Der Kult: Roman

Rezensionen zu "Der Kult: Roman"

  1. 2
    12. Jan 2023 

    Tod und Teufel in Gibbeah

    Wer vorhat das Buch (mit dem deutschen, aber nicht gut passenden Titel) „Der Kult“ von Marlon James zu lesen, sollte, um es gänzlich erfassen zu können, ziemlich bibelfest sein. Dieser alttestamentarisch anmutende Text strotzt nur so vor biblischen Bedeutungen. Ach ja, und einen stabilen Magen sollte man auch mitbringen.

    Lokalisiert ist die Geschichte um das kleine, fiktive Städtchen Gibbaeh örtlich auf Jamaika und zeitlich in 1957. Der Ort, so erfährt man, sei gegründet worden von freigelassenen Sklaven der Zuckerfarmen Jamaikas. Die Bewohner des Örtchens sind eher mittelmäßig religiös und erfreuen sich viel mehr am Klatsch und Tratsch über ihren Pastor. Dieser ist dem Alkohol sehr zugetan und wird, obwohl er Whiskey bevorzugt, „der Rumpastor“ genannt. Eines Tages kommt der sich selbst so ernannte Apostel York in die Gemeinde, verjagt effektvoll den Rumpastor von der Kanzel und nimmt dessen Platz ein. Mit diesem christlichen Personalwechsel beginnt die brutal-magische Geschichte über die Verführung zur gewaltsamen Selbstjustiz eines ganzen Ortes.

    Dieser Roman, der nach 78 (!) Verlagsabsagen 2005 unter dem Titel „John Crow‘s Devil“ erstmals veröffentlicht wurde und auch in Deutschland einen zweiten Anlauf und eine Neuübersetzung innerhalb von nur 10 Jahren nach Erstübersetzung brauchte, nachdem er 2008 bereits unter dem Titel „Tod und Teufel in Gibbeah“ erschienen ist, hatte einen langen Weg hinter sich, um dann 2018 in der vorliegenden Fassung bei Heyne Hardcore zu erscheinen. Die neuerliche Veröffentlichung kam nur wenige Jahre nach dem Gewinn des Booker Prize von James mit dem Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“; ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Nun ist die große Frage, ob sich das ganze Hin und Her gelohnt hat und man ein lesenswertes Buch in dieser Ausgabe in Händen hält.

    Vor allem der zweite Teil des Namens des deutschen Verlags scheint jedenfalls für dieses Buch Programm zu sein, Hardcore. Denn diese in bedeutungsschwangere, alttestamentarische Sprache gekleidete Geschichte ist vor allem eins: brutal. Was zumindest für die Nähe zur Bibel spricht. So wirfst schon der gewählte Name für den Handlungsort einen Schatten über die Geschehnisse im Buch. Durch Internetrecherchen (nicht eigene Bibelfestigkeit!) erfährt man, dass das „Gibea Sauls“ schon im „Originaltext“ eine archaische Geschichte hat. So soll ein Levit mit seiner Frau auf der Durchreise mit seiner Frau in Gibea übernachten wollen, sei aber bei einem alten Mann aus Ephraim untergekommen. Und hier zitiere ich von der Seite bibelwissenschaft.de, weil ich es selbst nicht besser ausdrücken kann und will: „Die Bewohner der Stadt fordern von ihm, den Leviten auszuliefern, um ihn zu erkennen, d.h. zu vergewaltigen; sie geben sich aber mit dessen Frau zufrieden. Diese vergewaltigen sie die ganze Nacht, bis sie tot zusammenbricht. Der Levit zerteilt die Leiche seiner Frau in zwölf Stücke und verschickt diese im ganzen Land, um Israel gegen Gibea zu mobilisieren.“ Und damit haben wir die Ausprägungen der Brutalität im vorliegenden Roman schon einmal durch die Namenswahl des Handlungsortes wunderbar skizziert.

    In „Der Kult“ wird vergewaltigt, gefoltert, gemordet was das Zeug hält. Das Ganze passiert in einer vom Aufbau her zwar magisch-biblischen Sprache, allerdings mit Wörtern, die an Derbheit nichts vermissen lassen. Noch nie habe ich ein Buch gelesen, in welchem so häufig von Pisse, Scheiße, Penissen, Schwänzen, Muschis, Mösen, Pussys, Vaginas (ich wahr schon fast erleichtert auch mal dieses Wort zu lesen), zerschlagenen Schädeln (aus denen Gehirnmasse quillt), abgeschlagenen Körperteilen, Vergewaltigungen, gefickten Ziegen und Kühen und was weiß ich, die Rede ist. Das muss man aushalten können. Aber ganz ehrlich, selbst wenn man es aushält, gibt leider die Geschichte an sich nicht so viel an Erkenntnissen her, dass es sich wirklich lohnt, durchzuhalten. Denn dafür, was ich hier sprachlich und inhaltlich durchlebt habe, ist mir die Moral von der Geschicht über Verführung der Massen hin zu unmenschlichen Taten als Mittel der Bestrafung von Sünden zu schwach.

    Vielleicht liegt der Reiz an diesem Buch ja in der Deutung aller alttestamentarischer und gleichermaßen magischer Voodoo-Spiritualität sowie Bibelzitaten im Text; und das ist einfach nicht meins. Vielleicht ist es aber auch ein Zeichen, wenn dieser Roman zunächst von so vielen Verlagen abgelehnt wurde, zwei Anläufe in kurzer Zeit auf dem deutschen Buchmarkt und zur Unterstützung einen Booker Prize brauchte, um den Weg in die Hände von potentiellen Lesenden zu finden.

    Letztlich kann ich persönlich leider nicht zu einer Lektüre raten, außer man ist der Typ von Person, die es sich gern abends mit einem Band des Alten Testaments und einem schönen Glas Wein gemütlich macht, um bei Kerzenschein in diese unwiderstehlich faszinierende Welt einzutauchen.

    2,5/5 Sterne

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