Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García

Buchseite und Rezensionen zu 'Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García' von Moritz Rinke
4.25
4.3 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:448
Verlag:
EAN:9783462054521

Rezensionen zu "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García"

  1. Die abenteuerlichen Erlebnisse eines Postboten auf Lanzarote

    Pedro - Postbote in dritter Generation auf Lanzarote - leidet unter der zunehmenden Digitalisierung des Schriftverkehrs. Ab und zu mal eine Mahnung, eine Rechnung und vor allem Werbesendungen sind ihm für seine tägliche Zustelltour geblieben. Mit seiner Diensthonda fährt er mindestens zweimal in der Woche auf die andere Seite der Insel, um dort einen Café con leche zu trinken, schließlich muss er anhand der gefahrenen Kilometer nachweisen, dass er auch weiterhin als Postbote unabkömmlich ist. „Pedro kurvte über die Timanfayastraße auf die gleiche Art, wie wahrscheinlich Charlie Chaplin so eine Honda gefahren hätte. Er liebte es auf geraden Strecken verspielte Bögen und sanfte Schleifen zu fahren (sie brauchten ja auch ein bisschen mehr Zeit und Kilometer), aber er missachtete dabei ständig die durchgezogene Linie“ (S. 84). Seine Kollegen haben sich überwiegend neue zusätzlich Geschäftsfelder erschlossen, doch Pedro möchte davon nichts wissen. „Pedro hatte das mehrfach gelesen und gespürt, dass er von Worten wie E-Postsafe, E-Postscan oder E-Postportal Rückenschmerzen bekam, nicht nur das: Verdauungsstörungen, Übelkeit, Schwindel. Herzrasen, Herzstolpern, Atemnot“ (S. 99). Lediglich WLAN bietet er als neuen Dienst in seiner „Filiale“ an, was im Verlauf der Geschichte noch zu einer wunderbaren Begegnung führt. Pedros Tage plätschern dahin. Er bringt seinen Sohn zur Schule, fährt ein wenig durch die Gegend, trinkt Kaffee, sieht sich regelmäßig Kinofilme an, holt seinen Sohn Miguel von der Schule ab, hilft bei den Hausaufgaben und sortiert die wenigen Postwurfsendungen für den kommenden Tag. Sein beschauliches Leben ändert sich als er seinen alten Freund Tenaro nach vielen Jahren wieder trifft. Tenaro leidet unter der Globalisierung, musste seinen Beruf als Fischer aufgeben - gegen die großen Schiffe mit ihren Schleppnetzen hatte er keine Chance zu bestehen. Temperamentvoll, schnell aufbrausend und immer begeistert von einer neuen Idee, einem neuen Geschäftsfeld wirbelt er Pedros Leben durcheinander: (…) das klang wieder nach so einem wahnwitzigen Tenaro-Projekt“ (S. 315). Die Ereignisse überschlagen sich und Pedro wird von seiner Frau Carlota verlassen, die mit Miguel nach Barcelona zieht. In dieser persönlichen Krise erhofft sich Pedro Hilfe von dem auf Lanzarote lebenden Literaturnobelpreisträger José Saramago. Schließlich hatte ein anderer Nobelpreisträger - Pablo Neruda - im Film „Il Postino“ auch einem Postboten zum privaten Glück verholfen.

    Moritz Rinke hat eine äußerst kurzweilige Geschichte voller lebendiger Charaktere geschrieben. Der Roman beschäftigt sich auf eine hintergründige Art mit Problemen der Ausbeutung, Globalisierung, Digitalisierung, Krieg, Rassismus, Flüchtlingen und Schlepperbanden. Geschickt verwebt Rinke auch Geschichtliches in seinen Roman - vor allem der Putsch General Francos, der mit Unterstützung des Deutschen Reichs stattfand, spielt eine große Rolle. Das alles liest sich wunderbar leicht, zuweilen tragisch-komisch und ist eine große Liebeserklärung an Lanzarote, das Kino, die Literatur, die Freundschaft und den Fußball. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen - großes Kino!

