An der Grasnarbe: Roman

Rezensionen zu "An der Grasnarbe: Roman"

  1. 2
    11. Mai 2022 

    Weder zielführend noch aussagekräftig

    Was Mirjam Wittig mit ihrem Debütroman „An der Grasnarbe“ bezwecken will, bleibt mir leider bis zum Erstellen dieser Rezension verschlossen. So begleiten wir die junge Noa zu ihrer Arbeitsauszeit auf einen Bauernhof nach Frankreich, um die Erlebnisse dort geschildert zu bekommen und zum Schluss leider mit zu vielen Fragezeichen gefühlt fallen gelassen zu werden. Aber noch einmal zurück. Noa ist scheinbar eine junge Person, die mit den Unsicherheiten der Welt, mit welcher sie Zeit ihres Lebens konfrontiert wird, nicht klarkommt. Ohne selbst jemals einen Terroranschlag erlebt zu haben, hat sie panische Angst vor einem solchen und erleidet Panikattacken, wenn sie Menschen des „Phänotyps“ Terrorist (dunkle Hautfarbe, langer Bart), ein stehengelassenes Gepäckstück oder generell Menschenmengen sieht. Dass dies übertrieben ist und ungleich stärker rassistisch ist ihr bewusst, aber das ändert nichts an der Sache, macht ihr nur Schuldgefühle. Somit nimmt sie sich eine Auszeit aus der deutschen Großstadt und verfrachtet ihr neurotisches Wesen aufs französische Land zu einer deutschen Selbstversorgerfamilie als Hilfskraft.

    Der Klappentext – ja ich weiß, darauf sollte man nur bedingt hören - betont neben der „Flucht aufs Land, inneren Widersprüchen“ die „Auswirkungen der Klimakrise“ sichtbar im Roman. Nun ja, Ersteres wird beschrieben, Check. Zweiteres schon weniger gut, aber trotzdem Check. Das Letztere zeigt sich jedoch lediglich in einem trockenen Boden und einem Unwetter mit Sturzregen. Besondere Tiefe sollte man bei diesem Text nicht erwarten. Es werden unglaublich viele Themenstränge für so ein 190 Seiten dünnes Büchlein angedeutet, dann aber nicht wieder aufgenommen, geschweige denn zu Ende geführt. Versprochen wird außerdem im Klappentext: „mit großem Einfühlungsvermögen und starker atmosphärischer Kraft“, beides Komponenten, die dieser Roman meines Erachtens eher vermissen lässt. So wabert die Geschichte irgendwie vor sich hin, ohne Ziel und auch ohne Aussage. Die Figuren bleiben blass und hinterlassen keinen bleibenden Eindruck. Die Beziehungen der Figuren untereinander bleiben unklar. Sprachlich will die Autorin zu viel, auch wenn sie eine Panikattacke aus Sicht der Ich-Erzählerin Noa ganz gut rüberbringen kann. Für mich hat sich der Roman zwar zum Ende hin etwas flüssiger lesen lassen, was mit der zunehmenden Ausgeglichenheit der Erzählerin zu tun haben könnte, trotzdem präsentierte sich mir der Roman nicht als ein Lesevergnügen. Er stellt sich mitunter genauso planlos wie die Ich-Erzählerin dar und wird inhaltlich belanglos.

    Abschließend fragt man sich nach der Lektüre von „An der Grasnarbe“, was die Autorin mit diesem Roman aussagen wollte oder ob sie lediglich einen selbst erlebten Selbstfindungstrip in die Natur in Romanform gepackt hat. Eine emotionale Tiefe jedweder Art bleibt dabei den Außenstehenden jedoch verschlossen. Somit kann ich diesen Roman leider nicht weiterempfehlen. Die Lektüre tut nicht weh, aber sie bringt auch nicht viel. Ist scheinbar nicht zielführend. An einer Stelle sagt ein Protagonist: „Kann schon sein, ich klinge wie ein Achtsamkeitsbuch. Tut mir leid, dass ich dir nichts Interessanteres dazu sagen kann.“ Dies scheint das Motto des vorliegenden Romans zu sein...

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  1. Die Enge in deiner Brust...

    Ich wollte diesen Roman so gern lesen, um mehr über Panikattacken zu erfahren und wie man gegen diese und Angst vorgehen kann. Leider bekam ich dazu wenig.

    In der Geschichte geht es um Noa, die sich in der Großstadt schon lange nicht mehr wohlfühlt. In den südfranzösischen Bergen hofft sie Ruhe und einen Weg raus aus ihren Ängsten zu finden. Wird ihr dies gelingen?

    Der Roman kommt mit sehr leisen Tönen daher und ist düster von der Stimmung, da der Großteil der Protagonisten offenbar mit enormen Problemen zu kämpfen hat.

