Der goldene Handschuh

Buchseite und Rezensionen zu 'Der goldene Handschuh' von Heinz Strunk
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4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der goldene Handschuh"

Dieser phantastisch düstere, grell komische und unendlich traurige Roman ist der erste des Autors, der ohne autobiographische Züge auskommt. Ein Strunkbuch ist es trotzdem ganz und gar. Sein schrecklicher Held heißt Fritz Honka – für in den siebziger Jahren aufgewachsene Deutsche der schwarze Mann ihrer Kindheit, ein Frauenmörder aus der untersten Unterschicht, der 1976 in einem spektakulären Prozess schaurige Berühmtheit erlangte. Honka, ein Würstchen, wie es im Buche steht, geistig und körperlich gezeichnet durch eine grausame Jugend voller Missbrauch und Gewalt, nahm seine Opfer aus der Hamburger Absturzkneipe „Zum Goldenen Handschuh“ mit.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag: Rowohlt
EAN:9783498064365

Rezensionen zu "Der goldene Handschuh"

  1. Eher enttäuschend

    Spektakuläre Mordfälle, insbesondere die Taten von Serienmördern, haben als Buch oder Film gute Chancen Interesse beim breiten Publikum zu erwecken. in der Literatur gibt es zahlreiche Beispiele dafür. Eines der bekannteren ist Truman Capotes „Kaltblütig“. Capote erzählt darin die Geschichte eines realen Verbrechens. Im November 1959 wird in Holcomb in Texas eine vierköpfige Farmerfamilie brutal ermordet. Die Täter, zwei Zuchthäusler, sind schnell ermittelt und werden zum Tode verurteilt. Capote recherchiert jahrelang, trifft die Täter, gewinnt ihr Vertrauen und begleitet sie bis zum Galgen.

    Einen Tatsachenroman nach dem Muster des bekannten amerikanischen Kollegen hatte vermutlich auch Heinz Strunk mit „Der goldene Handschuh“ im Sinn. Zumindest verweist er im Anhang explizit auf Capote. Strunk erzählt die Geschichte des Hamburger Serienmörders Fritz Honka, der in der ersten Hälfte der 1970er Jahre vier Frauen in seiner Wohnung tötet und Leichenteile in einer Abstellkammer aufbewahrt. Gegen den Verwesungsgeruch besorgt er Raumspray und Duftsteine. Angesprochen auf den Gestank schimpft er auf die Griechen im Haus, die von früh bis spät irgendwelche absonderlichen Gerichte zubereiten würden.

    Fritz Honka ist im Grunde ein armer Tropf. Heim- und kriegsgeschädigt. Er wird in der Lehre gedemütigt und gefoltert, versucht sich als Jugendlicher das Leben zu nehmen. Bei einem schweren Unfall wird sein Gesicht entstellt. Eine Normalität, nicht mal die allerbescheidenste, will sich in diesem Leben nicht einstellen. Honka ist nicht nach unten abgerutscht. Er war immer ganz unten und ist dort geblieben.

    In Hamburg wird die Kiezkneipe „Der goldene Handschuh“ schnell zu seinem Lebensmittelpunkt. Um Öffnungszeiten muss sich niemand kümmern. Die Kaschemme hat immer geöffnet. Rund um die Uhr. 365 Tage im Jahr. Hier treffen sich die Kaputten, die Gescheiterten, die Traumatisierten aller Gesellschaftsschichten, verbunden durch Tristesse und Dauersuff. Einmal, so das Gerücht, soll sogar ein Toter zwei Tage auf seinem Hocker im „Handschuh" ausgeharrt haben, bevor jemand das Ableben bemerkte. Vermutlich haben dann alle gelacht. Strunk schildert eine Welt, in der es keine Normen, keine Werte und kein Mitgefühl mehr gibt. Der Alkohol hat all das in Trümmer gelegt. Die Bewohner dieser Welt irren durch ihr Leben wie in einer Postapokalypse, in der jede Ordnung zusammengebrochen ist und es nur um Überleben von Stunde zu Stunde geht. Dabei nimmt der Autor kein Blatt vor den Mund. Die Sprache ist teilweise drastisch.