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  1. Tatsächlich ein recht langatmiger Tag

    Pedro ist Postbote auf Lanzarote. Doch schon lange besteht seine Hauptaufgabe nicht mehr im Austragen von Briefen, sondern vielmehr im Verteilen von Werbeprospekten, da kaum mehr jemand echte Korrespondenzen per Post führt. Um dennoch seinen Job behalten zu können, muss er den Schein wahren und mit seiner Dienst-Honda monatlich eine gewisse Streckenzahl zurücklegen, die er jedoch kaum erreichen würde, wenn er nur seinen normalen Arbeitsweg beim Postaustragen damit zurücklegen würde. Und so fährt er regelmäßig mehrmals die Woche zu seinem zig Kilometer entfernt gelegenen Lieblingscafé, holt seinen Sohn Miguel von der Schule ab und ist auch sonst recht viel mit ihm unterwegs. Doch dann trennt sich Pedros Freundin und Mutter seines Sohnes von ihm und zieht mit dem Kind fort. Pedro ist am Boden zerstört und fsst erst wieder Hoffnung, als er auf Amado, einen Flüchtling, trifft. Gemeinsam mit ihm und seinem Freund Tenaro setzt Pedro nun alles daran, Miguel wiederzusehen.

    Während Pedro mit der zunehmenden Digitalisierung und dem Verlust seines Sohnes kämpft, erfährt man nebenbei eine ganze Menge über die Geschichte der Insel, die schön in die Geschichte eingeflochten sind. Pedro und die anderen Figuren waren mir sympathisch, hätten aber durchaus noch tiefgründiger gestaltet werden können. Das Gefühl, dass sie wirklich individuelle Persönlichkeiten sind, hatte ich beim Lesen nicht - sie waren mir insgesamt einfach zu flach.

    So schnell ich am Anfang des Buches in die Geschichte hineingefunden habe, so schnell wurde meine Lesebegeisterung dann auch wieder ausgebremst: Ich fand die Geschichte über weite Strecken viel zu langatmig und ohne erkennbaren Spannungsbogen, viele Ereignisse erschienen mir wahlweise irrelevant für den Fortlauf der Geschichte oder waren merkwürdig überspitzt dargestellt. Für meinen Geschmack hätte hier deutlich gekürzt werden können. So fiel es mir leider recht schwer, wirklich dranzubleiben, weil die Geschichte so gemütlich vor sich hingedümpelt ist ohne je wirklich an Fahrt aufzunehmen.

    Fazit: Eine nette, sommerliche Lektüre für zwischendurch, aber die Tiefe und das entscheidende Etwas haben mir definitiv gefehlt.

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  1. Lesevergnügen, das begeistert

    „So wie ich das sehe, sitzen hier drei Männer. Der eine ohne Sohn, völlig am Ende. Der andere ohne Job, ohne Fische, ohne das Meer, nur mit einem Joint. Und der dritte ohne Papiere, nur mit irgendwelchen Gedichten.“ (Zitat Seite 312)

    Inhalt
    Sein Großvater hat die kleine Poststelle in Yaiza eröffnet, inzwischen führt Pedro Fernández García, vierzig Jahre alt, diese weiter. Er muss kreativ sein, denn im Zeitalter des modernen Internets schreibt niemand mehr Briefe und er muss seine Auslastung belegen, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Kreativ ist auch sein bester Freund, der Fischer Tenaro, zur Zeit ein arbeitsloser Fischer mit viel Fantasie und immer neuen Ideen. Als Pedros große Liebe Carlota ihn überraschend verlässt und mit dem Sohn Miguel nach Barcelona zieht, verliert er die Lebensfreude, plötzlich entdeckte Familiengeheimnisse belasten ihn zusätzlich. Sein Leben wird grau, bis Amado, Dozent für spanische Literaturen in Afrika, zur Zeit Flüchtling ohne Papiere, mit seinen bunten T-Shirts und seiner Geschichte in sein Leben tritt. Auch er braucht Hilfe auf seinem umgekehrten Fluchtweg, zurück in die Heimat. Tenaro hat eine Idee - sind sie gemeinsam kreativ und stark genug, um diese umzusetzen?

