozialen Spannungen, Umbrüche und ungezügelter Vergnüngssucht statt. Die Maiunruhen werden später als Blutmai in die Geschichtsbücher eingehen.
    Seine Figuren sind fiktiv bis auf historisch verbürgte Figuren Gennat und Zörgiebel. Die Sprache ist einfach und bildhaft. Er benutzt das Vokabular der Zeit, setzt den Berliner Dialekt ein und auch Humor und Ironie kommen nicht zu kurz. Historische Beschreibungen und Ortsangaben von Berlin beschreibt er genau und detailliert

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  1. Berlin pulsiert!

    Berlin, Mai 1929. Die blutigen Maiunruhen versetzen die Berliner Polizei in höchste Alarmbereitschaft. Dann wird im Landwehrkanal eine brutal zugerichtete Leiche gefunden. Der junge Polizeibeamte Gereon Rath, der von Köln zu Berliner Sitte abgestellt wurde, gerät zusehends immer mehr in einen Strudel brisanter Ereignisse.
    „Nasse Fische“, so werden ungeklärte Mordfälle in der berüchtigten Berliner Mordkommission genannt. Davon sollte es so gut wie keinen geben, so lautet die Devise. Als Gereon Rath von der Sitte zur Mordkommission kommt, ist er mittendrin in undurchsichtigen Machenschaften und hat alle Hände voll zu tun, nicht selbst ins Visier der Kollegen zu kommen.
    Volker Kutscher erzeugt in diesem zeithistorischen Kriminalroman eine intensive Vorstellung der damaligen Zeit. Berlin pulsiert. Koks, Alkohol und Waffen, Pornographie und politische Unruhen, der preußische Beamtenapparat gegen Kommunisten, Russen und der Unterwelt. Mittendrin, Gereon Rath, selbst kein Unschuldslamm. Der politische, geschichtliche und gesellschaftliche Aspekt steht hier in diesem Kriminalroman stark im Vordergrund, der Kriminalfall selbst ein wenig verworren und ausufernd. Da kann man ohne weiteres auch hin und wieder ein paar Seiten quer lesen.
    Gereon Rath ist ein überraschender Charakter. Ihm ist durchaus bewusst, was richtig und falsch ist, Auf welcher Seite des Gesetzes er selbst sich gerade befindet, interpretiert Rath allerdings oft auf sehr interessante Weise. Dies, gemeinsam mit sehr gelungenen Milieustudien und sogar einer kleinen Romanze, machen den nassen Fisch zu einer ansprechenden Leseunterhaltrung.

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