    Gut gefallen hat mir wie die Autorin ganz nebenbei aufzeigt wo die Natur angegriffen ist und wie Klimawandel aussehen kann. Dafür findet man viele Beispiele im Buch, die nicht nur Dürre oder Hochwasser heißen.

    Die Figuren, allen voran Noa, blieben mir leider enorm fremd. Man lernt sie nur an der Oberfläche kennen, richtig eintauchen kann man leider nicht. Die Einzige, deren Emotionen ich verstehen und mit der ich mitfühlen konnte war Jade. Trotz der kargen Umgebung ist sie ein typischer Teenager mit allen Problemen, die das mit sich bringt.

    Während mich der Roman bis zur Mitte noch fesseln konnte, nimmt das im Verlauf immer mehr ab. Ich hatte das Gefühl, dass Frau Wittig sich mit der Zeit an der Vielzahl der Themen, die angeschnitten, aber nicht vollendet werden, verloren hat.

    Generell bleibe ich nach der Lektüre eher ratlos zurück, da ich so viele Fragen im Kopf habe und nicht eine davon beantwortet worden ist. Einzig klar macht der Roman, das Weglaufen und Flüchten eben keine Lösungen sind und schon gar nicht für psychische Probleme.

    Fazit: Spannende Grundidee, die sich auf den wenigen Seiten nicht richtig entfalten konnte. Von mir gibt es daher nur bedingt eine Leseempfehlung.

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  1. Erde und Mensch aus dem Gleichgewicht geraten

    Noa leidet unter plötzlich auftauchenden Panikattacken. Auslöser sind neben unbeaufsichtigten Gepäckstücken auch bärtige Männer, die bei ihr sofort das Bild eines Terroristen heraufbeschwören. Sie weiß, dass ihr Bild vom „Terroristen“ ebenso vorurteilsbehaftet wie rassistisch ist und zahlreiche unschuldige Menschen diskreditiert. Noa schämt sich zutiefst für ihre unkontrollierbaren Gedanken, fühlt sich schuldig. Immer weniger gelingt es ihr, in der Großstadt zu leben, wo sie an jeder Ecke die Angst überfallen kann. Sie beschließt für einige Monate nach Südfrankreich aufs Land zu ziehen, um dort als freiwillige Helferin eine deutsche „Aussteiger-Familie“ beim Hüten der Schafe und beim Gemüseanbau zu unterstützen. Trotz oder gerade wegen der Knochenarbeit gelingt es Noa ein wenig zur Ruhe zu kommen; ihre Panikattacken werden seltener.

    Auf dem Land ist der Klimawandel deutlich spürbar: die Sommer werden heißer, Trockenheit nimmt zu, macht den Anbau von Gemüse zunehmend schwieriger und erschwert die Schafhaltung. Extreme Wetterlagen wie Starkregen erweisen sich als zusätzliche Bedrohung. Die Natur scheint ebenso aus dem Gleichgewicht wie Noa.
    Mirjam Wittig hat einen ruhigen Debütroman geschrieben, dessen Stärken in der Beschreibung der Natur und der Arbeitsabläufe auf dem Land liegen. Hervorragend gelungen ist ihr die sprachliche Umsetzung von Noas Panikattacken - in diesen Szenen vermittelt die abgehackte Sprache die Angstzustände sehr unmittelbar. Etwa bis zur Hälfte habe ich das Buch gerne gelesen und war vor allem neugierig, etwas über den Ursprung von Noas Angstattacken zu erfahren. Auch die Verbindung von Angst und Schuld sowie die latent vorhandene Bedrohung durch den Klimawandel versprachen interessante Einblicke. Leider erhielt ich keinen tieferen Zugang zu Noas Gefühls- und Gedankenwelt. Nebenfiguren, die zu Beginn des Romans wichtig erschienen, tauchten später gar nicht mehr auf bzw. in einer Art und Weise, bei der ich nicht nachvollziehen konnte, warum dies für die Entwicklung der Geschichte bedeutsam sein soll.
    Grundsätzlich dürfen für mich Romane Fragen unbeantwortet lassen, nicht alle Themen müssen zu Ende geführt werden. Ich benötige aber Informationen, einen Anker, damit ich selbstständig weiterdenken und Erkenntnis daraus ziehen kann. Hier blieb mir vieles zu vage, wurde beiläufig angedeutet, verlief im Sand. Andere Themen tauchten plötzlich auf, nur um ebenso angerissen und nicht vertieft zu werden. Letztendlich lässt mich der Roman trotz zahlreicher gelungener Passagen daher ratlos und unzufrieden zurück.

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