    Thema
    Diese Geschichte ist eine weit gefächerte Mischung aus Poesie, Magie, Schicksal, vielfältig wie das Leben. Es geht um Freundschaft, Beziehungen, Vater und Söhne, Familiengeheimnisse, aber auch um sozialkritische, brisante Themen.

    Charaktere
    Jede der Figuren ist etwas Besonderes mit ihren Gefühlen und persönlichen Eigenheiten, und man folgt gespannt ihren Wegen und Erlebnissen. „Zwei Freunde sind wie zwei Geschichten, die sich zu einer verbinden.“ (Zitat Seite 400)

    Handlung und Schreibstil
    Die Geschichte spielt auf der Insel Lanzarote, während der Jahre 2009 und 2010. Die aktuelle Handlung wird ergänzt durch Erinnerungen an vergangene Ereignisse und Kindheitserinnerungen. Einzelne Tage mit ihren jeweils besonderen Erlebnissen, von denen sich manche nicht erklären lassen, aber trotzdem stattfinden, fügen sich zu einem vielschichtigen, eindrucksvollen Ganzen, in dem sich die einzelnen Fäden zusammenfinden. Es sind bewegte Wochen, die Pedro, Tenaro und Amado zusammenführen und für eine Zeitspanne die Schicksale des Postmannes, des arbeitslosen Fischers mit den phantasievollen Geschäftsideen und des Literaturdozenten, derzeit illegaler Flüchtling, verbinden, vereint durch Literatur und Fußballbegeisterung. Die Sprache erzählt einfühlsam, intensiv und begeistert durch die wunderbaren Schilderungen der dem Tourismus verborgenen Schönheit der Insel Lanzarote.

    Fazit
    Eine großartige Mischung aus Geschichten, Menschen, Alltag und Gefühlen. Liebenswerte Charaktere und humorvoll-skurrile Szenen vereinen sich mit der Nachdenklichkeit der brisanten Themen unserer Zeit und werden erzählerisch eingebettet in eindrücklichen Schilderungen der Schönheit und des Lebens auf der besonderen Insel Lanzarote.

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  1. Briefe und Café con leche

    Pedro Fernándes Garcia ist Postbote auf Lanzarote, so wie sein Vater und Großvater schon vor ihm. Stolz trägt er die Uniform der Königlichen Post, aber die Idylle hat Risse. Es wird kaum noch geschrieben, mit vielen Umwegen und Pausen versucht er den Anschein zu erwecken, dass seine Zustellroute noch unverzichtbar ist.

    Seine Liebe gilt seiner Lebensgefährten und deren Sohn Miguel. Aber bald gerät sein Leben aus den Fugen, Carlota zieht mit dem Sohn nach Barcelona und er selbst erkennt, dass an den Erzählungen seines Vaters und Großvaters so einiges nicht stimmt. Zusammen mit seinem verrückten Freund Tenaro und dem Flüchtling Amado versucht er mit einem aberwitzigen Plan seine Familie zurückzuholen.

    Moritz Rinke hat einen sehr poetischen Roman geschrieben, das Leben eines Postboten hat ja schon einen berühmten literarischen Vorgänger, Skarmetas „Mit brennender Geduld“ und auch hier darf eine wichtige literarische Persönlichkeit nicht fehlen. José Saramago lebt auf Lanzarote und Pedro würde zu gerne eine Widmung von ihm erhalten.

    Rinke lässt seinen Helden wider Willen in absurde Lagen geraten und Pedro erweist sich als liebenswerter Alltagsphilosoph, der nicht immer ganz den realen Lebensanforderungen gewachsen ist. Aber letztendlich geht er immer gestärkt aus den Situationen hervor.

    Mir hat diese feine Geschichte sehr gut gefallen, die Bezüge zur jüngeren spanischen Vergangenheit sind und bleiben aktuell. Pedro muss sich auch mit der Vergangenheit des Vaters und Großvaters auseinandersetzen, Franco ist noch sehr lebendig in den Köpfen der Insulaner. So verbinden sich die vielen kleinen Nebengeschichten zu einem großartigen Roman mit einem liebenswerten Protagonisten.

    Man spürt die Lust des Autors am Fabulieren, mal ist es skurril, mal tragisch, mal menschlich. Das macht für mich einen guten Roman aus.

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