    Die verschiedenen Erzählstränge, etwa über die Mitglieder eine Hamburger Reedersfamilie, die vielen Handlungssprünge trüben die Lesefreude aber ein, ohne dass sie die Geschichte irgendwie erhellen würden. Stellenweise gewinnt man als Leser den Eindruck der Autor ringe mit sich, ob er jetzt einen Roman über die Kiezkneipe „Der Goldene Handschuh“ schreiben will, oder einen über den Serienmörder Fritz Honka, mit dem das Werk ja beworben wird. Um die Morde geht es erst im letzten Drittel, auf zwei Dutzend Seiten schockierend beschrieben und abgehandelt. Dann endet das Buch relativ abrupt. Wie Honka letztlich überführt wird, nämlich durch einen Wohnungsbrand, bei dem Feuerwehrmänner Leichenteile in der Abstellkammer entdecken, erfährt der Leser in fünf Seiten Postskriptum. Das kann man so machen, spannend ist es nicht. Die Geschichte des schlimmsten Hamburger Serienmörders habe ich mir ein wenig atmosphärischer und aufregender vorgestellt.

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  1. 5
    20. Feb 2017 

    Geschichten aus einer Hölle, die es schon zu Lebzeiten gibt

    Wie tief Menschen sinken können, macht sich die/der DurchschnittsbürgerIn meist kaum klar. Ab und zu sieht man solche geschlagenen Existenzen auf der Straße, gelegentlich kreist eine Gruselmeldung durch die Medien, wenn verwahrloste, auch alkoholkranke Menschen aus ihren Wohnungen geholt und in eine Klinik gebracht werden. Man schaudert sich dann wohlig beim Anblick dieser häßlichen, teils abstoßenden Gestalten und ist glücklich über das eigene, im Vergleich dazu doch schöne Leben. Doch was in diesen Menschen vorgeht, wie sie leben und fühlen, bleibt unbekannt, denn wer will schon zu solchen Personen in Beziehung treten?
    Heinz Strunk hat es gewagt und das Soziotop der Gaststätte 'Zum goldenen Handschuh' Mitte der Siebziger detailliert beschrieben. Hier finden sich die, die vom Alkohol bereits so zerstört sind, dass ein 'normales' Leben unerreichbar ist. Kriegsveteranen, Verlassene, Behinderte - aber auch Mancher aus der scheinbar so gut situierten Gesellschaft, wo Vieles nur Schall und Rauch ist. Allen gemeinsam ist, dass sie saufen um zu vergessen, um sich besser zu fühlen.
    Im Mittelpunkt der Geschichte steht Fritz Honka, ein erbarmungswürdiger Mensch, der zeit seines Lebens fast nur grausam misshandelt und verstümmelt wurde. Wenn er nicht arbeitet, säuft er bis knapp zur Bewusstlosigkeit im goldenen Handschuh, sodass es ihm noch gelingt, gelegentlich ein weibliches Wesen abzuschleppen, das noch weiter unten in gesellschaftlichen Skala steht (ja, das geht.) Älter sind sie, häßlich wie die Nacht und bar jeden Selbstvertrauens. Er misshandelt, missbraucht und versklavt sie, um sich selbst eine Stufe höher zu stellen.
    Daneben steht die Beschreibung einer alteingesessenen, ehrwürdigen Reedersfamilie, deren Glanz jedoch lange zurückliegt. Mittlerweile herrscht nur noch Gleichgültigkeit und Heuchelei und selbst der materielle Reichtum ist nur noch ein Trugbild. Der Senior ist zerfressen von Hass und Wut und wartet nur noch auf den richtigen Augenblick, um dem Allem Ausdruck zu verleihen. Sein Sohn, in einer gleichgültigen Ehe gefangen, verwaltet in der familieneigenen Reederei nur noch den Mangel und gibt sich im goldenen Handschuh regelmäßig dem Suff hin. Und sein Schwager, ein erfolgreicher lediger Rechtsanwalt, ist ein ebensolcher Alkoholiker wie Fritz Honka, von dem ihn lediglich unterscheidet, dass er ein schöneres Zuhaus und mehr Geld hat und damit besseren Alkohol und schönere Frauen bekommt.
    Kein sehr symphatisches Personal, das man in dieser Geschichte vorfindet. Und doch gelingt es Heinz Strunk, Mitgefühl für Fritz und die anderen Stammgäste im goldenen Handschuh zu wecken. Denn letzten Endes wollen sie nichts weiter, als ein bisschen Liebe und Respekt und wären mehr als glücklich, einen Menschen an der Seite zu haben, neben dem sie am Morgen aufwachen könnten. Es ist ein vulgäres, ordinäres und grausames Buch, und trotzdem gibt es immer wieder auch Szenen zum Lachen oder bei denen ich völlig gerührt war.
    Auch wenn sich das Ganze liest, als käme es von einem anderen Stern, sollte man sich klarmachen, dass wir sooo weit davon nicht entfernt sind. Wie es sich der Jüngste der Reedersfamilie denkt, als er das erste Mal im goldenen Handschuh ist: 'Wieviel davon steckt auch in mir, in jedem?...Werde ich auch so, wenn ich nur lange genug hier sitze?'

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