Der Herr der kleinen Vögel: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Herr der kleinen Vögel: Roman' von Yoko Ogawa
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Herr der kleinen Vögel: Roman"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: Liebeskind
EAN:9783954380503

Rezensionen zu "Der Herr der kleinen Vögel: Roman"

  1. 4
    26. Nov 2015 

    Der Gesang der Einsamkeit...

    Dies ist bereits das dritte Buch von Yoko Ogawa, das ich gelesen habe, und immer wieder zeigt sich ihre Kunst, auf eine unaufgeregte und doch fast poetische Art einsame Leben zu präsentieren, die leise am Rande der Gesellschaft existieren und letztlich dennoch erfüllt scheinen.

    In diesem Buch geht es um zwei Brüder, die sich von Kindheit an eine ganz eigene Welt schaffen. Der ältere der beiden Brüder vermag nicht mit anderen zu kommunizieren, hat aber eine eigene Sprache entwickelt, zu der nur der jüngere Bruder einen Zugang hat. Dieser versteht ihn und kann sich mit ihm unterhalten, fungiert auch als 'Übersetzer' für die Umwelt. Er ist es auch, der erkennt, dass sein älterer Bruder sich nicht nur für Vögel zu interessieren beginnt, sondern so intensiv dem Gesang dieser Tiere lauscht, dass es oftmals so wirkt, als könne er sich mit ihnen unterhalten.

    Nach dem Tod der Eltern ist es der jüngere Bruder, der sich um den Älteren kümmert. Er arbeitet als Verwalter eines stillen Gästehauses einer Firma und verdient so das Geld für sie beide, er erledigt auch die Einkäufe und alle außerhäuslichen Angelegenheiten, während der ältere Bruder sich um den Haushalt kümmert. Die beiden leben wie in einem Kokon, umgeben von Ritualen, die kaum einmal durchbrochen werden. Sie fühlen sich am wohlsten gemeinsam in ihrem Elternhaus, sorgen sich um die Vögel im Garten und gehen täglich zu einer nahegelegenen Voliere auf dem Grundstück eines Kindergartens. Dort steht der ältere Bruder oft stundenlang, um die Vögel zu beobachten und ihrem Gesang zu lauschen - der Zaun, an den er sich dabei lehnt, zeigt schon den Abdruck des Mannes.

    Als der ältere Bruder plötzlich stirbt, vermag der Jüngere nicht von seinen Ritualen abzulassen. Er besucht weiter täglich die Voliere und übernimmt schließlich die Pflege der Vögel. Leise und behutsam begibt er sich in den Dienst der scheuen Tiere und erfreut sich stets an deren schönem Gesang. Im Kindergarten nennen sie ihn nur noch den 'Herrn der kleinen Vögel'. Er beginnt sich Bücher über Vögel in der Bibliothek auszuleihen und kommt dort scheu in Kontakt mit der jungen Bibliothekarin. Und bei einem sonntäglichen Spaziergang lernt er einen älteren Mann kennen, der ihn lehrt, dass auch Zikaden schön zu singen vermögen. Doch eines Tages wird ein kleines Mädchen als vermisst gemeldet, und plötzlich muss der jüngere Bruder erfahren, dass 'Kotori' nicht nur 'Herr der kleinen Vögel' bedeutet...

    Ein Buch der leisen Töne über ein scheues, zurückgezogenes Leben und über den Rückzug in die Stille hat Yoko Ogawa hier präsentiert. Ohne jede Wertung und in der Rolle des genauen Beobachters stellt die Autorin dieses Leben vor und lässt den Leser daran teilhaben. Gemeinsam entdeckt man die kleine Dinge des Alltags, an denen man sich erfreuen kann, lernt die Welt der sonst oft so unscheinbaren Vögel kennen - und verneigt sich schließlich trotz einer verbleibenden Distanziertheit - niemals erfährt man beispielsweise den Namen eines der Brüder - vor einem derart unspektakulären und letztlich doch erfüllten Leben.

    Wieder einmal ein bezauberndes Buch der japanischen Schriftstellerin, das mich in meiner Absicht bestärkt, noch weitere Werke von ihr lesen zu wollen.

    © Parden

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